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SPRACHE DER GEGENWART
Herausgegeben
im Auftrag des Instituts für deutsche Sprache von
Joachim Ballweg, Inken Keim, Hugo Steger
und Rainer Wimmer
Schriftleitung: Ursula Hoberg
BAND LXIII
SPRACHKULTUR
Jahrbuch 1984 des Instituts für deutsche Sprache
Herausgegeben von
Rainer Wimmer
SCHWANN
CIP-Kur^titelaufnahme der Deutschen Bibliothek
S p ra c h k u ltu r / hrsg. von Rainer W immer
— 1. Aufl. —D üsseldorf : Pädagogischer Verlag
Schwann-Bagel, 1985.
(Jahrbuch . . . des Instituts für Deutsche Sprache ; 1984)
(Sprache der G egenw art ; Bd. 63)
ISBN 3-590-15663-5
N E: W immer, Rainer [Hrsg.] ; Institut für Deutsche Sprache
<Mannheim> : Jahrbuch . . . des Instituts
2. G T
© 1985 Pädagogischer Verlag Schwann-Bagel G m bH D üsseldorf
Alle Rechte Vorbehalten • 1. Auflage 1985
Um schlaggestaltung Paul Effert
Herstellung Lengericher Handelsdruckerei,
Jürgen Bossemeyer G m bH + Co K G , 4540 Lengerich/W estf.
ISBN 3-590-15663-5
20 JAHRE
INSTITUT
FÜR DEUTSCHE
SPRACHE
1964-1984
(ilsi
INTERNATIONALE
JAHRESTAGUNG 1984
INHALT
V orw ort
9
Eröffnung
11
Klaus von Bism arck / Wilhelm Siegler: Problem atik der
S prachkultur im Blick auf das nicht-deutschsprachige
A usland
24
Janos Juhäsz: Der S tellenw ert der S prachkultur in der
m odernen G esellschaft
33
D ieter Nerius: Zur G eschichte und B edeutung des Begriffes
S prachkultur in der Linguistik der DDR
55
W olfdietrich H artung: S prachkultur als gesellschaftliches
Problem und als linguistische Aufgabe
70
S prachkultur und In stitutionen
G erhard Stickel: V orbem erkungen über “ S prachkultur und
In stitu tio n en ”
82
G ünther D rosdow ski: Die D udenredaktion
85
Hans-Martin Gauger: Bericht über eine A kadem ie
93
O tto Nüssler: Die G esellschaft für deutsche Sprache (GfdS)
100
Karl Eibl: S prachkultur im 18. Ja h rh u n d ert
108
Franz H ebel: Sprachkultivierung in der schulischen
Bildung
125
A dolf Muschg: S prachkultur und L iteratur
139
Ludwig Harig: Das R auschen des sechsten Sinnes
151
Uwe Pörksen: Das D em okratisierungsparadoxon
159
7
Sprachkultur und politische K ultur
W alther D ieckm ann: V orw ort: S prachkultur und politische
K ultur
182
Wolfgang Bergsdorf: Über die Schw ierigkeiten des politischen
Sprechens in der D em okratie
184
W erner H olly: Politische K ultur und Sprachkultur
Wie sich der Bürger politische Ä ußerungen verständlich
m achen kann
196
G erhard Strauß / Gisela Z ifonun: Sprachkultivierung als
politische A ufklärung
211
W alther D ieckm ann: N achw ort: Das Reden der Politiker
und das Problem der G laubw ürdigkeit
223
Hugo Steger / R ainer Wimmer: K urzbericht über die
Podium sdiskussion “ Sprachglossen in Zeitungen
und Z eitschriften”
230
Das In stitu t für deutsche Sprache im Jahre 1984
233
8
V orwort
“ S prachkultur ist die K unst, andere zu verstehen und sich anderen ver­
ständlich zu m achen. Ein wenig beherrscht sie jeder, m ancher ist in ihr
gew andter, keinem ist sie angeboren. Als Teil der K ultur eines Volkes
drückt S prachkultur die Fähigkeit ebenso wie die B ereitschaft der Bür­
ger aus, sich m iteinander über die individuellen und gem einsam en In­
teressen zu verständigen.” So hieß es im V orw ort des M itteilungshef­
tes 10 des In stitu ts für deutsche Sprache, das u n te r dem T itel “A spekte
der S prachkultur” kurz vor der IdS-Jahrestagung 1984 erschien. Das
Z itat verdeutlicht die außerordentliche Spannw eite des Rahm enthem as
“ S p rachkultur” dieser internationalen Tagung, die vom 13. bis zum
16. März 1984 im M annheim er R osengarten stattfan d und deren Refe­
rate und V erhandlungen in diesem Band d o k u m en tiert sind.
Der V orbereitungsausschuß (Siegfried Grosse, H elm ut H enne, Alan
Kirkness, G erhard Stickel, Harald W einrich) war sich darüber im klaren,
daß es nicht möglich sein würde, im begrenzten Rahm en der Tagung
alle wichtigen und wünschbaren A spekte des w eitgespannten Them as
zu behandeln. Daß au f vieles ganz verzichtet w erden m ußte, daß an vie­
len einzelnen P unkten A bstriche zu m achen w aren: diese Feststellungen
sind bezüglich des Sprachkulturthem as nicht nur Floskeln, m it denen
Planer au f ihr “ Gewissen” einwirken. Das Tagungsthem a war absichtlich
so gew ählt, daß A nregungen für eine Diskussion und A useinanderset­
zung m it N achbardisziplinen der traditionellen Sprachgerm anistik er­
w artet w erden k onnten und daß berechtigte H offnungen bestanden,
auch eine breitere, an Sprachfragen interessierte Ö ffentlichkeit anzu­
sprechen. Der V orbereitungsausschuß h at seine Aufgabe dadurch zu lö­
sen versucht, daß er a) Ü berblicksreferate vorsah, die einer A ufbereitung
und D arstellung des Kenntnis- und Forschungsstandes auf dem G ebiet
dienen k onnten, b) bezüglich besonders zu behandelnder T hem enkom ple­
xe d o rt S chw erpunkte setzte, wo die S prachkulturdiskussion in den ver­
gangenen Jahren sehr intensiv geführt wurde, und c) sich bem ühte, durch
gelegentliche V ariierung der V eranstaltungsform (neben großen R efera­
ten auch K urzreferate; S tatem ents; Podium sdiskussionen) die A spekte­
vielfalt zu erhöhen. — Die Beiträge in diesem Band sind dem Tagungs­
verlauf entsprechend angeordnet, so daß das Inhaltsverzeichnis zugleich
ein Spiegel des V eranstaltungsprogram m s ist.
Im Frühjahr 1984 bestand das In stitu t für deutsche Sprache zwanzig
Jahre. Die G rußw orte, die zum Teil aus diesem A nlaß ü berm ittelt w ur­
den, sind in diesen Band m it aufgenom m en. — Wie bereits lange T radi­
9
tio n — enthält der Band am Schluß den IdS-Jahresbericht für 1984.
Abschließend bleibt mir die angenehm e Pflicht, allen zu danken, die
zum Gelingen der Tagung beigetragen haben, vor allem den R eferenten
und D iskutanten sowie den M itgliedern des V orbereitungsausschusses.
Rainer Wimmer
10
Eröffnung
Ansprache des Präsidenten des Instituts für deutsche Sprache,
Prof. Dr. Heinz Rupp
Meine Damen und Herren,
“ein G o tt hat ihn [den M enschen] auch die K unst gelehrt, Ideen in T öne
zu prägen, G estalten durch L aute zu bezeichnen und die Erde zu beherr­
schen durch das W ort seines M undes. V on der Sprache also fängt seine
V ernunft und K ultur a n ; denn nur durch sie beherrscht er auch sich selbst
und w ird des N achsinnens u nd Wählens ... m ächtig.”
Das schrieb H erder 1784, vor genau 200 Jahren, im 3. Kapitel des 4. Buchs
seiner “ Ideen zur Philosophie der G eschichte der M enschheit” . Und das
heißt doch w ohl schlicht und einfach, daß m enschliche K ultur ohne
m enschliche Sprache n icht denkbar ist. O der anders gesagt, daß m ensch­
liche Sozialisation, Zivilisation und K ultur auf der menschlichen Sprache
beruhen. Wenn dem so ist, und daran w ird w ohl niem and zweifeln, dann
ist die Frage nicht nur berechtigt, sondern nötig, welche Sprache, welche
Sprachverw endung die beste oder die rechte ist, um — ich m öchte nicht
sagen — den F o rtsch ritt, aber die Fortbildung m enschlicher Sozialisation,
Zivilisation und K ultur zu gew ährleisten und zu optim ieren. Und dam it
sind wir beim T hem a der Jahrestagung des Instituts für deutsche Sprache,
bei der S prachkultur.
Das W ort ‘S p rachkultur’ ist noch nicht sehr alt. Die Sache ist aber keines­
wegs neu. In den sechziger Jahren des 9. Jahrhunderts h at O tfrid von
W eißenburg seine Evangeliendichtung m it der dazugehörenden K om m en­
tierung geschaffen, und da er sich als Erster fühlt, der in fränkischer, das
ist deutscher Sprache eine religiöse D ichtung schreibt, versucht er sich zu
rechtfertigen. Seine literarischen V orbilder sind selbstverständlich die
großen D ichter der A ntike und S pätantike (Vergil, Ovid, Statius und Prudentius, Sedulius, A rator). A ber sie sind V orbilder für das Stilistische, das
heiß t für den ästhetischen Bereich. Das Entscheidende ist das aber für
O tfrid nicht; denn er verlangt von der Sprache zuerst einmal die ‘rihti in
sconeru slihti’ (I, 1,36), das heißt die ‘R ichtigkeit in schöner E infachheit’,
die ‘rec titu d o ’, um bei einem Begriff der K arolingerzeit zu bleiben. Die
Sprache m uß recht, m uß richtig sein. Sie m uß eine G ram m atik haben, und
sie m uß sich in dieser G ram m atik bewegen. A ber auch das ist noch nicht
das E ntscheidende. An anderer Stelle b itte t er G o tt, er möge verhüten,
daß ihm — dem D ichter — ‘in them u w ahen thiu w ort ni m issifahen’ (I,
2,16), daß er, beim Versuch zu dichten, also ‘schön zu schreiben’, sich
11
n ich t ‘am W ort vergreift’. D enn nach den A nschauungen der Zeit ist ein
V ergreifen am W ort ein Vergreifen an der Sache. ‘N om en est res’ — das
W ort ist identisch m it der Sache. Weil aber das W ort m it der Sache iden­
tisch ist, ist ein V ergreifen, ein Vergehen am W ort, ein Vergehen an der
Sache und dam it an G o tt, dem Schöpfer, also Sünde.
Sprache m uß also richtig sein, und die Sprachrichtigkeit kom m t vor der
Sprachschönheit. Sprachrichtigkeit wird aber gerade dadurch bestim m t,
daß m an der platonisch-neuplatonischen A nsicht ist, W ort und Sache
seien identisch. S prachkultur ist für O tfrid in erster Linie ein religiöses
und ein ethisches Problem .
Über 600 Jahre später: Für L uther ist kein Problem m ehr, daß W ort und
Sache identisch sind. Der N om inalism us hat sich durchgesetzt, das W ort
ist nur noch ein H auch der Stim m e; ‘nom en est flatus vocis’, n ich t m ehr
m it der gem einten Sache identisch. Das W ort be-deutet vielm ehr etwas.
A ber auch für L uther ist S prachkultur ein religiöses und ethisches P rob­
lem, schon deshalb, weil das große V orbild — das W ort G ottes — so, wie
es in der Bibel niedergelegt ist, die absolute W ahrheit ist. Dieses W ort
darf man nicht verfehlen oder verfälschen, man m uß es adäquat überset­
zen. Zum Problem der Sprachrichtigkeit tr itt bei L uther ein w eiteres hin­
zu. Er will ja den L euten aufs Maul schauen. Und das h eiß t n ich t nur,
daß er so redet und schreibt, wie die L eute reden — das tu t er teilweise
in seinen T ischreden und Pam phleten —, sondern das heißt, und vielleicht
in erster Linie im Bereich der Bibelübersetzung, daß m an so übersetzt,
daß die Leute das Ü bersetzte richtig verstehen, so, wie es G o tt selbst ge­
m eint und niedergelegt hat. Zum Problem der Sprachrichtigkeit kom m t
bei L uther das Problem der K om m unikationssicherung. A ber wie gesagt,
auch für ihn ist S prachkultur ein ethisch-religiöses Problem.
Machen wir w ieder einen Sprung von L uther zu uns, einen Sprung von
wieder etw a 500 Jahren. Was sollen wir heute u n te r S prachkultur ver­
stehen und m it dem W ort meinen?
Meine D am en und H erren: Man k ö nnte das Ende des M ittelalters leicht
verschieben und die N euzeit m it G oethes T od beginnen lassen. In zahl­
reichen Bereichen der m enschlichen Zivilisation änd ert sich von den frü­
hen Zeiten bis in die dreißiger Jahre des 19. Jah rhunderts recht wenig.
Napoleons Heere sind n icht viel schneller vorangekom m en als die A lexan­
ders.
Von diesen dreißiger Jahren an änd ert sich die Welt in im m er schneller
w erdendem Tem po. Ein paar S tichw örter: Eisenbahn, A u to , Flugzeug,
Raum schiff; Telegraf, T elefon, T onband, Radio, Television, N achrichtenTelefon- und TV -Satelliten; E lektrizität, C om puter, M ikroelektronik;
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von der E ntw icklung der W affentechnik ganz zu schweigen. Die Welt ist
anders, n icht nu r im Technischen, zwangsweise auch in Politik und Ju ­
risprudenz. Die Welt ist kleiner und kom plizierter gew orden. Wir selbst
leben in einer anderen Welt, die gesellschaftlichen Bindungen, Fam ilien­
stru k turen u.a. haben sich entscheidend verw andelt. Bei all dem, von der
T echnik bis zur Ich-Du-Beziehung, ist Sprache nötig.
Das F azit: Wir stehen heute in einer Entw icklung, die nicht zu vergleichen
ist m it S ituationen aller vergangener Zeiten, und genau dasselbe gilt für
unsere Sprache.
D am it bin ich bei der A nfangsfrage: .Was m uß m enschliche Sprache h e u t e leisten, wie sollten wir sie verw enden, dam it unsere heutige Zeit noch
m enschlich, noch verständlich, noch vernünftig w eiterbildbar bleibt? Teil­
antw orten können die V orträge und Diskussionen der nächsten Tage ge­
ben. Ich meine, ‘S prach k u ltu r’ heute sollte ausgehen von der Sprachrichtigkeit, und das h eiß t von der Sachgem äßheit beim Sprechen, sollte Kom­
m unikationssicherung w o im m er möglich erreichen, K om m unikations­
löcher ausfüllen. K om m unikationssicherung heißt aber im m er auch eingehen auf den G esprächspartner. ‘S p rachkultur’ ist deshalb für mich heu­
te ein gesellschaftspolitisches, pädagogisches und ethisches Problem. Und
die Sprachw issenschaft tu t gut daran, w enn sie sich m it aller N üchtern­
heit u nd allem Sachverstand dieses Problem s annim m t.
Daß wir dieses T hem a gerade für die Tagung 1984 gew ählt haben, hat
noch einen besonderen G ru n d : Das In stitu t für deutsche Sprache wird
in diesen Tagen 20 Jahre alt. Im März 1964 ist es vor allem dank des
großen Einsatzes von Hugo Moser ins Leben gerufen w orden. Es ist nach
diesen 20 Jahren erw achsen. Und m ehr soll aus diesem 20. G eburtstag
auch nicht herausinterpretiert w erden. A ber wir m einten, daß diesem
20. G eburtstag des IdS ein Tagungsthem a w ie ‘S p rachk u ltu r’ angemessen
sei, da dieses T hem a Sprache in einem w eiten Umfeld sieht und da dieses
T hem a heute m ehr denn je bedenkensw ert ist.
Wir freuen uns, daß so viele Gäste, K olleginnen und Kollegen zu uns ge­
kom m en sind, d arunter als V ortragende auch zwei Kollegen aus der DDR;
sie sind gekom m en aus Interesse am T hem a und vielleicht auch etwas aus
Interesse am IdS und seiner Arbeit.
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Grußwort des Bundesministers für Forschung und Technologie,
Dr. Heinz Riesenhuber
Den Teilnehm ern an der Jahrestagung “ S p rachkultur” übersende ich
meine besten Grüße. Ich freue mich besonders, daß der Einladung zu
dieser V eranstaltung so viele G äste aus dem Ausland gefolgt sind, ins­
besondere aus dem deutschen Sprachraum . Die Entw icklung unserer
Sprache vollzog sich bekanntlich nicht deckungsgleich m it der staatli­
chen Entw icklung in M itteleuropa. Mit dieser Tatsache haben wir nicht
nur zu leben, wir müssen sie bei der Pflege und E ntw icklung unserer
Sprache berücksichtigen. Daß der hierzu notw endige Beitrag der F or­
schung seit langem in unauffälliger, partnerschaftlicher Zusam m enar­
b eit zwischen den W issenschaftlern der deutschsprachigen Länder gelei­
stet w ird, ist uns allen dankbar bew ußt.
Das In stitu t für deutsche Sprache blickt in diesen Tagen auf eine zw an­
zigjährige Vergangenheit zurück, in der es m it beschränkten personellen
und m ateriellen M itteln Beachtliches geleistet hat. Ein Blick au f die lan­
ge Liste der Institutsveröffentlichungen zeigt die intensive A useinander­
setzung sowohl m it traditionellen Them en der Sprachw issenschaft als
auch m it neuen Forschungsbereichen, wie zum Beispiel der linguistischen
D atenverarbeitung oder dem S chw erpunkt ‘Sprache und G esellschaft’.
In der Bearbeitung dieser Fragestellungen liegt für das In stitu t eine Heraus­
forderung, die es — dessen bin ich sicher — m eistern wird.
Das diesjährige T hem a dieser seit Jahren bew ährten V eranstaltung gibt
aber n icht nur G elegenheit zur Zwischenbilanz, sondern auch Anlaß,
erneut auf die G efahren hinzuweisen, denen die deutsche Sprache in
steigendem Maße ausgesetzt ist: auf die zunehm ende Sorglosigkeit im
täglichen Sprachgebrauch und au f die V erw endung von Sondersprachen,
die nur Eingeweihte beherrschen. So gibt es leider eine Sprache der Ver­
w altung, die im Stil und W ortlaut zwar unverkennbar, aber nicht jedem
verständlich ist. Daß die Soziologen und N aturw issenschaftler ihre eige­
nen Sprachen sprechen, erfäh rt jeder, der sich au f diese G ebiete wagt.
Die V erpflichtung, sich einfach und verständlich auszudrücken, verlangt
von uns aber auch, den gedankenlosen G ebrauch von F rem dw örtern zu
vermeiden. Ich glaube nicht, daß wir in diesem Fall dem Beispiel unseres
französischen N achbarn folgen sollten, durch Regierungsanweisung auf
die V erw endung bestim m ter W örter der eigenen Sprache zu dringen.
Auch ohne obrigkeitliche Regelung sollte es uns gelingen, m it unserer
Sprache sorgfältiger um zugehen. Ich messe daher besondere B edeutung
all denjenigen P unkten Ihres Tagungsprogramm s zu, die sich m it dieser
Aufgabe befassen. Die Tagung wird dazu sicherlich einen w ertvollen Bei­
trag leisten.
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Ich wünsche der V eranstaltung einen guten und erfolgreichen Verlauf.
G rußw ort des Leiters der K ulturabteilung des A usw ärtigen Amts,
Dr. B arthold C. W itte
Das zwanzigjährige Bestehen des Instituts für deutsche Sprache ist mir
ein w illkom m ener A nlaß, die W ertschätzung des A uswärtigen A m ts für
die von seinen M itarbeitern geleistete A rbeit über die deutsche Sprache
zum A usdruck zu bringen. Viele in- und ausländische G erm anisten neh­
men die Ergebnisse der Forschungsarbeiten am In stitu t für deutsche
Sprache m it großem Interesse auf.
Die bew ährte Zusam m enarbeit zwischen dem A usw ärtigen A m t und
dem In stitu t für deutsche Sprache hat gute Früchte getragen. Im A uftrag
des A usw ärtigen A m ts h at das In stitu t für deutsche Sprache m ehrere
deutsch-frem dsprachige kontrastive G ram m atiken erarbeitet. Sie stellen
eine wichtige wissenschaftliche Grundlage für Sprachw issenschaftler bei
der Erarbeitung von U nterrichtsm aterial in insgesamt sechs Sprachen dar
und tragen dam it zum V erständnis der M enschen sow ohl im w örtlichen
als auch im übertragenen Sinne bei. Ich bin sicher, daß wir auch künftig
m it Erfolg im D ienst an unserer schönen M uttersprache Zusammenwir­
ken werden.
G rußw ort des S taatssekretärs im M inisterium für W issenschaft und K unst
(Baden-W ürttemberg), N orbert Schneider
Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte ausländische Gäste,
sehr geehrte Gäste aus der DDR,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich freue mich sehr, zur Jahrestagung 1984 des In stituts für deutsche
Sprache in M annheim eine so große und illustre Schar von S prachfor­
schern hier versam m elt zu sehen und darf Ihnen Grüße der Landesregie­
rung und insbesondere des heute leider anderweitig verhinderten Mini­
sterpräsidenten L othar Späth überm itteln.
Ihre diesjährige Tagung gilt gleichzeitig dem 20jährigen Bestehen des
Instituts für deutsche Sprache, das sich in dieser Zeit zu einem einzig­
artigen Z entrum wissenschaftlichen A ustausches für Sprachgerm anisten
im In- und A usland entw ickelt hat. Die Erforschung, D okum entation
und Kultivierung der deutschen G egenwartssprache ist schon bisher
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durch dieses In stitu t sehr gut vorangekom m en, u nd ich darf seinen M it­
arbeitern für die Z ukun ft den gleichen w issenschaftlichen Erfolg wün­
schen wie in den vergangenen Jahren.
Die heutige Tagung steh t u n te r dem Them a “ S prachkultu r” und eröff­
n et dam it viele Perspektiven. Sie w erden n icht erw arten, daß ich mich
als Politiker in einem G rußw ort m it allen A spekten dieses kom plexen
Begriffes befasse. Zu der Fülle von Them en, m it denen Sie sich beschäf­
tigen, m öchte ich lediglich ein paar G edanken zu dem Bereich ‘Sprach­
k u ltu r und politische K u ltu r’ beitragen, m it dem Sie sich im V erlauf die­
ser Tagung auseinandersetzen w erden.
Politische K ultur ist zu einem erheblichen Teil auch S prachkultur, und
ich glaube, daß die S prachkultur insow eit auch ein guter Gradmesser
für die politische Reife einer D em okratie ist. Es ist dabei sehr erfreulich,
daß die neuere Sprachw issenschaft schon w ichtige Beiträge zu einer po­
sitiv verstandenen K ritik der politischen K om m unikation geleistet hat,
und ich bin sicher, daß von dieser A rbeit für unsere D em okratie noch
wertvolle Impulse ausgehen w erden.
Verständigung zwischen K om m unikationspartnern setzt neben der Ge­
m einsam keit des K om m unikationsm ittels, der gem einsam en Sprache,
auch eine gewisse “ kom m unikative E th ik ” voraus. Ich bin der Meinung,
daß die von Heringer explizierten drei M aximen — sei inform ativ, rede
verständlich und sei w ahrhaftig — auch für die politische Sprache als
Grundregel uneingeschränkt gelten müssen. G leichwohl glaube ich, daß
es nützlich ist, die H aberm assche U nterscheidung zwischen verständi­
gungsorientierter u nd erfolgsorientierter K om m unikation insbesondere
auch auf den Bereich der politischen S prachkultur anzuw enden.
Politische K om m unikation ist ihrer N atur nach zum indest n ich t aus­
schließlich verständigungsorientiert, sondern in hohem Maße erfolgsorien­
tiert. Dies kann allerdings nicht bedeuten, daß dadurch die Maxime der
W ahrhaftigkeit außer K raft gesetzt ist, vielm ehr bin ich überzeugt, daß
der langfristige Erfolg in der Politik entscheidend von diesem K riterium
abhängt.
Meines Erachtens m uß bei der Bew ertung der politischen erfolgsorien­
tierten K om m unikation auch sehr stark das R ollenverhalten des Politi­
kers und die Rollenerw artung des Publikum s einbezogen w erden, die zu
A kzentuierungen im kom m unikativen H andeln führen müssen, ohne daß
dabei gegen die kom m unikative E thik verstoßen w erden muß. Es wäre
reizvoll, diese Problem atik einmal in einem gem einsam en Sem inar zwi­
schen Sprachforschern und Politikern näher zu beleuchten, was an dieser
Stelle leider schon aus zeitlichen Gründen nicht geschehen kann.
16
Politische K ultur im besonderen und Sprachkultur im allgemeinen k ö n ­
nen fruchtbar in D eutschland im übrigen wohl nur behandelt werden
vor dem H intergrund der Teilung unseres H eim atlandes. In letzter Zeit
ist zwischen den beiden deutschen Staaten eine sehr erfreuliche A nnä­
herung in Gang gekom m en, und ich könnte mir vorstellen, daß die
Sprachw issenschaft hierzu einen wichtigen Beitrag leisten kann. Wir alle
sollten uns dabei stets des tschechischen Sprichw ortes bew ußt sein, das
da lau tet: “ Solange eine Sprache lebendig ist, ist keine N ation to t! ”
In diesem Sinne wünsche ich Ihrer Tagung einen wissenschaftlich ergie­
bigen V erlauf und allen Teilnehm ern einen angenehm en A ufenthalt in
Baden-W ürttemberg.
A nsprache von Bürgermeister Niels G orm sen (M annheim)
Herr Präsident,
Herr Staatssekretär,
Magnifizenz,
Frau A bgeordnete,
meine Damen und Herren,
auf der Jahrestagung des In stituts für deutsche Sprache u n ter dem Them a
“ S prachkultur” das W ort zu ergreifen, erfordert M ut:
Mut, sich der Sprachkritik zu stellen, die sich sezierend und decouvrierend
m it dem Gesagten auseinandersetzt nach Form und Inhalt;
M ut auch deshalb, weil das Gesagte erkennen lassen kann, daß es dem
Sprecher eben an der S prachkultur mangelt.
Ich will trotzdem sprechen und dabei m öglichst “ inform ativ, verständlich
und w ahrhaftig” zu reden versuchen.
In diesem Sinne überbringe ich die Grüße des O berbürgerm eisters und
des G em einderats der S tad t M annheim und füge die herzlichen Glück­
wünsche zum 20jährigen Bestehen des Instituts an. Ich freue mich, zwei
G ründungsm itglieder in den Herren Prof. Moser und G rebe begrüßen zu
können. Wir betrachten es als eine Ehre, dieses bedeutende In stitu t in
unseren Mauern zu beherbergen — im übertragenen Sinne der (nicht mehr
vorhandenen) Stadtm auern — und auch im eigentlichen, da das IdS in
einem der S tadt gehörenden Gebäude untergebracht ist. Und als kleine
Gabe zum 20. G eburtstag kann ich die erfreuliche M itteilung überbringen,
daß noch in diesem Ja h r der altersschw ache Personenaufzug durch einen
neuen ersetzt wird (nachdem der G em einderat im N achtragsetat 1984
die erforderlichen M ittel bereitgestellt hat).
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Als Baudezernent m eint man zuerst, keine d irekte Beziehung zum T a­
gungsthem a zu haben. Beim D urchblättern des Program m s, des Jahres­
berichts und der “M itteilungen” habe ich als einer, der Sprache ständig
konsum iert und auch produziert (als Beam ter wahrscheinlich A m ts­
deutsch), doch m anche Beziehung festgestellt.
Wenn ich im V orw ort lese: “ S prachkultur ist die K unst, andere zu ver­
stehen und sich anderen verständlich zu m achen” , stelle ich fest, daß
diese K unst nicht überall beherrscht wird.
Wie schwierig es sein kann, einen kom plexen städtebaulichen Sachver­
halt anderen M enschen nahezubringen, dam it sie selbst über Inhalt und
Ziel urteilen und sachgerecht diskutieren können, das habe ich einmal
m ehr vor ein paar Tagen in einer Bürgerversammlung erfahren.- als es
dem sehr engagierten und m it der Problem atik des Jungbuschgebiets gut
v ertrauten Planer nicht gelang, die Ziele und M aßnahm en eines städ te­
baulichen R ahm enplans den Zuhörern verständlich zu m achen und ihr
Interesse zu w ecken. Die Bürger dieses problem atischen S tadtteils woll­
ten lieber ihre aktuellen Sorgen und N öte Vorbringen, als sich m it den
— in ihrem Interesse ausgearbeiteten — Plänen für eine bessere Z ukunft
des Jungbuschs auseinanderzusetzen. Dazu hat sicher beigetragen, daß
der Planer zwar viele schöne bunte Pläne zeigte und sie auch erläuterte,
sich dabei aber einer wissenschaftlichen Fachsprache bediente, die die
Frauen und M änner aus dem Jungbusch nicht verstanden: er sprach
“Planer-Chinesisch” .
Den Zuhörern ging es w ohl wie den m edizinischen Laien, die Packungs­
beilagen von M edikam enten zwar lesen, aber m eist nicht verstehen k ö n ­
nen, solange die am IdS bearbeiteten Em pfehlungen zur G estaltung der
T exte nicht angew andt w erden.
Vielleicht sollte man einige Planer-Ausdrücke in das “ H andbuch der
schweren W örter” aufnehm en — besser wäre aber, den Planern eine all­
gemein verständliche Fachsprache beizubringen! Eine A ufgabe von
Sprachkultur, die eigentlich an den H ochschulen geleistet w erden sollte!
Hier g eh t’s um die “ Verw issenschaftlichung und V erfachlichung” unserer
Sprache, die im Blick auf echte D em okratie tatsächlich eine zwiespältige
Sache ist.
Mit großem Interesse verfolgen wir die A rbeit über “ K om m unikation in
der S ta d t” , die den Zusam m enhang zwischen Sprache und lokaler K ultur
im städtischen Lebensraum am Beispiel M annheim untersu ch t. Wir er­
w arten gespannt die ersten V eröffentlichungen und erhoffen uns (über
den allgemein wissenschaftlichen Zweck hinaus) A nregungen dafür, wie
sich die K om m unikation m it den Bürgern verbessern läßt — auch: wie
18
sich V erw altung und Planung den Bürgern besser verständlich machen
kann!
Sie haben sich für die Jahrestagung ein um fangreiches Programm vorge­
nom m en — ich bedaure, daß ich m anche V orträge nicht m it anhören
kann (etw a Prof. Pörksen über das D em okratisierungsparadoxon, die
Diskussionen über S prachkultur und politische K ultur oder über Sprachglossen); ich wäre auch neugierig zu erfahren, was es m it dem “ R auschen
des sechsten Sinnes” auf sich hat.
Ich wünsche der Jahrestagung und allen ihren Teilnehm ern einen guten,
erfolgreichen und befriedigenden Verlauf.
Ich hoffe, daß sich die auswärtigen Tagungsteilnehm er und ihre Beglei­
ter in M annheim wohlfühlen, und denke dabei insbesondere an die vie­
len aus dem A usland A ngereisten. Mögen sie neben und zwischen dem
vollen Programm noch die Zeit finden, außer dem Musensaal und dem
H otel einiges von unserer S tad t und ihren S chönheiten und Eigenheiten
zu sehen. V ielleicht kann sie ein Besuch in der K unsthalle —genau gegen­
über auf der anderen Seite des Friedrichsplatzes — locken, die in ihrem
erst kürzlich eröffneten Erw eiterungsbau eine hervorragende Sammlung
m oderner Plastik bietet.
Ich erw arte einige von Ihnen morgen abend im R ittersaal des K urfürst­
lichen Schlosses, w enn der O berbürgerm eister den D udenpreis an Frau
Prof. G uchm ann aus Moskau verleihen wird — ich freue mich, Sie,gnä­
dige Frau, heute morgen begrüßen zu können.
Ich sehe an der Teilnahm e so vieler ausländischer Sprachw issenschaftler
einen Beweis für die internationale Bedeutung des IdS, dem ich für die
Tagung und für die w eitere A rbeit viel Erfolg wünsche!
Dr. Rainer Wimmer (IdS): Zum zwanzigjährigen Bestehen des Instituts
für deutsche Sprache
Sehr geehrte Damen und Herren,
es ist heute meine Aufgabe, wenigstens ein paar W orte zur G eschichte
des Instituts für deutsche Sprache zu sagen, das im Frühjahr 1984 zw an­
zig Jahre alt wird. H err R upp hat in seiner Begrüßungsrede bereits darauf
hingewiesen: Das In stitu t kom m t in die Tw en-Jahre — w enn Sie m ir die­
sen A usdruck gestatten. Dies ist noch kein ordentliches Jubiläum , das
erst m it 25 Jahren zu begehen ist, aber es kann doch A nlaß zu einer klei­
nen Rückschau sein und zu einem N achdenken über die gegenwärtige
Situation des Instituts. Ich bin erst seit eineinhalb Jahren M itarbeiter
19
am In stitu t für deutsche Sprache und deshalb vielleicht am wenigsten
geeignet und befugt, etwas zur G eschichte des Instituts zu sagen. A nde­
rerseits können Sie es m ir möglicherweise leichter nachsehen, w enn ich
auf jeglichen A nspruch au f V ollständigkeit verzichte, lediglich einige
wenige P unkte aus der IdS-Geschichte herausgreife und all die Schwie­
rigkeiten vergesse, die das In stitu t in seinen bew egten Teenager-Jahren
durchzustehen hatte.
Das In stitu t für deutsche Sprache w urde im Jahre 1964 von den acht
Professoren Paul G rebe, W alter Hensen, R udolf H otzenköcherle, Karl
K urt Klein, Friedrich M aurer, Hugo Moser, Jo st Trier und Leo Weisgerber
als Stiftung des bürgerlichen R echts gegründet. Besonders bem erkensw ert
erscheint es mir, daß es sich hierbei um eine Privatinitiative von Sprach­
w issenschaftlern handelte — sofern eine wissenschaftliche und wissen­
schaftsorganisatorische Initiative überhaupt privaten C harakter haben
kann. Jedenfalls ging die Initiative n icht von staatlichen Stellen oder an­
deren Institutionen aus, und — w enn ich es richtig sehe — h atte die Ini­
tiative viel zu tu n m it einem U nbehagen an dem dam aligen Z ustand der
Erforschung der deutschen Sprache, besonders der Gegenwartssprache.
Es w urde zu Beginn der sechziger Jahre ganz offensichtlich, daß die ger­
manistische Sprachw issenschaft in der Bundesrepublik D eutschland in
der jüngeren Vergangenheit die Erforschung, D okum entation und Be­
schreibung der deutschen Gegenwartssprache relativ vernachlässigt h at­
te — relativ zu den kontinuierlichen und vergleichsweise intensiven Be­
mühungen um ältere Sprachstufen des D eutschen und um die Sprachge­
schichte.1
H eute hat sich diese Situation geändert, und das ist zu einem guten Teil
tatsächlich m it das V erdienst derer, die das In stitu t für deutsche Sprache
gegründet haben, und all derer, die in der Zw ischenzeit o ft h art und m it
großer A usdauer für die E rhaltung des In stituts gearbeitet haben. Das
In stitu t w urde so etwas wie ein Sammel- und K ristallisationspunkt für
die Sprachw issenschaft, die sich direkt m it der Erforschung der deutschen
Gegenwartssprache befaßt, und auch für all die D isziplinen, die m ehr oder
weniger indirekt das heutige D eutsch in ihre A ufgabenbereiche m it ein­
beziehen. N eben dem ausschließlichen und unm ittelbaren Zweck der
1
20
ln seiner “ Ansprache zur G ründung des Instituts für deutsche Sprache in M ann­
heim ” sagte J. Trier: “ Es hängt m it der Geschichte der Germ anistik als Wissen­
schaft zusammen, daß die Probleme des gegenwärtigen Sprachzustandes lange
Zeit hinter den Fragen der Genese zurücktraten und noch im m er spürbar zu­
rückliegen.”
Stiftung, näm lich “ die w issenschaftliche Erforschung der deutschen
Sprache, vor allem in ihrem heutigen G ebrauch” zu betreiben, ist in der
Satzung festgelegt, daß das In stitu t “ die Zusam m enarbeit m it anderen
m it der deutschen Sprache befaßten Stellen im Sinne einer Abstim m ung
der gegenseitigen Forschungsvorhaben” pflegt. D em entsprechend w urde
das In stitu t für deutsche Sprache im Laufe seiner G eschichte zu einem
T reffpunkt und zu einer K oordinationsstelle auch für die internationale
Sprachgerm anistik. Es ist w ohl nicht übertrieben, zu sagen, daß die Wir­
kungen des Instituts über die G renzen der B undesrepublik Deutschland
hinaus wohl ebenso deutlich waren und sind wie nach “in n en ” . Der wis­
senschaftliche R at des Instituts hat hier eine hervorragende Rolle gespielt.
Zahlreiche Gastwissenschaftler haben am In stitu t ihre A rbeiten zur d eu t­
schen Sprache begonnen und fertiggestellt. Die Zahl der Besucher h at im
Jahre 1983 einen H öchststand erreicht. Das In stitu t u n terh ält inzwischen
viele fruchtbare Beziehungen zu Wissenschaftlern und A rbeitsgruppen
in zahlreichen europäischen und außereuropäischen L ä n d e rn / Wir sind
dankbar für diese Beziehungen, die für alle Seiten hilfreich und nützlich
sind.
Eine besondere Erw ähnung verdient, daß auch die DDR in den vergan­
genen Jahrzehnten besondere A nstrengungen unternom m en hat, die Er­
forschung und Beschreibung der deutschen Gegenwartssprache durch ein
zentrales Forschungsinstitut, das an der A kadem ie der W issenschaften in
Berlin angesiedelt ist, zu fördern. Zwischen dem IdS und dem Z entralin­
stitu t für Sprachw issenschaft in Berlin gibt es m ittlerw eile Ansätze zu
einem gegenseitigen A ustausch, die unseres E rachtens fortgesetzt und
intensiviert w erden sollten — im Dienste und zum N utzen der gemein­
samen sprachw issenschaftlichen Aufgaben. Wer die im m ensen Aufgaben
der Sprachgerm anistik einmal abzustecken und zu überschauen versucht,
wird es keineswegs für übertrieben halten, daß sich zentrale In stitu te in
der DDR und in der Bundesrepublik gleicherm aßen m it der deutschen
G egenwartssprache beschäftigen. N ur eine K oordination ist nützlich und
tu t not.
Zurück zu den V ätern des Instituts für deutsche Sprache! Als Hugo Moser
am 5.4.1974 eine A nsprache zum zehnjährigen Bestehen des IdS h ie lt3,
2
Vgl. den Jahresbericht 1983 in: G. Stickel (Hrsg.): Pragm atik in der Gram matik.
Jahrbuch 1983 des Instituts für deutsche Sprache (= Sprache der Gegenwart 60),
Düsseldorf 1984, 333 ff.
3
Vgl. M itteilungen des Instituts für deutsche Sprache 3 (1974), 1-8.
21
kon n te und m ußte er zahlreichen Persönlichkeiten, Institu tio n en und
staatlichen Stellen dafür danken, daß sie ihre A rbeitskraft dem Aufbau
des IdS zur Verfügung gestellt h atten, daß sie für den E rhalt des IdS ge­
w orben, ihre U nterstützung gegeben und o ft geradezu gekäm pft h atten .
Den Danksagungen von dam als kann ich mich heute nur anschließen,
obw ohl es m ir als Jüngerem und relativem Neuling im IdS eigentlich gar
nicht zusteht, derartiges auszusprechen.
Auch die letzten zehn Jahre des IdS waren — sow eit ich es bisher erfah­
ren habe — h art und von zahlreichen D urststrecken gekennzeichnet.4
V erdient gem acht haben sich in der zwanzigjährigen Auf- und A usbau­
phase des IdS insbesondere die Präsidenten des K uratorium s, Hugo Moser
und Heinz R upp, und die wissenschaftlichen D irektoren: Paul Grebe,
Ulrich Engel und G erhard Stickel. Viele andere Namen w ären zu nennen,
vor allem die Namen all derjenigen, die in den G rem ien des IdS ehrenam t­
lich gearbeitet haben und noch arbeiten. Bitte sehen Sie es mir nach, wenn
ich sie in diesem R ahm en n icht alle erwähne.
Wenn ich als ein noch ein klein wenig m it der A ußensicht B ehafteter die
A rbeit des IdS heute überblicke, m öchte ich sagen: Die Mühen der Grün­
dungs- und A ufbauzeit, die noch nicht ganz abgeschlossen ist, haben sich
gelohnt. Erinnern m öchte ich insbesondere an
— das Projekt “ G rundstrukturen des D eutschen” , das zusam m en m it
dem G oethe-Institut untei nom m en w urde und aus dem zahlreiche
Publikationen hervorgingen,
— die kontrastiven G ram m atiken, die m ethodisch und forschungsorga­
nisatorisch Pionierarbeiten darstellten. Die A rbeiten sind z.T. noch
im Erscheinen,
— die vielen sprach- und gram m atiktheoretischen A nstöße, die aus dem
IdS hervorgingen,
— die A rbeiten zur deutschen S yntax und insbesondere zur Verbvalenz,
— die A rbeiten zur deutschen W ortbildung, die zur Zeit von der Inns­
brucker A ußenstelle des IdS zu Ende geführt w erden,
— die kom putergestützte A ufbereitung, Bearbeitung und Ausw ertung
von T ex tkorpora als Grundlage für die em pirische sprachw issenschaft­
liche A rbeit.
4
22
Vgl. G. Stickel: Schwierigkeiten, das Institut für deutsche Sprache zu erhalten.
M em orandum zur Situation des IdS. Mannheim 1977.
Wenn das In stitu t für deutsche Sprache den je tz t eingeschlagenen Weg
w eitergeht und sich gem äß den Em pfehlungen des W issenschaftsrats auf
die begonnenen G roßprojekte zur deutschen G ram m atik, zur Lexikogra­
phie und zur Soziolinguistik konzentriert, wird es — da bin ich sicher —
auch in Z ukunft eine w ichtige Rolle in der Sprachgerm anistik spielen.
Gemeinsam m it m einen Institutskolleginnen und -kollegen hoffe ich,
daß die A nteile des In stituts an der arbeitsteiligen Erforschung der d eu t­
schen Sprache eher noch zunehm en werden.
Meine V orredner haben zu dem Them a “ S p rachkultur” unserer heute
beginnenden Jahrestagung, das ja w eit über den w issenschaftlichen A uf­
gabenbereich des IdS hinausreicht, bereits einiges gesagt. Es erscheint
mir nicht o p portun, dem noch etwas hinzuzufügen, was möglicherweise
unangemessene A kzente setzen würde für ein Program m , das wir je tz t
alle m it Spannung erw arten. Ich wünsche Ihnen allen, daß Sie sich heute
und in den nächsten Tagen als Gäste des Institu ts für deutsche Sprache
in M annheim w ohlfühlen.
23
KLAUS VON BISMARCK / WILHELM SIEG LER *)
Problematik der Sprachkultur im Blick auf das
nicht-deutschsprachige Ausland
Das W ort “S p rachkultur” hat mich stutzen lassen. Warum? Weil ich selbst
gewiß gelegentlich dagegen verstoße? O der schwingt hier für meine Wahr­
nehm ung noch immer etwas vom alten, stark m etaphysisch befrachteten
K ulturbegriff m it? Meine Nachfrage ergab, daß dieser K ulturbegriff vor,
w ährend und nach dem ersten Weltkrieg von A utoren wie Ferdinand
Toennies, Oswald Spengler, Thom as M ann und vielen anderen verw endet
wurde. Dieser Begriff scheint m ir in seiner norm gebenden F un k tio n auf
den ersten Blick nur d o rt sinnvoll anw endbar zu sein, wo die betreffende
Sprache als M uttersprache zu Hause ist. Ich frage m ich, ob er im frem d­
sprachigen A usland, wo D eutsch als Frem dsprache gelehrt wird, brauchbar
ist. Der deutschlernende Ausländer, so könnte m an überspitzt form ulieren,
steh t wie das Kind noch jenseits von G ut und Böse. Wäre es nicht höchst
unbillig, seine tastenden V ersuche an denselben M aßstäben wie denen des
M uttersprachlers messen zu wollen? Und entsprechend dazu ließe sich von
den Lehrenden, den D ozenten und Sprachlehrern des G oethe-Instituts aus
argum entieren, daß ihr erstes Ziel die V erm ittlung der deutschen Sprache,
au f welchem Niveau auch im m er, und nicht deren Pflege im D ienste eines
norm ativen Sprachkultur-Begriffs sein müsse. Richtig daran scheint mir
jedenfalls zu sein, daß für In- und A usland, der jeweils verschiedenen A us­
gangssituation entsprechend, die A nsprüche, was den Umgang m it der
deutschen Sprache betrifft, jeweils verschieden gesetzt w erden müssen. So
kann etwa, um nur ein Beispiel zu nennen, der ungehem m te G ebrauch von
Internationalism en, der bei M uttersprachlern zu rügen wäre, für den A us­
länder gerade zum M ittel w erden, das ihm zu einem raschen passiven und
aktiven G ebrauch der deutschen Sprache verhilft. Es wäre som it falsch,
wenn man im Ausland aus sprachpuristischen Gründen das internationale
V okabular, wie es sich aus griechischen, lateinischen und in jüngster Zeit
auch aus englischsprachigen Begriffen gebildet hat, ungenützt ließe. Und
aus dem gleichen G rund wird m an im A usland bereitwillig alle im m odernen
deutschen Sprachgebrauch angelegten T endenzen zur gram m atikalischen
Vereinfachung aufgreifen. Ich höre von den F achleuten, es handle sich z.B.
um die Zurückdrängung des K onjunktivs, das Unüblichwerden vieler Genitiv*) D. Klaus von Bismarck ist Präsident, Dr. Wilhelm Siegler Beauftragter
für Inspektion des G oethe-Instituts
24
Wendungen oder das unaufhaltsam e V ordringen des Akkusativs. Die
praktische Aufgabe, dem A usländer auf m öglichst kurzem Weg die Be­
herrschung der einzelnen sprachlichen F ertigkeiten zu verm itteln, läßt
für die m oralischen Skrupel des Sprachkritikers eigentlich wenig Raum.
Insgesam t wird m an som it für die Spracharbeit im A usland m it einem ge­
wissen Maß an Indifferenz und Laxheit gegenüber den A nsprüchen, wie
sie der Begriff S prachkultur insinuiert, rechnen müssen, sofern m an bei
diesem A usdruck prim är an form ale sprachliche Q ualitäten denkt.
A ndere Perspektiven ergeben sich dagegen, sobald wir inhaltliche Ge­
sichtspunkte in unsere Überlegungen einbeziehen. Hier ist zunächst zu
fragen, aus w elchen G ründen D eutsch gegenwärtig im A usland gelernt
w ird, welche bildungspolitischen Ziele etw a hin ter der Einführung von
D eutsch als Schul- und H ochschulfach stehen. Welche Motive und Erw ar­
tungen bewegen eine Vielzahl von Erw achsenen in aller Welt, die Mühsal
des D eutschlernens au f sich zu nehm en? V on der B eantw ortung dieser
Fragen stoßen wir, um m it dem Philosophen Karl Jaspers zu reden, au f
ein “A nderes, das nicht Sprache ist, sondern durch Sprache ergriffen
w ird ” , also au f spezifische kulturelle Inhalte, die man sich durch den E r­
w erb der deutschen Sprache aneignen m öchte. V on der geistigen H öhen­
lage dieser Inhalte wird das jeweils intendierte sprachliche Niveau en t­
scheidend abhängen. Besuche in vielen Klassen im Aus- und Inland haben
m ich persönlich gelehrt, daß m an das qualifizierte Interesse an solchen
“ In h alten ” kaum überschätzen kann.
Erlauben Sie mir, bevor ich mich diesen Fragen für die G egenwart zuw ende,
einen kurzen historischen Rückblick. Der Aufstieg der deutschen K ultur
und Sprache zu internationalem A nsehen ist sehr jungen Datum s. Er voll­
zieht sich im V erlauf des 19. Jah rhunderts und steh t zunächst in u n m ittel­
barem Zusam m enhang m it der großen, Philosophie, L iteratu r und Musik
gleicherm aßen um spannenden kulturellen Bewegung, die m it dem Wirken
Lessings um die M itte des 18. Jah rhunderts einsetzt und m it G oethes T od
ihren A bschluß findet. M adame de Staël h a tte kurz nach der Ja h rh u n d e rt­
w ende als erste diese bis dahin im V erborgenen blühende K ultur für das
A usland entd eck t und in ihrem Buch “ De l ’A llem agne” ausführlich be­
schrieben. Was ihr daran so besonders charakteristisch und bem erkensw ert
erschien, das enge Ineinander von Philosophie, L iteratu r und Leben, brachte
sie m it ihrer K ennzeichnung D eutschlands als “ patrie de la pensée” auf
eine lang nachw irkende Form el. A uf M adame de Staël folgten rasch w eitere
E ntdecker und Bew underer. Ich erinnere nu r an die englischen R om anti­
ker von Coleridge und W ordsw orth bis zu Carlyle od er an die Faszination,
die Berlins U niversität seit der Zeit, da Hegel d o rt als philosophischer
25
Lehrer w irkte, auf zahllose junge A usländer ausübte. A ber auch Heinrich
Heine ist hier zu nennen, sein erfolgreiches Bemühen in den 30er Jahren,
seine Leser in Paris system atisch in deutsche Philosophie und L iteratu r ein­
zuführen. Ich habe m ir sagen lassen, daß im O sten Europas und insbesondere
u n te r den V ölkern des H absburger Reiches Herders Ideen vom Volksgeist
zusamm en m it Schillers F reiheitsbotschaft em anzipatorische Prozesse vor­
bereiteten. Dies sind nur Beispiele, die sich unbegrenzt verm ehren ließen.
Die W irkungsgeschichte der deutschen K ultur und Sprache im Ausland
ist, wie Werner Ross 1971 in seinem w ichtigen Beitrag “D eutsch in der
K onkurrenz der W eltsprachen” feststellte, noch nicht geschrieben. Soviel
aber ist sicher: Der eigentliche D urchbruch erfolgt erst nach der Reichs­
gründung, als sich zur kulturellen die naturw issenschaftliche und technische,
die w irtschaftliche und politische B edeutung D eutschlands gesellen. Erst
je tz t gew innt die deutsche K ultur — den Begriff im w eitesten, alle Bereiche
m enschlicher T ätigkeit um fassenden Sinn genom m en —jenes Prestige, das
die U nterrichtsverw altungen und Schulbehörden vieler L änder veranlaßt,
Deutsch neben Französisch und Englisch als U nterrichtsfach einzuführen.
Den allgemeinen bildungstheoretischen V oraussetzungen der Zeit en t­
sprechend, treten dabei jedoch praktische hinter ideellen Zielsetzungen
auch w eiterhin deutlich zurück, sei es, daß man sich von der frühzeitigen
Beschäftigung m it der deutschen Sprache — bei entsprechender Betonung
des G ram m atikunterrichts — eine besondere Schulung der D enkfähigkeit,
analog zum L ateinunterricht, verspricht, sei es, daß man den D eutsch­
unterrichts von vornherein in den D ienst der V erm ittlung der klassischen
und rom antischen deutschen L iteratur stellt. Weil man in erster Linie das
“ Land der D ichter und D enker” sucht, bekom m t das D eutschlandbild in
vielen Ländern einen rom antisierenden, vergangenheitsbezogenen und
irrealen C harakter. Zu diesem Bild trägt auch das deutsche Selbstverständ­
nis jener Zeit bei, das sich um den besonderen K ulturbegriff rankt, auf den
ich eingangs hingewiesen habe. A ber tro tzd em gilt: D eutschland entw ickelt
sich in den Jahrzehnten vor dem ersten W eltkrieg zur führenden M acht auf
dem europäischen K ontinent, seine U niversitäten genießen W eltruf, und
seine Sprache ist in den Schulsystem en vieler Länder, ganz besonders
in Skandinavien, fest verankert. A uch die K atastrophe des ersten Welt­
kriegs hat erstaunlicherw eise das internationale A nsehen der deutschen
K ultur und die V erbreitung der deutschen Sprache n icht entscheidend
geschwächt. Dies ist w ohl zunächst der T atsache zu danken, daß sich
in den zwanziger J ahren der W eimarer R epublik in D eutschland und nicht
zuletzt in Berlin ein kulturelles Leben von so hohem Niveau entfaltete.
Erst die heraufziehende N azibarbarei und der von H itler en tfach te Welt­
brand bereiten m it der Z erstörung des alten Europas auch der W eltbe­
deutung unserer K ultur und Sprache ein gewaltsames Ende.
26
W enden wir uns der G egenw art zu, so scheint es auf den ersten Blick, als
sei inzwischen viel von dem verlorengegangenen Terrain wiedergew onnen
w orden. Mit einer geschätzten Zahl von 16 bis 17 M illionen D eutsch­
schülern an Schulen im A usland und w eiteren 3 bis 4 Millionen in der
Erw achsenenbildung nim m t D eutsch in der Reihenfolge der erlernten
Frem dsprachen heute nach Englisch und Französisch ern eu t den dritten
Platz ein. Im Schulbereich ist D eutsch am stärksten in O steuropa vertre­
te n — allein in der S ow jetunion erlernen schätzungsweise 10 bis 12 Millio­
nen Schüler die deutsche Sprache. Auch als V erhandlungssprache erfüllt
D eutsch neben Russisch in O steuropa noch eine w ichtige Funktion, ln
W esteuropa liegen die Schw erpunkte unserer A ktivitäten zur Förderung
des D eutschunterrichts in Frankreich, den Benelux-Ländern und Skan­
dinavien, außerhalb Europas in Japan, Indonesien und Korea.
So eindrucksvoll diese Zahlen — für sich genom m en — sind, so ist doch
nicht zu leugnen, daß sich die S ituation gegenüber früheren Zeiten in eini­
gen P unkten entscheidend verändert hat. Zum einen h at der u naufhalt­
same Aufstieg des Englischen zu einer A rt W eltverkehrssprache bew irkt,
daß Englisch heute in den m eisten Ländern als erste Frem dsprache gelehrt
wird, w ährend D eutsch gew öhlich nu r noch als W ahlpflichfach (in K onkur­
renz m it anderen Sprachen bzw. Sachfächern) oder gar n u r als Wahlfach
m it ungenügender S tundenzahl angeboten wird. Zum anderen haben sich
die dem F rem dsprachenunterricht zugrunde liegenden bildungstheore­
tischen K onzeptionen entscheidend gew andelt. Die frühere A uffassung
vom form alen oder inhaltlichen Bildungswert des F rem dsprachenunterrichts
hat inzwischen einer pragm atischeren, am G ebrauchsw ert von Frem dsprachen
ausgerichteten und folglich die praktische Sprachbeherrschung in den V or­
dergrund stellenden Einstellung Platz gem acht.
A nstelle einer gründlichen Beschäftigung m it G ram m atik bzw. L iteratur
ist som it eine möglichst sichere Beherrschung des D eutschen im mündlichen
A usdruck als oberste Zielsetzung getreten.
Gegenüber dieser E ntw icklung sind einige einschränkende Bemerkungen
angebracht. Erstens bem ißt sich der Wert dieser K onzeption zu einseitig
an den M öglichkeiten des Schülers, die erlernte Sprache auch zu prakti­
zieren und sie im späteren Leben m öglichst auch beruflich zu verw erten.
A uch w enn zuzugeben ist, daß diese M öglichkeiten gegenüber früheren
Zeiten erheblich zugenom m en haben, so bleiben sie im Schüleralltag doch
relativ sporadisch und verringern sich außerdem m it w achsendem geo­
graphischen A bstand zu den deutschsprachigen Ländern. Sie dürften
daher für sich allein keine ausreichende M otivation für Schüler und Eltern
darstellen, sich gerade für dieses Fach zu entscheiden, zumal überall die
27
aus Bequem lichkeit genährte Überzeugung w ächst, allein m it Englisch
auf der ganzen Welt zurechtzukom m en.
Der Rückgang der Schülerzahlen und verbunden dam it auch ein stark
rückläufiges Interesse am G erm anistikstudium in vielen Ländern bestä­
tigen diese V erm utung.
Zweitens: Ein Frem dsprachenunterricht, der auf die V erm ittlung von
Bildungswerten jeglicher A rt verzichtet, verstößt gegen den w ichtigen
G rundsatz, daß Sprachen wegen der Inhalte gelernt w erden sollten, denn,
um das bereits erw ähnte Jaspers-Zitat zu w iederholen, “ ... in der w ahr­
haften und w irklichen Sprache ist stets durch sie ein A nderes, das nicht
Sprache ist, sondern durch Sprache ergriffen wird, das eigentlich Gew ollte und Bezweckte: die B edeutungen” . Im recht verstandenen k om ­
m unikativen U nterricht dürfte es daher nicht um einen V erzicht au f In­
halte, sondern um deren Neufassung und A ktualisierung in Form einer
zeitgem äßen, um politische und gesellschaftliche G esichtspunkte erw ei­
te rten K ultur- oder L andeskunde gehen, in der auch völkercharakterologische A spekte der deutschsprachigen L änder gebührend berücksichtigt
werden m üßten. Das G oethe-Institut hat bereits V o rjah ren m it einem
breit angelegten internationalen Sym posium zum Them a “ Die K ultur
der deutschsprachigen Länder im U nterricht” au f diese N otw endig­
keit aufm erksam gem acht. A nsätze zu einer derartigen K ulturkunde als
integrierendem B estandteil des D eutschunterrichts an Schulen sind aber
bisher nur in wenigen Ländern, z.B. in F rankreich und in Schw eden, er­
kennbar. Dies leitet bereits über zu m einer d ritte n A nm erkung: Der
D eutschunterricht an Schulen scheint gegenwärtig in vielen, ich bin ver­
sucht zu sagen, in den m eisten Ländern (w obei ich die besondere Situa­
tio n in O steuropa nicht behandeln m öchte) an unzureichendem und ver­
altetem Lehrm aterial, m ethodisch und didaktisch m angelhaft ausgebilde­
ten L ehrkräften und eben auch daran zu leiden, daß m an sich über Stel­
lenw ert und Zweck des D eutschunterrichts nicht m ehr so recht im
klaren ist. L etzteres kann beispielsweise dazu führen, daß in den U nter­
richtsplänen die S tundenzahl für D eutsch zugunsten anderer Fächer
im m er w eiter reduziert w ird, oder daß, w enn es um die Einsparung
von Personalstellen geht, der D eutschunterricht m eist vor allen ande­
ren Fächern betroffen ist.
Die Bundesregierung bem üht sich m it einem ganzen Bündel von F örderungs­
m aßnahm en, an denen das G oethe-Institut m aßgeblich beteiligt ist, den
hier nur angedeuteten Mängeln abzuhelfen. So wichtig und unentbehrlich
diese sprachpolitischen M aßnahm en auch sind, so wäre ein fundam entaler
Wandel meines Erachtens doch nur u n te r zwei V oraussetzungen zu er­
28
w arten: Daß näm lich einmal bei den zuständigen Erziehungsm inisterien
wieder die Ü berzeugung von der W ichtigkeit der deutschen Sprache und
K ultur wächst, und daß m an sich zum anderen wieder verstärkt auf die
spezifischen Werte, sprich Bedeutungen, besinnt, die durch den D eutsch­
u n terricht verm ittelt w erden sollen. F ehlt diese D imension, so ist zu be­
fürchten, daß die deutsche Sprache ihre jetzige Position in absehbarer Zeit
an eine andere Sprache, z.B. an Spanisch, ab treten m uß. Denn der reine
G ebrauchsw ert des D eutschen ist — und w ar es w ohl im m er — im Vergleich
zu anderen Sprachen relativ beschränkt.
W enden wir uns noch kurz dem E rw achsenenunterricht zu. Hier liegen
die V erhältnisse unvergleichlich günstiger. Das läßt sich schon allein durch
den in den letzten Jahrzehnten ständig gewachsenen Z ulauf zu den D eutsch­
kursen an V olkshochschulen und kom m erziellen F rem dspracheninstitu­
ten , zu interfakultativen D eutschkursen an U niversitäten und zu den Er­
w achsenenkursen des G oethe-Instituts in aller Welt belegen. In bestim m ­
ten Ländern scheint ein direkter Zusam m enhang zwischen der abnehm en­
den B edeutung des D eutschunterrichts an Schulen und seiner Zunahm e
im Erw achsenenbereich zu bestehen. In m anchen Regionen, in denen
D eutsch an Schulen n icht oder kaum gelehrt wird, ist der Andrang zu den
Erw achsenenkursen besonders groß. Dies gilt beispielsweise für L atein­
am erika, wo bis vor kurzem jährlich über 20.000 Erwachsene an den
Sprachkursen des G oethe-Instituts teilnahm en. Das ist nahezu ein D rittel
unserer Sprachschüler in aller Welt. In den letzten zwei Jahren ist w elt­
w eit ein gewisser Rückgang der Nachfrage festzustellen, was wohl in
erster Linie auf die verschlechterte W irtschaftslage in vielen Ländern
zurückzuführen ist.
Der E rw achsenenunterricht vermag wesentlich elastischer auf Nachfrage­
schwankungen zu reagieren, als der aufgrund institutioneller F aktoren
vielfältiger A rt unbew eglichere Schulbereich. Ferner sind Erwachsene im
U nterschied zu Schülern stets positiv m otiviert und verbinden m it dem
Erlernen einer bestim m ten Sprache in der Regel auch m ehr oder weniger
präzise Zielvorstellungen. Vom Umfang des Erw achsenenunterrichts kön­
nen daher genauere Aufschlüsse über die tatsächliche W ertschätzung, die
die deutsche Sprache und K ultur heutzutage in der Welt genießen, er­
w artet werden.
Aus den Schülerum fragen, wie sie das G oethe-Institut an den deutschen
K ulturinstituten im A usland in regelmäßigen A bständen durchführt, hebe
ich folgende Ergebnisse als für unser Them a bedeutsam hervor:
29
1. Der A nteil von K ursteilnehm ern, die ein S tudium bereits abgeschlossen
haben, oder sich noch im S tudium befinden, liegt bei m indestens 70 %,
in der Mehrzahl der Fälle sogar deutlich darüber. Ein ebenso großer
Personenkreis besitzt in aller Regel neben der M uttersprache bereits
K enntnisse in einer anderen Frem dsprache. Dieser außerordentlich hohe
durchschnittliche Bildungsstand der K ursteilnehm er w irkt sich u n m ittel­
bar positiv auf das U nterrichtsniveau aus.
2. Bei der Frage, aus w elchen Gründen D eutsch gelernt w ird, ist das
im m er wieder überraschende und diejenigen, die nur an ganz handfeste
pragm atische Motive für jede A rt menschlichen Tuns glauben, befrem den­
de Ergebnis, daß in der Regel 50 bis 60 % der Befragten ih r Interesse an
der deutschen Sprache un d L iteratur als H auptgrund nennen. Erst da­
nach folgen m it w eitem A bstand die G ruppen derjenigen, die Deutsch
für ihr Studium oder ihren B eruf benötigen, und schließlich jene, die sich
sprachlich auf ein S tudium oder eine Tätigkeit in D eutschland vorberei­
ten wollen. Wir w erden au f dieses bem erkensw erte Ergebnis noch einmal
zurückkom m en müssen.
3. Eine weitere Frage bezieht sich auf die F ertigkeiten, die man vor allem
zu erw erben w ünscht, also H ören, Sprechen, Lesen, Schreiben. Hier lassen
die Umfrageergebnisse aus der ganzen Welt klar erkennen, daß die Mehr­
zahl der K ursteilnehm er, im D urchschnitt m indestens 70 %, keine Spe­
zialisierung anstrebt, sondern sich in allen Fertigkeiten gleichmäßig auszu­
bilden wünscht. A uch dieses Ergebnis läßt den Schluß zu, daß pragma­
tische Interessen als M otive für das Erlernen einer Frem dsprache oder,
vorsichtiger form uliert, des D eutschen, bei w eitem keine so große Rolle
spielen, wie man dies häufig verm utet hat.
Neben dieser M ehrheit geben gew öhnlich rund 10 % der K ursteilnehm er
an, daß es ihnen prim är au f die Fertigkeiten des H örverstehens und Spre­
chens ankom m t, und w eitere 10 % sind vor allem daran interessiert,
deutsche w issenschaftliche L iteratur lesen zu können. Diesem letzteren
Bedarf muß durch die E inrichtung von Lesekursen, die ein rasches Ver­
ständnis der spezifischen deutschen W issenschaftssprache ermöglichen,
Rechnung getragen w erden. Dabei wird es vom Einzelfall abhängen, in­
w ieweit solche Kurse bereits wieder fachspezifisch ausgerichtet sein kön­
nen, sich also speziell als Lesekurse für Mediziner, Juristen, Physiker usw.
verstehen, oder allgemeiner gehalten sein müssen. Ich darf erw ähnen, daß
das G oethe-Institut in der E ntw icklung von Lesekursen für W issenschaft­
ler verschiedener A rten in den letzten Jahren große F o rtsch ritte gem acht
hat.
30
Unsere Umfrageergebnisse lassen aber andererseits klar erkennen, daß
der S chw erpunkt des D eutschunterrichts im Ausland auch w eiterhin auf
den alle Fertigkeiten gleichm äßig fördernden N orm alunterricht gelegt
w erden muß. Dieses Ergebnis bedarf nun allerdings einer w ichtigen Modi­
fikation. Denn wie wir schon bei der Behandlung des D eutschunterrichts
an Schulen gesehen haben, verlieren die Fertigkeiten des Hörverstehens
und Sprechens m it zunehm endem A bstand zum deutschsprachigen Ge­
biet an Gew icht, w ährend die geschriebene Sprache an Bedeutung ge­
w innt. Es ist deshalb ganz natürlich, daß in der U nterrichtspraxis der
Förderung der L esekom petenz besondere A ufm erksam keit geschenkt
wird.
Mit der Frage nach der A rt der T exte, die dabei V erw endung finden,
treten w ir erneut in das Reich der Bedeutungen oder Inhalte ein, die
durch Sprache verm ittelt w erden sollen. Eine Zeitlang scheint m an in der
A bsicht, ein möglichst aktuelles D eutschlandbild und eine Sprache zu ver­
m itteln, wie sie von breiten Bevölkerungsschichten verw endet wird, Ge­
brauchstexten aus dem Alltag den Vorzug gegeben zu haben, z.B. Zei­
tungsartikeln, unverfälschten G esprächsprotokollen, G ebrauchsanw ei­
sungen, Werbeslogans und dergleichen. Es hat sich jedoch gezeigt, daß
sich die K ursteilnehm er durch T exte dieser A rt gew öhnlich nicht genü­
gend angesprochen fühlten, und kehrte deshalb inzwischen m ehr zu lite­
rarischen sowie zu inhaltlich anspruchsvollen Inform ationstexten aus
Gegenwart und V ergangenheit zurück, zu einer L iteratu r also, deren
dichter geistiger und em otionaler Bedeutungsgehalt den Erw artungen
der Schüler am besten entspricht. Man kann sich — wie erw ähnt — diese
Erw artungen in der T at nicht anspruchsvoll genug vorstellen. Ich habe
in den sieben Jahren als Präsident des G oethe-Instituts im m er wieder
erfahren, daß etwas von dem D eutschlandbild, wie es einst von Madame
de Staël und anderen gezeichnet w orden war, im Ausland als Erw artung
noch im m er lebendig ist. Diese E rfahrung hat zwiespältige Gefühle in
m ir ausgelöst: e i n e r s e i t s F reude und Stolz, n icht nur für das reiche
kulturelle deutsche Erbe heute im A usland einzustehen, sondern auch das
kulturelle Leben der G egenw art verständlich zu m achen, das in allen
seinen M anifestationen erneut etwas von dem “engen Ineinander von
Philosophie, L iteratur und L eben” im Sinne von Madame de Staël spüren
läßt. A n d e r e r s e i t s löst die Erfahrung dieser E rw artung bei mir
auch T rauer aus: Ist es nur H itler zuzuschreiben, daß sich Züge des
R ätselhaften, Irrationalen und U nheim lichen durch die G eschichte dieses
Jah rh underts zusätzlich in das Bild des D eutschen eingebrannt haben?
31
Ich gestehe es: bei aller W ertschätzung W agnerscher Musik ist m ir in
einigen Ländern der Welt n icht ganz w ohl bei der Feststellung, daß es
neuerdings fast eine S ucht gibt, sich dieses “ R ätselhafte, Irrationale und
o ft U nheim liche” des deutschen Wesens durch eine Wagner-Renaissance
bestätigen zu lassen.
Natürlich wissen w ir alle, daß es einer A nm aßung gleichkäm e, für die
heutige Bundesrepublik in A nspruch zu nehm en, w ir seien im Vergleich
zu anderen V ölkern noch ein Volk der D ichter und D enker. Die hohen
kulturellen Erw artungen an uns mischen sich im A usland o ft auf eine
quälende Weise m it dem D eutschlandbild des (für uns längst vergangenen)
W irtschaftswunders, obw ohl M ercedes-Stern und Volkswagen gewiß nach
wie vor Q ualitätsm arkenzeichen in vielen Ländern geblieben sind.
Wenn ein G roßteil der Erwachsenen, die im Ausland die deutsche Sprache
erlernen, dies —wie w ir festgestellt haben — um der deutschen K ultur
willen tu t, so ist dies im Sinne von T o y n b ee’s “Challenge and response”
eine H erausforderung an uns. Viele Programm e des G oethe-Instituts
in aller Welt erweisen es: Es gibt nachw achsende künstlerische Kräfte
in unserem Land, die sich im Ausland sehen und hören lassen können
und jedenfalls bem erkensw erte T eilantw orten au f die H erausforderung
der erw ähnten E rw artung geben. Solange daher diese K ultur lebendig
bleibt, d.h. auch, solange nicht nur das populäre Gängige, sondern auch
das E xperim ent gefördert und die K ultur n icht u n te r hausbackenen Ge­
sichtspunkten vom S taat gegängelt oder von parteipolitischen oder
kom m erziellen Interessen erstickt wird, solange in deutscher Sprache
auch w eiterhin geistige M anifestationen stattfinden, die dem R u f einer
“ patrie de la pensee” Ehre m achen, solange wird es auch um die deutsche
S prachkultur im A usland nicht schlecht bestellt sein.
32
JÄNOS JUHÄSZ
Der Stellenwert der Sprachkultur in der modernen Gesellschaft
ökologische Aufgaben der Linguistik
1. Kultur — Kultiviertheit des Sprachgebrauchs — Sprachkultur
Bekanntlich wird u n te r “ K u ltu r” recht vieles und Unterschiedliches ver­
standen. So spricht man z.B. von “ K u ltu r” im Zusam m enhang m it den
Künsten, im Zusam m enhang m it U nterricht und Erziehung (im klassi­
schen Latein bedeutete cultura u.a. ‘geistige Bildung’), im Zusam men­
hang m it geistigen T raditionen oder überhaupt im Zusam menhang m it
all dem, was sich au f die geistigen P rodukte der M enschheit bezieht. Mit
“ K u ltu r” wird aber auch das bezeichnet, was das Zusam m enleben der
M enschheit betrifft, also in ethischen K ategorien ausgedrückt wird. Eine
D ifferenzierung erhielt der Begriff, als m an von einer “ industriellen Kul­
tu r ” , von einer “W ohnkultur” , von einer “V erkehrskultur” , von einer
“ politischen K u ltu r” oder von einer “ K ultur der A rb eit” zu sprechen be­
gann, was im G runde einer konsequenten D istanzierung vom zoologi­
schen Individualismus gleichkam. Schließlich findet sich heute eine In­
terp retatio n des Wortes in der Bestim mung, daß darunter die G esam t­
heit der Errungenschaften der G esellschaft in ihrer m ateriellen und gei­
stigen Entw icklung (Filosofskaja enziklopedija 1964, S. 118) zu verste­
hen ist. Daraus geht hervor, daß ein w issenschaftliches Umgehen m it dem
W ort nicht ungefährlich ist; eine extensionale D efinition würde ins Ufer­
lose führen, also eigentlich keine D efinition m ehr sein.
Was ist nun unter “ S prach k u ltu r” zu verstehen? Das W ort w urde vom
Prager Kreis geschaffen, in der ersten Zeit allerdings noch nicht differen­
ziert gebraucht; es konnte sow ohl die K ultiviertheit des Sprachgebrauchs
als auch die Sprachpflege bedeuten. 1932 heißt es dann aber schon in
den “ Allgemeinen G rundsätzen der S prachkultur” , daß u n ter “ K ultur
der L iteratursprache” die bew ußte Pflege der L iteratursprache zu verste­
hen ist (G rundlagen der S prachkultur 1976, S. 74. Hier und im weiteren
stehen die bibliographischen A ngaben m it den Erscheinungsjahren der
zugänglichen deutschen Ausgabe und nicht m it dem ursprünglichen Er­
scheinungsjahr). M athesius b e to n t im gleichen Jahr, daß jede K ultur eine
O rdnung ist und das Prinzip der O rdnung in jeder kultivierten Sprache
steck t (1976, S. 89).
33
Insofern haben die Prager das W ort zu einem N om en actionis und den
Begriff eindeutig gem acht sowie ihn zu dem traditionell “Sprachpflege”
genannten Begriff in V erw andtschaft gesetzt, und in diesem Sinne wer­
de auch ich ihn im folgenden gebrauchen. Inw iefern Sprachkultur sich
au f L iteratursprache bezieht, w ird allerdings noch zu erö rtern sein.
Sprachkultur unterscheidet sich jedoch von Sprachpflege dadurch, daß
sie im Besitz einer w ohlfundierten K onzeption und einer entsprechenden
M ethode ist. Sie unterscheidet sich von ihr nicht im H inblick auf ihre In­
tentionen, d.h. auf die V erbesserung des Sprachgebrauchs. Intentionen
sind aber nicht unabhängig von K onzeption und M ethode, weil das F eh­
len einer K onzeption oder eine unangem essene M ethode u.U. das Ziel
der T ätigkeit nicht richtig erkennen lassen und dam it die In ten tio n e n t­
stellen können. Deshalb sollte zwischen S prachkultur und Sprachpflege
kein G leichheitszeichen gesetzt w erden. Diese Behauptung wird im wei­
teren zu erörtern sein.
Das Ziel der S prachkultur ist die K ultiviertheit des Sprachgebrauchs.
Selbstverständlich hängt dies m it der Beeinflussung der Sprache selbst
zusamm en. D arauf, d.h. z.B. auf das aktive Eingreifen in die E ntw ick­
lung der L iteratursprache, das die “Allgemeinen G rundsätze der Sprach­
k u ltu r” (1976, S. 74) sich zum Ziel setzten, gehe ich hier nicht ein, zu­
mal die sprachliche S ituation in der Tschechoslow akei jen er Zeit sich von
der heutigen deutschen Situation unterscheidet.
Die K ultiviertheit des Sprachgebrauchs ist ein kom plexer Begriff, dessen
Kriterien m annigfaltig sind und der in engem V erhältnis zu der K ultiviert­
heit nonverbalen V erhaltens steh t (vgl. G auger/O esterreicher 1982, S. 33 f.).
A ber selbst innersprachlich liegen die Dinge n icht einfach. Eine solche F o r­
derung wie z.B. die der G ram m atikalität der Ä ußerung ist nicht u n te r al­
len Um ständen eine Bedingung der Sprachkultur; es ist keine seltene Er­
scheinung, daß die S ituationsadäquatheit z.B. einen A nakoluth fo rd ert —
was natürlich keiner allgemeinen R echtfertigung ungeordneter Satzm en­
gen gleichkom m t.
In provisorischer und grober Form ulierung: Das eigentliche K riterium
der K ultiviertheit des Sprachgebrauchs ist die Situationsadäquatheit. V er­
ständlichkeit, P artnerbezogenheit, Them aabhängigkeit usw. sind im G run­
de genom m en F orderungen, die in der K ultiviertheit drinstecken.
Man könnte einw enden, daß eine solche A uffassung sich m it dem deckt,
was man in der einschlägigen sow jetischen und D D R -Literatur (Riesel/
Schendels 1975; Michel 1968; Fleischer/M ichel 1979; u.a.) u n ter fu n k ­
tionaler Stilistik versteht. Der Einwand ist berechtigt, es gilt jedoch, eine
entsprechende Stilistik praktikabler zu gestalten, da eine Stilistik, die aufs
34
Ganze geht, stets Züge der W issenschaft u n d der K unstkritik aufweist
und daraus eine der größten theoretischen und praktischen Schwierig­
keiten entsteht.
Diese Feststellungen reichen selbstverständlich noch nicht für die Bildung
einer konsistenten K onzeption der S prachkultur aus. Weder der Zusam­
m enhang zwischen nichtsprachlicher und sprachlicher K ultiviertheit, noch
die Kriterien für eine Beurteilung sprachlicher Ä ußerungen w erden da­
durch geklärt bzw. festgelegt. Infolge der genannten Schwierigkeiten ver­
zichte ich auf eine D efinition und versuche zur Klärung des Begriffs der
K ultiviertheit m it einer B e s c h r e i b u n g beizutragen; ich m öchte
im folgenden beweisen, w arum und bis zu welchem Grad der Begriff der
S prachkultur operationalisierbar ist, was seine A nw endung erforderlich
m acht, und andeuten, welche A ufgaben eine S prachkultur heute in der
deutschen Sprachgem einschaft zu lösen hat. S prachkultur soll also nicht
als ein statischer Begriff, sondern als eine T ätigkeit dargestellt werden.
Daß eine ausführliche D arstellung der Problem atik in diesem V ortrag, ja
selbst in einem ganzen Buch nicht möglich ist, bedarf wohl keines Bewei­
ses. Die Auswahl der Problem e weist aber auf die A ktu alität der In ten ­
tionen hin. Keines Beweises bedarf es w eiterhin, w arum die A usführun­
gen sich auf die A rbeiten der Prager Schule stützen, und wenn einiges
auch schon längst b ekannt ist, so verweise ich auf die alte Weisheit, daß
alles V ernünftige schon einm al gesagt w orden ist...
2. Einschränkungen der M öglichkeiten von Sprachkultur
Zunächst m öchte ich über den erw ähnten Zusam m enhang von außer­
sprachlicher und sprachlicher K ultiviertheit kurz nur so viel sagen, daß
darüber in den 60er Jahren schon viel diskutiert w urde, auch im In stitu t
für deutsche Sprache, näm lich damals, als die N orm auf der Tagesordnung
stand (Jahrbuch des IdS 1966/67) und man zu dem Konsens gelangte,
daß Sprachkritik bzw. S prachnorm enkritik n icht m it Sozialkritik ver­
w echselt werden darf. Ich schließe mich dieser Auffassung an, besonders
so, wie sie von Werner Betz (1968) und Peter von Polenz (1968) form u­
liert wurde, und bedauere, daß die Verwechslung in den letzten Jahren
wieder auftaucht, und zwar in Form der Forderung nach D em okratie
(z.B. Heringer 1982). Es wäre aber zum indest ein M ißverständnis, m it
“S p rachkultur” Sozialkritik üben zu wollen (vgl. Juhasz 1980; Juhasz
1984). Daran ändert sich auch nichts, wenn man nicht “ S p rach k u ltu r”,
sondern “ S prachkritik” sagt.
35
Sodann m uß eine w eitere Einschränkung vorgenom m en w erden. Es gibt
zwei Anw endungsbereiche der Sprache, wo es unsinnig ist, Bemühungen
um die u n m i t t e l b a r e Verbesserung des Sprachgebrauchs zu ver­
langen. Dies sind die Belletristik, innerhalb dieser vor allem die Lyrik,
und der Hum or. Man m üßte dazu erst genauer wissen, was sprachliche
K reativität ist. Da es hier n ich t möglich ist, auf diese Problem atik einzu­
gehen, möge ein Beispiel aus dem relativ neuen Sprachgebrauch zeigen,
wie vorsichtig man in der S prachkultur m it Bew ertungen der K reativität
umgehen muß.
Das Beispiel steh t an der N ahtstelle von verbalem H um or, also Okkasionalität, und kodifizierter Norm . Das Verbgefüge etwas verbrochen haben
hat die Eigentüm lichkeit, i.a. m it einem Indefinitpronom en in der A kku­
sativ-Leerstelle zu stehen. Man kann also nicht sagen *Er hat einen M ord
verbrochen. N un h at sich aber seit geraum er Zeit (laut Küpper 1963
stam m t der erste Beleg aus dem Jahre 1860, laut Trübner 1956 aus den
1930er Jahren) die Form eingebürgert, Publikationen bezeichnende Sub­
stantive in der Leerstelle zu gebrauchen, und zwar m it einem ironischen
Effekt. Also wenn z.B. dieser V ortrag einmal im D ruck erscheinen wird,
so werde ich jem andem , dem ich einen Sonderdruck geben will, sagen
können: Ich habe hier einen kleinen Beitrag über Sprachkultur verbro­
chen. Haben Sie Interesse dafür? Dies ist ein typischer Fall für den Über­
gang vom W ortspiel, vom verbalen H um or zur V eränderung der Norm.
(“ W ortspiel” ist hier nicht zu verwechseln m it dem W ittgensteinschen
“ Sprachspiel”-Begriff, obw ohl die beiden Dinge natürlich m iteinander
Zusammenhängen.) Und eben dieser Übergang ist es, der eine Prognose
beim ersten A uftauchen der Inkom patibilität erschw erte und der es der
S prachkultur nicht gestattet, apodiktische Feststellungen zu machen.
So gab es bei dem erw ähnten Beispiel u.a. folgende U nsicherheitsfakto­
ren:
a) Da es sich um einen Neologismus handelte, k o nnte m an nicht wissen,
wie langlebig er sein wird.
b) V erbreitete sich auch der G ebrauch des Verbs m it einem Substantiv
in der Leerstelle, so m ußte sich der Lexikograph, der ja eine wichtige
F unktion in der S prachkultur hat, fragen, von wann an er die sem an­
tische D istribution des Verbs neukodifiziert. Er darf ja seiner Zeit w e­
der hinterherhinken noch ihr vorauslaufen. (Das Ironische dürfte übri­
gens wohl noch lange bestehen bleiben, weil die Inkom patibilität sehr
durchsichtig ist.)
c) Da zu gleicher Zeit im m er m ehrere G enerationen m it unterschiedli­
chem Normgefühl leben, war es geradezu notw endig, daß die Beurtei36
lung der F orm eine Zeitlang nicht einheitlich war. Ä ltere Menschen
halten an älteren F orm en fest. Ihre gesellschaftliche F u n k tio n ist es,
für die K on tin u ität der Norm, für die relative E inheitlichkeit der Kom­
m unikation zu sorgen, w ährend jüngere Sprachteilhaber den neuen
A nforderungen der sich w andelnden G esellschaft gerecht werden wol­
len (vgl. Müller 1982, S. 219). Dies sollte als eine gesunde Selbstregu­
lierung b etra ch te t w erden, und für die S prachkultur ist das V erständ­
nis dieses perm anent entstehenden und sich perm anent aufhebenden
Gegensatzes von größter Bedeutung.
Diese wenigen vorläufigen Überlegungen mögen angedeutet haben, daß
eine realistische S prachkultur sich über ihre G renzen im klaren sein muß.
3. Zur linguistischen Grundlage der S prachkultur
Für eine realistische S prachkultur braucht man eine linguistische K onzep­
tion, die sich nicht auf das vergegenständlichte Sprachsystem und auf die
M ethoden der System linguistik beschränkt, sondern die in Kenntnis der
Ergebnisse der System linguistik den sozialen C harakter jeglicher sprach­
lichen Ä ußerung berücksichtigt und deren M ethoden flexibel und vielsei­
tig sind. Dies finden wir in der Prager Schule und den an sie anschließen­
den A rbeiten.
Aus der Fülle der sich hier findenden G edanken seien hier nur zwei heraus­
gegriffen.
Der eine ist die These der elastischen S tabilität der Synchronie (M athesius
1976, S. 89). Abgesehen von der erstaunlichen w issenschaftsgeschichtli­
chen Leistung, schon in den 20er Jahren, also zu einer Zeit, als synchronische U ntersuchungen noch in den K inderschuhen steckten, das Wesen
der Synchronie derm aßen gut zu erfassen und dam it die damals rund hun­
d ert Jahre alten A rbeiten H um boldts wesentlich fortzuführen (von de
Saussure und von der G abelentz schon gar nicht zu reden), ist diese These
heute nicht nur einfach richtig, sondern sie ist auch aktuell. A ktuell ist
sie deshalb, weil selbst viele spätere Schulen, wie z.B. die generative Gram­
m atik, die den D ynam ism us der Synchronie betonen, das V erhältnis von
S tatik und D ynam ik weniger bzw. anders vor Augen halten als die Prager
Schule und ihre Anhänger.
Für die S prachkultur b ed eu tet die Prager These so viel, daß 1. eine Bewer­
tung sprachlicher Ä ußerungen ohne die Berücksichtigung des potentiellen
Sprachwandels undenkbar ist, und daß 2. “das System ein System von
M öglichkeiten, von K oordinaten (ist), welche gangbare und versperrte
Wege bezeichnen. D aher kann es sowohl als G esam theit bestim m ter ‘Zwän­
37
ge’, aber auch vielleicht eher noch als ein K om p lex von Freiheiten gelten,
zumal es unendliche Realisierungen zuläßt und nur die N icht-B eeinträch­
tigung der funktioneilen Bedingungen des sprachlichen Instrum ents fo r­
dert. So ist denn seine N atur n icht ‘zw anghaft’, sondern eher b eraten d .”
(Coseriu 1975, S. 88)
Es ist übrigens bezeichnend, daß in den letzten Jahren viele Linguisten
die Synonym ie them atisierten, so z.B. Gauger 1972; Bere?an 1973;
Bickmann 1978; gar nicht zu reden von den S ynonym w örterbüchern wie
z.B. Die richtige W ortwahl 1977; Sinn- und sachverw andte W örter und
W endungen 1972; S ynonym w örterbuch 1973; u.a.
Es ist seltsam, daß das Prinzip der elastischen S tabilität in der Sprachpfle­
ge der D eutschen und anderer N ationen wenig zur K enntnis genom m en
wird — abgesehen von einigen A usnahm en wie z.B. Wolfgang Müller in
der Z eitschrift “te x ten + schreiben” . Allerdings kann man noch hinzu­
fügen, daß es eigentlich n i c h t seltsam ist; denn es ist ja bedeutend
einfacher und bedarf weniger geistigen A ufw andes, die Dinge nur in
Schwarz und Weiß zu sehen, als A lternativen anzuerkennen und zur Ver­
fügung zu stellen. Viele Sprachpfleger gehen lieber den Weg des geringe­
ren W iderstandes.
Der zweite G edanke kann m it den W orten von Danes wiedergegeben wer­
den: “Der Begriff des System s ru ft gewöhnlich die Vorstellung einer ganz
regelmäßigen Einordnung der E lem ente hervor, zu der u n te r anderem ge­
hö rt, daß eine vollständige, erschöpfende K lassifikation aller Elem ente
in eine bestim m te A nzahl von zueinander in O pposition stehenden (...)
K ategorien und Klassen aufgrund der relevanten Merkmale möglich ist.
Doch unsere analytische Praxis übezeugt uns davon, daß eine solche Klas­
sifikation zu vielen Schw ierigkeiten und m anchm al gar zu unlösbaren
Problem en führt. Diese A uffassung setzt voraus, daß jedes Elem ent alle
relevanten M erkmale in vollem Maße enthält, d.h. daß die sprachlichen
Kategorien und Klassen genau und scharf voneinander abgegrenzt sind. Doch
es gibt kein wissenschaftliches Prinzip, das uns a priori zwingen würde,
um jeden Preis eine E ntscheidung zwischen zwei M öglichkeiten zu tref­
fen, wenn im gegebenen Falle die sprachliche R ealität keine Grundlage
dafür b ietet und sich dagegen sträubt. Meiner A nsicht nach ist es richti­
ger, w enn man einfach anerkennt, daß die sprachlichen K ategorien oder
Klassen keine geschlossenen Schachteln sind, sondern G ebilde m it einem
festen kom pakten Kern (oder Z entrum ) und einer diffusen Peripherie,
die in die Peripherie einer oppositionalen Kategorie oder Klasse übergeht
oder in sie eindringt.” (1982, S. 132 - 133)
38
Aus diesem zentralen und die M ethode determ inierenden G edanken der
Prager Schule folgt vieles, was sowohl für die allgemeine linguistische
K onzeption als auch für die darauf beruhende S prachkultur wesentlich
ist. Was vor allem auffällt, sind das Aufs-Ganze-Gehen und die Selbstbe­
schränkung zugleich. Aufs Ganze gehen die Prager, indem sie n ich t ver­
gessen, daß die Sprache letzten Endes nur als to tale Einheit existiert
und funktioniert. Wenn auch Segmente u n tersucht w erden, so m uß sich
in ihnen das Ganze zeigen wie im T ropfen das Meer. Die Selbstbeschrän­
kung ist kom plem entär dazu: Wenn nicht in jedem T ropfen (= Klasse
oder Kategorie) gleicherm aßen das Meer (= System ) gezeigt w erden kann,
weil es viele solche Elem ente gibt, die einander n i c h t i m m e r aus­
schließen, so gibt es eben Übergänge. D am it fällt der Sprache noch kein
Zacken aus der K rone und eben deshalb auch dem Linguisten nicht.
Natürlich wäre es schön, alles säuberlich form alisieren zu können, in die
Sprache der S prachkultur übersetzt: Natürlich wäre es schön, w enn man
sagen k ö nnte “Wer nämlich m it h schreibt, ist däm lich” , aber ich finde,
wenn ein Lausbub m it Kreide an die H ausm auer Hans ist dähm lich
schreibt, so ist das stilgerechter, als w enn er däm lich schriebe (besonders
in Sachsen). Wo bleibt da Platz für absolute O ppositionen?!
Aus dieser Selbstbeschränkung wird jedoch kein Agnostizismus und auch
kein Nihilismus, keine A narchie; kein Prager hat je b eh au p tet, daß das
sprachliche System am orph sei — das wäre eine contradictio in adiecto —;
eben die form alisierteste Disziplin der Linguistik — die Phonologie —
stam m t von den Pragern. Wie erw ähnt, b e to n t M athesius das Prinzip der
O rdnung in jeder kultivierten Sprache. Das L eitm otiv von Z entrum und
Peripherie bildet die Betrachtungsw eise, die O rdnung in unserem D en­
ken über Sprache schafft. Eine funktionale S prachkultur kann nur auf­
grund dieses Leitm otivs getrieben w erden.
Und wem in unserem Z eitalter des hohen Prestiges von N aturw issenschaft
und T echnik eine solche “ u n ex a k te” H andhabung von Sprache und
Sprachkultur nicht gefällt, der erinnere sich an die U nschärferelationen
Heisenbergs oder an die W ahrscheinlichkeitstheorie der M athem atik!
Man findet selbst in der außerm enschlichen N atur Erscheinungen, die
man nur m ithilfe von unscharf abgegrenzten K ategorien und Klassen be­
schreiben bzw. erkennen und erklären kann. Um wieviel m ehr m uß sich
dies auf hum ane Phänom ene beziehen, die noch dazu gesellschaftlich
determ iniert sind. Für diese gilt die Zentrum -Peripherie-A uffassung als
d i e E xaktheit der Beschreibung.
“Es ist nicht m öglich” , schreibt Mathesius, “und es ist auch gar nicht
w ünschensw ert, daß jederm ann in jeder S ituation gleich schreibt. Ein
39
S prachreform ertum , das das nicht erkennen kann oder will, h at seine
Sache schon von vornherein verloren. Deshalb habe ich hervorgehoben,
daß die S tabilität der Literatursprache elastisch sein muß. Wenn nun je­
m and einw endet, daß m it dieser Forderung eine genaue wissenschaftli­
che Festlegung des richtigen Sprachgebrauchs unm öglich wird, so stim ­
me ich ihm bei. Ich füge aber hinzu, daß sich keine lebende Sprache wis­
senschaftlich fest in die Zügel nehm en läßt. Die sprachliche Praxis war
und ist im m er die Folge eines recht kom plizierten Zusam m enw irkens
verschiedener K räfte, und die Linguisten müssen zufrieden sein, w enn es
ihnen gelingt, ihren klärenden Einfluß ein wenig zur G eltung zu bringen.
Die Sprachkultur ist vor allem eine Sache der praktischen Erfahrung und
Entscheidung. Man kann über die Prinzipien dieses V erfahrens diskutie­
ren, aber nicht ein System zur K ontrolle der Sprache konstruieren, das
präzise und in logischer Abfolge wie ein A utom at funktio n iert. Wir k ö n ­
nen und müssen jedoch den Sinn für eine sorgfältige sprachliche A usdrucks­
weise entw ickeln und ihn in unserem Volk zu einem festen Bestandteil
der Allgemeinbildung m achen...” (1976, S. 101 - 102)
Dies führt hinüber zu der A ktu alität der Sprachkultur, d.h. welche Pro­
bleme gibt es hier und heute?
4. Die A ktualität der Sprachkultur
Zunächst eine genauere Bestim mung des G egenstands der Sprachkultur.
Wie erw ähnt, spricht M athesius von der K ultur der Literatursprache. Da­
zu ist zweierlei zu bem erken.
Erstens ist die einschlägige Prager L iteratur in dieser H insicht nicht ein­
heitlich. So m acht schon H avränek 1932 darauf aufm erksam , daß es
Unterschiede zwischen der N orm der L iteratursprache und der der “ Volks­
sprache” gibt (1976, S. 105 - 106). Jedli^ka bezeichnet als L iteratur­
sprache die kultivierte Form der N ationalsprache, “ die sow ohl in ge­
schriebener als auch in gesprochener Form (in dieser Reihenfolge! J.J.)
verw endet w ird” , und m eint, daß die Einbeziehung der sog. Alltagsspra­
che in die L iteratursprache offen bleibt (1982, S. 54). Und an anderer
Stelle schreibt er, daß die Literatursprache in der neuen Auffassung nicht
m ehr auf die sog. “ B uchsprache” beschränkt w urde, sondern daß als Be­
standteil der Literatursprache auch diejenige Form angesehen w urde, die
die eigentlichen Träger der L iteratursprache im Alltag verw enden (1982,
5. 46; vgl. auch R om porti 1982).
N un b esteht jedoch für die Praxis — und dies ist die zw eite Bemerkung —
ein schwerwiegender U nterschied zwischen der K ultur der gesprochenen
40
und der der geschriebenen Sprache. Die rapide V erbreitung der Massen­
m edien zeigt besonders in der deutschen Sprache, daß es signifikante
U nterschiede zwischen den beiden Realisationsweisen der Sprache gibt
und daß infolgedessen die S prachkultur sow ohl in bezug au f die N orm
als auch auf die M ethoden unterschiedlich Vorgehen m uß. N im m t man
das H ochdeutsch als Grundlage, so gibt es zwar zwischen den beiden R ea­
lisationsweisen keine System unterschiede, aber besonders zwischen dem
Usus und in gewisser H insicht auch zwischen der N orm sind die U nter­
schiede recht groß (vgl. T exte gesprochener deutscher Standardsprache
1971). Man vergegenwärtige sich nur die Ä ußerungen von Interview ten
in R undfunk und Fernsehen, die glauben, sich gew ählt ausdrücken zu
müssen, und deshalb o ft das sog. Papierdeutsch sprechen! Oder um ge­
kehrt: wie schwer es einem Schüler, der nu r an den m ündlichen V erkehr
gew öhnt ist, fällt, ein Schriftstück aufzusetzen (vgl. A ugst 1982)!
Infolgedessen ist es zweckmäßig, den Gegenstand und die M ethoden der
S prachkultur zu differenzieren. N icht geleugnet wird dam it selbstver­
ständlich, daß die Lektüre guter L iteratur ( “ L ite ra tu r” hier im w eitesten
Sinne des W ortes) auch die K ultiviertheit der gesprochenen Sprache fö r­
dert.
Nach dieser Bem erkung kom m e ich nun zu dem , was S prachkultur eigent­
lich aktuell m acht. A uch für die B eantw ortung dieser Frage gibt es eine
Fülle von F akten, von denen ich nur einige herausgreife, und zwar eben
diese, weil sie die w ichtigsten sind oder zum indest zu den w ichtigsten ge­
rechnet w erden müssen.
Die Beschleunigung des Lebenstem pos ist eine Eigenschaft des m ensch­
lichen Zusam m enlebens, die es schon lange gibt. Schließlich h at sich kein
Lebewesen so schnell entw ickelt wie der Homo sapiens. Die Beschleuni­
gung h at jedoch ungefähr seit dem vorigen Ja h rh u n d e rt und besonders
nach dem Zw eiten W eltkrieg Maße angenom m en, die m it einer geom e­
trischen Progression gemessen w erden könnten. Für den Inform ations­
austausch b ed eu tet das, daß n icht nu r die Sprache, sondern sogar zahlen­
mäßige A ngaben m it konventionellen M ethoden n ich t m ehr schnell genug
verarbeitet w erden können und infolgedessen neue K odes (für die Com­
puter) erarbeitet w erden müssen. Bleiben wir indes bei der natürlichen
Sprache.
In einer solchen Zeit der Beschleunigung des Inform ationsaustauschs gilt
— ausgesprochen oder nicht ausgesprochen — die Devise: Inform ation —
alles, Form der Inform ation — nichts! (Vgl. Juhasz 1982, S. 216 ff.) Man
brau ch t gar nicht die Headlines der englischsprachigen Zeitungen als Bei­
spiel heranzuziehen, um sich davon zu überzeugen, sondern es genügt, sich
41
anzuhören, wie D urchschnittsm enschen sich in den m odernen Industrie­
gesellschaften unterhalten. Ellipsen, Abkürzungen, K urzw örter, sehr
schnelle A rtikulation usw. entstehen aus dem Bedürfnis heraus bzw. ha­
ben die F unktion, Inform ationen so schnell wie möglich zu verm itteln.
Selbst in der künstlerischen Sprache ist eine solche T endenz zu beobach­
ten: Ich habe alte T heateraufnahm en aus den 20er Jahren m it heutigen
A ufführungen verglichen und dabei beobachtet, daß früher bedeutend
größerer Wert auf vollständig artikulierte W örter und auf entsprechende
In to n ation gelegt w urde als heute. Es ist deshalb kein Wunder, wenn heu­
te viele M enschen z.B. die Sprache T hom as Manns für an tiq u iert und arti­
fiziell halten, ja daß m anchm al sogar die Sprache eines Max Frisch für
langweilig gehalten wird.
Um dem V orw urf zuvorzukom m en, daß ich dam it die Position einer k o n ­
servativen Sprachpflege vertrete, beeile ich mich zu betonen, daß ich das
nur registriere und n icht m it einem W ertungsetikett versehe, so sehr ich
als V ertreter einer älteren G eneration im oben erw ähnten Sinne auch in
V ersuchung gerate, von einer V erschlam pung und Verküm m erung der
Sprache, von einem Sinken des Sprachgebrauch-Niveaus zu sprechen.
Eine weitere Folge des beschleunigten L ebenstem pos in der m odernen
Industriegesellschaft ist die U niform ierung der Sprache. Dabei ist nicht
nur an die erw ähnten Abkürzungen usw. zu denken, sondern auch an die
große Anzahl von S tereotypien, die vor allem in F orm von Syntagm en
Vorkommen, wie z.B. der positive Trend. Viele Syntagm en sind m it ihrer
Bildhaftigkeit recht kom prim iert und deshalb zweifellos expressiv — vor
allem in Reklam en —, m anchm al allerdings auch katachresenverdächtig,
w erden jedoch so häufig gebraucht, daß die Fertigteile wenig Möglich­
keit für einen individuellen Sprachgebrauch zulassen. Warum soll man
diese Dinge anders ausdrücken, w enn sie einem bei diesem L ebenstem po
fertig zur Verfügung stehen, k ö nnte sich sow ohl der durchschnittliche
Sprachteilhaber als auch z.B. der Journalist fragen. (A uf die w eitere F ra­
ge, inw iefern sie zur V erdunkelung von Sachverhalten beitragen bzw.
beitragen können, gehe ich hier n icht ein.)
Nun gehört es zwar zum Wesen der natürlichen Sprache, daß man die
vorhandenen Phonem sequenzen und gram m atischen S tru k tu ren m it dem
Erwerb der M uttersprache in einem System bzw. in Subsystem en erhält.
Selbst größere Blöcke, die Phraseologismen und Idiom e, sind “vorgefer­
tig t” . B ekanntlich besteht jedoch eben eine der w ichtigsten und w ert­
vollsten Fähigkeiten des M enschen darin, die relativ kleinen Sprachentitäten zu kom binieren (= die sprachliche K reativität), und dies wird durch
Stereotypien wenn auch n ich t verhindert, so doch beeinträchtigt. H at
man keine Z eit dazu, für jede S ituation seine eigene und beste K om bina­
42
i
tion zu schaffen, so bleibt man bei den Stereotypien.
Zu den S tereotypien rechne ich auch solche Erscheinungen, die m anch­
mal auf unseren Tagungen zu hören sind. So fragte einmal vor einigen
Jahren ein R eferent nach jeder B ehauptung okay}, was m aniriert w irkte.
In einem anderen Jahr gebrauchte fast jeder R edner die W endung Es ist
legitim, hier von dem und dem zu sprechen.
Einräum end m uß man allerdings zugeben, daß jedes Z eitalter seine Stereo­
typien hatte, sie w echselten aber früher n icht so schnell wie heute.
Es liegt auf der H and, daß die U niform iertheit des Sprachgebrauchs in
erster Linie von den M assenmedien gefördert wird. Die große Zahl von
S tunden, die etw a ein Engländer m it dem Lesen von Zeitungen, ein A m e­
rikaner und ein D eutscher m it dem Sitzen vor dem Bildschirm verbringen,
erw eckt Erinnerungen an die S ituationen in der “ Brave New W orld” von
Huxley. Es ist hier aber n icht von der sozialen M anipulation, sondern
von dem sprachlichen Einfluß die Rede.
Der U niform iertheit des Sprachgebrauchs wird übrigens auch durch die
D em okratisierung der G esellschaft V orschub geleistet; denn je m ehr
Menschen sich an der Bildung der öffentlichen Meinung in der Ö ffent­
lichkeit beteiligen bzw. zu beteiligen versuchen und zu beteiligen ange­
halten w erden, desto m ehr verschiebt sich das V erhältnis der sprachlich
gut G eschulten zu den sprachlich U ngeschulten zugunsten der letzteren.
Die sprachlich Ungeschulten neigen zu S tereotypien, solange die Allge­
m einbildung n icht wesentlich ansteigt. Dies ist ein langwieriger Prozeß,
an dem m itzuw irken im Interesse der D em okratisierung u.a. auch eine
Aufgabe der Linguisten ist.
Daß das A nwachsen der Bürokratie das W uchern von S tereotypien be­
günstigt, braucht w ohl n icht erö rtert zu w erden.
Für die m oderne G esellschaft ist n icht nur die Beschleunigung des Lebens­
tem pos, sondern auch — wie gesagt — die V erbreitung der M assenmedien
charakteristisch. Die M edien haben neben ihren positiven F unktionen
auch noch die Auswirkung, daß sie sozusagen ein eigenständiges Leben
führen und für ihre Existenz käm pfen. Dies geschieht u.a. dadurch, daß
sie die Dinge “ zerreden” . Indem sie sie zerreden, füllen sie Spalten und
Zeit aus. A uf der einen Seite treffen wir also in unserer Zeit eine größt­
mögliche Beschränkung des Umfangs der Inform ationsträger, auf der an­
deren dagegen eine große R edundanz. U nter solchen U m ständen hat die
S prachkultur n icht nur viele Aufgaben, sondern sie hat es auch m it äußerst
heterogenen, u.U. einander w idersprechenden Erscheinungsform en des
Sprachgebrauchs zu tun.
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Die U niform iertheit des öffentlichen Lebens u nd des Sprachgebrauchs
löst bei der Jugend perm anent die R eaktion aus, sich n ich t uniform ieren
zu lassen — eine durchaus verständliche und begrüßensw erte R eaktion.
Die R eaktion m ündet jedoch o ft in eine entgegengesetzte U niform iert­
heit; Mode, sog. Musik, V erhaltensw eisen u nd selbstverständlich auch
der Sprachgebrauch weisen eine geradezu verblüffende U niform iertheit
auf. Die F unktion dieser U niform iertheit ist w ahrscheinlich in dem kol­
lektivkonstituierenden Bestreben zu suchen, darin, daß der Widerstand
gegen etablierte N orm en m it gem einsamen A nti-N orm en leichter zu be­
werkstelligen ist. Das V erständnis dieser F u n k tio n ist natürlich nicht
gleichbedeutend m it dem Sich-A bfinden: auch der P rotest gegen die Uni­
form iertheit des Sprachgebrauchs seitens der Jugend läßt sich effektiver
und vor allem angemessener realisieren, w enn die Jugend kreativ m it der
Sprache um geht.
Schließlich sei im A nschluß an die letzte Feststellung der m.E. wichtigste
Sachverhalt kurz skizziert. Die Schule steh t seit geraum er Zeit vor dem
Dilemma, wie die Leistungen der Schüler zu bew erten seien, ob der sub­
jektive F aktor ausgeschlossen w erden könne, ob es objektive Messungen
gebe. Für den Sprachgebrauch bed eu tet die sog. objektive Messung der
Leistung, daß der Lernende m eist nur ein K reuz zu m achen oder eine
T aste zu drücken braucht, also nonverbal handelt, um eine A n tw o rt zu
geben. Dies gibt es selbst schon im M uttersprachenunterricht.
Intensiviert wird das nonverbale H andeln auf K osten des verbalen auch
durch den zunehm enden Gebrauch von C om putern, deren Einzug in den
S chulunterricht im übrigen natürlich zu begrüßen ist.
Hier m uß man schon ein W erturteil fällen und von G efahren und Miß­
ständen sprechen, weil eben die Schule — aber auch die H ochschule — es
ist, wo der Sprachgebrauch gefördert w erden m uß. Wo anders sollte der
Mensch seine sprachliche K reativität am besten en tfalten lernen können
als eben unter der persönlichen Anweisung des dazu berufenen und qua­
lifizierten Lehrers? Man brau ch t sich nur den Sprachgebrauch der Schü­
ler anzuhören, die es m it T estern und Lehrm aschinen zu tu n haben: Sie
gebrauchen übermäßig viele Interjektionen und unartikulierte oder
schlecht artikulierte L aute und kehren zu dem zurück, was es w ahrschein­
lich vor dem E ntstehen von Sprachen m it entw ickelten phonologischen
D istributionsregeln und gram m atischen S trukturen, vor der Herausgestal­
tung der “ double articu latio n ” gab, näm lich dazu, daß E m otionen und
G edanken vor allem intonatorisch zum A usdruck gebracht w erden. Eine
R ückkehr zur Into n atio n als grundlegender diskreter Einheit würde eine
Regression der K ultur bedeuten. Es ist nicht zu bestreiten, daß die T en ­
denz zur unartikulierten Ausdrucksweise auch als eine R eaktion auf “die
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guten alten S itte n ” älterer G enerationen zu verstehen ist, aber nur dieser
R eaktion ist sie sicher n ich t zuzuschreiben.
Die V erbreitung von technischen G eräten birgt jedoch noch eine weitere
G efahr in sich. Wenn der Schüler in seinem em pfänglichsten A lter nicht
dazu angehalten wird, seine G edanken verbal zu äußern, so fragt sich,
wie effektiv ein solches Lernen überhaupt sein kann. Wenn D enken ohne
Sprache nicht oder nur sehr rudim entär möglich ist, so führt die “ Sprach­
losigkeit” des D enkens zum A bnehm en der Effizienz des Lernens, zu ei­
ner Verarm ung des D enkens, zu einem Rückgang nicht nur der s p r a c h ­
l i c h e n K reativität, zu einer Verküm m erung dessen, w odurch der Mensch
eigentlich zum M enschen wird.
Ich m öchte m it diesen Überlegungen n icht unken. Ich bin überzeugt da­
von, daß die M ißstände früher oder später erk an n t und beseitigt werden.
Es wäre jedoch verantw ortungslos, w enn gerade Linguisten zu diesem
Problem n icht Stellung nehm en w ollten. Eine solche Stellungnahm e ge­
h ö rt zu unseren ökologischen Aufgaben.
Der Linguist m uß sich als W issenschaftler und als soziales Wesen der de­
term inierenden Rolle der Schule als w ichtigster institutionalisierter kul­
turtragender, -verm ittelnder, -bew ahrender und -fördernder Instanz ja
eben deshalb bew ußt sein, weil G esellschaft ohne K om m unikation, ohne
Sprache nicht denkbar ist. Die N orm en der Sprache — und nicht nur der
Sprache — w erden in der Schule z.T. gefestigt und z.T. sogar geschaffen,
die B e w u ß t h e i t der N orm en wird u n te r allen U m ständen hier ge­
bildet. D arum m uß die m anipulierende F unktion der Schule von den Lin­
guisten m itgestaltet und m itkontrolliert w erden. Dies sind wir der K ultur
der Gesellschaft schuldig; so ist u.a. die A ktualität der Sprachkultur zu
verstehen.
Die aufgezählten — und auch nicht aufgezählten — F ak ten hängen natür­
lich m iteinander zusam m en. Es ist hier aber leider nicht möglich, die Zu­
sammenhänge zu explizieren, wie es auch nicht möglich ist, w eitere w ich­
tige A rgum ente anzuführen, die die N otw endigkeit der Beschäftigung m it
S prachkultur unterstützen.
5. Zu den M ethoden der S prachkultur und den A ufgaben der Linguistik
Nach den konzeptionellen Überlegungen und Lagedarstellungen stellen
sich nun zwei Fragen:
a) Wie soll die Lage beurteilt w erden und welche K onsequenzen sind
daraus zu ziehen?
45
b) A uf welche Weise kann man sich für einen kultivierten Sprachgebrauch
einsetzen, ohne in die Fehler der traditionellen Sprachpflege bzw.
eines Teils von ihr zu verfallen?
Was die erste Frage anbelangt, so bietet die Prager K onzeption eine soli­
de und realistische Grundlage. In diesem Geiste w erden keine pauschalen
und zeitlosen Urteile gefällt, sondern für die Bew ertung einer Ä ußerung
bzw. als R ichtlinie für die Erzeugung von Ä ußerungen gelten die von je­
her in der Schule von besseren M uttersprachenlehrern praktizierten
G rundsätze, die etwas vereinfacht etw a auf folgende Form el gebracht
w erden können:
Wer sagt bzw . schreibt w em was wann wo zu w elchem Zw eck?
Die S prechakttheorie involviert zwar diesen G rundsatz, ist vorläufig je­
doch noch zu sehr theoretisch ausgerichtet, als daß sie ihre Ergebnisse
in der Praxis anw enden könnte. Die Prager Zentrum -Peripherie-K onzeption jedoch ist ohne größere Schwierigkeiten operationalisierbar.
Wenn z.B. Inhalt und Form der Ä ußerung nicht m ehr in dem tradierten
Verhältnis stehen, w enn der Inform ationsgehalt in kürzeren und schnel­
ler artikulierten F orm en gesichert ist, ja selbst w enn S tereotypien in be­
stim m ten S ituationen w eder V erständnisschw ierigkeiten, noch soziale
K onflikte, noch ein Sinken des kulturellen Niveaus zur Folge haben, so
en tsteh t die berechtigte Frage, ob die K ultiviertheit des Sprachgebrauchs
m it den überlieferten N orm en zu messen ist.
Jede Stellungnahm e in Fragen der S prachkultur m uß viele G esichtspunk­
te berücksichtigen, denn — die W orte M athesius’ paraphrasierend — es ist
ja gar nicht w ünschensw ert, daß sich jeder Mensch in jeder Situation auf
die gleiche Weise ausdrückt.
Es gibt auch Fälle, w o Beurteilungen sich voneinander unterscheiden, so
z.B. auch in diesem Satz von m ir: ... es g ibt Fälle, wo ... M.E. ist hier T o ­
leranz am Platze. Wer h ie r ... es g ib t Fälle, in denen ... für richtig hält,
der h at einen anderen Geschmack, aber deshalb sollte er nicht verurteilt
w erden, wie auch ich n icht verurteilt w erden m öchte. Das wo ist kürzer,
ist schneller zu artikulieren, w ahrscheinlich ist seine Entstehung neben
den dialektalen Einflüssen auch dem beschleunigten Lebenstem po zuzu­
schreiben. Es befindet sich im Übergang zwischen Z entrum und Periphe­
rie — einmal historisch und einmal stilistisch gesehen. Ob es einmal zum
Z entrum gehören wird, weiß heute wohl noch niem and.
A uf die zweite Frage ist z.T. schon m it der A n tw o rt auf die erste geant­
w ortet. Hinzuzufügen ist, daß für die K ultiviertheit des Sprachgebrauchs
vor allem die Schule verantw ortlich ist. (Es wäre eine wichtige Aufgabe
46
der letzten “ kleinen” Tagung des Instituts für deutsche Sprache gewesen,
diesen A spekt der Pragm atik zu behandeln.) N icht als ob die Rolle der
Eltern, des Kindergartens, der populärw issenschaftlichen L iteratur über
S prachkultur u n terschätzt w erden darf, die w ichtigste F un k tio n obliegt
jedoch der Schule, und hier zwar vor allem dem M uttersprachenunter­
richt, aber auch den Lehrern der anderen Fächer, da diese ja zusam m en­
genom m en häufiger m it den Schülern Zusam m enkom m en als der M utter­
sprachenlehrer (vgl. Weinrich 1982, S. 9).
An dieser Stelle kom m e ich zu dem w ichtigsten Punkt m einer Ausfüh­
rungen. Es ist die A ufgabe des Linguisten, die Prager K onzeption wei­
terzuentw ickeln und zu aktualisieren. Da dies kein V ortrag über pädago­
gische Problem e ist, noch weniger von didaktischen und m ethodischen
V erfahren die Rede sein kann, m uß ich auf die Behandlung spezifisch
schulischer Aufgaben verzichten. Ich beschränke mich auf die Feststel­
lung, daß es d i e w i c h t i g s t e A u f g a b e d e s H o c h s c h u l g e r m a n i s t e n ist, in der L e h r e r a u s b i l d u n g und
- W e i t e r b i l d u n g die S p r a c h k u l t u r in de n M i t t e l ­
p u n k t von L e h r e u n d F o r s c h u n g zu s t e l l e n , den
L e h r e r d a z u zu b e f ä h i g e n , S p r a c h k u l t u r mi t
a n g e m e s s e n e n M e t h o d e n zu b e t r e i b e n .
6. Einige spezifisch deutsche D etailfragen der S prachkultur
In F ortsetzung zu der Tagung des Instituts für deutsche Sprache über
“schwere W örter” ist es notw endig, nochm als auf die soziale Bedingt­
heit der Schwierigkeiten hinzuweisen, wie es seinerzeit von Polenz ta t
(1967, S. 72 ff.). Die deutsche Sprachgem einschaft ist groß, und sie ist
nicht nur deshalb groß, weil sie aus vielen M enschen besteh t und weil
sie in m ehreren Staaten die oder eine M uttersprache der Bevölkerung
ist, sondern auch deshalb, weil sie sich infolge der historischen Entw ick­
lung sozial sehr unterschiedlich geschichtet hat. Das Soziale b esteh t na­
türlich auch in der Staats- und Klassenzugehörigkeit, im Beruf, im gesell­
schaftlichen Prestige und in der Bildung, es hängt aber auch m it Ethnik,
K ulturkreis und nichtdeutschen Einflüssen zusam m en (vgl. Gauger/
O esterreicher 1982, S. 37). Eine S prachkultur sollte deshalb m ehr T o­
leranz w alten lassen, als es gew öhnlich getan wird. M ehrere Schriftstel­
ler zeigen auf diesem G ebiet ein gutes Beispiel, indem sie W örter in ihren
Werken gebrauchen, die n icht allgem einbekannt und deshalb “schw er”
sind. D am it helfen sie V erständnis für den Sprachgebrauch unterschied­
licher ethnischer G ruppen der deutschen Sprachgem einschaft schaffen.
Solche Schriftsteller sind z.B. Erwin S trittm a tte r, Siegfried Lenz, Barbara
Frischm uth.
47
Ebenfalls der G röße und der H eterogenität der deutschen Sprachgem ein­
schaft zuzuschreiben sind solche Erscheinungen wie die, daß viele D eut­
sche, ja sogar D eutschlehrer, nur die N orm gelten lassen, die sie selbst
gebrauchen. Ich habe gehört, daß Berliner D eutschlehrer ein etwas palataleres l\l im Sprachgebrauch der im Süden lebenden D eutschen nicht
als norm ativ anerkannten. Das neue Hallenser “ G roße W örterbuch der
deutschen A ussprache” (1982), das zwar einen großen S ch ritt vorwärts
zur Liberalisierung m acht, vor allem durch die Kodifizierung des Schw un­
des der schw achtonigen Vokale in bestim m ten Positionen (S. 76), geht
auf solche Fragen leider nicht ein. Solange es — besonders für den D eutsch­
u n terricht an A usländer — notw endig ist, eine hochdeutsche N orm zu
kodifizieren, mag diese als Z entrum gelten. Dies bed eu tet jedoch nicht,
daß sprachliche Form en der Übergangszone verpönt w erden dürfen. Die
Devise “Meine N orm ist d i e N orm ” sollte von den Hochschullinguisten
nicht akzeptiert w erden.
Einige W orte zum imm ergrünen Problem der regional bedingten gram m a­
tischen Form en. Ich bediene mich dabei zur Illustration einer Episode,
die mir einmal ein Kollege erzählte: Er nahm an einer K onferenz in
Eßlingen teil und saß neben einer Dame aus Bayern. Die Sitzung zog
sich lange dahin, und am Ende sagte mein Kollege, als sie au fstan d en :
“ Na, je tz t haben w ir aber lange genug gesessen.” W orauf die bayrische
Dame em pört folgenderm aßen reagierte: “ A ber H err Kollege, ein an­
ständiger Mensch sagt doch n icht wir h a b e n gesessen!” (Vgl. Müller
1982, S. 228 f. — Die Lesart ‘im Gefängnis sein’ ist hier selbstverständ­
lich auszuschließen.)
Ich bin nicht überzeugt davon, ob das ein extrem er Fall war, aber selbst
w enn es einer war, so ist es doch charakteristisch, daß selbst eine Philo­
login m it einer syntaktischen Form “ U nanständigkeit” , also etwas E thi­
sches, assoziierte. Dieser sozusagen antagonistische Gegensatz zwischen
Nord- und Süddeutschen trägt heute geradezu anachronistische Züge
(vgl. das D idaktische dazu bei Glinz 1980, S. 65 f.).
Wenn es einem A usländer g estattet ist, in solchen Fragen Stellung zu
nehm en, so würde ich dies folgenderm aßen tu n : Da es für viele p hone­
tische, lexikalische und gram m atische F orm en territoriale D ubletten
gibt und auch sicher noch lange geben wird, sollte man sie in verschie­
denen Z entren anlagern, jedem Zentrum jedoch s o z i a l e G l e i c h ­
w e r t i g k e i t zuerkennen. Erst wenn sich A usgleichstendenzen be­
m erkbar m achen, kann man die S prachkultur so orientieren, daß sich
bestim m te Elem ente in die Peripherie verlagert haben und zum Z entrum
nur noch wenige Elem ente gehören.
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T u t man dies nicht oder stellt m an sich auf einen weniger toleranten
Standpunkt, so beschw ört man ein Problem herauf, das entw eder nicht
gelöst w erden kann oder aber zu einem lächerlichen Ausweg verführt.
Dieser lächerliche Ausweg ist der, daß man nur ein paar hunderttausend
D eutschen — denen um Hannover und Braunschweig herum — das R echt
zuspricht, H ochdeutsch zu sprechen, und H ochdeutsch sprechen ist doch
ein K riterium des sozialen Prestiges. An dem Prestige än d ert sich auch
nichts, w enn man an statt “ H ochdeutsch” “ S tandardd eu tsch ” sagt
“ S tandarddeutsch” ist im nichtdeutschsprachigen A usland übrigens so
etwas wie ein Euphem ism us und wird sich z.B. in Ungarn noch lange
nicht durchsetzen. (Mit dem Plädoyer für die regional bedingten F ärb u n ­
gen ist natürlich nichts über die r e i n e n D ialekte gesagt.)
Zweifellos brauchen wir im A usland eine einheitliche Norm , da es u n ­
möglich ist, dem D eutsch Lernenden m ehrere N orm en beizubringen,
und insofern haben die idealisierten F orm en und ihre K odifizierung ih­
re wichtige F unktion. Ja, auch in innerdeutscher R elation ist es zweck­
mäßig, zum indest von einer Richtungsw eisung zu sprechen, wie es z.B.
die D uden-G ram m atik von 1959 (S. 393) und 1984 (S. 8) tu t. Es heißt
aber die sprachliche W irklichkeit verkennen, es heißt eine falsche Sprach­
politik betreiben, es h eiß t dem dialektal gefärbten Sprachgebrauch ein
schlechtes soziales Prestige zuschreiben und dieses schlechte Prestige
konservieren, w enn man die regional bedingten Form en nicht als hochoder standarddeutsche V arianten anerkennt und sie an die horizontale
Peripherie abschiebt (vgl. dazu aus der reichen L iteratu r die diesbezüg­
lichen A rbeiten in: S tandard und D ialekt 1979!).
Eine für die deutsche Sprachpflege und neuerdings auch für die Sozio­
linguistik recht charakteristische und häufige Erscheinung ist die, daß
solche W ortbildungen und Syntagm en verurteilt w erden, die durch die
Bew ußtm achung der D urchsichtigkeit, o ft durch die sem antische Remotivierung einer verblaßten M etapher, eine “ U nw ahrheit” enth alten oder
zu enthalten scheinen (vgl. dazu die K ritik in Ju h isz 1980, S. 78 ff.;
Juhasz 1984). Zweifellos besteht die M öglichkeit, daß sprachliche F or­
men, die einem veralteten E rkenntnisstand oder einer bew ußten Mani­
pulation entspringen, beim N achdenken über ihre Sem antik falsche Asso­
ziationen suggerieren. D ennoch gebraucht der überwiegend größte Teil
der deutschen Sprachgem einschaft die F orm en unbefangen und ihrer
synchronen F unktion entsprechend. Wird der Sprachteilhaber darauf
nicht aufm erksam gem acht, so assoziiert er dazu nichts anderes als das,
was ihm von den zeitgenössischen gesellschaftlichen V erhältnissen vor­
gegeben ist. (Eine A usnahm e bilden die Kinder, die im Laufe des Sprach erwerbs gern m it der sem antischen M otiviertheit spielen.)
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Die Praxis der Sprachpflege u nd eines Teils der Soziolinguistik, verblaßte
Bilder zu rem otivieren, ist verfehlt, da es ja zu den im m anenten Eigen­
schaften der natürlichen Sprache gehört, daß die M otiviertheit im Laufe
der Zeit verblaßt, d.h. daß das Zeichen arbiträr wird. Die Sprache ist,
wie Leo Spitzer seinerzeit schrieb, eine gefrorene M etapher. Die B ehaup­
tung, “falsche” Bildungen k önnten gefährlich sein, ist schlechthin eine
Ü bertreibung, und es gehört zu den Aufgaben der Sprachkultur, au f die­
sem G ebiet O rdnung zu schaffen.
Ein Beispiel möge dies illustrieren. Es gibt z.Zt. die Forderung von Per­
sonen weiblichen G eschlechts, nicht m it Fräulein, sondern m it Frau an ­
gesprochen zu w erden, und die Begründung dafür lautet, die A nrede
Fräulein verrate sogleich etwas über den Fam ilienstand und sei deshalb
indiskret, außerdem sage man ja auch zu unverheirateten M ännern nicht
Herrlein. In diesem A rgum ent — wenn m an so etwas A rgum ent nennen
darf — zeigt sich, wie eine soziale Ström ung, näm lich der Feminismus,
sich von den G egebenheiten der sprachlichen W irklichkeit en tfe rn t und
eine dem eigengesetzlichen Sprachw andel w idersprechende Position be­
zieht, um dam it gewisse Ziele zu erreichen. (Ob diese Ziele berechtigt
sind oder nicht, sei hier dahingestellt.)
Für ganz extrem und verstiegen halte ich z.B. auch solche Bestrebungen
wie die Ersetzung des Indefinitpronom ens man durch frau, w enn es sich
um Personen w eiblichen G eschlechts handelt, also etw a ln der E n tb in ­
dungsanstalt fü h lte frau sieb wohl. (Für diese Inform ation danke ich
Herrn Wolfgang Müller vom Dudenverlag.)
Die D em otivierung und D em etaphorisierung sind übrigens keine neue
Erscheinung, es gab sie schon bei der rom antischen Sprachpflege des
19. Jahrhunderts und auch bei anderen N ationen. Allerdings h atte sie
d o rt andere soziale Beweggründe als heute, und sie h atte verständlicher­
weise eine andere allgemein-linguistische Grundlage.
7. Abschließende Bem erkungen
K ultiviertheit des Sprachgebrauchs und S prachkultur sind keine Begriffe,
die sich nach der Forderung der klassischen Logik “O m nis determ inatio
est negatio” bestim m en lassen. V ielm ehr gilt hier der Begriffsapparat
der m odalen Logik (vgl. Gloy 1975).
Der unbefangene S prachteilhaber drückt sich gew öhnlich nicht in vorge­
fertigten, m ethodologisch abgesicherten U rteilen und D efinitionen aus.
Vielmehr kom m t bei den m eisten Sprechakten prinzipiell jene gewisse
K reativität zur G eltung, von der wir vorläufig nicht wissen, wie sie fu n k ­
50
tioniert, sondern auf deren Existenz wir nur aufgrund von Sym ptom en
schließen. Deshalb steh t der Sprachgebrauch dem nahe, was man Kunst
zu nennen pflegt.
A uf diese Weise entstehen für die S prachkultur solche Forderungen wie
die, daß man das singuläre H ier-und-Jetzt der Ä ußerung berücksichtige,
ja daß nicht einm al subjektive F aktoren ausgeschlossen w erden dürfen.
Im Begriffsapparat von Coseriu ausgedrückt: “ ... /M an k an n / den soge­
nannten sozialen A spekt der Sprache nicht einfach dem individuellen
A spekt gegenüberstellen ..., da das Individuum n icht das Gegenteil der
G esellschaft, sondern schon selbst G esellschaft i s t ..., und da der soge­
nannte soziale A spekt sich gerade im konkreten Sprechen m anifestiert,
in den R edeakten des Individuum s...” (1970, S. 199). Ich erinnere hier
an die Diskussionen, die sich zwischen D eutschen m it annähernd gleicher
Bildung, gleichen Interessen usw. über solche F orm en zu entspinnen
pflegen, für deren Bew ertung es allem A nschein nach keinen Konsens
gibt. Die M annheim er V alenzgruppe w üßte über die U nterschiedlichkeit
der Stellungnahm en ihrer Inform anten ein Liedchen zu singen. O der wer
entscheidet z.B., ob eine Ä ußerung in einer bestim m ten Situation durch
ihre In tonation m aniriert w irkt oder nicht? (Die M aniriertheit erhält
übrigens in der traditionellen Sprachpflege einen falschen Stellenw ert
oder kom m t überhaupt nicht zur Sprache.) Und gehört es nicht zur Kul­
tiviertheit, daß jeder Mensch durch seinen Sprachgebrauch eine persön­
liche N ote erhält, die ihn von allen anderen M enschen unterscheidet?!
Die Singularität, das Künstlerische, das Subjektive sind solche Faktoren,
die m anchen Linguisten abstoßen; viele Linguisten wissen dam it nichts
anzufangen, weil sie so keine M öglichkeit sehen, “ ex a k te ” M ethoden an­
zuw enden. Eine W issenschaft, die nicht abstrahiert, typ isiert und ideali­
siert, ist natürlich keine W issenschaft. Der auf der Prager Schule b eruhen­
den S prachkultur-T ätigkeit liegt jedoch eine gutfundierte w i s s e n ­
s c h a f t l i c h e K onzeption zugrunde, deren spezifisch linguistische
m ethodologische E xaktheit in der Zentrum -Peripherie-A uffassung be­
steh t und insofern für einen beträchtlichen Teil der Problem e eindeutige
Stellungnahm en und G renzziehungen erm öglicht. Ich bin m it Hans-Martin
Gauger der A nsicht, daß der W ert einer w issenschaftlichen M ethode sich
nicht an dem Grad ihrer “ E x ak th eit” , ihrer Nähe zur M athem atik, son­
dern letzten Endes an dem m ißt, was sie der E rkenntnis der W irklichkeit
an Sicherem und Interessantem erbringt. W issenschaft m uß nicht nur
“w issenschaftlich” , sondern auch interessant sein (Gauger 1970, S. VIII).
Ich füge hinzu: Das Sichere ist in der Zentrum -Peripherie-A uffassung zu
sehen und das Interessante darin, wie flexibel die Prager die Sprache zei­
gen. Sollte das für die S prachkultur nicht genügen?
51
Nichts in der Gesellschaft ist fest, unveränderlich und w iderspruchsfrei.
Warum sollte gerade der Sprachgebrauch es sein? Und wie sollte es der
Sprachgebrauch in der m odernen Gesellschaft sein? Und w arum kön n te
dann die Sprachkultur es sein?
Wollen wir jedoch unser Leben im w ahrsten Sinne des W ortes m ensch­
lich gestalten, so brauchen wir eine K ultur des Zusam m enlebens, die
eine r e l a t i v e Festigkeit und eine m öglichst geringe W idersprüchlich­
keit, um m it Mathesius zu sprechen: eine O rdnung, nötig m acht. Zu die­
ser K ultur des Zusam m enlebens gehört u.a. auch die K ultiviertheit des
Sprachgebrauchs. Bis zu diesem P unkt dürfte wohl ein Konsens bestehen.
Wie die Kriterien der K ultiviertheit des Sprachgebrauchs und die M etho­
den der S prachkultur i m e i n z e l n e n zu bestim m en sind, das k o n n ­
te in diesem R ahm en nur gestreift w erden; das sind die Fragen, zu deren
B eantw ortung diese Tagung beitragen will.
Meine Überlegungen sollten keinen uferlosen Relativism us proklam ieren,
sie w ollten nur auf die realistische Einschätzung der M öglichkeiten und
Grenzen einer m odernen Sprachkultur, auf ihre A ktualität und vor allem
auf die V erantw ortung und die Aufgaben der Linguisten aufm erksam
machen.
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54
DIETER NERIUS
Zur G eschichte und Bedeutung des Begriffes Sprachkultur in
der Linguistik der DDR
1. V oraussetzungen und G rundlagen für die Entw icklung des Begriffes
Sprachkultur in der Linguistik der DDR
W ährend der Begriff Sprachpflege im D eutschen schon eine rech t lange,
wenn auch um strittene T radition besitzt, stellt der Begriff S prachkultur
in der germ anistischen Sprachw issenschaft und im Hinblick auf die d eu t­
sche Sprache noch einen sehr jungen, erst in A nsätzen und allgemeinen
Umrissen ausgearbeiteten linguistischen Begriff dar. Sprachpflege gibt es
im Sinne von Bemühungen um eine Beeinflussung des Sprachgebrauchs,
vornehm lich um die sogenannte Reinerhaltung der deutschen Sprache,
was im m er man in den verschiedenen historischen E tappen auch d arun­
te r verstand, m indestens seit den “ U nvorgreifflichen G edanken b etref­
fend die Ausübung und Verbesserung der T eutschen S prache” von G.W.
Leibniz aus dem Jahre 1697, von S prachkultur ist in der germ anistischen
Sprachw issenschaft, von vereinzelten früheren Erw ähnungen abgesehen,
erst seit Anfang der 70er Jah re unseres Jahrhunderts häufiger die Rede.
Dabei ist offenkundig, daß dieser Begriff n icht einfach an die Stelle des
Begriffes Sprachpflege tritt, sondern einen um fassenderen, in w eiter
greifende theoretische Zusam m enhänge eingebetteten Inhalt zum Aus­
druck bringt als der freilich auch nicht überall einheitlich verstandene
Begriff Sprachpflege, der überdies von der G eschichte her m it einer be­
trächtlichen nationalistischen und puristischen H ypoth ek belastet ist.
Wie kam es zu dieser A usbreitung des Begriffes Sprachkultur? Die Sprach­
pflege und die ihr zugrunde liegende linguistische A rbeit h atten nach
1945 und in den ersten Jahren der DDR im Zusam m enhang m it der Über­
windung der erw ähnten nationalistischen und puristischen H ypothek vor
allem zwei A ufgaben: auf der einen Seite die Elim inierung des faschisti­
schen G edankengutes m itsam t seinen vielen sprachlichen Form en und
auf der anderen Seite die Bestim mung, U ntersuchung und Darstellung
der N orm en der deutschen Gegenwartssprache als Voraussetzung aller
sprachpflegerischen Bemühungen. Die erste Aufgabe fand in V. Klemperers “ L T I” ihren noch heute bekannten H öhepunkt, für die zw eite A uf­
gabe w ar ein w eitgehender N euansatz der germ anistischen Sprachwissen­
schaft erforderlich, denn sie war seit den Zeiten der Junggram m atiker
überwiegend auf die historische Sprachbetrachtung orien tiert und hatte
55
sich zudem w ährend der H errschaft des Faschismus völlig von der in ter­
nationalen sprachw issenschaftlichen E ntw icklung isoliert, so daß es auch
diese Entw icklung erst einmal zu rezipieren galt. Wichtige Teile eines
solchen N euansatzes w aren die Gründung des In stitu ts für deutsche Spra­
che und L iteratur an der Akadem ie der W issenschaften im Jahre 1952
m it seinen vor allem durch W. Steinitz initiierten F orschungsunterneh­
men zur Gegenwartssprache, darunter auch das heute schon zum allge­
m einen H andbuch avancierte “W örterbuch der deutschen Gegenwarts­
sprache” , sowie die Studienreform an den Universitäten und H ochschu­
len in den 50er Jahren, in deren Ergebnis das Fach D eutsche Sprache der
G egenwart als H auptbestandteil der sprachwissenschaftlich-germ anisti­
schen akadem ischen Ausbildung etabliert w urde, was natürlich auch eine
entsprechende O rientierung in der Forschung nach sich zog. E rw ähnt
w erden m uß hier aber auch, daß bereits im Jahre 1952 als unm ittelbares
Organ sprachpflegerischer Bemühungen in der D D R die Zeitschrift
“Sprachpflege” zu erscheinen begann, die ihre diesbezüglichen Ziele bis
heute kontinuierlich weiterverfolgt.
Solche A ktivitäten w urden jedoch seinerzeit noch nicht m it der Bezeich­
nung S prachkultur erfaßt oder in V erbindung gebracht. Die A ufnahm e
und A usarbeitung des Begriffes S prachkultur beginnt in der Linguistik
der DDR, wie erw ähnt, erst Anfang der 70er Jahre und leitet eine quali­
tativ neue Stufe linguistischer Bemühungen um die Pflege und Vervoll­
kom m nung der deutschen Sprache ein. Zeitlich verläuft das ungefähr
parallel m it dem , was in westlichen Ländern die “ pragm atische Wende
der L inguistik” genannt w urde. Damals begann u n te r den Sprachwissen­
schaftlern der DDR in kritischer A useinandersetzung m it bisherigen Po­
sitionen und Leistungen eine intensive Diskussion über die theoretischen
und praktischen Aufgaben der Sprachw issenschaft in der sozialistischen
Gesellschaft. Es erfolgte eine gewisse A bkehr von der einseitigen O rien­
tierung auf eine isolierte B etrachtung des Sprachsystem s, wie sie im Er­
gebnis der R ezeption der internationalen sprachw issenschaftlichen E n t­
wicklung in der Linguistik der DDR in den 60er Jahren teilweise bestan­
den hatte. Demgegenüber w urde der gesellschaftliche C harakter der Spra­
che deutlicher hervorgehoben, soziale und kom m unikative G esichtspunk­
te traten in der Linguistik in den V ordergrund. Sprache w urde nun stär­
ker im G esam trahm en des sozialen V erhaltens gesehen und sprachlich­
kom m unikatives H andeln als eine besondere Form gesellschaftlicher
Tätigkeit des M enschen begriffen. Neue G egenstände w urden in der Lin­
guistik them atisiert, die bisher vernachlässigt w urden oder am Rande
des Interesses lagen, so vor allem Problem e der K om m unikation (u.a.
“ Sprachliche K om m unikation und G esellschaft” 1974), soziolinguistische
56
Fragen verschiedener Bereiche und unterschiedlicher D im ensionen, d aru n ­
ter Problem e der N orm und der Sprachvariation (u.a. “ N orm en in der
sprachlichen K om m unikation” 1977), die A daption linguistischer Er­
kenntnisse für die Bedürfnisse des Bildungswesens (u.a. “ Sprache — Bil­
dung und Erziehung” 1977) und Fragen der deutschen O rthographie
(u.a. “T heoretische Problem e der deutschen O rthographie” 1980), um
nur einiges zu nennen. Eine vorläufige Zusam m enfassung dieser N eu­
orientierung wird in dem Buch “T heoretische Problem e der Sprachwis­
senschaft” (1976) versucht, in dem sich allerdings im einzelnen auch
die unterschiedlichen Positionen verschiedener linguistischer Forschungs­
richtungen in der DDR deutlich widerspiegeln.
In diesem Zusam m enhang ist auch die A ufnahm e und Entw icklung des
Begriffes S prachkultur in der D D R-Linguistik zu sehen. Die Verw endung
der Bezeichnung S prachkultur wie auch die theoretische A usarbeitung
dieses Begriffes gehen dabei, wie noch zu zeigen sein w ird, zunächst auf
Anregungen aus der sow jetischen und der tschechischen Linguistik zu­
rück, wo der Begriff S prachkultur bereits eine längere T radition besitzt.
Dieser Begriff schien gut geeignet, das qualitativ Neue der Bemühungen
um die Sprache zum A usdruck zu bringen, das m it der erw ähnten N eu­
orientierung der Linguistik in der DDR verbunden war: einerseits den
Bezug zu den übergeordneten theoretischen Positionen des Zusam m en­
hanges von Sprache und G esellschaft und andererseits den Bezug zum
sprachlich-kom m unikativen Handeln, zur E ntw icklung der sprachlichen
Fähigkeiten des einzelnen Sprachbenutzers.
Im Laufe der 70er Jahre kam es dann u n te r den DDR-Sprachwissenschaftlern zu lebhaften D iskussionen um den Begriff, die A ufgaben und die
Problem e der S prachkultur und in W echselbeziehung dam it, wie schon
angedeutet, auch zu neuen theoretischen und em pirischen Forschungen,
die die G rundlage für die w eitere Entw icklung einer T heorie der Sprach­
ku ltu r bildeten, deren kom plexe A usarbeitung allerdings auch heute noch
eine Z ukunftsaufgabe darstellt. Einer der ersten, die diese T hem atik auf­
griffen, war W. M otsch in einem A rtikel in der Zeitschrift “ Sprachpflege”
(7 /1972). Ihm folgten zahlreiche w eitere Beiträge in dieser Zeitschrift,
aber auch in anderen sprachw issenschaftlichen Publikationsorganen. Meh­
rere w issenschaftliche Tagungen w idm eten sich Problem en der Sprachkul­
tu r, so das K olloquium “T heoretische und em pirische Problem e bei der
U ntersuchung der sprachlichen K om m unikation” 1973 in Berlin (Lin­
guistische Studien, A, Nr. 8 und 9), die A rbeitstagung “Sozialistische
Sprachkultur in der DDR — Begriff und A ufgaben” 1976 in Greifswald
(Wiss. Zeitschrift der Ernst-M oritz-Arndt-Univ. Bd. XXV) und das Kollo­
quium “ G esellschaftliche F unktionen und S tru k tu ren sprachlicher Kom­
57
m u n ik ation” 1979 in Magdeburg (Linguistische Studien, A, Nr. 72/1
und 2). Auch auf die unm ittelbare Diskussion sprachkultureller Proble­
me in der breiten Ö ffentlichkeit zielende A rbeiten entstan d en in diesem
Zeitraum , so das von E. Ising herausgegebene Buch “ S prachkultur — wa­
rum , w ozu?” (1977) sowie A rbeiten zum F rem dw ortgebrauch und zur
Sportsprache. Neben diesen d irekt auf die Bestim mung, A usarbeitung
und A nw endung des Begriffes S prachkultur gerichteten A ktivitäten war
es jedoch für die w eitere Entw icklung besonders bedeutsam , daß auch
die durch die erw ähnte N euorientierung der D D R-Sprachwissenschaft
ausgelösten theoretischen und em pirischen Forschungen in einem d eu t­
lichen Zusam m enhang m it der S prachkultur gesehen und als G rundlagen
für ihre weitere A usbildung verstanden w urden. So ist der Begriff Sprach­
k u ltu r seit dieser Zeit zu einer wichtigen Zielstellung der DDR-Linguistik
überhaupt gew orden, und es gibt heute kaum eine größere germ anistisch­
linguistische Forschungsaufgabe oder Publikation, die n ich t direkt oder
indirekt auf diese Zielorientierung sprachw issenschaftlicher A rbeit Be­
zug nim m t.
2. Bezugspunkte und Erfahrungen aus der Arbeit mit dem Begriff
Sprachkultur in anderen sozialistischen Ländern
Wie schon erw ähnt, erfolgte die A ufnahm e und A usarbeitung des Begrif­
fes S prachkultur in der Linguistik der DDR un ter deutlicher Bezugnahme
auf die Erfahrungen anderer sozialistischer Länder, vor allem der Sow jet­
union und der Tschechoslow akei, w o dieser Begriff schon seit den 20er
Jahren unseres Jahrhunderts gebräuchlich ist. Natürlich kon n te es sich
dabei nicht einfach um die Ü bernahm e der u n te r den spezifischen sprach­
lichen Bedingungen dieser L änder entw ickelten A uffassungen zur Sprach­
ku ltu r handeln, sondern um eine A nw endung der hier gew onnenen Er­
kenntnisse und Erfahrungen auf die Bedingungen unseres Landes. Aller­
dings ist auch zu betonen, daß S prachkultur zwar im R ahm en einer
Sprach- bzw. K om m unikationsgem einschaft verw irklicht wird, daß es
aber neben spezifischen Besonderheiten auch viele allgemeine und über­
greifende Merkmale dieses Begriffes gibt, die — zum al bei ähnlichen ge­
sellschaftlichen V erhältnissen und Sprachsituationen — auch eine sprachübergreifende V erallgem einerung und internationale Zusam m enarbeit
auf diesem G ebiet erm öglichen.
Von besonders großem Einfluß auf die linguistische Beschäftigung m it
der Sprachkultur in der DDR ist die Theorie der Prager Linguistik gewe­
sen; m it den tschechischen und auch slowakischen Kollegen bestand und
besteh t noch heute auf diesem Felde eine enge Z usam m enarbeit. Ein
58
wichtiges Zeugnis für diesen E influß und diese V erbindung sind die von
J. S charnhorst und E. Ising herausgegebenen Bände “ Grundlagen der
Sprachkultur. Beiträge der Prager Linguistik zur S prachtheorie und
Sprachpflege” (1976 und 1982), die viele bedeutsam e A rbeiten der Pra­
ger Linguistik zu dieser Problem atik überhaupt erstm als in deutscher
Sprache zugänglich m achen, d arunter auch die “ Allgemeinen G rundsät­
ze der S prachkultur” des Prager Linguistenkreises aus dem Jahre 1932.
Die Prager h atten den Begriff S prachkultur aus der sow jetischen Lingui­
stik übernom m en, wo er 1924 von G.O. V inokur geprägt w orden war,
und h atten ihn dann vor allem m it Blick au f die damalige S ituation der
tschechischen L iteratursprache w eiter ausgearbeitet und theoretisch be­
gründet. Das führte im Laufe der Zeit dann auch zu bestim m ten inhalt­
lichen W eiterentw icklungen u nd D ifferenzierungen dieses Begriffes in
der Prager Linguistik, vor allem im Zusam m enhang m it den V eränderun­
gen in den sozialen und sprachlichen V erhältnissen der Tschechoslow a­
kei nach 1945, was hier n icht im einzelnen nachgezeichnet w erden soll.
C harakteristisch und als E influßfaktor für die D D R-Linguistik besonders
bedeutsam bleibt dabei aber die um fassende, auf übergreifende th eo reti­
sche Zusam m enhänge gerichtete Sicht der Problem e der Sprachkultur,
die eine praktizistische Enge, wie sie sprachpflegerischen Bemühungen
der Vergangenheit bei uns nicht selten eigen war, von vornherein aus­
schließt. Für die jüngste Zeit kom m en J. K uchar u nd A. Stich zu folgen­
der Bestim mung und zu folgenden T eilbereichen des Begriffes Sprach­
ku ltu r in der Prager Linguistik:
“a)
K ultur der Sprache ist der Z ustand des System s der L iteraturspra­
che, der G rad ihrer Stabilisierung, des B edeutungsreichtum s, der
stilistischen Schichtung und der Fähigkeit, ohne Störungen allen
Bereichen der sprachlichen K om m unikation, besonders der ö ffen t­
lichen, zu dienen;
b)
K ultivierung der Sprache, d.h. die Bemühungen um die K ultur der
Sprache. Diese T ätigkeit ist darauf gerichtet, daß sich die L itera­
tursprache in Ü bereinstim m ung m it den erkannten Gesetzmäßig­
keiten und den A usdrucksbedürfnissen der G esellschaft entw ickelt;
c)
K ultur der Rede (m an könnte auch den T erm inus K ultur der Aus­
drucksgestaltung gebrauchen), d.h. der Z ustand der Summe sprach­
licher Ä ußerungen, das Niveau der gesellschaftlichen V erständigung
m ittels Sprache;
d)
K ultivierung der Rede, d.h. die Bemühungen um die K ultur der
Rede. Diese T ätigkeit ist auf die Erhöhung des Niveaus der sprach­
lichen K om m unikation gerichtet.
59
Für den übergeordneten Begriff, der alle vier eben genannten Bereiche
einschließt, kann der T erm inus S prachkultur verw endet w erden.” (1976,
S. 332).
D am it w ollen wir unsere A ufm erksam keit nun auf die inhaltliche Be­
stim m ung und A usarbeitung des Begriffes S prachkultur in der Linguistik
der DDR richten.
3. Begriffsbestim m ung und Problem e der S prachkultur in der DDRLinguistik
Weitgehende Ü bereinstim m ung unter den beteiligten Sprachw issenschaft­
lern der DDR b esteht zunächst darin, daß S prachkultur ein Bestandteil
der K ultur überhaupt ist, also zu einem allgemeinen K ulturbegriff in Be­
ziehung steh t (vgl. dazu genauer die Ausführungen von W. H artung in
diesem Band). Das schließt ein, daß nicht jede sprachliche Erscheinung
oder Ä ußerung S prachkultur repräsentiert, sondern nu r solche, die b e­
stim m te M erkmale aufw eisen, wie sie auch einem allgemeinen K ulturbe­
griff zuzuordnen w ären, die also beispielsweise ein gewisses qualitatives
Niveau, einen bestim m ten Grad an G eform theit, G epflegtheit und Aus­
bildung zeigen. Ebenso ist man sich aber auch einig, daß Sprachkultur
nicht m it S prachkunst verw echselt w erden darf, daß sie nicht als elitäre
Befähigung weniger K önner verstanden w erden sollte, sondern im Prinzip
für jeden S prachbenutzer produktiv und rezeptiv erreichbar ist. Aus ei­
ner solchen Zuordnung ergibt sich die N otw endigkeit eines Bewertungs­
m aßstabes, m it dem M erkmale wie Q ualität und Niveau sprachlicher
Ä ußerungen oder T exte gemessen w erden können, denn erst durch den
Bezug auf einen M aßstab kann die K ultiviertheit sprachlicher Ä ußerun­
gen festgestellt w erden. Der M aßstab w iederum ergibt sich aus den kom ­
m unikativen M öglichkeiten und Bedingungen u n te r den jeweiligen histo­
risch-konkreten gesellschaftlichen V erhältnissen, er w iderspiegelt die u n ­
ter diesen V erhältnissen bestehenden sprachlichen W ertungen, die ihrer­
seits gesellschaftlich produziert und institutionalisiert w erden.
Welche G esichtspunkte sind es nun, die in der Linguistik der DDR als
Bew ertungsm aßstab für sprachliche Ä ußerungen bzw. T exte in H insicht
auf die S prachkultur diskutiert w erden? Sie w urden erstm als in dem Ver­
such einer D efinition der S prachkultur von E. Ising aus dem Jahre 1974
zusam m enhängend genannt. Es h eiß t d o rt: “ S prachkultur bezeichnet
das Niveau eines angemessenen, norm gerechten und schöpferischen
Sprachgebrauchs in bestim m ten S ituationen, gegenüber bestim m ten P art­
nern und u n te r Berücksichtigung des G egenstandes der K om m unikation” .
(1974, S. 198). Die hier und später im m er wieder genannten Bew ertungs­
60
gesichtspunkte ‘angem essen’, ‘norm gerecht’ und ‘schöpferisch’ beziehen
sich auf unterschiedliche Eigenschaften sprachlicher Ä ußerungen und
dam it auch au f verschiedene A spekte sprachlich-kom m unikativen Ver­
haltens, das natürlich in V erbindung m it der Sprachbeherrschung der
Sprachbenutzer den konkreten Eigenschaften sprachlicher Äußerungen
zugrundeliegt.
Der funktionale G esichtspunkt der Angem essenheit orien tiert auf die
Beachtung der Bedingungen der K om m unikation, z.B. in bezug auf die
Situation, den P artner und den Gegenstand, um nu r einige der F aktoren
zu nennen, die A. G reule (1982, S. 285) insgesam t m it dem Begriff “K om ­
m unikationskonstellation” zusam m enfaßt. Diese Faktoren betreffen
noch nicht die Beschaffenheit der sprachlichen Ä ußerungen selbst, sie
legen n icht die S tru k tu r der Ä ußerungen fest, “w irken aber auf sie ein,
indem sie einen Realisierungsbereich m öglicher Ä ußerungsvarianten o r­
ganisieren. Es handelt sich um norm determ inierende F aktoren der sprach­
lichen K om m unikation, die ihrerseits gewissen N orm ierungen unterlie­
gen” (K.D. Ludwig 1980, S. 58). Dieser G esichtspunkt ist zunächst nicht
an eine bestim m te E xistenzform , etw a die L iteratursprache (H ochspra­
che, Standardsprache), gebunden, sondern schließt alle Existenzform en
der Sprache ein. D am it ist ein D iskussionspunkt angesprochen, auf den
wir noch zurrckkom m en.
Der G esichtspunkt der N orm gerechtheit bezieht sich au f die Einhal­
tung bestehender sprachlicher N orm en, im engeren Sinne zum eist auf
die Einhaltung der N orm en der L iteratursprache, und zwar sow ohl der
System norm en als auch der kom m unikativen N orm en m it ihren verschie­
denen Subnorm en. Dazu gehören also sow ohl die Einhaltung phonetischphonologischer, graphischer, m orphologischer, lexikalischer und sy n tak ­
tischer N orm en als auch die Berücksichtigung von T extnorm en und sti­
listischen N orm en. Ob sich der Begriff der S prachkultur dabei allein auf
die N orm en der L iteratursprache ausrichten sollte oder auch die N orm en
der anderen Existenzform en Umgangssprache und M undart einschließen
kann, ist ein in der DDR-Linguistik häufig diskutiertes und noch u m strit­
tenes Problem.
Der G esichtspunkt des Schöpferischen schließlich rich tet sich auf bestim m ­
te zusätzliche M erkmale der Ä ußerungen bzw. T exte, die noch nicht in
gleicher Weise wie die beiden anderen A spekte generalisiert und system a­
tisiert w erden können, die aber gleichwohl für die Bestim mung der Sprach­
ku ltur n icht ganz unw esentlich sind. Dazu gehören solche M erkmale wie
die A usnutzung der stilistischen V ariationsm öglichkeiten, die A nschau­
lichkeit der D arstellung, eine gewisse Souveränität im Umgang m it den
sprachlichen M itteln, kurz, die kreative Bewältigung sprachlich-kom m u­
61
nikativen Handelns. A uch dieser G esichtspunkt jedoch ist n ich t auf die
künstlerische Sprachtätigkeit beschränkt, die ja ohnehin besonderen Be­
dingungen unterliegt.
Die bisher genannten G esichtspunkte definieren die S prachkultur als
eine Eigenschaft von Ä ußerungen, deren P roduktion beim Sprachbe­
nutzer einen bestim m ten Grad der Sprachbeherrschung und vor allem
ein bestim m tes Niveau des Sprachverhaltens erfordert. Diese zunächst
auf das Niveau eines bew ußten Sprachverhaltens des einzelnen gerichte­
te Bestim mung der S prachkultur, die, was auch hervorgehoben w erden
soll, sowohl die produktive als auch die rezeptive Seite des V erhaltens
zur Sprache einschließt, ist in den späteren Diskussionen vor allem u n ­
ter A nlehnung an die A rbeiten der Prager Linguistik erw eitert w orden,
so daß man heute in der D D R-Linguistik zwischen der oben gekenn­
zeichneten engeren Fassung und einer w eiteren Fassung des Begriffes
Sprachkultur unterscheiden kann. Die weitere Fassung dieses Begriffes
schließt auch die G esam theit der M aßnahm en ein, die von seiten der
W issenschaft oder verschiedener Institutionen unternom m en w erden,
um ein entsprechendes Niveau des Sprachgebrauchs zu erm öglichen bzw.
zu erreichen, also das, was wir traditionell als Sprachpflege bezeichnen.
W ährend der Begriff S prachkultur im engeren Sinne gewissermaßen ein
Ziel fixiert bzw. einen A nspruch an den Sprachgebrauch zum A usdruck
bringt, schließt der Begriff Sprachkultur im w eiteren Sinne m it der n u n ­
m ehr von nationalistischen und puristischen T raditionen befreiten
Sprachpflege auch die Bemühungen zur Erreichung dieses Zieles ein. Da­
zu gehören dann aber nicht nur die Schaffung entsprechender H ilfsm it­
tel und A nleitungen sowie die ganze Palette sprachpflegerischer Ö ffent­
lichkeitsarbeit, sondern als V oraussetzung solchen Bemühens auch die
Erfassung und Kodifizierung der L iteratursprache und ihrer verschiede­
nen system bezogenen oder kom m unikativ-stilistischen N orm en. Sprach­
k u ltu r in dieser w eiteren Fassung ist also ein O berbegriff, der Gegeben­
heiten der Sprache, des Sprachverhaltens und des Sprachgebrauchs so­
wie Bemühungen der Sprachw issenschaft zusam m enfaßt. Diese Bestim­
mung des Begriffes S prachkultur finden wir resüm iert bei W. Schm idt,
der hervorhebt: “ Im Begriff der S prachkultur widerspiegeln sich also
die D ialektik von Sprachsystem und Sprachtätigkeit (K om m unikations­
tätigkeit) einerseits und die D ialektik des Gesellschaftlichen und des
Individuellen im Bereich von Sprache und S prachtätigkeit andererseits”
(1976, S. 136). D em entsprechend unterscheidet er zwischen Sprachkul­
tu r, bezogen au f die Gesellschaft, und Sprachkultur, bezogen au f das
Individuum . Zum erstgenannten rechnet er den Zustand des System s
und der N orm der Sprache, das Niveau der Rede und die Bemühungen
62
um die Pflege der Sprache und R ede; zum letzteren rechnet er die Fähig­
keit des Individuum s zu angemessenem, norm gerechtem und wirkungs­
vollem G ebrauch und zu sachgem äßer Beurteilung von Sprache sowie
eine verantw ortungsbew ußte Einstellung zur Sprache und gegenüber
dem K om m unikationspartner (1976, S. 137).
Der w ichtigste D iskussionspunkt un ter den Linguisten der DDR im Zu­
sam m enhang m it der S prachkultur ist jedoch n icht die engere oder wei­
tere Fassung dieses Begriffes, sondern die Beziehung von S prachkultur
und L iteratursprache, die Frage, ob sich die Bemühungen um die Sprach­
k u ltu r nu r auf die L iteratursprache und ihren G ebrauch richten oder ob
sie auch die anderen Existenzform en Umgangssprache und M undart ein­
beziehen sollen. Diese Frage wird unterschiedlich b ean tw o rtet. Von be­
sonderer B edeutung ist hier der von B. T echtm eier entw ickelte Begriff
der kom m unikativen A däquatheit, der vor allem einen funktional und
situativ angemessenen Sprachgebrauch als G rundlage der Sprachkultur
anbietet und sich nicht auf die V erw endung der L iteratursprache be­
schränkt. U nbestritten ist jedoch, daß die L iteratursprache im Z entrum
der Bemühungen um die S prachkultur stehen sollte. Das gilt jedenfalls
für die S prachsituation in der DDR, möglicherweise liegen die V erhält­
nisse hier in anderen deutschsprachigen Ländern, wie etw a in der Schweiz,
durchaus anders. Auch wenn wir berücksichtigen, daß die Bestimmung
sprachlicher E xistenzform en oder V arietäten als V ariantenm engen m it
einem K ernbestand gem einsam er Merkmale, vor allem funktionaler und
regionaler, aber auch struktureller M erkmale, eine relativ starke Ideali­
sierung darstellt, so steh t doch außer Zweifel, daß sich auf G rund dieser
M erkmale eine E xistenzform feststellen läßt, die wir L iteratursprache
nennen und die sonst auch Standardsprache, H ochsprache, Schriftspra­
che usw. genannt wird. Sie ist un ter den Bedingungen unseres Landes
die wichtigste E xistenzform , sie ist überregional, besitzt eine relativ ein­
heitliche, w enn auch in verschiedenen Bereichen unterschiedlich stark
ausgeprägte N orm und erfüllt reichere und vielseitigere F un k tio n en als
Umgangssprache und M undart. Sie findet in vielen G ebieten Anw endung,
vor allem in Situationen und für Zwecke, die um fassendere Geltung bean­
spruchen, so im öffentlichen V erkehr, in der W issenschaft, im Bildungs­
wesen, in der Publizistik usw., w o sie für die Bewältigung der kom m u­
nikativen A ufgaben unverzichtbar ist. Mit der zunehm enden Bedeutung
der L iteratursprache in w eiten Bereichen der gesellschaftlichen K om m u­
nikation vollzieht sich in der DDR aber gleichzeitig auch allmählich eine
Ä nderung in der B ew ertung der regionalen V arietäten Umgangssprache
und M undart. Diese verlieren m ehr und m ehr ihre sozial distinktive R ol­
le und w erden im m er stärker zu funktional und situativ differenzierenden
63
sprachlichen M itteln, die vornehm lich zur U nterscheidung von G raden
der O ffizialität der K om m unikation dienen und auch entsprechend b e­
w ertet w erden. Als M ittel der nicht-offiziellen K om m unikation behal­
ten sie durchaus ihre Bedeutung, w obei auf die im einzelnen erheblichen
U nterschiede zwischen Umgangssprache und M undart hier nicht weiter
eingegangen w erden soll.
Die Bemühungen um die S prachkultur aber richten sich prim är auf die
Beherrschung der L iteratursprache, sie w ollen den S prachbenutzer zu
ihr hinführen, da ihre K enntnis und Beherrschung für die Bewältigung
der A nforderungen der Gesellschaft, für die erfolgreiche Teilnahm e an
den Bildungsprozessen, für die M itwirkung am öffentlichen Leben auf
den verschiedensten Ebenen, für die Erschließung der K ulturgüter usw.
unerläßlich ist. N ur m it Hilfe der L iteratursprache kann der Sprachbe­
nutzer die vielfältigen kom m unikativen A ufgaben bew ältigen, die sich
im Zuge der Entw icklung unserer G esellschaft für fast jeden einzelnen
ergeben. Ein Ziel der Bemühungen um die S prachkultur, das sich daraus
ableitet, ist es som it, die L iteratursprache tatsächlich in vollem Umfang
zum G em einbesitz zu m achen, was heute zweifellos noch nicht der Fall
ist. Gleichzeitig m uß m an aber natürlich auch berücksichtigen, daß die
L iteratursprache kein geschlossenes Gebilde darstellt, sondern mannig­
faltige D ifferenzierungen aufw eist und auch in ihren einzelnen Teilnor­
men unterschiedlich strengen Bewertungen unterliegt, die zum Beispiel
für die geschriebene Sprache im allgemeinen w esentlich stärker ausge­
bildet sind als für die gesprochene Sprache, wo man eine erheblich grö­
ßere V ariationsbreite zu tolerieren bereit ist.
Die O rientierung der Bemühungen um die S prachkultur auf die Hinfüh­
rung der S prachbenutzer zur L iteratursprache b ed eu tet andererseits je­
doch keine A bw ertung oder gar Bekäm pfung der regionalen Existenz­
form en, die in bestim m ten, vor allem nichtoffiziellen und privaten Kom­
m unikationsbereichen nach wie vor ihre Lebensfähigkeit behalten und
diese — vor allem was die vielfältig differenzierte V arietät der Umgangs­
sprache angeht — auch sehr deutlich unter Beweis stellen. N icht die Ver­
drängung regionaler V arietäten aus den für sie angemessenen Bereichen
ist das Ziel sprachkultureller Bemühungen, sondern die Erw eiterung des
sprachlichen Registers um die D im ension der L iteratursprache für mög­
lichst viele Sprachbenutzer.
4. A ufgaben der Linguistik zur W eiterentw icklung der S prachkultur
Welche unm ittelbaren Aufgaben erwachsen nun der Linguistik im Zu­
sammenhang m it der S prachkultur, welchen A nteil h at sie an der Be64
wältigung dieses gesellschaftlichen Anliegens? Wir sehen ihre Aufgaben
vor allem auf zwei Ebenen:
a)
in der A usarbeitung der theoretischen G rundlagen der Sprachkul­
tu r und der Schaffung der erforderlichen w issenschaftlichen V oraus­
setzungen,
b)
in einer praktischen U m setzung der theoretischen Erkenntnisse in
Lehr- und H andbüchern sowie in der sprachpflegerischen Ö ffent­
lichkeitsarbeit.
Die zentrale A ufgabe ist dabei die A usarbeitung einer übergreifenden
Theorie der S prachkultur, die, ausgehend von der S prachsituation unse­
res Landes, alle A spekte dieses Begriffes u m faßt und die Basis für alle
praktischen Bemühungen auf diesem Felde darstellt. Wichtige Teilaspek­
te, die in eine solche Theorie eingehen müssen, betreffen z.B.:
— Problem e der sprachlichen N orm , ihres Wesens, ihrer Typologie, ihrer
Entw icklung, ihrer B estim m ungsfaktoren sowie ihrer Kodifizierung
in den verschiedenen Teilbereichen der L iteratursprache,
— Problem e der E xistenzform en oder Sprachvarietäten und ihrer A n­
wendungsbereiche, speziell ihrer funktionalen, situativen und stru k ­
turellen Merkmale. Von besonderer Bedeutung sind hier das V erhält­
nis und die U nterschiede von geschriebener und gesprochener Sprache
und K om m unikation.
— Problem e des Zusam m enhanges und der U nterschiede von soziolinguistischer und stilistischer D ifferenziertheit der Sprache sowie die
Erforschung der stilistischen M ittel und M öglichkeiten der L iteratur­
sprache in ihren verschiedenen A nw endungsbereichen.
Zu diesen und w eiteren Problem kreisen, die m it der S prachkultur Zusam­
menhängen, gibt es natürlich in der germ anistischen Linguistik der DDR
schon eine ganze Reihe von A rbeiten, eine zusam m enfassende th eo reti­
sche G rundlage für die T ätigkeit auf dem G ebiet der S prachkultur exi­
stiert aber bisher noch nicht.
Was den zw eiten oben erw ähnten A ufgabenbereich angeht, so handelt es
sich hier vor allem um öffentlichkeitsw irksam e Beiträge, die den Zugang
zur L iteratursprache in ihren verschiedenen A nw endungsgebieten erleich­
tern und fördern und die auf die E ntw icklung des allgemeinen Sprachbe­
w ußtseins hinw irken. Dies ist natürlich gleichzeitig auch ein ständiges
Anliegen des M uttersprachunterrichts in der Schule, der jedoch allein
nicht ausreicht, um die V ielfalt der in diesem Zusam m enhang erwachsen­
den A ufgaben zu lösen. Deshalb bedarf es dafür der aktiven M itwirkung
der Sprachw issenschaft, die durch die Schaffung entsprechender Hand65
bücher, populärw issenschaftlicher Sprach-Sachbücher und differenzierter
sprachlicher R atgeber für einen breiten N utzerkreis sowie auch durch
Sprachkritik in der Ö ffentlichkeit an der E ntw icklung eines bew ußten
Sprachverhaltens m itw irken sollte. Auch auf diesem Feld gibt es bei uns
m ancherlei A nsätze, aber vieles läuft noch ganz spontan, zufällig und
unkoordiniert, was denn gelegentlich auch schon den bisher aber noch
nicht ernsthaft verfolgten G edanken einer zentralen sprachlichen Instanz
für Problem e der N orm kodifizierung und der S prachkultur auf den Plan
gerufen hat. Ob eine solche Sprachakadem ie hier den w ünschenswerten
und notw endigen F o rtsch ritt bringen könnte, m uß deshalb dahingestellt
bleiben. U nbestritten ist aber, daß die Bemühungen um die S prachkultur
heute und in Z ukunft eine wichtige Aufgabe der Sprachw issenschaft sind
und bleiben werden.
L iteratur
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69
W OLFDIETRICH HARTUNG
Sprachkultur als gesellschaftliches Problem und als linguistische
Aufgabe
I.
Das W ort “ S prachkultur” ist n icht ganz so jung wie es seine in den letz­
ten Jahren beinahe m odehaft zunehm ende V erbreitung vielleicht verm u­
ten läßt. In m ehreren slawischsprachigen Ländern kann der Begriff — als
O rientierung sow ohl für öffentliches Umgehen m it der Sprache wie für
linguistische Fundierungen dieses Umgehens — auf eine T radition zurück­
blicken, die ihren Anfang bereits in den 20er und 30er Jahren n ah m .1
Vor m ehr als einem Jah rzeh n t begannen Linguisten in der DDR eine
Diskussion, die vor allem das Ziel verfolgte, den sozialen Inhalt aller öf­
fentlichen Bemühungen um die Sprache herauszuarbeiten und über den
für die deutsche Sprache dam als noch nicht festen Begriff der Sprachkul­
tu r vielleicht einen neuen Zugang zu Problem en zu finden, die dank dem
unseligen Wirken nicht weniger vorgeblicher Pfleger und Wahrer der d eu t­
schen Sprache in der V ergangenheit m it teilweise schweren H ypotheken
belastet w orden waren. Wir w ollten den sachlichen Kern dieser Proble­
me wieder diskutierbar m achen und in eine Linguistik hineinholen, die
inzwischen sehr viel m ehr über die Sprache und ihre gesellschaftliche
Einbindung w ußte. Natürlich spielte dabei auch die uns gerade in diesen
Jahren ebenso wie die Linguisten vieler anderer Länder bewegende N eu­
bestim m ung des V erhältnisses zu den disziplinspezifischen Praxisberei­
chen eine Rolle. M it Interesse beobachten wir deshalb, wie der Begriff
der S prachkultur in jüngster Zeit auch außerhalb der G renzen der DDR
einer gewissen K onjunktur entgegenzugehen scheint. Und daß die K on­
stellationen der A rgum ente uns in einigen Fällen an zurückliegende eige­
ne Diskussionen erinnern, nehm en wir nicht nur interessiert zur K ennt­
nis.
Wenn man “ S prachkultur” zu einem zentralen Begriff vor allem für die
Bewertung von Sprache und sprachlichem V erkehr und für die Förderung
eines m öglichst unbehin derten und souveränen Verfügens der Menschen
über Sprache m acht, also auch einen großen Teil der praktischen Bemü­
hungen um m uttersprachliche Bildung und Sprachpflege auf diesen Be­
griff beziehen m öchte, dann sollte man sich zunächst einige G edanken
um die M otivation dieses Begriffs und seine Stellung in den vorherrschen­
den O rdnungen unseres Wissens in diesem Sachbereich machen.
70
Der Bereich von Phänom enen und Problem en, auf den man sich m it
“S prachkultur” bezieht, ist keineswegs erst in jüngerer Zeit als ein proble­
m atischer Bereich ins Bew ußtsein getreten. In den vergangenen zwei bis
drei Jahrhunderten ist über richtigen, reinen, schönen und zw eckm äßi­
gen Sprachgebrauch so viel lam entiert, doziert, argum entiert und gestrit­
ten w orden — von vernünftigen, unvernünftigen und m eist natürlich to ­
tal entgegengesetzten Positionen aus —, daß man denken könnte, inzwi­
schen sei eigentlich alles gesagt, je tz t käm e es allenfalls noch darauf an, das
Bleibende aus der Fülle der Meinungen herauszuziehen, den S treit dage­
gen könne man als ein K uriosum eines vergangenen Praxisverständnisses
der Linguisten abtun. Die Gründe dafür, daß heute im m er noch — oder:
wieder — über Sprachrichtigkeit, Sprachschönheit und A ngem essenheit
diskutiert wird, liegen einmal darin, daß offensichtlich bestim m te Proble­
me — U nterschiede im sprachlichen Vermögen der einzelnen Sprecher
und auch in den auf die Sprache gerichteten W ertvorstellungen von Spre­
chergruppen — fo rtbestehen oder neu entstehen, und daß ihre Ü berw in­
dung — in w elcher R ichtung auch im m er — m ehr verlangt als nur das Be­
folgen sprachpflegerischer Appelle. W eitere Gründe für die Lebenskraft
dieser T hem atik liegen zweifellos auch darin, daß die m eisten der bisher
entw ickelten A nsichten u nd Positionen einzelne Erscheinungen isolieren,
Heterogenes m iteinander vermengen und überhaupt nicht sehr tief unter
die O berfläche einer K ritik an sprachlichen Form en Vordringen. Es geht
auch n icht einfach nur darum , daß man früher vertretene bornierte oder
enge A uffassungen nur durch uns m ehr entsprechende to leran te oder
weite A uffassungen zu ersetzen hätte. Es h at ja auch in der Vergangen­
heit fast im m er Stim m en gegeben, die sich gegen zu enge V orschriften
oder gegen das Vorgeben sprachlicher Regeln überhaupt gew andt haben.
Die V oraussetzungen, u n te r denen unser D iskussionsthem a im m er wie­
der neue A ufm erksam keit auf sich zieht, sind offenbar wesentlich kom pli­
zierter.
Warum sprechen wir dann aber von Sprach k u 11 u r ? B esteht nicht
die Gefahr, daß hier un ter einem neuen, m odern klingenden Namen alte
Hüte verkauft werden? O der verbirgt sich hinter dem neuen W ort auch
eine andere, eine neue A kzentuierung? Wenn das der Fall ist, sollte man
sie aber auch explizieren, und es sollte verlangt w erden, daß sie expliziert
wird. Für mich und uns schafft der Bezug auf Sprach k u 1 1 u r vor al­
lem einen Rahm en, der die Einordnung sprachlicher Leistungen in die
G esam theit geistiger und m aterieller Leistungen der gesellschaftlich m it­
einander verbundenen M enschen gestattet. (Natürlich sind solche R ah­
m ungen auch auf anderen Wegen und ohne explizite N ennung des Bezugs­
punktes möglich, etw a über eine Menge von M aximen über Sprache und
ihre W erte; so ist man bisher m eist vorgegangen). Selbstverständlich ist
71
m it der N ennung eines so allgem einen Rahm ens noch nicht viel getan.
Das Beziehen von Sprachlichem auf den K ulturbegriff ist, wie dieser
selbst, in m anchen A spekten um stritten ; und wir m üßten natürlich auch
die üblichen D ifferenzierungen des Sprachlichen gesondert betrachten:
Für welche Ebenen des Sprachlichen soll der K ulturbegriff denn in wel­
cher Weise gelten? — Linguisten suchen gern in W örterbüchern nach ih­
nen geeignet erscheinenden D efinitionen und belegen dann einzelne Ele­
m ente einer solchen Begriffsdefinition durch sprachliche Phänom ene.
Der Begriff “ S p rachkultur” erscheint bei diesem H erangehen als eine
m ehr oder weniger genaue Entsprechung zum Begriff “ K u ltu r” . Eine an­
dere, sicher bessere M öglichkeit bestünde darin, den Sprachkultur-Begriff
aus einer K ulturtheorie abzuleiten. Wir brauchen den Begriff jedoch nicht
nur zur Selbstverständigung, wir richten uns m it ihm auch an den D urch­
schnittssprecher, dessen Wissen über K ultur und kulturelle Leistungen in
bestim m ten D im ensionen geordnet ist. Wie wir verstanden w erden, wie
wir den D urchschnittssprecher zu etwas bewegen können, ist folglich
auch davon abhängig, wie wir uns auf die besonderen V erstehensbedin­
gungen einstellen. Hier sind zunächst zwei O rdnungsdim ensionen von In­
teresse, deren scheinbares Gegenübergestelltsein ich allerdings etwas rela­
tivieren m öchte.
(1) Man kann das V orhandensein von K ultur dem N icht-V orhandensein
oder einem geringeren V orhandensein von K ultur gegenüberstellen, Kul­
tu r also der U n-K ultur oder der N icht-K ultur. D em entsprechen alltags­
w eltliche K onzepte wie E ßkultur, V erkaufskultur, W ohnkultur, G ast­
stätten k u ltu r und in einem verbreiteten V erständnis eben auch Sprach­
kultur. Von dieser A rt K ultur spricht man nur in besonderen herausra­
genden Fällen oder, was häufiger ist, in negativen Fällen: jem and hat
k e i n e E ßkultur, W ohnkultur usw. Das dahinterstehende Modell faß t
K ultur als etwas Hohes, dem ein Alltag, ein D urchschnittsverhalten, eine
G ew öhnung die Verw irklichung schwer m achen oder verhindern. K ultur
b e g i n n t som it erst bei einem b e s t i m m t e n , jedenfalls über
dem D urchschnitt liegenden N i v e a u . Das für S prachkultur voraus­
zusetzende Niveau ist m indestens ein “gepflegter” Sprachgebrauch, bes­
ser aber noch ein ästhetischer und kreativer, wie er insbesondere in der
künstlerischen K om m unikation erw artet wird. — Zu so oder ähnlich ge­
ordneten A uffassungen von K ultur ist in den letzten Jahren viel K riti­
sches gesagt w orden. Sie können in der T at in elitäre A uffassungen mün­
den. Darin ist zweifellos ein gewisser Teil des nicht seltenen Unbehagens
am Sprachkultur-Begriff begründet. Insofern ist die K ritik an einem
Sprachkultur-Begriff, der das K ulturvolle als ein kaum erreichbares Ideal
dem alltäglichen G ebrauch von Sprache gegenüberstellt, sicher auch be­
rechtigt. A ndererseits sollte aber die V orstellung von einer qualitativen
72
Bew ertbarkeit des G eleisteten nach Rangstufen n icht einfach abgetan
w erden, sie m uß auch n icht notw endig in eine elitäre Position münden.
(2) Dieser O rdnung kultureller Leistungen scheint eine andere ziemlich
grundsätzlich gegenüberzustehen. K ultur ist hier generell eine Dim en­
sion m enschlicher gesellschaftlicher A ktivität. Man spricht in diesem Fall
im allgemeinen von einem w e i t e n Kultur-Begriff. Alles, was der
Mensch in der A useinandersetzung m it seinen Lebensbedingungen her­
vorbringt, i s t K ultur, die man in Ü bereinstim m ung m it der E xistenz­
form der jeweiligen T ätigkeitsprodukte in m aterielle und geistige K ultur
untergliedern kann und die entsprechend der V erschiedenheit der Le­
bensbedingungen in K ulturen oder S ubkulturen differenzierbar ist. L etz­
ten Endes kann das zu einer bestim m ten A rt von unproduktiver Bew un­
derung für a l l e A rten der M eisterung von Lebensbedingungen führen2 :
Jede A rt, m it Sprache um zugehen, sei gleich hoch zu bew erten, sofern
nur die jeweiligen kom m unikativen Aufgaben erfüllt w erden. Diese A uf­
fassung, die der D ifferenzhypothese der frühen Soziolinguistik entspricht,
m acht den Sprachkultur-Begriff im G runde überflüssig; man kön n te der
S prachkultur allenfalls noch ein kom m unikationsethnographisches In­
teresse entgegenbringen. Das zeigt, daß es n icht allein darauf ankom m t,
einem engen Begriff einen w eiten gegenüberzustellen. Vielm ehr kom m t
es darauf an, einen nichtssagenden w eiten Begriff durch bew ertete Ein­
schränkungen interessant zu m achen. Das kann beispielsweise dadurch
geschehen, daß man sich bew ußt m acht, daß K ultur n ich t nur das Ergeb­
nis des aktuellen A useinandersetzens m it den Lebensbedingungen ist,
sondern auch das Ergebnis einer T r a d i t i o n d e s A u s e i n a n ­
d e r s e t z e n s , die Erfahrungen angehäuft und in N orm en verfestigt
hat. K ultur ist nicht nur das Befolgen von N orm en oder gar nur das
Hinausgehen über sie, bereits das V orhandensein von N orm en ist eine
bestim m te Vergegenständlichung des A useinandersetzens m it Lebensbe­
dingungen und insofern K ultur. In dem Maße, in dem die Lebensbedin­
gungen wechseln, kom plexer w erden oder in bestim m ten Bereichen auch
gleich bleiben, ergeben sich Erfahrungen, die, bezogen au f eine K om m u­
nikationsgem einschaft, n icht m ehr gleichwertig sind, sondern nach be­
stim m ten Rangstufen bew ertbar werden.
Ich will das der E infachheit und Kürze halber gleich au f den Sprachkul­
tur-Begriff beziehen und hier eine vorläufige Bestim mung seines Inhalts
geben, die eigentlich Ergebnisse meines nächsten P unktes voraussetzte:
Sprachkulturelle Leistungen e n t s t e h e n au f der Grundlage eines
bestim m ten Verfügens über N orm en. O hne ein bestim m tes Normwissen
— das nicht m it den vorherrschenden oder “gültigen” N orm form ulierun­
gen zusam m enfällt, aber in irgendeiner Weise auf sie bezogen sein m uß —
73
gibt es w eder produktive noch rezeptive Leistungen in der K om m unika­
tion. Dieses Wissen bezieht sich jedoch nicht nur auf “ S ystem norm en”
in einem engen Sinn, sondern auch auf m ehrere A rten von übergreifen­
den, historisch entstandenen und bis zu einem gewissen Grade an Ein­
zelsprachen gebundenen N orm ierungen des kom m unikativen G esam t­
geschehens. ’ Weiter bezieht sich das zugrundezulegende Wissen auf N or­
mierungen unterschiedlicher situativer, regionaler und sozialer Geprägtheit. A uf G rund des Entw icklungsstandes der K om m unikationsgem einschaft(en) sind die verschiedenen Prägungen funktional allerdings nicht
gleichwertig; standardsprachliche Norm en nehm en eine hervorgehobene
Stellung ein. S prachkultur ist dann die Beziehbarkeit von Produkteigen­
schaften (von Ä ußerungen, T exten) auf M aßstäbe — die prinzipiell an
beliebige sprachliche Leistungen oder Produkte angelegt w erden kön­
nen —, deren E ckpunkte das V orhandensein von N orm en (als verfestig­
ten Erfahrungen der A useinandersetzung m it Lebensbedingungen) und
ein bestim m ter G ebrauch dieser N orm en sind.
Wenn wir Norm en auf diese A rt bestim m en, dann sind ihr Inhalt und
ihre V erbreitung natürlich eng m it der G eschichte der K om m unikation
in sozialen G em einschaften verbunden, dam it, wie das Umgehen m it
Sprache ein gesellschaftliches Problem war und ist.
II.
S p r a c h k u l t u r a l s g e s e l l s c h a f t l i c h e s P r o b l e m be­
zieht sich auf historisch gewachsene Sprachsituationen. Das Besondere
des historisch G ewachsenen von Situationen ist, daß wir die M ittel zur
A useinandersetzung m it Lebensbedingungen niemals in ihrer G esam t­
heit ad hoc schaffen. In irgendeiner Weise finden wir stets M ittel vor.
Indem wir aber das V orgefundene benutzen, leiten w ir zum indest p o te n ­
tiell auch seine V eränderung ein. Das gilt sicher in ganz besonderem Maße
für das M ittel Sprache und ebenso auch für den Zugang der einzelnen
Sprecher zu diesem M ittel zu einem gegebenen Z eitpunkt. Bei der Lö­
sung kom m unikativer A ufgaben können wir gar nicht anders verfahren,
als auf V orgefundenes zurückzugreifen, u nd der Zugang zu — Vorgefun­
denen oder veränderten — M itteln ist, sow eit er an Lernprozesse und
möglicherweise auch an die Schaffung von V oraussetzungen für L ern­
prozesse gebunden ist, o ft nur im V erlaufe von G enerationen m erkbar
zu verändern.
Ich habe m ehrfach über historische G rundlagen von D ifferenzierungen
der Sprache und über T ypen ihrer Widerspiegelung im Bew ußtsein der
Sprecher geschrieben4 , so daß ich mich hier auf eine knappe Skizze des
Problems beschränken kann.
74
Mit der schon auf einer frühen Stufe der gesellschaftlichen Entw icklung
einsetzenden D ifferenzierung der Tätigkeiten dürfte teilweise auch eine
D ifferenzierung der K om m unikation einhergegangen sein. Das wird vor
allem in jenen Tätigkeitsbereichen der Fall gewesen sein, in denen die
verschiedenen kom m unikativen A ufgaben Spezialisierungen erforderlich
m achten, die sich in der Herausbildung besonderer sprachlicher M ittel
zeigten, was von einem bestim m ten Umfang an zu U nterschieden im
sprachlichen V ermögen einzelner Individuen führen m ußte und sicher
auch zu U nterschieden in der individuellen E rreichbarkeit eines bestim m ­
ten sprachlichen Vermögens. Diese Prozesse vollzogen sich zunächst im
Bereich der M ündlichkeit und dürften kaum zu einem eigentlich gesell­
schaftlichen, über eng begrenzte Personengruppen hinausgehenden Pro­
blem gew orden sein. Das änderte sich spätestens jedoch m it dem A uf­
kom m en und der V erbreitung der Schriftlichkeit. Jedenfalls für den
deutschen Sprachraum gilt, daß sich weitgehend auf der G rundlage der
S chriftlichkeit ein neuer T yp des S tandards5 entw ickelte. W esentliche
Spezialisierungen der K om m unikation erfolgen von diesem Z eitpunkt
an auf der Grundlage des Standards oder gehen an ihn über. Zur gespro­
chenen Sprache zeigt der Standard von Anfang an eine gewisse E ntferntheit. Die U nterschiede in der sozialen Zugänglichkeit des Standards neh­
men je tz t ganz andere D im ensionen an. Sie verbinden sich m ehr oder
weniger m it Teilungen, die die ganze G esellschaft durchziehen und Min­
derheiten gegenüber M ehrheiten abgrenzen: Berufsgruppen, die über eine
bestim m te Bildung und o ft auch über Besitz verfügen; die Bevölkerung
der S tad t gegenüber der Landbevölkerung. Es entw ickeln sich insbeson­
dere F orm en der öffentlichen K om m unikation, an denen beträchtliche
Teile der Bevölkerung überhaupt nicht oder nur rezeptiv teilnehm en kön­
nen.
Es entstand ein — w enn auch im einzelnen m eist deutlich begrenztes —
gesellschaftliches Interesse daran, den Zugang zu standardsprachlichen
A usdrucksform en zu erleichtern. Gleichzeitig w urden aber die U nter­
schiede im Zugang und dam it im sprachlichen V ermögen zu sozial u n te r­
scheidenden M erkmalen, die —je nach Position — zur sozialen Abgren­
zung oder Identifizierung dienten. Daran bauten sich bestim m te Bewer­
tungssystem e auf, die die U nterschiede im Zugang zum Standard nun
auch auf der Ebene der W iderspiegelung im Bew ußtsein zu einem gesell­
schaftlichen Problem m achten. Die Begründung für das M eiden oder A n­
streben von Redeweisen erfolgte nicht m ehr nur auf einer kom m unikati­
ven A rgum entationsbasis, sondern zunehm end auch auf einer sozialen.
Dies ist zu beachten, w enn man die N orm enbegründungen und Leitbilder
richtig verstehen will, die zu verschiedenen Zeiten entw ickelt wurden.
75
Ü berhaupt sind solche Prozesse nur zu verstehen, w enn m an berücksich­
tigt, daß reales V erhalten in der K om m unikation und tatsächliche kom ­
m unikative Bedürfnisse m ehrfach und auch gruppenspezifisch w iderspie­
gelt w erden und daß diese W iderspiegelungen auf das reale V erhalten
zurückwirken. O der m it anderen W orten: Was über U nterschiede von Re­
deweisen gedacht und gesagt w ird, kann auch verzerrende M om ente en t­
halten. Und wie sich jem and in der K om m unikation real verhält, ist nicht
einfach ein zw eckentsprechendes Auswahlen aus V orgefundenem , nicht
einmal aus Verfügbarem.
III.
Wenn es sich n u r um verzerrende Bew ertungen handelte, wäre das
Problem relativ einfach zu lösen: Man könnte die Bew ertungen bekäm p­
fen und ansonsten jeden so sprechen lassen, wie er es m öchte. In der T at
sind solche G edanken o ft geäußert w orden. Und wir w erden m anchm al
gefragt, ob es n icht einer sozialistischen G esellschaft besser anstünde, die
von allen Sprechern beherrschte Umgangssprache in den Rang eines
Standards zu erheben. So einfach sind die Dinge natürlich nicht. Ich
kom m e dam it auf das Problem zurück, ob und wie Sprachen (oder ge­
nauer: E xistenzform en der Sprache) qualitativ bew ertbar sind. O der fo r­
m ulieren wir es noch einm al anders: Viele M enschen w aren und sind der
Meinung, daß die D iskrepanz zwischen den reichen M öglichkeiten einer
Sprache und dem bescheidenen G ebrauch, den die M ehrzahl der Sprecher
von diesen M öglichkeiten m acht, vor allem ein Problem m angelnder oder
ungenügender Bildung ist. Im 19., aber auch noch im 20. Jah rh u n d ert
war dies die bevorzugte Erklärung für den Vorgefundenen Z ustand und
zugleich Begründung für M aßnahm en, um über ihn hinauszukom m en.
Bei uns beispielsweise sind nun die Bildungsschranken beseitigt, und der
M uttsprachunterricht spielt im Bildungssystem eine beachtliche Rolle
und h at außerdem eine konzeptionelle Basis, die auch im internationalen
Vergleich nicht schlecht dasteht. Angesichts dieser S ituation ergeben
sich nun folgende Fragen: Bleibt auch unter diesen Bedingungen noch
etwas von der erw ähnten D iskrepanz bestehen? H aben U nterschiede im
Verfügen über die Sprache ernstere K onsequenzen, oder kann man sie
vernachlässigen? Wenn sie aber K onsequenzen haben, dann sollten diese
die Begründungen liefern für unsere O rientierung auf eine bestim m te an­
zustrebende oder zu bevorzugende A rt zu kom m unizieren. Alle Bemü­
hungen um die H ebung der S prachkultur sollten irgendwie auf solche
K onsequenzen aus U nterschieden im sprachlichen Vermögen Bezug neh ­
men.
76
U nterschiede in der A rt und im Niveau, sich sprachlich m itzuteilen, beste­
hen tatsächlich fo rt, w obei bis je tz t allerdings keineswegs im m er klar ist,
w odurch die U nterschiede im einzelnen bedingt sind und w elche Konse­
quenzen sie wirklich haben. Es bleiben u.a. auch U nterschiede in bezug
auf die Beherrschung des Standards. Natürlich kann man heute nicht
m ehr sagen, daß es eine nennensw erte Zahl von Sprechern gibt, für die
der S tandard etwas absolut Frem des ist. Es gibt aber doch n ich t selten
Schwierigkeiten im Umgehen m it der einen oder anderen A rt von stan­
dardsprachlichen T exten (eine Erscheinung, die heute in einer ganzen R ei­
he von Ländern die A ufm erksam keit auf sich zieht, n ich t unbedingt, weil
sie neu ist, eher w ohl, weil sie bestim m ten Erw artungen nicht ganz en t­
spricht). Das ist an der T ex tp ro d u k tio n gewissermaßen w ahrnehm bar,
dürfte aber auch die T extrezeption in einem nicht sehr viel geringeren
Maße betreffen. Die H auptursache dürfte darin liegen, daß für den en t­
sprechenden Umgang m it T exten kom m unikative Erfahrungen erforder­
lich sind, die entw eder nicht spontan erw orben w erden oder aber relativ
spät und nu r u n te r bestim m ten, nicht allen Sprechern in gleicher Weise
zugänglichen Bedingungen. W elcher A rt sind diese kom m unikativen Er­
fahrungen aber? Welche Bedeutung haben sie für das Individuum ? G eht
es nur um eine geringere oder größere G eübtheit in N orm en, die sich von
der A lltagskom m unikation etwas en tfe rn t haben? Das allein würde unsere
O rientierung au f die Ü berw indung der hier offenbar vorhandenen U nter­
schiede im Verfügen über Sprache noch nicht überzeugend begründen. Ein
beträchtlicher Teil der für die N otw endigkeit des S tandards gegebenen Be­
gründungen kann in der T a t kaum als ausreichend angesehen werden. H äu­
fig wird erklärt, daß der S tandard das gesam tgesellschaftliche K om m uni­
kationsm ittel ist, so daß die V erständigung jedenfalls auf der gesamtgesell­
schaftlichen Ebene die Beherrschung des Standards voraussetze. In einem
direkten Sinn ist das sicher nicht richtig. V erständigung verlangt sehr viel
weniger als den Standard. Im Alltagsbewußtsein vieler Sprecher spielt der
“unschöne K lang” nicht-standardsprachlicher F orm en eine gewisse Rolle
als A nreiz für das Streben zum Standard. V on der S ubjektivität dieser Be­
gründungsdim ension zeugt, daß sie teilweise auch um gekehrt w erden kann
und um gekehrt w orden ist. A ndere Begründungen verweisen einfach auf
T raditionen und Erw artungen. Am ehesten in die richtige R ichtung weist
noch, w enn m an im S tandard die am w eitesten entw ickelte Sprachform
sieht. Das aber wäre im einzelnen zu explizieren. So sagt es noch nicht
viel. Es ist sicher auch n icht richtig, daß der S tandard j e d e r kom m uni­
kativen A ufgabe gewachsen ist, die Umgangssprache etw a dagegen nicht.
Hier besteht vielm ehr ein Überlappungsverhältnis, w obei der S tandard si­
cher den größeren Bereich kom m unikativer Aufgaben abdeckt.
77
Das w ichtigste A rgum ent für die O rientierung auf den S tandard m uß m.E.
dies sein: A uf G rund seiner engen Bindung an die Schriftlichkeit ist der
S t a n d a r d die H a u p t f o r m , in der g e s e l l s c h a f t l i ­
c h e s W i s s e n f i x i e r t ist. Mit dem Zugang zum S tandard bekom ­
men die Menschen Zugang zum gesellschaftlichen Wissen. Das darf man
nun aber nicht vorrangig als ein Problem des lexikalischen Verfügbarmachens von Wissen sehen. Dazu gehören in einem sehr viel fundam entale­
ren Sinn sprachliche V erfahren des Fixierens und Präsentierens von ge­
sellschaftlichem Wissen, die n icht auf die S chriftlichkeit beschränkt blei­
ben, sondern einen großen Teil auch der mündlichen K om m unikation zu­
nehm end prägen.6
Wenn dies das H auptargum ent für die O rientierung auf den S tandard ist,
fragt sich natürlich, ob es dann nicht übertrieben ist, auf die Einhaltung
gram m atischer N orm en ein so großes Gew icht zu legen, und ob es nicht
angebrachter wäre, beispielsweise T extnorm en eine größere A ufm erksam ­
keit zu w idm en. Das ist bis zu einem gewissen G rade sicher richtig. In der
T at ist S prachkultur m eist nur als ein Problem von F orm en gesehen w or­
den, weniger als eins von V erfahren oder O rganisationsprinzipien. A nde­
rerseits ist natürlich n icht zu übersehen, daß Form en eine Signalfunktion
haben können, also über den Grad des Verfügens über Sprache A uskunft
geben können und infolgedessen auch m it Erw artungen und entsprechen­
den W erturteilen verbunden w erden können.
Was die kom m unikative Leistungsfähigkeit einer bestim m ten Sprachform
— Standard, Umgangssprache, D ialekt — ausm acht, ist einstw eilen relativ
offen. Für die Begründung sprachkultureller O rientierungen sind solche
Aussagen jedoch notw endig. Hier ergeben sich zahlreiche l i n g u i s t i ­
s c h e A u f g a b e n . Ein zentraler Punkt scheint m ir die w eitere Klä­
rung des Verhältnisses von Schriftlichkeit und M ündlichkeit zu sein.
IV.
Aus dem bisher Gesagten ergibt sich, daß ein w ichtiger Bezugspunkt für
S prachkultur auf jeden Fall die N orm en des Standars sind. Dabei ist die
H ervorhebung des Standards eine praktisch bedingte Einschränkung. Streng
genom m en, könnten auch die N orm en anderer Existenzform en der Spra­
che Bezugspunkte von S prachkultur sein. A uch ein umgangssprachlicher
oder dialektaler T ext könnten u n te r dem G esichtspunkt einer jeweils spe­
zifischen Sprachkulturellen Leistung b etra ch te t und entsprechend beurteilt
w erden. V oraussetzung ist wohl nur, daß die Einhaltung der jeweiligen
Norm en positiv bew ertet w ird und daß sie nicht jedem Sprecher in gleicher
Weise oder ohne besondere Mühe möglich ist. Der Unterschied liegt im Ge­
w icht des gesellschaftlichen Interesses an der E inhaltung der betreffenden
78
N orm en. (Rein theoretisch sind aber natürlich auch Bedingungen denkbar,
u n ter denen G esellschaften ein besonders gewichtiges Interesse daran en t­
wickeln könnten, daß alle ihre M itglieder nicht-standardsprachliche F or­
men möglichst perfekt gebrauchen).
Bezugspunkt für S prachkultur ist jedoch n ich t nu r die Einhaltung von
Norm en in dem verbreiteten, relativ engen Sinn. Seit der A ntike ist es üb­
lich, die F orderung nach der Richtigkeit durch die nach der Schönheit
der D arstellung zu erw eitern. Die Fähigkeit zum Hervorbringen richtiger
T exte müsse ergänzt w erden durch eine besondere M eisterschaft im Um­
gehen m it der Sprache, die den entstehenden T exten Eigenschaften wie
K larheit, V erständlichkeit, Wohlklang, kom positorische H arm onie u.ä.
verleiht. Solche “ Zusatzbedingungen” können, w enn sie zu eng gesehen
oder überbetont w erden, dazu führen, daß S prachkultur im G runde nur
noch eine Eigenschaft künstlerischer T exte sein kann. A ndererseits ist
natürlich nicht zu bestreiten, daß es viele T exte gibt, für die es unangem es­
sen wäre, eine “ Schönheit der D arstellung” zu verlangen. A uf die Erwei­
terung der R ichtigkeit durch besondere M eisterschaft zu verzichten, wäre
aber auch nicht ratsam ; zum indest verlöre der Sprachkultur-Begriff sehr
viel an M otivation und natürlich auch an Reiz, w ollte man ihn auf die
Einhaltung m orphologischer, syntaktischer, orthographischer u.ä. Nor­
men beschränken. Schließlich w erden T exte und Sprachgebrauch ja auch
noch durch m ehr charakterisiert. Der angemessenste Weg, dieses Problem
in unsere B etrachtungen zur S prachkultur einzubeziehen, ist m.E. eine
entsprechende Erw eiterung und D ifferenzierung des Norm begriffs.
N eben den N orm en, die in einem engeren Sinn die Laut-Bedeutungs-Zuordnung organisieren — m an k ö nnte sie g r a m m a t i s c h e N o r ­
m e n nennen —, gibt es solche, die den Bezug von Ä ußerungen auf Situa­
tionen und kom m unikative Aufgaben organisieren und die eher für die
Sinnzuordnung w esentlich sind. Man k ö nnte sie etw a k o m m u n i k a ­
t i v e N o r m e n nennen. In diesem Zusam m enhang w erden dann Be­
griffe wie K reativität, V ariabilität, A nschaulichkeit u.ä. wichtig. Man kann
nicht sagen, daß solche K riterien schon von ihrer A rt her gegenüber der
Richtigkeit zusätzlich, weniger verbindlich oder situativ beschränkt sind.
Sie berühren andere Ebenen des Hervorbringens von Ä ußerungen, sind
aber nicht weniger verbindlich, w enn man sie als bestim m te M om ente in
einem übergreifenden Prinzip der Präsentation von Inform ation in kom ­
munikativen S ituationen versteht, nicht als absolute Werte. N icht jede Si­
tu atio n verlangt K reativität, A nschaulichkeit oder V ariabilität. In dem
Maße aber, in dem die Inform ationsdarbietung etw a verschiedene A rten
der W issensorganisation bei den an der K om m unikation Beteiligten zu b e­
rücksichtigen hat, können V erfahren der K onkretisierung oder der Subjek79
tivierung erforderlich werden. Der Begriff S prachkultur bezieht sich dann
auch auf das Niveau, au f dem von solchen kom m unikativen N orm en Ge­
brauch gem acht wird.
Dies führt uns zu einer — sicher noch etwas provisorischen — Zusam m en­
fassung:
S prachkultur gründet sich auf System e von N orm en, die in einer Gesell­
schaft zu einer gegebenen Zeit zur Lösung kom m unikativer A ufgaben
zur Verfügung steh en .7 Insofern ist S prachkultur am Niveau des Umgangs
m it solchen N orm en zu beurteilen. ( “ Umgang” — sta tt “ E inhaltung” —
soll darauf hindeuten, daß auch N orm enübertretungen und Norm enver­
änderungen möglich sein müssen). Zu einem gesellschaftlichen Problem
wird Sprachkultur im Ergebnis sozial bedingter U nterschiede im Zugang
zur N orm enaneignung. Entsprechende Aufgaben orientieren sich dann
daran, den Zugang insbesondere von sozialen Beschränkungen freizum a­
chen. Der linguistische Teil dieser A ufgabe besteht darin, erforderliche
G rundlagen und A bsicherungen bereitzustellen. Diese reichen von der
G rundlagenforschung über H andbücher bis zur Förderung des allgemei­
nen Sprachbew ußtseins in einer Gesellschaft. Und dam it können sie —
letzten Endes und hoffentlich — auch zu einem verm ehrten Reflektieren
über Sprache beitragen, das seinerseits auf die A rt und Weise zurückzu­
wirken vermag, in der die Individuen von der Sprache G ebrauch m achen.
A nm erkungen
1
Ober die tschechoslowakischen Quellen und ihre W eiterentwicklungen geben
die beiden Bände “ Grundlagen der Sprachkultur” recht gute A uskunft. Zu
den bereits in den 20er Jahren einsetzenden sow jetischen Bemühungen um
die Sprachkultur fehlt bisher leider eine deutschsprachige Zusammenstellung
oder Darstellung.
2
Zur Kritik eines nur w eiten Kulturbegriffs vgl. auch W arneken 1981.
3
Zum Begriff der Norm vgl. H artung 1977.
4
Vgl. etw a H artung/Schönfeld 1981.
5
Angesichts zahlreicher M ißverständnisse und unnötiger Diskussionen, die Be­
griffe wie “ H ochsprache” , “ Gem einsprache” oder “ L iteratursprache” im m er
wieder auslösen, bevorzuge ich heute “ Standard(sprache)” .
6
Vgl. zu diesem Problem in jüngster Zeit auch Schlieben-Lange 1983.
7
Die teilweise kritische R eaktion von Tagungsteilnehm ern und -beobachtern
auf die ausdrückliche Bindung von Sprachkultur an zugrundezulegende N or­
m en war insofern zu erw arten, als die Ü berbew ertung eines allzu eng verstan­
denen Norm begriffs ja eine der uns von früheren Sprachpflegern und -hütern
hinterlassenen und offenbar noch nicht überall in gleicher Weise abgetragenen
80
H ypotheken ist. Ein ausreichender Grad von N orm enbeherrschung ist nun
einmal für jedes soziale V erhalten vorauszusetzen, und erst recht für ein e n t­
wickeltes und anspruchsvolles. Deshalb gründeten wir unser Herangehen —
nach anfänglich sehr ähnlichen, von M ißtrauen gegenüber jeglicher Norm
geprägten Diskussionen — auf eine Erw eiterung des Norm begriffs. Selbstver­
ständlich um auf diese A rt überkom m ene Maximen zu relativieren und zu
differenzieren und letztlich gerade in diesem Bereich einen stärker reflektier­
ten Sprachgebrauch zu erleichtern. Insofern sehe ich überhaupt keinen Ge­
gensatz etw a zwischen Wimmers (1984) Auffassung und m einer eigenen. Al­
lerdings stellt sich die Fähigkeit zum R eflektieren vielleicht nicht nur spon­
tan ein. Sie m uß auch angeregt, gefördert und m it O rientierungen und Wert­
m aßstäben versehen werden. Oder allgemeiner gesagt: Reflektieren, auch in
Wimmers Sinn, wird erst dann möglich, w enn kom m unikative Erfahrung ver­
allgemeinert und auf Inhalte eines öffentlichen oder jedenfalls überindividuel­
len Bewußtseins bezogen wird. Und das geht wohl nicht ganz ohne Sprach­
ku ltu r “ von o b e n ” . (A ndernfalls bekäm e “ S prachkultur” einen ganz anderen
und sicher sehr engen, w enn nicht elitären Inhalt: man hat sie, oder man hat
sie nicht). Das Anregen, Fördern und O rientieren sollte — das jedenfalls ist
unsere Position —in einer vernünftigen, wissenschaftlich begründeten und
toleranten Weise erfolgen, m itgetragen von einer Linguistik, die all das be­
denkt und einbringt, was sie sich in den letzten Jahrzehnten an Einsichten
erarbeitet hat. Gerade deshalb ist die Bezugnahme auf erste oder zweite
Schritte in der Verwirklichung von S prachkultur nicht einfach als das alter­
native Beziehen von konservativen oder progressiven Positionen interpretier­
bar; für konservativ hielte ich in diesem Zusam m enhang eher eine Linguistik,
die ihre eigenen Einsichten nicht (m ehr) wahrhaben will.
L iteratur
Grundlagen der Sprachkultur. Beiträge der Prager Linguistik zur Sprachtheorie und
Sprachpflege. Hrsg. von J. Scharnhorst und E. Ising. Teil 1: 1976, Teil 2:
1982. Berlin.
Hartung, W. (1977): Zum Inhalt des Norm begriffs in der Linguistik. In: Normen
in der sprachlichen K om m unikation, Berlin, S. 9-69.
Hartung, W ./Schönfeld, H. u.a. (1981): K om m unikation und Sprachvariation. Berlin.
Schlieben-Lange, B. (1983): T raditionen des Sprechens. S tuttgart.
Warneken, B.J. (1981): Neuer K ulturbegriff und alternative K ulturpraxis. Ober das
B edeutungsspektrum einer “ nicht-affirm ativen” K ulturauffassung. In: J. Held
(Hrsg.), Kunst und A lltagskultur, Köln, S. 13-24.
Wimmer, R. (1984): Sprachkultivierung durch Sprachkritik: Ein Plädoyer für reflek­
tierten Sprachgebrauch. — In: Institut für deutsche Sprache Mannheim, Mit­
teilungen 10, “A spekte der S prachkultur", S. 7-28.
81
Sprachkultur und Institutionen
GERHARD STICKEL
Vorbemerkungen über ‘‘Sprachkultur und Institutionen”
Zu den A spekten des vieldeutigen A usdrucks Sprachkultur gehört die
Betrachtung von V oraussetzungen und Zielen, die Institu tio n en m it ih­
ren au f Sprache und Sprachgebrauch gerichteten A ktivitäten verbinden.
Neben den E inrichtungen des Bildungswesens gehören hierher vor allem
die Institutionen, die Sprache n icht nur als Teil gesellschaftlicher Kul­
tu r insgesamt, als Medium aller sozialen und individuellen V erhaltens­
weisen und H andlungsform en untersuchen und beschreiben, die es sich
vielmehr zur A ufgabe gem acht haben, auf den Sprachgebrauch der Ge­
sellschaft kultivierend einzuw irken: durch N orm setzungen, G ebrauchs­
em pfehlungen, Sprach(gebrauchs)kritik oder auch durch die Förderung
von beispielgebendem Reden und Schreiben.
Das In stitu t für deutsche Sprache hat sich in seiner zwanzigjährigen Ge­
schichte nur hin und w ieder m it Fragen der sprachkultivierenden Wir­
kungen seiner A rbeiten befaßt. Nach seinem generellen Forschungsauf­
trag kam und kom m t ihm in erster Linie die A ufgabe zu, in Zusam m en­
arbeit m it Sprachw issenschaftlern an den H ochschulen durch die Beobach­
tung und Beschreibung des gegenwärtigen Sprachgebrauchs Wissen über
die lexikalischen Einheiten und gram m atischen S trukturen des Deutschen,
einschließlich der situativen und sozialen Bedingungen sprachlicher Ä uße­
rungen, verfügbar zu m achen. Da verantw ortliche W issenschaft sich im ­
mer wieder auch m it der Frage der W irkungen ihrer Ergebnisse auseinan­
dersetzen sollte, n u tz te das In stitu t seine ‘Jubiläum stagung’, um in einer
gesonderten Sektion “ Sprache und In stitu tio n en ” die Erfahrungen und
Meinungen der V ertreter von drei E inrichtungen näher kennenzulernen,
die m it dem erklärten Ziel gegründet w urden, zur K ultivierung des D eut­
schen beizutragen.
Das Them a “ S prachkultur und In stitu tio n en ” w urde bew ußt neutral
form uliert. Das und zwischen den beiden them atischen G rößen erlaubt
es, die Beziehungen zwischen S prachkultur und Institutio n en verschie­
denartig zu deuten und etw a als Sprachkultur durch, wegen, in, von
oder m it Institutionen näher zu bestim m en. D enkbar wären auch Be­
trachtungen über S prachkultur ohne, tro tz oder gegen Institutionen.
Mit dem und w urde der allgem einste Beziehungsausdruck des D eutschen
82
gewählt, um die R eferenten n icht von vornherein auf eine bestim m te
w ertende Sichtweise festzulegen, ihnen vielm ehr die M öglichkeit zu ge­
ben, ihre Beziehungen zur S prachkultur aus der Sicht der Institutionen,
für die sie sprachen, zu spezifizieren.
Daß auch nur einer der drei Kollegen diese Beziehung prinzipiell negativ
bew erten würde, war ohnehin unw ahrscheinlich. Eine Institution, die
ihre sprachbezogenen A ktivitäten unabhängig von den verschiedenen
A spekten von S prachkultur sieht, ist nun einmal schw er vorstellbar. Je­
der Linguist weiß inzwischen, daß die Maxime des frühen am erikanischen
Strukturalism us “ Leave your language alone!” auch in der beschreiben­
den Sprachw issenschaft zu A porien führt, die sich allenfalls durch den
V erzicht, Forschungsergebnisse zu veröffentlichen, letztlich den Ver­
zicht, überhaupt zu sprechen und zu schreiben, vermeiden ließen. Ver­
schiedene A uffassungen kann es nur von der N otw endigkeit, den Zielen
und Folgen individueller und institutioneller Sprachkritik, Norm setzung
und N orm anw endung geben, die auf das Sprachverhalten unm ittelbar
g erichtet sind und nicht wie ‘reine’ Sprachbeschreibung lediglich m ittel­
bar zur Stabilisierung oder V eränderung einer Sprache beitragen.
Einrichtungen, die sich nach dem jeweiligen V erständnis von Sprache
und ihren F unktionen die Kultivierung des D eutschen zur A ufgabe ge­
m acht haben, gibt es im deutschen Sprachgebiet bekanntlich seit dem
17. Jahrhundert, als nach dem V orbild der F lorentiner Accademia della
Crusca und dann der französischen Académie zunächst kleinere Sprach­
gesellschaften, -genossenschaften und -orden entstanden und schließlich
die verschiedenen staatlich geförderten, gelegentlich auch von der Obrig­
keit behinderten W issenschaftlichen A kadem ien m it ihren philosophisch­
literarischen oder philologischen Klassen. Die Bedeutung dieser Gesell­
schaften und A kadem ien für die Entw icklung der überregionalen S tan­
dardsprache, der “ H auptsprache” (s. Justus Georg Schottel(ius), “ Aus­
führliche A rbeit von der Teutschen H aubt S prache” , 1663), besonders
für die Lexik des D eutschen, ist in vielen Einzelheiten bekannt und be­
schrieben. Die A usw irkungen, welche die Bemühungen der Sprachvereine
im 19. Jah rh u n d ert und zu Beginn dieses Jahrhunderts auf den deutschen
W ortschatz h atten , sind heute un ter anderem an den T exten der Verwal­
tung und des Rechtswesens zu erkennen.
Für die Gegenwart gilt aber w eiterhin, daß es im deutschen Sprachgebiet
keine Einrichtung gibt, die nicht nur nach A nspruch oder A uftrag, son­
dern aufgrund tatsächlicher A rbeitsm öglichkeiten um fassende Aufgaben
der Kultivierung der deutschen Sprache insgesamt hat, so wie sie etwa
von der Académie Française m it den von ihr abhängigen Einrichtungen
für das Französische w ahrgenom m en w erden. Man mag dies für einen
83
großen Mangel halten und die dafür verantw ortliche politische Situation
in M itteleuropa oder auch das schwach ausgeprägte Sprachbew ußtsein
der staatlichen Organe in den deutschsprachigen Ländern beklagen. Es
gibt andererseits kluge Franzosen, die nicht alle Entscheidungen ihrer
Academie für weise halten und die Folgen der akadem ischen N orm set­
zungen nicht im m er als G ewinn für die französischen Sprache b etrach­
ten. Ob eine “ B undesanstalt für deutsche Sprache” weisere E ntschei­
dungen treffen würde, ist sehr zw eifelhaft. Eine solche S prachbehörde
wird zur Zeit glücklicherweise ebensowenig erwogen wie ein Sprachrei­
nigungsgesetz, wie es seit einigen Jahren einm al w ieder von O rganisatio­
nen wie der “ G esellschaft für K ultur, S itten und S prache” (Düsseldorf)
gefordert wird.
Die folgenden Beiträge sollen dazu dienen, ein deutlicheres Bild von
drei Institutionen in der B undesrepublik zu verm itteln, die schon seit
längerer Zeit zur K ultur, zur K ultivierung des D eutschen beitragen:
— die D uden-R edaktion des Bibliographischen In stituts (M annheim)
— die D eutsche Akadem ie für Sprache und D ichtung (D arm stadt)
— die Gesellschaft für deutsche Sprache (Wiesbaden).
Sollten diese K urzreferate von G ünther D rosdowski, Hans-Martin Gauger
und O tto Nüssler den E indruck einer sinnvollen A rbeitsteilung verm it­
teln, die auch erkenntnisfördernden W ettbew erb in einzelnen Ü berschnei­
dungsbereichen nicht ausschließt, so wäre dies auf jeden Fall ein Gewinn.
Im In stitut für deutsche Sprache haben die Beiträge der drei Kollegen
zusammen m it den anderen R eferaten der Tagung die Diskussion über
die A nw endungsorientierung der eigenen Forschungsarbeiten belebt.
Die ohnehin naheliegende Einsicht, daß auch die V erm ittlung von Er­
gebnissen sprachw issenschaftlicher Forschung sprachliches H andeln ist,
dessen Folgen über die unm ittelbaren A dressaten innerhalb der engeren
F achöffentlichkeit hinaus zu bedenken sind, h at sich dabei verstärkt.
Diese Diskussion dauert an.
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GÜNTHER DROSDOWSKI
Die Dudenredaktion
“ Das ‘Bibliographische In stitu t’ in M annheim ist ein als Aktiengesellschaft
organisierter Verlag, der u.a. den Großen Duden und verschiedene Publika­
tionsreihen herausgibt. Der A rbeitsbereich der D udenredaktion um faßt so­
wohl D atensam m lung und Beschreibung als auch Bewertung und sprachlenkende Handlungsanweisung. Die wesentliche M aßnahme zur Durchset­
zung der Sprachlenkung ist im Falle der Duden-Bände der A kt ihrer Veröf­
fentlichung. Die Regelungen wirken dank der faktischen M onopolstellung
des Dudens und seiner Om nipräsenz im Ausbildungsbereich, in den Massen­
medien, im Druck- und Verlagswesen und bei allen schreibenden Berufen
für die öffentliche und öffentlichkeitsnahe Sprache norm ativ, obwohl sie
m eist als Em pfehlung form uliert w ird.”
Dieses m it wenigen Strichen gezeichnete Bild der D udenredaktion ver­
danken Sie W alther D ieckm ann. Sie finden es in seinem Beitrag “ Sprachlenkung/S prachkritik” , der im “ L exikon der germ anistischen Linguistik”
(2. Aufl. Tübingen 1980, S. 512) nachzulesen ist. Ich w erde diesem Bild
der D udenredaktion “von außen” ein Bild der D udenredaktion “von in­
n en ” n icht entgegenstellen, sondern ergänzend zur Seite stellen, und auch
ich werde mich dabei auf einige heraushebende Striche beschränken:
Die D udenredaktion ist die germ anistisch-sprachwissenschaftliche A btei­
lung im Verlag Bibliographisches In stitu t in M annheim . Das Bibliographi­
sche In stitu t ist ein Privatverlag — ich betone das noch einm al m it N ach­
druck, weil im In- und A usland die A nsicht w eit verbreitet ist, daß der
Verlag, in dem der D uden m it der am tlichen R echtschreibung erscheint,
ein Staatsverlag oder aber ein staatlich subventionierter Verlag sei. Das
ist keineswegs der Fall. Der S taat h at 1901 am tliche Regeln für die
R echtschreibung erlassen — es war übrigens das erste und einzige Mal,
daß offiziell in die deutsche Sprache eingegriffen w orden ist —, der S taat
h at aber keine Stelle geschaffen, die die Schreibweise der W örter nach
den am tlichen Regeln festlegt. Im Prinzip h at also jeder die Möglichkeit,
eine R echtschreibung der deutschen Sprache zu verfassen, und der Du­
den ist auch keineswegs das einzige orthographische W örterbuch, es gibt
eine stattliche Reihe davon.
Die V erbindung zwischen dem von Joseph Meyer 1826 gegründeten
“ Bibliographischen In s titu t” und D uden rührt daher, daß Konrad D uden
1880 — dam als königlicher G ym nasialdirektor in Bad Hersfeld — im
Bibliographischen In stitu t in Leipzig sein “Vollständiges orthographi­
sches W örterbuch” herausbrachte, das Buch, das — wie Sie wissen — auf
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der Grundlage der preußischen Schulorthographie die Einheitsschrei­
bung im deutschen Sprachraum herbeiführte. Für die N eubearbeitung
dieses “ O rthographischen W örterbuchs” nach den Beschlüssen der staat­
lichen R echtschreibkonferenz von 1901 setzte das Bibliographische In­
stitu t zur U nterstützung K onrad Dudens im eigenen Haus R edakteure
ein und schuf dam it die Keimzelle der D udenredaktion.
Der eigentliche A ufbau der D udenredaktion begann u n te r der externen
Leitung von O tto Basler in den 30er Jahren im Zusam m enhang m it dem
Bestreben des Verlages, w eitere Nachschlagewerke über die deutsche
G egenwartssprache herauszubringen. Der Verlag schlug dam it einen Weg
ein, den Konrad D uden selbst m it seinen N eubearbeitungen der “ G rund­
züge der neuhochdeutschen G ram m atik” von Bauer und der “ E tym olo­
gie der neuhochdeutschen Sprache” von Bauer-Form m ann bereits vor­
gezeichnet hatte. O tto Basler schuf die G rundlage für die w issenschaft­
liche A rbeit der D udenredaktion. Er ließ system atisch Belege aus dem
S chrifttum der G egenwartssprache sammeln und sorgte für den Aufbau
einer sprachwissenschaftlichen Bibliothek. A ußerdem stellte er den K on­
ta k t zur Sprachgem einschaft her, indem er eine Sprachberatungsstelle
einrichtete. Der N euaufbau der D udenredaktion nach 1945 in M annheim
fand u nter der Leitung von Paul G rebe statt. Er organisierte vor allem
die Zusam m enarbeit m it der germ anistischen Forschung und baute die
D udenredaktion zu einer germ anistisch-sprachwissenschaftlichen A r­
beitsstelle aus.
In der D udenredaktion arbeiten im allgemeinen fünfzehn bis zwanzig
w issenschaftliche M itarbeiter. Zu diesen festangestellten M itarbeitern
kom m en als freie M itarbeiter acht bis zehn E xzerptoren. Sie bauen nach
den Anweisungen der D udenredaktion die S prachkartei auf, indem sie
T extausschnitte auf K arteikarten übertragen. In Österreich und in der
Schweiz gibt es Dudenausschüsse, die die besonderen Ausprägungen der
deutschen Standardsprache, vor allem den spezifischen W ortschatz, in
diesen Gebieten erfassen. Die Ergebnisse ihrer A rbeit leiten die Ausschüs­
se der D udenredaktion zu, die sie in die G ram m atik und in die verschie­
denen W örterbücher einarbeitet.
Die D udenredaktion arb eitet außerdem m it einer Reihe von Ausschüssen,
A rbeitsstellen und Instituten zusam m en, die sich gleichfalls m it der d eu t­
schen Gegenwartssprache beschäftigen, z.B. m it dem In stitu t für deutsche
Sprache vor allem über die “ Kommission für R echtschreibfragen” und
die “ Kommission für Sprachentw icklung” oder m it dem “ Ständigen
A usschuß für Geographische N am en” (StAGN), der die Schreibung geo­
graphischer Namen festlegt und d i e N am enform en erm ittelt, die heute
im mündlichen und schriftlichen G ebrauch in der Bundesrepublik ver­
86
r
w endet w erden sollen. F erner arbeitet die D udenredaktion im Ausschuß
“Sprache und T echnik” des Vereins D eutscher Ingenieure (VDI) mit.
In diesem Ausschuß w erden für den Ingenieur und T echniker Richtlinien
für den Umgang m it der Sprache erarbeitet. So ist es z.B. wichtig, den
Ingenieuren und T echnikern die W ortbildungsm öglichkeiten unserer Spra­
che aufzuzeigen, dam it sie Arbeitsvorgänge, G eräte und Produkte benen­
nen können. Auch im DIN, dem D eutschen In stitu t für Norm ung, ist die
D udenredaktion vertreten und arbeitet in m ehreren Ausschüssen an der
N orm ung m it. Eine Reihe wichtiger N orm blätter ist u n te r M itwirkung
der D udenredaktion erstellt w orden, z.B. die Regeln für M aschinenschrei­
ben, die Regeln für das alphabetische O rdnen, das N orm blatt über Begrif­
fe und Benennungen und die G rundsätze für die A usarbeitung von Fach­
w örterbüchern.
Die D udenredaktion h at die Aufgabe, Nachschlagewerke über die d eu t­
sche Sprache zu erarbeiten und die bereits erarbeiteten ständig auf dem
neuesten Stand zu halten. Um diese Aufgabe zu erfüllen, führt sie U nter­
suchungen zu den historischen und strukturellen Gesetzm äßigkeiten der
deutschen Sprache — als V orlaufsforschung zu einzelnen Projekten und
generell — durch und beschäftigt sich grundsätzlich m it Fragen der K odi­
fikation der deutschen Sprache.
Für ihre A rbeit hat sich die D udenredaktion zwei Grundlagen geschaffen:
Die eine ist die Sprachkartei m it m ehr als drei Millionen Belegen aus dem
S chrifttum der Gegenwart. Diese Sprachkartei ist so angelegt, daß sie
eine D okum entation der deutschen Gegenwartssprache in ihrer ganzen
Vielschichtigkeit erm öglicht. An Hand der Belege kann die D udenredak­
tion den W ortschatz system atisch erfassen und darstellen, darüber hinaus
den Bewegungen im W ortschatz nachgehen und sich ein Bild von der Pro­
du k tiv ität der deutschen Sprache und vom Einfluß anderer Sprachen
auf das D eutsche m achen. Sie kann m it Hilfe der Sprachkartei außerdem
U ntersuchungen zum Sprachgebrauch und zu V eränderungen im gram­
matischen Bau durchführen und kodifizierte N orm en überprüfen.
Die zw eite G rundlage für die A rbeit der D udenredaktion ist das M aterial
der Sprachberatungsstelle. Die Sprachberatungsstelle erhält jährlich etwa
achttausend bis zehntausend Anfragen, die von einfachen Fragen zur
Schreibung und A ussprache über gram m atische und sem antische Fragen
bis zu kom plizierten linguistischen Fragestellungen reichen: Ein Betrieb,
der einen M itarbeiter ehren will, fragt z.B. an, ob es “für 25 Jahre treue
M itarbeit” (appositionelles V erhältnis) oder “ für 25 Jahre treuer M itar­
b e it” (Genitivus partitivus) heißen muß. Ein Schüler, der in seinem A uf­
satz geschrieben h at “Mein Fahrrad w ar k a p u tt” , beschw ert sich über
seinen Lehrer, der ihm ka p u tt als gossensprachlich angestrichen hat.
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Rechtsanw älte m öchten für die V erteidigung ihrer M andanten wissen,
ob Bulle ein abw ertender oder verächtlicher A usdruck für Polizist sei.
Alle Anfragen bei der Sprachberatungsstelle der D udenredaktion wer­
den aber nicht nur im Rahm en der praktischen Sprachpflege beantw or­
tet, sondern auch gesam m elt, nach verschiedenen G esichtspunkten ver­
schlüsselt und für die A rbeit der D udenredaktion ausgew ertet. Aus den
Anfragen gew innt die D udenredaktion auch Aufschlüsse über diejenigen
Bereiche der deutschen Gegenwartssprache, die nicht fest gefügt sind
und in denen die Sprache im Wandel begriffen ist, und kann d o rt dann
gezielt U ntersuchungen ansetzen.
Wer den W ortschatz der deutschen Sprache dokum entiert, wer die A uf­
gabe hat, W örterbücher zu schreiben, der kom m t nicht um hin, sich mit
Fragen der N orm zu beschäftigen, der wird — selbst w enn er es nicht
will — sprachlenkend tätig. Ich sehe hier einmal bew ußt von den o rth o ­
graphischen Fixierungen, A usspracheangaben und anderen Angaben im
W örterbuch ab, die norm ativ gedacht sind oder jedenfalls norm ierend
wirken. Schon allein die Erfassung des W ortschatzes, speziell die B ehand­
lung der Neologismen, ist eine Frage der Norm , w enn auch bei uns nicht
eine so hochdram atische wie beim “ D ictionnaire de l’A cadem ie” in
Frankreich. Soll eine im politischen Tagesgeschehen gebildete Zusam­
mensetzung wie Verweigerungskoalition registriert w erden, sollen Bil­
dungen der W erbesprache wie kentersicher (von B ooten) oder k n itte r­
arm (von Textilien) aufgenom m en werden? Was ist gar m it den leicht­
verderblichen W örtern der Jugendsprache, sollen auch V erstärkungsbil­
dungen wie affengeil oder saustark und K om m entarw örter wie ätz, heul,
würg in das W örterbuch Eingang finden?
Die D udenredaktion u rteilt in dieser Hinsicht w eitaus differenzierter als
die naiven Sprachpfleger, die m eist unter dem Banner “ K am pf dem Wör­
terbäckerdeutsch” gegen alles, was in der Sprache neu ist, zu Felde zie­
hen, Bildungen wie etw a Ellbogengesellschaft, fam ilienfeindlich, b ezu ­
schussen, verunklaren nach individuellem G eschmack als unschön oder
gedankenlos anprangern oder aber gegen die A ufnahm e von unverzicht­
bar in den D uden S turm laufen, obw ohl diese Bildung schon im 19. Jah r­
hu ndert im Gebrauch war, als A djektive m it -bar in passivisch-modaler
Bedeutung auch noch zu intransitiven V erben gebildet w erden konnten.
Auch aus der F lu t der Entlehnungen kann derjenige, der den W ortschatz
der Gegenwartssprache kodifiziert, heute nur noch sprachkritisch aus­
wählen — das wird jedem einsichtig, der deutsche Zeitungen und Zeit­
schriften liest und d o rt täglich auf neue E ntlehnungen wie canceln, flo a ­
ten, powern, big, free, cheek to cheek, M obster stößt. Wenn auch die
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Klage über die Ü berfrem dung der deutschen Sprache n ich t uneingeschränkt
berechtigt ist, da zahlreiche F rem dw örter zu bestim m ten F achsprachen
gehören, also eigentlich Fachausdrücke sind, kann es doch keinen Zweifel
daran geben, daß die Verständigung durch den gewaltigen E inbruch von
F rem dw örtern angloam erikanischer H erkunft erheblich g estö rt wird.
G em äß ihrem A uftrag, Nachschlagewerke über die deutsche Sprache zu
schreiben, hat die D udenredaktion natürlich die A ufgabe, auch das F rem d­
w ortgut m öglichst vollständig zu erfassen und den B enutzern zugänglich
zu m achen — zum al gerade bei F rem dw örtern das Fragebedürfnis (Schrei­
bung, Aussprache, Bedeutung) besonders groß ist. Indem sich die D uden­
redaktion für die A ufnahm e eines Wortes in den D uden entscheidet, fällt
sie den R ichterspruch, daß diesem W ort ein fester Platz in d er deutschen
Sprache zukom m t. O hne es zu wollen, trägt sie dazu bei, daß ein W ort,
das sich vielleicht nur langsam oder überhaupt nicht durchgesetzt h ätte,
in den allgem einen Sprachgebrauch übergeht. Die D udenredaktion ver­
sucht zwar nicht nur ihrer V erantw ortung gegenüber dem Benutzer,
sondern auch gegenüber d er Sprache gerecht zu w erden, indem sie viele
englische W örter, m it denen sich vor allem Journalisten, M oderatoren,
Politiker zu profilieren oder herauszuputzen versuchen, nicht registriert —
sie bew irkt dam it aber m. E. viel zu wenig.
Die ungeheure F lu t von Anglizismen u nd A m erikanism en stellt heute
ohne Frage ein Problem für unsere Sprache dar, ein Problem, das man
bestim m t nicht m it dem Hinweis beiseite schieben kann, daß dann das
D eutsche eben wie im M ittelalter das Englische eine Mischsprache w ird
und dann auch Chancen hat, eine W eltsprache zu werden! Vor allem im
Bereich der inneren E ntlehnung haben die N achahm ungen und Ü bernah­
men ein A usm aß erreicht, daß die K om m unikation erheblich b eein träch ­
tigt wird (vitale Interessen sta tt lebensw ichtige Interessen -, das m acht
keinen Sinn sta tt das gibt/ergibt keinen Sinn; in 1945 sta tt int Jahre 1 9 4 5
oder nur 1945). Ich bedauere sehr, daß eine Sprachgesellschaft wie die
G esellschaft für deutsche Sprache nichts in dieser H insicht u n ternim m t
und sich aus A ngst, der D eutschtüm elei geziehen zu werden, bedeckt
hält.
Was für die Lexikographie gilt, das trifft selbstverständlich auch für die
G ram m atikschreibung zu. Jede G ram m atik, selbst w enn sie V arianten
nicht ausschließt und auf die Klärung von N orm unsicherheiten verzich­
tet, hat auch norm ierende Wirkung, weil jede G ram m atikdarstellung
auswählen, vereinfachen, abstrahieren m uß, weil n ich t alle implizit gel­
tenden Regeln, die die G ram m atik explizit zu m achen hat, in vollem
Umfang gelten und überall und im m er im deutschen Sprachgebiet b efo lg t
89
werden. Dem U m stand, daß unsere Sprache kein in sich geschlossenes
System ist, sondern nur ein system ähnliches Gebilde m it geschichtlichen,
landschaftlichen und sozialen V arianten, versucht die D udenredaktion
durch eine differenzierte, der unterschiedlichen S ystem atizität entspre­
chende D arstellung und eine offene N orm gerecht zu w erden. Sie be­
schreibt prim är, sie führt die Breite des Üblichen vor, verschweigt nicht
konkurrierende W ortform en und Verwendungsweisen, sondern erläutert
sie, und sie achtet darauf, daß Sprachgebrauch und kodifizierte Norm
nicht auseinanderklaffen. Die D udenredaktion bleibt aber nicht bei der
D eskription stehen, sondern klärt auch N orm unsicherheiten — allerdings
erst nach einer genauen Analyse der strukturellen und historischen Ge­
setzm äßigkeiten. Sie erfüllt hier die Aufgabe einer w eiterentw ickelten
“kritischen Sprachw issenschaft” , der sich die Sprachw issenschaftler seit
dem Beginn unseres Jah rhunderts im m er m ehr entzogen haben — ich
meine zu U nrecht und halte es für dringend notw endig, daß die th eo re­
tischen Grundlagen und Aufgaben einer von autoritären und apodikti­
schen Schlacken gereinigten “ kritischen Sprachw issenschaft” in unserer
Zeit neu bedacht w erden.
D am it wir uns n icht m ißverstehen: Auch ich träum e wie die meisten
Linguisten von einer Sprache, in der es — in den W orten Nietzsches —
keine R ichter gibt, die urteilen und verurteilen, sondern in der der schöp­
ferische Mensch bestim m t. Ich weiß aber auch, daß das ein W unschtraum
ist, der sich n icht verw irklichen läßt, und daß der Weg zur sprachlichen
Mündigkeit, zum souveränen Umgang m it Sprache und zur schöpferi­
schen Sprachhaltung über die Erlernung und K enntnis der N orm en geht.
Werfen wir, um uns ein Bild dazu zu m achen, was die D udenredaktion
für die S prachkultur leistet, noch einm al einen Blick zurück: Das “ O rth o ­
graphische W örterbuch” K onrad Dudens, das vor fast genau 100 Jahren
in Leipzig erschien, stand noch ganz im Zeichen des Ringens um eine
einheitliche deutsche Rechtschreibung. Seine einfachen, kahlen W ort­
listen dienten ausschließlich dem Zweck, die Schreibung der W örter
festzulegen und einen übereinstim m enden Schreibgebrauch herbeizufüh­
ren. Es sollte, so kennzeichnete Konrad D uden seine Aufgabe, “ R icht­
schnur für die am tlich geregelte Rechtschreibung sein” .
Aus diesem rein orthographischen W örterbuch, das auf 187 Seiten die
Schreibweise von 27 000 W örtern fixierte, entw ickelte sich im Laufe
der Jahrzehnte das V olksw örterbuch der deutschen Sprache, und im
Abglanz der norm ierten Rechtschreibung bekam en auch alle anderen
Festlegungen in diesem W örterbuch und dann auch in anderen D uden­
bänden autoritative G eltung — der D uden w urde zur obersten Sprachinstanz. Wollte m an wissen, ob m an Fron m it oder ohne h schreibt, ob es
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g ew in k t oder gew unken heißt, ob wegen den Genitiv oder Dativ regiert —
D uden locutus est, causa finita est, der D uden sprach, und die Sache war
erledigt!
Die D udenredaktion sichert m it dem D uden also n icht nur die E inheit­
lichkeit der R echtschreibung, sie trägt m it ihrer A rbeit auch ganz en t­
scheidend dazu bei, die Standardsprache zu stabilisieren, die Z entrifu­
galkräfte in der Sprache zu brem sen und die K on tin u ität der Sprache
zu sichern — dies um so m ehr, als Sprachakadem ien und Sprachgesell­
schaften in unserer Zeit an B edeutung verloren haben. Die D udenredak­
tio n greift regulierend in das Sprachgeschehen ein, setzt sprachliche
N orm en und setzt sie m it W örterbüchern und G ram m atiken durch. Die
Legitim ation dazu leitet sie aus dem allgemein anerkannten G rundsatz
ab, daß unsere G esellschaft eine Sprache braucht, die über regionale,
soziale, berufliche und andere Schranken hinweg verständlich ist, die
in der Schule gelehrt und erlernt w erden kann und die Politik, K ultur
und W issenschaft verläßlich verm ittelt.
Der D uden w ird h eu te allgemein als oberste Instanz in sprachlichen
Dingen akzeptiert. Das schließt natürlich nicht aus, daß an der A rbeit
der D udenredaktion auch K ritik geübt wird. Allerdings ist das Lager der
K ritiker gespalten: Die einen werfen der D udenredaktion vor, zu un­
nachgiebig zu sein, den lebendigen F luß der deutschen Sprache bürokra­
tisch einzuengen und zu viele N orm en zu setzen — ich erinnere hier nur
an die bitterbösen W orte H erm ann Hesses, der den D uden einen “ Popanz
und G o tt der eisernen Regeln und m öglichst vollkom m enen N orm ierung”
n an n te (nach R. K öster, D ik tatu r des Dudens? In: Sprachpflege 3, 1954,
S. 25). Die anderen w erfen dem D uden dagegen vor, daß er nicht streng
genug an den alten Regeln festhalte und o ft sogar “ zwei M öglichkeiten
zulasse” , daß er zu nachgiebig und tolerant sei und vor der Sprachent­
w icklung kapituliere. Ich zitiere die “ F rankfurter Allgemeine Zeitung”
(9 .7 .1 966): “ Die Neigung sich anzupassen, h at in der D udenredaktion
zugenom m en. Der D uden stellt sich nicht mehr. Er bietet den Unarten
der Umgangssprache nicht m ehr kühl die Stirn, er ist nicht m ehr Reib­
fläche, sondern Sam m elplatz und Tum m elplatz für die losgelassenen
W örter, die sich in schlechter Gesellschaft herum getrieben haben und
nun, verform t, verunstaltet, Einlaß begehren, der ihnen genehm igt wird.
Der D uden ist geduldig gew orden, lieb. Ein guter O nkel m it Pilzkopf­
frisur, eine reizende T ante im K leidchen von Courreges ...” . Und noch
eine Stim m e m öchte ich Ihnen zu G ehör bringen, es ist die Stim m e
Wolf Schneiders. Ich zitiere aus seinem Buch “ D eutsch für Profis”
(Ham burg 1982, S. 12): “ N ichts kann unser Sprachgefühl so beleidigen,
als daß der D uden es n icht getreulich und kom m entarlos wiedergäbe.
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Während beim Skispringen im m er noch K am pfrichter über die korrekte
Haltung wachen (und durchaus n icht im m er den zum Sieger erklären,
der am w eitesten gesprungen ist), h at die D udenredaktion ohne N ot ihr
R ichteram t gegen eine Registratur vertauscht.”
Nun, wer die A rbeit der D udenredaktion kennt, der weiß, daß diese sich
gegenseitig aufhebenden K ritiken — wenn man n icht Einzelfälle im Auge
hat — nicht zutreffend sind. Die D udenredaktion hin k t nicht h in ter der
Sprachentw icklung her und konserviert nicht überholte N orm en, sie eilt
aber auch nicht der Sprachentw icklung voraus; sie bem üht sich, verant­
w ortungsbew ußt und m it dem rechten A ugenm aß der Gesellschaft und
der Sprache gerecht zu w erden.
Sprache ist, wie Alan G ardiner es einmal ausgedrückt h at (The T heory
o f Speech and Language, O xford ^1963, S. 62), eine A rt Wissenschaft,
die jeder Mensch unbew ußt ausübt. Die A ufgabe der Sprachw issenschaft
b esteh t darin, das, was jeder Sprecher u n b e w u ß t ausübt, bew ußt
zu machen. Die D udenredaktion erfüllt diese A ufgabe in W örterbuch
und G ram m atik. Ihr w ichtigster Beitrag zur S prachkultur ist es, vernünf­
tige W örterbücher und G ram m atiken zu schreiben und Wissen über Spra­
che in allgem einverständlicher Form zu verm itteln.
92
HANS-MARTIN GAUGER
Bericht über eine Akademie
Diejenigen, die etwas gegen sie haben, nennen sie die “ D arm städter
A kadem ie” . Sie selbst aber nen n t sich “ D eutsche A kadem ie” ; “ Deutsche
Akadem ie für Sprache und D ichtung” . Daß D arm stadt ihr Sitz ist, ist
in der T at historische K ontingenz. Die D eutsche Akadem ie wird in
diesem Jahr 35 Jahre alt. Ihr A lter ist also — dies wird kaum überra­
schen — erheblich geringer als das durchschnittliche A lter ihrer Mitglie­
der. Gegründet w urde die “ D eutsche A kadem ie” — und hierin, natürlich,
lag keine K ontingenz — am zw eihundertsten G eburtstag G oethes: die
Proklam ation erfolgte am 28. A ugust 1949, und sie erfolgte in der Pauls­
kirche ... Zum Vergleich: das V orbild aller Sprachakadem ien, die be­
rühm te F lorentiner “A ccadem ia della Crusca” , w urde 1582 gegründet.
Die noch berühm tere “Académ ie française” gründete 1635, m it Hilfe
einiger Intellektueller, der K ardinal Richelieu, der bekanntlich sehr
wesentlich Politiker w ar und m it dieser Gründung denn auch — sehr
wesentlich — politische Ziele verband. Es gehe darum , heißt es in den
S tatu ten dieser A kadem ie, der Sprache “feste Regeln zu geben” , “ donner
des règles certaines à n o tre langue et à la rendre pure, éloquente et
capable de traiter les arts et les sciences” . N och prägnanter lau tet das
M otto der “ Real A cadem ia E spañola” aus dem 18. Jah rh u n d ert: “ sie
reinigt, sie setzt fest, und sie gibt G lanz” , “ lim pia, fija y da esplendor” .
Um es von vornherein klarzustellen: m it diesen A kadem ien will sich die
“ D eutsche A kadem ie” n icht nur nicht messen, sondern nicht einmal
vergleichen. Freilich findet sich auch in ihrer Satzung der Passus: “ Die
Akadem ie setzt sich zum Ziel, das deutsche S chrifttum vor dem In- und
Ausland zu vertreten und au f die pflegliche Behandlung der deutschen
Sprache in K unst und W issenschaft, im öffentlichen und privaten Ge­
brauch hinzuw irken” .
Der im vergangenen Jahr nach w ahrhaft erfülltem Leben verstorbene
G erhard S torz hat die Gründung der “ D eutschen A kadem ie” und ihre
ersten Jahre in seinem “ L ebensbericht” anschaulich geschildert (Zwischen
A m t und Neigung, S tu ttg art 1976). Der eigentliche G ründer war, wie
Storz ausführt, der “ebenso rührige wie schweigsame Alleingänger”
Oskar Jancke. Jancke war Schriftsteller und Sprachkritiker. Wäre es
nach ihm gegangen, berichtet Storz, w äre “ Sprachpflege” die wichtigste
und ausschließliche A ufgabe der “ A kadem ie” gew orden. Die allerersten
Sitzungen der “ A kadem ie” scheinen lebhaft, ja laut gewesen zu sein;
93
G erhard Storz: “ der verm ehrte Tonaufw and ... zog ganz von selbst, wie
dies zu gehen pflegt, eine gewisse, allseitige G ereiztheit nach sich. Dem
tatkräftigen Initiator Jancke fehlte es an D urchschlagskraft der Stim m e,
aber er sprach n icht nu r zu leise, sondern auch m it einer gewissen eigen­
brötlerischen V ersto ck th eit” (S. 107). Die “A kadem ie” b rauchte einige
Zeit, bis sie, unter den Präsidenten R udolf Pechei, Bruno Snell, dann
vor allem unter H erm ann Kasack (ab 1953), zu sich selbst gelangte, oder
bescheidener und also richtiger: zu dem , was sie heute ist.
Was ist die “ D eutsche A kadem ie” ? Zunächst: sie ist keine staatliche
Einrichtung. G leichw ohl wird sie, neben privaten, aus öffentlichen M itteln
unterhalten. Sie zählt je tz t rund hundertfünfzig M itglieder, w enn die
korrespondierenden M itglieder, also die, die im A usland residieren, m it­
gezählt w erden. Die M itglieder sind Schriftsteller im engeren Sinn, Kri­
tiker und Professoren. U nter den letzteren dom inieren überwältigend die
L iteraturhistoriker. A usgebildete, exam inierte Sprachw issenschaftler sind
unter den Mitgliedern (von m ir selbst abgesehen) nur drei: G ünther
Drosdowski, Gustav Korlen und Harald Weinrich. So ist es n ich t ver­
w underlich, daß in der “ A kadem ie” insgesamt das Interesse m ehr auf
die L iteratur gerichtet ist als auf die Sprache. D aß ferner die Mitglieder,
vorsichtig ausgedrückt, n icht alle sehr jung sind, liegt in der N atur einer
solchen Einrichtung, auch in der N atur der N atur (im m erhin hat es seine
Reize, einer E inrichtung anzugehören, in der m an m it knapp fünfzig noch
im m er — beinahe — der Jüngste ist). Was tu t die “A kadem ie” ? Sehen
wir einmal davon ab, daß sie — nach einem übrigens ziemlich kom pli­
zierten V erfahren — neue M itglieder k o o p tiert, was ja bereits eine A rbeit
ist, so sind es fünf Aufgaben, die sie sich stellt.
Erstens. Sie veranstaltet jährlich zwei öffentliche Tagungen — eine im
H erbst, eine im Frühjahr — über literarische und sprachliche Them en
m it R eferenten entw eder aus ihrer M itte oder von außerhalb. Die Ta­
gungen im H erbst finden im m er in D arm stadt, die im Frühjahr an w echseln­
den O rten sta tt. Zw eitens. Sie verleiht Preise: den Georg-Büchner-Preis,
den Johann-Heinrich-M erck-Preis für literarische K ritik und Essay, den
Johann-Heinrich-Voss-Preis für Ü bersetzung, den Friedrich-Gundolf-Preis
für G erm anistik im A usland, den Sigmund-Freud-Preis für w issenschaftliche
Prosa. D rittens. Sie publiziert unentdeckte, nicht ausreichend b ekannte
oder vergessene S chriften; neuerdings bringt sie zudem eine ganze Schrif­
tenreihe zur Förderung zeitgenössischer L iteratur heraus. Viertens. Sie
stellt, seit 1964, regelmäßig Preisfragen, die sich auf Sprache oder L ite­
ratu r beziehen. Es begann m it der Frage “ Kann die Sprache die Ge­
danken verbergen?” , die Harald Weinrich m it seiner längst klassischen
Linguistik der Lüge” beantw ortete; die letzte Preisfrage “ Spricht die
94
Jugend eine andere Sprache?” haben Uwe Pörksen und Heinz Weber erfolg­
reich b eantw ortet. Die neueste (noch n icht beantw ortete) lau tet: “ Soll
m an D ichtung auswendig lernen?” Fünftens: Sie führt Projekte durch. Hier
ist zu nennen das — unm ittelbar den Gegenstand unserer Tagung b etreffen ­
de — sogenannte “ S prachnorm enprojekt” , das un ter der L eitung einer von
Harald Weinrich geführten Kommission Schriftsteller, Journalisten und
Sprachw issenschaftler zu m ehreren Tagungen zusam m enbrachte und schließ­
lich zu einer dreibändigen P ublikation bei K lett-C otta geführt hat. Der
T itel der von 1980 bis 1982 erschienenen Bände lautet: “ Der öffentliche
Sprachgebrauch” . Sie behandeln die Sprachnorm -Diskussion in Presse,
F unk und Fernsehen, dann die Sprache des Rechts und der Verwaltung,
schließlich die Rolle der Sprachnorm in der Schule. Das Projekt “ Sprach­
liche N orm en in D eutschland” w urde durch den Stiftungsfonds
“ D eutsche Bank” finanziert; Birgitta Mogge und Ingulf R adtke bildeten
eine zusätzliche A rbeitsstelle am Sitz der “ A kadem ie” . Der zuständigen
Kommission gehörten die H erren Betz, D rosdowski, H eckm ann, K oriin,
Sternberger, Storz und W einrich an. Ich kann an dieser Stelle zu dieser
Publikation, die m ir — gerade in ihrer V ielfalt, auch in ihrer U neinheit­
lichkeit — verdienstvoll zu sein scheint, nichts w eiter sagen; es wäre in
der hier geforderten Kürze nicht möglich. Ich will nur ganz allgemein be­
to n en , daß im Blick auf dieses Projekt die “ D eutsche A kadem ie” ihre
M öglichkeiten, wie m ir scheint, n icht überschätzt, sondern realistisch
eingeschätzt hat. Sie hat auch, um es m it Harald Weinrich zu sagen,
keinen “starren und schulm eisterlichen Sprachbegriff zugrundegelegt” .
“ Wenn ... überhaupt” , fäh rt Weinrich fo rt, “Vorschläge für einen besse­
ren Sprachgebrauch sinnvoll sind, dann wird m an sicher an ausgezeich­
neter Stelle des Vorschlagskatalogs eine T oleranz-Em pfehlung form ulieren
m üssen...” Ich denke, diese drei Bände sind ein bem erkensw erter und
gewiß noch nicht ausreichend rezipierter Beitrag der “ D eutschen A ka­
dem ie” zur S prachkultur unseres Landes. Im übrigen wird es noch eine
interessante Nachlese geben, von welcher ein Teil bereits vorliegt: ich
meine die postum erschienene A rbeit von G erhard S torz “ D eutsch als
Aufgabe und Vergnügen” (S tu ttg art 1984). G ünther Drosdowski wird
so etwas wie einen “ K atechism us” des.Sprachgebrauchs herausbringen,
und Harald Weinrich d en k t an “ M aximen und R eflexionen” über den ­
selben Gegenstand.
Die Sprachkom m ission der “A kadem ie” b erät zur Zeit darüber, ob sie
ein neues Projekt in A ngriff nehm en soll. Sie dachte hier zunächst an
das Them a “Jugendsprache” . Es erschien ihr aber dann als sinnvoller,
erst einmal das Ergebnis des von H elm ut H enne geleiteten analogen
Projekts der “ D eutschen Forschungsgem einschaft” abzuw arten. Dann
95
w urde an das T hem a “W issenschaftssprache” gedacht, vor allem un ter
dem G esichtspunkt der Bedrohung dieser Sprache durch das Englische,
sei es dadurch, daß d irekt Englisch geschrieben und gesprochen w ird,
sei es dadurch, daß sich das w issenschaftliche Sprechen und Schreiben
innerhalb des D eutschen selbst dem Englischen angleicht. Es w urde auch
überlegt, ob nicht, in breiterem Umfang, die T endenzen des gegenwär­
tigen D eutschen überhaupt zum Gegenstand system atischer Beobachtung
und Überlegung gem acht w erden könnten, in dem Sinne, daß der V er­
such unternom m en w ird, rationale K riterien für ihre Beurteilung zu ge­
w innen. Letztlich stehen w ir hier vor der praktischen Schwierigkeit,
daß diejenigen in der “A kadem ie” , die sich ausreichend interessieren
für solche Fragen, nicht so viel freie A rbeitskraft einzubringen vermögen,
wie dies notw endig wäre.
Die “A kadem ie” hat eine Reihe von Kom m issionen; daru n ter eine
Sprachkom m ission. Ihr gehören zur Zeit Jurek Becker, Günther
Drosdowski, Hans-Martin Gauger, H erbert H eckm ann, H elm ut Heissenbüttel, Gustav Korlen, D olf Sternberger und Harald Weinrich an. Als
derzeitiger V orsitzender dieser Kommission geht es m ir darum , daß die
“A kadem ie” auf dem G ebiet der S prachkultur etw as Spezifisches m acht,
etwas, das andere nicht oder doch s o n i c h t m achen können. So­
dann geht es mir darum , die M itglieder der “A kadem ie” insgesamt oder
zum indest in größerem Umfang einzubeziehen in den bescheidenen
Beitrag zur S prachkultur, zur S prachkritik, den die “ A kadem ie” zu
leisten vermag. Ich denke da an eine Umfrage un ter den Mitgliedern
über das Them a “Was mich am gegenwärtigen D eutschen s tö rt” . Es
wäre also eine K ritik an bestim m ten A spekten des Sprachgebrauchs,
insofern dieser sich verfestigt hat oder beginnt, sich zu verfestigen.
Jeder Sprachem pfindliche, jeder, der über das auf die bloße K orrektheit
bezogene Sprachgefühl hinaus auch über Sprachsinn verfügt, hat ja ge­
wisse Reizbarkeiten im Blick auf bestim m te W örter, bestim m te W endun­
gen oder auch bestim m te K onstruktionen.
Sprachkritik kann sich auf die Sprache als Sprachbesitz oder auf Sprach­
äußerungen richten. Es ist also auch hier zu trennen zwischen den beiden
fundam entalen Erscheinungsweisen des Sprachlichen: Sprache als der
historisch gew ordene Besitz einer Sprachgem einschaft einerseits, Sprache
als der G ebrauch, der von diesem Besitz in einer bestim m ten Situation
gem acht wird andererseits; also: Sprachbesitz und Sprachäußerung.
Sprachäußerungen können in verschiedener H insicht kritisiert werden:
inhaltlich, form al, dann speziell sprachlich. Also etwa: was du sagst,
stim m t nicht; mir gefällt die Ironie nicht in dem , was du sagst; du ge­
brauchst zu viele Frem dw örter. Bei der Sprachkritik kann es per
96
definitionem nur um den letzteren G esichtspunkt gehen. Da gibt es nun
w ieder verschiedene K riterien: R ichtigkeit, R einheit, Schönheit, Eigen­
prägung (Stil), A ngem essenheit und Moral. Ich will nur zum letzteren
K riterium , dem der M oral, etwas anm erken. Es ist im übrigen von den
anderen deutlich abgesetzt, zum indest insofern, als es weniger form al,
stärker zum Inhaltlichen der Ä ußerung tendiert.
Das Moralische (oder Unmoralische) einer Sprachäußerung h at natürlich
in erster Linie m it ihrer W ahrheit, ihrer W ahrhaftigkeit, ihrer G laub­
w ürdigkeit zu schaffen. Hier mag man sich zum Beispiel fragen, ob es
nicht so etwas gibt wie “ unw ahre W örter” . N ota bene: ich spreche
n ich t von “ lügenden W örtern” , denn zur Lüge gehört, jedenfalls im
engeren Sinn, die bew ußte A bsicht des R edenden, das Falsche zu sagen.
So hält es bereits die D efinition des Augustin fest, die Harald Weinrich
in seiner zuvor genannten “ Linguistik der Lüge" (1964) zitiert: “ Die
Lüge ist eine m it dem Willen, das Falsche zu sagen, verbundene Aussage”
“ m endacium est enuntiatio cum volúntate falsum en u n tian d i” (De
m endacio, cap. IV, bei W einrich, S. 13). Zur Lüge gehört also A bsicht.
N un hat aber die Sprache als solche, als Sprachbesitz, keinerlei A bsicht:
die Sprache als solche spricht auch nicht (hier irrt Heidegger): zur A b­
sicht, auch zum Sprechen, das ja im m er A bsicht hat, gehört unverm eid­
lich ein Subjekt, gerade ein solches ist oder hat nun aber die Sprache
— als Sprache, als Sprachbesitz — nicht. Es ist ein in der G eschichte der
Sprachreflexion, auch der Sprachw issenschaft, im m er wieder anzutreffen
der gravierender Fehler, daß der Sprache ein Subjekt u n terstellt, daß sie
zu einer A rt Person hypostasiert w ird. Auch und gerade die D estruktion
solch verhängnisvoller H ypostase wäre eine A ufgabe einer durch Sprach­
w issenschaft beratenen Sprachkritik. Die Sprache redet nicht; sie hat
keine A bsicht. Daher kann sie schlechterdings nicht lügen, und auch
kein einzelnes E lem ent von ihr kann dies. A ber es gibt unw ahre W örter:
W örter, die in sich selbst eine U nw ahrheit enthalten und jeden, der sie
gebraucht, unwillkürlich eine U nw ahrheit sagen lassen.
N ehmen wir — ich rede hier ein wenig “ for discussion’s sake” — das Wort
Nachrüstung, ln seiner brillanten A bhandlung redet Weinrich nicht von
einem Typus des Worts, den ich als “ durchsichtiges W ort” bezeichne
(H.-M. Gauger, Durchsichtige W örter. Zur Theorie der W ortbildung,
Heidelberg 1971). W örter haben die Aufgabe zu nennen; das Sagen
gehört erst zum Satz oder dann — und eigentlich — zum T ext. Nun
gibt es aber W örter, die in sich selbst, indem sie nennen, schon etwas
sagen. Da diese W örter etwas sagen, können sie auch Falsches sagen.
Dies sind die durchsichtigen W örter, die man darum auch “ sprechende
97
W örter” nennen darf. Es handelt sich hier natürlich um die A bleitungen
und die W ortzusam m ensetzungen. Wenn ich form uliere, daß diese W örter
“etwas sagen” , m eine ich, daß sie in einen Satz um gew andelt, durch einen
Satz paraphrasiert w erden können, daß sie also im plizit einen Satz en t­
halten (ich m eine keineswegs, wie die generative W ortbildungslehre, daß
sie von einem Satz “hergeleitet” w erden können oder m üßten). Ein solch
durchsichtiges W ort ist das W ort Nachrüstung. Der hier im plizierte Satz
lautet: Wir rüsten nach, w eil die anderen z u e r s t , v o r uns, gerüstet
haben. Oder: wir rüsten nach, weil die anderen v o r g e r ü s t e t haben.
Das W ort m eint also (oder scheint zu m einen, denn ein W ort für sich
selbst kann ja n icht m einen): die anderen haben angefangen, nun an tw o r­
ten wir, und dabei bleibt es dann. Das W ort suggeriert also — und eben
hierin liegt seine U nw ahrheit —, es bleibe dabei: die andere Seite ist
einen S chritt vorausgegangen, nun ziehen wir, da die andere Seite nicht
w ieder zurück will, nach. N un aber w ar für alle Wissenden von vorneherein
klar — und dies hat sich nach erfolgter Nachrüstung in jeder Hinsicht
bestätigt —, daß es dabei gerade n i c h t bleiben würde. Es war klar,
daß die andere Seite reagieren würde m it einem w eiteren Schritt. Also ist
das, was man Nachrüstung nennt, das genaue Gegenteil dessen, was dies
W ort suggeriert. Faktisch handelt es sich um Vorrüstung. Oder: was das
Wort Nachrüstung m eint, k ö n n te man genauso gut, ja, m üßte man eigent­
lich m it Vorrüstung bezeichnen. Wer also das W ort Nachrüstung verwen­
det, verharm lost: er sagt, ob er dies will oder nicht, die U nw ahrheit. So
kann man — auch dies m uß Sprachkritik im m er wieder aufdecken — m it
einem bloßen W ort vernebeln: den anderen und, zuvor schon, sich selbst.
Hinzu kom m t, daß dieser A usdruck einfach so, ohne Anführungszeichen,
gebraucht w urde und w ird. Er w ird n icht so gebraucht, wie er gebraucht
w erden müßte, näm lich als ein A usdruck e i n e r Seite im Meinungs­
spektrum . Faktisch ist dieser A usdruck aber durch und durch parteiisch.
N eutral wäre das W ort A ufrüstung. A ber das neutrale W ort w urde nie
gebraucht von denjenigen, die N achrüstung propagierten. Nachrüstung
ist som it ein verschleierndes W ort. W oher es kom m t, w elchem Motiv es
sich verdankt, kann keinem Zweifel unterliegen. Hier gilt der alte G rund­
satz: “ Derjenige hat es getan, dem es n ü tz t” , “is fecit cui p ro d est” .
Übrigens kann man auf Englisch oder Französisch Nachrüstung gar
nicht sagen oder allenfalls recht um ständlich. Das gram m atische M ittel
des deutschen Verb zusatzes in seiner stupenden Beweglichkeit kom m t
hier jener Verschleierung eindrucksvoll entgegen...
Dies nur als Beispiel für eine von der Sprachw issenschaft beratene
Sprachkritik. Daß Sprachkritik dann freilich etwas a n d e r e s ist
als Sprachw issenschaft, sei deutlich gesagt. Die Sprachw issenschaft
98
sagt, was i s t . Ihre Frage lautet: wie i s t x ? Die Sprachkritik stellt
diese Frage zwar auch, dann aber — vor allem — die zusätzliche: wie
sollte x sein? Und diese Frage im pliziert auch: wie sollte x n i c h t
sein? Bei der Sprachw issenschaft also geht es um das Sein, bei der
S prachkritik um W ünschbarkeit, und zwa, vernünftigerweise, um r e a l e
W ünschbarkeit. Es scheint mir wichtig zu sein, daß die Dinge hier nicht
verm ischt w erden.
Ein historischer Hinweis zum Schluß. Im Frühjahr 1969 veranstaltete
die “ D eutsche A kadem ie” eine Tagung über das Them a “ Sprachforschung,
Sprachlehre, S prachkritik” und im Frühjahr 1970 fand eine Tagung sta tt
über das Them a “Sprachpflege, S prachkritik” ; dam als sprachen Harald
Weinrich, Hugo Steger und G erhard Storz über die Frage: “ Ist Sprach­
kritik noch erlau b t?” H eute, so scheint mir, ist das R echt au f Sprach­
kritik, die ein entscheidender Teil dessen ist, was unter “ S prachkultur”
sinnvollerweise verstanden w erden m uß, gesichert. V ielleicht war hier
die “ D eutsche A kadem ie” so etwas wie eine V orreiterin; sie hinkt hier
jedenfalls nicht, wie dies A kadem ien gern geschieht, h in ter d er E n t­
w icklung her.
Noch einmal: die “ D eutsche A kadem ie” vergleicht sich nicht m it der
über dreihundert Jah re älteren “ Académie française” , deren Bedeutung
für Frankreich im übrigen leicht überschätzt w ird. Die “ Deutsche A ka­
d em ie” kennt genau die ihr gezogenen ziemlich engen G renzen. I n n e r ­
h a l b dieser G renzen jedoch sucht sie ihren Beitrag zu leisten zur Kul­
tu r, zur Pflege der “ res publica” , die unsere (wie jede andere) Sprache ist.
99
OTTO NÜSSLER
Die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS)
1 Sprachpflege
1.1 Sprachpflege im Zw ielicht
“Die Sauberm änner aus W iesbaden” — wie die S prachberater von der
GfdS einmal ironisch genannt w urden — haben lange gebraucht, die
schwere H ypothek abzuzahlen, die ihnen der D eutsche Sprachverein
m it ideologiebeladenen Begriffen wie “ S prachechtheit” und “ Sprach­
rein h eit” hinterlassen hatte. Jahrzehntelang stand die Sprachpflege im
Geruch der Intoleranz, der U nduldsam keit gegenüber allem Frem den,
ja der U nfähigkeit, die Gegenwartssprache als das zu nehm en, was sie
ist, nämlich als relativ in takten derzeitigen Z ustand nach langer E n t­
wicklung — und n icht etw a als kranken Körper, entstellt von den Ge­
schwüren der Frem dw örter. Aus diesem Zw ielicht ist die Sprachpflege
je tz t herausgetreten — zum indest was die A rbeit der GfdS in Wiesbaden
angeht. Daß die als betuliche Sprachpflege getarnte Intoleranz andern­
orts noch fröhlich oder traurig w eiterlebt, gehört n icht hierher, sei aber
wenigstens erw ähnt.
1.2 Der A uftrag der GfdS
Ich zitiere aus der Satzung in der jüngsten Fassung vom Mai 1978:
“Die Gesellschaft für deutsche Sprache ist ein politisch unabhängiger Verein
zur Pflege und E rforschung der deutschen Gegenwartssprache. Die Gesell­
schaft will
a) allen helfen, die in sprachlichen Fragen R at brauchen;
b) das Verständnis für Wesen, Bedeutung und Leistung der Sprache wecken
und fördern;
c) die deutsche Sprachgem einschaft anregen, sich m it der Sprache zu be­
schäftigen und das Sprachgefühl zu vertiefen.
Die Gesellschaft w irkt für ihre Ziele
a) durch Z usam m enarbeit m it Vereinen, A nstalten, Behörden und anderen
Einrichtungen, die Einfluß auf den Gebrauch und die Entw icklung der
deutschen Sprache h a b en ;
b) durch die Z eitschriften “M uttersprache” und “ Der Sprachdienst” ; der
“ Sprachdienst” ist zugleich das M itteilungsblatt der Gesellschaft;
c) durch Einzelveröffentlichungen;
d) durch Sprachhilfen und -auskünfte;
e) durch Vorträge, Lehrgänge und A rbeitsgem einschaften.”
100
Über diesem Programm , das die Ziele sowie die M ittel und Wege be­
schreibt, steht der Zweck der GfdS:
“ Die Gesellschaft für deutsche Sprache ist ein politisch unabhängiger Verein
zur Pflege und E rforschung der deutschen Gegenw artssprache.”
Wie jeder weiß, verfolgen Satzungen dieser A rt eine doppelte Absicht.
Zum einen ist dem V ereinsrecht Genüge zu tu n , dam it niem and im Zwei­
fel bleibt, wer wann was tu n m uß oder tun darf. Zum anderen steckt
die Satzung den R ahm en ab für die A rbeit des Vereins, insbesondere
seiner Organe. Der R ahm en m uß zwar nicht um jeden Preis bis zum
Rand erfüllt w erden (so veranstaltet die GfdS beispielsweise zur Zeit
keine Lehrgänge), aber er darf nicht überschritten w erden; das wäre zum
Beispiel schon der Fall, w enn wir ein ganzes H eft einer unserer Zeit­
schriften füllen w ollten m it den neuesten Ergebnissen der ShakespeareForschung; denn die “ Pflege und Erforschung der deutschen Gegenwarts­
sprache” ist das erklärte Ziel der GfdS — nichts anderes.
A uf die Sprachpflege kom m e ich noch zu sprechen. Hier sei vorab fest­
gestellt, daß sie n icht erfolgreich, n icht befriedigend, ja nicht einmal
glaubwürdig betrieben w erden kann ohne
1.3 die w issenschaftliche Basis
Der zweifache Zweck der GfdS, näm lich “ Pflege und Erforschung der
deutschen G egenw artssprache” , darf nicht zu der falschen A nnahm e
verleiten, in Wiesbaden werde außer einem gut funktionierenden Sprachberatungsdienst auch Sprachforschung im w eiteren Sinne um ihrer selbst
willen planm äßig betrieben. Die schwache finanzielle und personelle
A usstattung verbietet uns, den Rahm en, den die Satzung gew ährt, in
dieser Beziehung auszuschöpfen. Da andererseits die Sprachpflege, k o n ­
kret: die Sprachberatung, ohne w issenschaftliche Basis n ich t möglich
ist, unterlassen wir in keinem Einzelfall die Prüfung, ob die Sprachwis­
senschaft sich zu dem anstehenden Fall bereits geäußert hat, ob sie gar
die Lösung fix und fertig bereit hält oder ob sie m it unserer Lösung
wenigstens einverstanden sein könnte.
Sprachpflege auf wissenschaftlicher Basis — das h ö rt sich kom plizierter
an, als es ist. Wie es sich abspielt, zeigen
1.4 die praktischen V erfahren der Sprachpflege
Die GfdS erteilt jährlich einige tausend schriftliche und fernm ündliche
Sprachberatungen für B ehörden, Institutionen, W irtschaft, Verbände
und Private. Daneben w erden noch viele tausend Seiten T exte darauf­
hin geprüft, ob sie in ihren Aussagen eindeutig und für die A dressaten
101
verständlich sind. Der größte Teil dieser T extprüfungen wird von unse­
rer Außenstelle in Bonn geleistet, und zwar für die oberen und obersten
Bundesbehörden. Die punktuellen Sprachberatungen obliegen den wis­
senschaftlichen M itarbeitern in Wiesbaden.
Ich gebe Ihnen als Beispiel den Fragenkatalog, den wir am 7. März d.J.
von einem sprachbeflissenen Mitbürger erhalten haben.
1.
T ext:
Frage:
... ich wünsche Ihnen gute Gesundheit ...
Soll man nicht besser das Wort gute weglassen, denn es wird nur
G utes gewünscht und G esundheit ist im m er gut?
2.
T ext:
Frage:
... in den allerletzten Jahren ...
Ist es nicht besser, aller wegzulassen?
3.
T ext:
Frage:
... durch Vorprogrammierung lange v o rh e r...
Sagt man nicht besser Programmierung, denn Program mierung ist
im m er etw as Vorheriges.
4.
Text:
Frage:
Die O bjektkontenbildung ist zahlenmäßig unlim itiert.
Ist es nicht besser zu schreiben: Die Zahl der O b jektkonten ist u n ­
begrenzt —oder?
5.
Text:
Die Devisenreserven sind in den beiden letzten Jahren stark abge­
schm olzen.
Schreibt man nicht besser geschmolzen?
6.
T ext:
Frage:
Er rechnet sich Chancen aus, daß er eine M itfahrkarte erhält.
Wenn hier M itfahrkarte kein fester Begriff ist, schreibt man nicht
besser ... Fahrkarte m itbekom m t?
7.
T ext:
Frage:
... zu k ü n ftig ...
Sagt man nicht im m er besser künftig?
8.
T ext:
Frage:
A nzahl — Zahl
Welcher U nterschied besteht in Bedeutung und Anwendung?
9.
T ext:
Frage:
Intensität —Intensivität
Welcher Unterschied besteht in Bedeutung und Anwendung?
10.
Text:
Frage:
... überjährig...
a) gibt es das W ort
b) oder schreibt man besser über das Jahr hinaus?
11.
Text:
Frage:
... verschlechtern...
G ibt es das Wort?
12.
T ext:
Frage:
Nachfolge
Ist das kein Pleonasmus? Folge bedeutet doch, es kom m t etwas
danach. Wenn das W ort Nachfolger noch richtig ist, sollte man statt
Nachfolgetitel nicht besser sagen Folgetitel?
Frage:
Sie erinnern sich, daß in der Satzung der GfdS steht, sie wolle die d eu t­
sche Sprachgem einschaft anregen, sich m it der Sprache zu beschäftigen
und das Sprachgefühl zu vertiefen. Hier hat sich also einer anregen lassen,
hat sich m it der Sprache beschäftigt und sein vertieftes Sprachgefühl be­
102
wiesen. Wie bean tw o rtet man diese zw ölf Fragen auf wissenschaftlicher
Basis?
Vielleicht sollte man diese Frage anders stellen, näm lich so: Was darf
man beim B eantw orten nicht tun? Man darf nicht seine private Meinung
zur alleinigen G rundlage m achen. Die Sprachpflege soll keinem mehr
m ißtrauen als ihrer eigenen verm eintlichen K om petenz. Die Sprachberatung m uß in jeder A ntw ort aufs neue das K unststück fertigbringen, sich
ganz in die Sprache des Partners hineinzudenken m it allen Konsequen­
zen bezüglich W ortwahl, Frem dw ortgebrauch oder -Vermeidung, Satz­
bau, Stil usw.
Die Sprachberatung m uß sich w eitestgehend absichern, das heißt, sie
m uß prüfen, was in W örterbüchern, G ram m atiken, Stil-Lehren, Sekun­
därliteratur als gesichertes Wissen bereitsteht. Es d arf nicht sein, daß
ein S prachberater in den Rechtschreib-D uden guckt, nichts findet und
dann erklärt: Wir haben das W ort, das Sie suchen, in keinem deutschen
W örterbuch gefunden. A nders: Er m uß sogar die W örterbücher befragen,
die sich gelegentlich als A bschriften anderer Werke entpuppen. Die De­
finition des Adjektivs fe u c h t z.B. h at sich seit Adelung in deutschen
W örterbüchern länger als h u n d ert Jahre nicht geändert!
Die Sprachberatung m uß fähig sein, die Forschung fortzuschreiben, also
system gerechte Entscheidungen auch da noch zu fällen, wo die Sprach­
wissenschaft noch winzige Löcher läßt; Beispiel: Die m it als angeschlos­
sene A pposition als Ganzes beginnt in ihrer neutralen Form zu erstarren,
wird n icht m ehr flektiert, wird zum Adverbiale. D eutschland als Ganzes,
auch: die Welt als Ganzes, auch: der Staat als Ganzes. Die G enera sind
aufgehoben — auch die Kasus? Die B edeutung D eutschlands als Ganzes
oder als G anzen? D er m itgedachte A rtikel — als eines Ganzen — hat
noch so viel G ew icht, daß die Erstarrung sich lösen und der Genitiv wie­
der eintreten kann. Ja, kann! Das führt geradlinig zum nächsten Bestand­
teil der praktischen Sprachpflege, zur M utprobe:
Der S prachberater m uß den M ut haben, gleichberechtigte M öglichkeiten
nebeneinanderzustellen. Er m uß dem D eutschen, der stram m e Regeln
über alles liebt, sagen, es gibt zwei M öglichkeiten. Wähle selbst! Ich wür­
de als Sprachteilhaber die Lösung A w ählen; aber das darf ich dir nicht
vorschreiben. B ist genauso in Ordnung. D am it handelt sich der Sprach­
berater sein Urteil ein: Der weiß ja selbst nicht, was richtig ist!
Der S prachberater m uß auch den M ut haben zuzugeben, w enn er etwas
nicht weiß, und das dürften nach m einer Schätzung fünf Prozent aller
Fälle sein. Etw as nicht wissen ist keine Schande. Sich etw as zusamm en­
spinnen und als Wissen verbreiten, das ist eine Schande.
103
Wer nicht w eiterw eiß, versichert sich der Fachleute. Das gilt in der GfdS
bis hin zu den F achberatern für Fam iliennam en und V ornam en, die einen
wichtigen Teil unserer Sprachberatung ausm achen, bis zu d sn Juristen,
M edizinern, M usikwissenschaftlern, Ingenieuren, Chem ikern und Hand­
w erkern; denn es läßt sich nicht so leicht ein Sprachproblem ausdenken,
das bei der GfdS nicht schon morgen früh auf dem Tisch liegen könnte.
Mehr noch: Wir stehen in jüngster Zeit unter dem Eindruck, daß die Ge­
sellschaft für deutsche Sprache über Sprachpflege und S prachkultur
hinaus zu einer lexikographischen A uskunftsstelle zu w erden d ro h t m it
“V olkskunde” als einem neuen Schw erpunkt. Das zeigt die Häufung
von Sachfragen. “W arum legt der Osterhase E ier?” “ Ich habe einen al­
ten Zinnteller m it einer Um schrift, die ich nicht lesen kann. A nbei ein
F oto. Bitte um A u sk u n ft.” Es wird gefragt nach einzelnen G edichtzei­
len (Titel, Verfasser?), nach Etym ologien und W ortgeschichten, nach
Benennungen von Speisen und G etränken m it bestim m ter Beschaffen­
heit, nach S prichw örtern und R edensarten usw. usw.
Die eigentlich orthographischen Fragen wie auch die zur In terpunktion
sind die langweiligsten. Sie sind auch G o tt sei Dank seltener geworden
und kom m en m eistens übers Telefon. Hier scheint sich fast unm erklich
eine A rbeitsteilung zwischen D udenredaktion und GfdS einzuspielen.
Jede Anfrage verlangt vom S prachberater G eduld beim A ufsuchen der
Quellen und Belege, Phantasie beim K om binieren und Bew erten der
möglichen A ntw orten, beim Einschätzen der Fassungskraft des Partners,
Stilkunst beim Form ulieren der A ntw ort, die natürlich nicht zu lange
auf sich w arten lassen darf, sonst hat der A nfrager den A nlaß vergessen
und w undert sich über die Post aus Wiesbaden.
1.5 Die A rbeitsm ittel der Sprachpflege
Ich habe sie schon genannt. Es sind vor allem die W örterbücher und
G ram m atiken, die Stilkunden und R echtschreiblehren, die S ynonym ­
w örterbücher, überhaupt alles, was in die H andbibliothek eines G erm a­
nisten gehört bis hin zu den G roßlexika der V ergangenheit und Gegen­
w art. A ber glauben Sie nicht, daß das genügt! Der Sprachpfleger ken n t
keinen Feierabend. Die frem den Sprachproblem e begleiten ihn bis in die
N acht. Und w enn er tagsüber vergebens geforscht hat, seit w ann es die
A bkürzung WC im D eutschen gibt, liest er abends zufällig in einer histo­
rischen Baubeschreibung, daß die “erste Anlage dieser A rt in D eutsch­
lan d ” schon 1824 im Jagdschloß Platte bei Wiesbaden eingebaut wurde.
Je tz t hat er einen unverhofften A nhalt für ein D atum , post quem.
104
Das kleine Beispiel soll zeigen, daß die V ielfalt der T hem en in der prak­
tischen Sprachpflege, also in der Sprachberatung, eine entsprechend u n ­
begrenzte V ielfalt an A rbeitsm itteln erfordert. Mit den praktischen und
alphabetischen H andreichungen im Lesesaal ist es nicht getan. Der Sprachberater braucht die ganze Bibliothek. In einem Brief von Ernst M oritz
A rndt (1820) steh t etwas von einem “rosigen A ndreasgesicht” . Was ein
Andreasgesicht ist, haben wir bis heute nicht herausgekriegt. Wissen Sie
es?
2 Sprachkultur
2.1 Der Begriff “ S prachkultur”
Wenn der Begriff leicht zu fassen wäre, stünde diese Jahrestagung unter
einem anderen Them a. A ber er ist nicht leicht zu fassen, das beweisen
die Einzelthem en: S prachkultur ... im H inblick auf das deutschsprachige
Ausland, ... in der m odernen Gesellschaft, ... in der Linguistik der DDR, ...
im 18. Jahrhundert, ... in der schulischen Bildung, S prachkultur und Li­
teratur, ... und politische K ultur; und über dem G anzen: Sprachkultur
und Institutionen.
Angesichts so vieler Bezüglichkeiten will ich keine w eiteren installieren
und mich lieber auf das beschränken, was ich neulich in bezug auf Sprach­
k ultur aus anderem A nlaß zu Papier gebracht habe. Ich denke, wenn ich
das W ort ‘S p rachkultu r’ höre, an ein Zweifaches: an eine Feststellung
und an eine Forderung.
a) S prachkultur hat man, oder man hat sie nicht. Wenn m an sie hat, so
ist sie eine innere, geistige Haltung eines einzelnen oder einer (SprachG e­
meinschaft, das im m erw ährende Wachsein bei jeglichem sprachlichen
Handeln, die selbstauferlegte Pflicht zu sprachlicher Angemessenheit,
Genauigkeit, W ahrheit (E thik) und das Streben nach der “schönen Spra­
che” (Ä sthetik).
b) wenn m an sie hat, m uß man sie schützen. Sie ist ein geistiges G u t und
als solches jederzeit in G efahr, vernachlässigt zu w erden und zu verfla­
chen. Wer S prachkultur hat, sehe zu, daß sie nicht verkom m t; und wer
sie bei anderen sieht, habe Respekt. Wer sich in die Z ucht der Sprach­
k ultur begibt und sie vor sich selbst schützt, der fö rd e rt sie am besten.
Diese m ehr aphoristischen als definitorischen Bem erkungen sollen ahnen
lassen, daß “ S p rachkultur” eine der vielen möglichen Ausprägungen von
“ K u ltur” ist. Ich stelle “ S p rachkultur” neben “W ohnkultur” , “ Eßkul­
tu r ” usw. und sehe die Sprache, genauer: den G ebrauch der Sprache als
eines der A ttrib u te an, die diesem Teilbegriff von “ K u ltu r” zugeschrie­
ben w erden können.
105
2.2 Das V erhältnis von S prachkultur und Sprachpflege
Das Verhältnis ist in der Satzung der G esellschaft für deutsche Sprache
vorgezeichnet, obw ohl d o rt das W ort “ S prachkultur” nicht vorkom m t.
Mit dem hier zutreffenden Begriff von S prachkultur im H interkopf
könnte man die Ziele der GfdS ganz kurz fassen:
Die GfdS will bei den Sprachteilhabern S prachkultur schaffen und d o rt,
wo sie schon vorhanden ist, die Sprachkultur schützen und fördern.
Weil “ Sprachpflege” und “ S prachkultur” im m er noch für austauschba­
re Synonym e gehalten w erden, sei es noch einmal anders angedeutet:
S prachkultur ist das hohe Ziel; Sprachpflege ist einer der Wege dorthin.
2.3 Sind S prachberater der GfdS “ S prachkulturträger” ?
Die K ontam ination von “ S prachkultur” und “ K ulturträger” liegt ja nun
in der L uft. Da n icht erwiesen ist, daß alle K ulturträger außer Geld und
Beziehungen auch noch K ultur oder gar S prachkultur haben, m uß ich
die Frage als unangem essenen Witz zurückweisen. Die S prachberater
der GfdS sind allenfalls Sprachkulturm ittler, bei D auerkunden in Sachen
Sprache m anchm al auch so eine A rt Bew ährungshelfer; aber “ K ultur­
träger” in diesem sprachfernen adm inistrativen, ja bürokratischen Sinn —
das sind sie nicht und wollen sie nicht sein.
3 S prachkultur und Institutionen
Hier darf ich mich ganz kurz fassen.
3.1 Die A ufgabenabgrenzung zwischen D udenredaktion / D eutsche A ka­
demie für Sprache und D ichtung / Gesellschaft für deutsche Sprache
In diesem Saal ist die A bgrenzung m it einem Satz beschrieben: Für die
S prachkultur sind alle drei Institutionen zuständig; die Ü berschneidun­
gen dürfen aber n ich t darüber hinw egtäuschen, daß es Schw erpunkte
gibt, und zwar ist die R echtschreibung in M annheim zu Hause, die L ite­
ratu r in D arm stadt und die Sprachpflege in Wiesbaden.
3.2 Sprachkultur in der öffentlichen Meinung
Wollte man versuchen, durch Umfrage zu ergründen, was die L eute u n ­
ter “ S prachkultur” verstehen, so erhielte man sicherlich viele m erkwür­
dige A ntw orten. Die m eisten würden wohl gar nichts verstehen.
Lassen Sie mich abschließend die Stellung der GfdS zur Sprachkultur
so beschreiben: Es gibt die Hochschulm edizin, es gibt bedeutende Kli­
niken m it C hefärzten und K apazitäten auf allen medizinischen G ebieten,
106
viele davon m it L ehrstuhl oder L ehrauftrag, es gibt A rztpraxen für
Ohren, Nerven, Magen, K ram pfadern, Leber und R heum a und alles,
was Beschwerden m acht. Wählen Sie in weiser Selbsteinschätzung den
Platz, der Ihnen in der N achbarw issenschaft ebenbürtig wäre. Wir von
der Gesellschaft für deutsche Sprache haben als M ittler zwischen Sprach­
ku ltu r und Ö ffentlichkeit auch unseren Platz gefunden. Wir sind die
Landärzte.
107
KARL EIBL
Sprachkultur im 18. Jahrhundert
Über die Erzeugung von Gesellschaft durch Literatur*
Im Rahm en einer sprachw issenschaftlichen Tagung, die fast ausschließlich
G egenwartsproblem e them atisiert, spielt der L iteraturhistoriker, der zu
Fragen des 18. Jahrhunderts spricht, eine etwas exotische Rolle. Ich will
versuchen, dieser Rolle gerecht zu w erden und durch eine abw eichende
Perspektive einige bekannte Dinge in ein etwas verfrem dendes Licht zu
tauchen. Einigkeit scheint darüber zu bestehen, daß um 1800 die E n t­
wicklung zu einer überregionalen sprachlichen N orm ihr Ziel erreicht hat,
daß daran die L iteratursprache einen w esentlichen A nteil h at und daß
diese Entw icklung irgendwie m it der E ntw icklung des deutschen Bürger­
tum s zusam m enhängt.
Bei näherem Hinsehn ergeben sich einige Schw ierigkeiten, die man in
Fragestellungen um m ünzen sollte. Die ältere Forschung hat die Standard­
oder H ochsprache dieses Z eitraum s m it nur gedäm pftem Interesse behan­
delt, quasi nur der V ollständigkeit halber; vor die Frage nach der S tandard­
sprache schob sich die nach der D ichtersprache, häufig von L iteraturhisto­
rikern bearbeitet. Die O rientierung der Bildungssprache des 19. Jahrhunderts
und besonders der W ilhelminischen Zeit an der ‘Klassik’ ließ einen solchen
Staffettenw echsel durchaus plausibel erscheinen. In den letzten Jah rzeh n ­
ten hat sich das geändert. Zwar hat die Sprachw issenschaft im Westen, von
wenigen A usnahm en abgesehen, hier eine D enkpause eingelegt. A ktiver ist
die Sprachw issenschaft im O sten, in der S ow jetunion und in der DDR
gewesen, wenngleich es anscheinend Mühe m acht, über die Schallm auer
von 1730 auch bei der D etailforschung hinw egzukom m en.
Da tau cht nun freilich ein anderes Problem auf. Der Begriff der ‘L iteratu r­
sprache’, wie er im O sten in G ebrauch ist, bezeichnet nicht etw a die po e­
tische Sprache, sondern das, was bei uns ‘Standard-’ oder ‘H ochsprache’
heißt. Leider ist das kein reines D efinitionsproblem , sondern hat auch
Rückwirkungen auf das Forschungsprogram m . Wenn der L iteraturhistoriker
das in der DDR erschienene m onum entale U ntersuchungsw erk “ Zur A us­
bildung der N orm der deutschen L iteratursprache (1470 - 1730) ” darauf
* Gerade u n ter dem A spekt der ‘S prachkultur’ ist das Drucken von Vorträgen nicht
unproblem atisch. Eine U m form ung in die T extsorte ‘wissenschaftliche A bhand­
lung’ war wegen des sehr w eit ausgreifenden Them as n icht möglich. Ich habe
deshalb nur einige R etuschen vorgenomm en, die den T ext als ‘wissenschaftlichen
Essay’ lesbar m achen sollen.
108
befragt, w elchen Beitrag denn die poetische L iteratur zu dieser ‘A usbil­
dung’ geliefert hat, wird er das nicht identifizieren können. Denn im T ex t­
korpus stehen unterschiedslos T raktate, Briefe, V erw altungstexte, E rbau­
ungstexte, auch poetische T exte usw. Wenn aber solcherm aßen die ver­
schiedenen Rekrutierungsbereiche der Sprachnorm , religiöser, gelehrter,
umgangssprachlicher, juristischer usw., nicht m ehr unterschieden w erden,
dann w ird nicht nur der L iteraturhistoriker en ttäu sch t: Es fällt eine ganze
D im ension dieser E ntw icklung weg, näm lich die sozialgeschichtliche. Sie
kön n te nur über eine R ekonstruktion der Beiträge aus den verschiedenen
Lebensbereichen erfaßt w erden, und nur eine solche R ekonstruktion
w iederum könnte rückw irkend die Sprachgeschichte in die Lage versetzen,
auch Beiträge zur Sozialgeschichte zu liefern. Es lauert hier eine geschichtsphilosophisch-teleologische Falle, die von der präsum tiven Einheitlichkeit
der Standardsprache des 19. Jahrhunderts und des Bürgertums des 19. Ja h r­
hunderts hier auch bereits die V erhältnisse des 18. Jahrh u n d erts vorstruk­
tu rie rt und so einen Pauschalbegriff von Bürgertum zu einem Pauschalbe­
griff von ‘L iteratursprache’ in eine gleichfalls pauschale Beziehung setzt. —
Hierzu wird später noch m ehr zu sagen sein, da auch Sozialhistoriker (und
L iteraturhistoriker sowieso) sich diesem gedanklichen Sog m.E. nicht hin­
reichend w idersetzen.
Ich w erde im folgenden den Versuch einer situationslogischen R ekonstruk­
tion des V erhältnisses von Gesellschaft, L iteratur und Sprache im 18. Jh.
unternehm en, d.h. versuchen, die Phänom ene als Problemlösungsversuche
zu deuten.
I.
Die Eingangs-Frage, die zu diesem Zweck zu stellen ist. lautet: Wer
braucht um 1700 überhaupt eine überregionale Sprachnorm , und zu
welchem Zweck braucht er sie? Dafür kom m en ja nu r Personengruppen
in Frage, die tatsächlich eine überregionale K om m unikation pflegen oder
pflegen wollen. Daß der Adel, wie bekannt, in dieser Z eit französisch
spricht und schreibt, hat sicher eine Ursache in der politischen und
kulturellen D om inanz des französischen Hofes, eine w eitere darin, daß
hier ein Standesm erkm al die Abgrenzung vom übrigen Volk erm öglicht.
A ber schon in der ständigen W iederholung dieser beiden Faktoren liegt
eine Einseitigkeit der D eutung. Es wäre einfach tö ric h t gewesen, an die
Stelle der fertigen internationalen S tandesnorm eine erst zu entw ickeln­
de und bloß nationale N orm zu setzen. Ä hnliches gilt für die G elehrten.
Sie pflegten das Latein n ich t nu r deshalb, weil das so T radition war, son­
dern auch deshalb, weil es ihnen die K om m unikation auch m it den Fach­
kollegen in Bologna oder Paris erm öglichte. Noch Christian Wolff, der
seine w ichtigsten Bücher zunächst deutsch geschrieben h atte, publiziert
109
sie schließlich auch lateinisch, weil er sonst in seiner Wirkung zur Provinzialität verdam m t gewesen w äre. Umso bem erkensw erter und fast irri­
tierend ist es, daß seit Thom asius im m er w ieder Vorlesungen in deutscher
Sprache gehalten w erden. V on der Seite des W issenschaftsbetriebes her
gesehen gibt es dafür keine N otw endigkeit. A uch die naheliegende Er­
klärung, daß neue Schichten an die U niversität drängen, ist wenig ver­
läßlich, wenngleich es natürlich auch zu dieser Zeit, wie zu jeder anderen,
Klagen über m angelnde Lateinkenntnisse der S tudenten gibt. G erade im
Zeitalter der A ufklärung nim m t die Zahl der U niversitätsstudenten nicht
etw a zu, sondern sie stagniert, nim m t sogar ab; erst nach 1800 geht die
Kurve steil nach oben. — Jedenfalls hatten auch die G elehrten eigentlich
eine überregionale N orm der deutschen Sprache nicht nötiger als früher.
So kann man nun die einzelnen Bevölkerungsgruppen durchgehen. Für
w eitere überregionale K om m unikationsbedürfnisse gibt es einen ganzen
Fächer von Fachsprachen. Es gibt für die überregionale Verw altung
deutschsprachige N orm en, es gibt für K aufleute eine A rt G eschäfts­
deutsch, das ausreicht, so lange der W irrwarr an regionalen Münzen und
M aßen, die Vielzahl der Zollschranken und die schlechten Wege w eit
schlimm ere Hürden sind als die verschiedenen M undarten. Und auch die
w andernden Handwerksgesellen kom m en m it überregionalen Fachspra­
chen aus, die, nach dem Zeugnis Leibnizens, sehr hoch ausgebildet sind.
Angeblich verw endet man sogar in türkischen Bergwerken Begriffe des
deutschen Bergbaus. Selbst die D ichter, die spätbarocken, schreiben in
einem Idiom , dessen Form elschatz viele Züge einer Fachsprache träg t und
bei Geburts-, H ochzeits- und Begräbniscarmina Feierlichkeit verbürgte.
Und der größte Teil der Bevölkerung, die seßhaften Bauern, brauchte
ohnedies keine überregionale Sprachnorm , ebensow enig wie der norm ale,
seßhafte Stadtbürger, für den eher die innerm undartliche Differenzierung
von Bedeutung ist. Regionale Sprachen für die K om m unikation der Seß­
haften, überregionale Standes- und Fachsprachen für die überregionalen
K om m unikationsbedürfnisse — w er b raucht da noch eine überregionale
Standardsprache?
Der erste massive Vereinheitlichungs-Schub war bekanntlich von jener
Krise ausgegangen, die, je nach Perspektive, un ter dem K urznam en der
‘R efo rm ation’ oder der ‘frühbürgerlichen R evolution’ zusam m engefaßt
wird. Die Frage nach der ‘richtigen’ Bibelübersetzung beförderte die Frage
nach der ‘richtigen’ deutschen Sprache. Religiöse und politische Werbung
schuf neue Publiken, neue K om m unikationsgem einschaften. Besonders
w ichtig aber scheint mir, daß die Instabilität der V erhältnisse zu einem
neuen Sprach b e d a r f führte: Zu einem Bedarf näm lich einer Sprache, in
der man über die V oraussetzungen des Lebens und Zusam m enlebens re110
flektieren konnte. Wenn m an, wie ich es in diesem A bschnitt getan habe,
einen sehr w eiten Begriff von ‘F achsprache’ verw endet (auch wer eine
E isenbahn-Fahrkarte kauft, bedient sich in diesem Sinn einer Fachsprache),
dann schrum pft der Bereich der Standardsprache auf diesen Kern einer
Reflexions- oder M etasprache. Ich will das nun keineswegs als neue Defi­
nition vorschlagen, sondern nur darauf hinweisen, daß diesem Reflexions­
bedarf offenbar eine Führungsrolle bei der E ntstehung einer S tandard­
sprache zufällt.
Um 1700 h atten sich die politischen und religiösen V erhältnisse weitgehend
stabilisiert, die aus der ‘R efo rm atio n ’ stam m enden A nstöße erschöpft. Die
religiöse Sprache h atte sich — bei aller konfessionellen Z ersplitterung —
als M ittel der Verständigung über die Grundlagen des m enschlichen Da­
seins und Zusam m enlebens neu gefestigt. Religiöse Sprache ist um 1700
d i e überregionale, wenngleich konfessionell differenzierte, N orm , die
an sie gebundene E thik d i e überregionale und tendentiell, ihrem eigenen
A nspruch nach, auch überständische E thik.
II.
Dieses Bild ist natürlich vereinfacht. Schon um 1700 ist manches wieder
in Bewegung, sozial und sprachlich. G leichwohl erscheint m ir folgender
Schluß erlaubt: Wenn das Sprachensystem um 1700 so flächendeckend
ist, wenn für jedes Bedürfnis eine entsprechende sprachliche N orm zur
Verfügung steht, w enn w ir es also sozusagen m it einer Situation sprach­
licher Vollversorgung zu tu n haben, — und w enn w ir hu n d ert Jahre später
eine voll ausgebildete profane überregionale und überständische Norm
vorfinden, dann müssen in dieser Zeit gewaltige V eränderungen des
Sprach b e d a r f s vor sich gegangen sein: Es m uß sich die N otw endig­
keit überständischer und überregionaler V erständigung, und dam it auch
die N otw endigkeit einer diskursiven V erständigung über die Bedingungen
von Verständigung ergeben haben.
Die V eränderungen sind tatsächlich so einschneidend, daß Karl Bosl
sagen konnte, eigentlich sei in Deutschland das M ittelalter erst um 1750
zu Ende gegangen. Und w enn wir diese V eränderungen verstehen wollen,
stoßen w ir unweigerlich auf den Begriff ‘Bürgertum ’. Zum al in germ anisti­
schen A rbeiten m u tet dieses W ort gelegentlich an wie die Bezeichnung
eines m ythischen Fabelwesens, über das m an allerlei merkwürdige Ge­
schichten erzählen kann, das aber in L uft zerrinnt, w enn man es anfassen
will. Hier ist das eingangs erw ähnte teleologische Motiv am Werk, das die
G eschichte nur aus dem A spekt des Zulaufens auf das Bildungs- und
G roßbürgertum des 19. Jah rhunderts sieht. Wird dieser A spekt verab-
111
solutiert, dann en tste h t eine gradlinige D eszendenz vom Stadtbürgertum
des M ittelalters über das der R eform ation bis ins 19. Jah rh u n d ert, als
seien das im m er dieselben L eute gewesen oder die K inder und K indes­
kinder derselben L eute. Erscheinungen des 18. Jahrhu n d erts, die m it
diesem Bürgertum Zusammenhängen, w erden dann leicht allesamt über
den Leisten des Em anzipationskam pfes oder des antifeudalistischen
Kampfes geschlagen, und was sich dem nicht fügt, w ird der ‘deutschen
Misere’ angelastet und — o ft erstaunlich naiv — m it dem psychoanaly­
tischen Begriff der K om pensation erledigt. Der A spekt ist gewiß berech­
tigt. N icht gegen ihn w ende ich m ich, sondern gegen seine V erabsolutie­
rung, die zwar ein kom paktes G eschichtsbild erzeugt, aber bestim m te
Probleme nicht hinreichend in den Blick bekom m t. Selbst zünftige
Sozialhistoriker berufen sich zum eist auf Quellen aus dem letzten D rittel
des Jahrhunderts, nicht aus ideologischer Befangenheit, sondern deshalb,
weil um diese Zeit die Quellen reichlich sprudeln. Wenn man dann aber
verallgem einert und von d e m 18. Jh . spricht, ergibt das ein völlig
falsches Bild. — Ich will dem hier entgegensetzen den A spekt der inneren
K onstitutionsproblem e dieses ‘Bürgertum s’ des 18. Jahrhunderts, oder,
um den entscheidenden P unkt gleich m itzubennen, dieses N e u -Bürger­
tum s des 18. Jahrhunderts.
N och am Ende des 18. Jahrhunderts definiert das Allgemeine L andrecht
für die preußischen Staaten Bürger als jene Individuen, welche “w eder
zum Adel, noch zum Bauernstande gerechnet w erden k ö n n en ” . Da wird
also alles, was n icht in die klare agrarstaatliche Paarung von A del und
Bauern hineinpaßt, m it einer N egativ-Definition belegt. Das ließe sich
noch m it der B orniertheit der Gesetzesm acher erklären, obw ohl d arunter
recht aufgeklärte K öpfe w aren. Doch die em pirische sozialgeschichtliche
Forschung ist auch fast 200 Jahre später noch nicht w eiter gekom m en.
So heißt es 1976 in einem Forschungsüberblick: “ Zum Bürgertum als
der Summe der nichtadeligen, nichtbäuerlichen und n ich tu n terstän d i­
schen Kräfte gehören so heterogene Schichten und G ruppen, daß von
einer E inheit nichts zu erkennen ist” . Die Ursache für diese D efinitions­
problem e liegt in der Sache selbst. Und m ehr noch: Unser D efinitions­
problem ist ein reales Problem für das Bürgertum dieser Zeit, — das
Problem , durch das es letztlich doch als Einheit konstitu iert w ird. Das
ist zu erläutern:
Zwar gibt es da einzelne altbürgerliche G ruppen m it eindeutigen über­
lieferten V erhaltensnorm en, Patrizier etw a oder H andw erker. A ber was
gibt es da nicht alles: Den Bankier und den L ateinschullehrer, den
Schriftsteller und den D om änenpächter, den M anufakturbesitzer und
den Offizier, den Krämer und den reichen K aufm ann und den H ofm eister,
112
der dessen Söhne Latein beibringen soll, und dazu das Heer der Pfarrer
und der V erw altungsbeam ten in unterschiedlichsten Positionen. Sie alle
haben keine gem einsame H erkunft, keine gem einsamen T raditionen, keine
gem einsame ökonom ische Stellung. Was sie aber gem einsam haben, ist
eben dieses Problem , nichts gemeinsam zu haben.
Ich will das an einem Lebenslauf exem plifizieren. Da gibt es in A rtern
in Thüringen in der M itte des 17. Jahrhunderts einen H ufschmied mit
Namen Geede oder so ähnlich. Der hat einen Sohn, der das H andwerk
eines Schneiders lernt. Nach seiner Lehrzeit geht der Schneider, wie es
sich für einen Gesellen gehört, auf W anderschaft. Er geht nach Westen,
nach Frankreich. 12 Jahre ist er d o rt, setzt sich in der Seidenw eberstadt
Lyon fest. Doch die A ufhebung des T oleranzdikts von N antes zwingt den
P rotestanten, Frankreich den Rücken zu kehren. Er w andert nach F rank­
fu rt, heiratet d o rt eine S chneiderstochter und wird zünftig. G öthe nennt
er sich je tzt, m it A kzent auf dem e, denn er w eiß Kleider m it französi­
schem Schick anzufertigen, für die Frauen der Patrizier, der Handelsherrn,
sogar für die Damen des D arm städter Hofes. Zeitweise beschäftigt er nicht
nur die erlaubten drei, sondern sechs Gesellen. Als seine Frau stirbt, hat
er ein Vermögen von 19 000 G ulden. Er heiratet wieder, 1705, eine
Schneidersw itw e, die auch ein Wirtshaus m it W einhandel in die Ehe bringt.
Die Zeiten sind schlecht für die Winzer im linksrheinischen D eutschland,
ständig d ro h t Krieg, sie verkaufen schnell und billig; der F rankfurter
W einhändler aber kann lagern und w arten. Seinen Sohn läßt der Schnei­
der Ju ra studieren, er finanziert ihm die Kavalierstour nach Italien, und
als er 1730 stirbt, hinterläßt er ihm 17 Säcke voll Geld unterschiedlichster
W ährungen, das Weinlager, G rundstücke, — insgesamt ein Vermögen von
90 000 G ulden. Der Sohn kann es sich leisten, nur noch dieses Vermögen
zu verw alten, sich den T itel eines Kaiserlichen Rats zu kaufen und die
T o ch ter des S tadtschultheißen zu heiraten.
Ich will nicht behaupten, daß das ein typischer L ebenslauf der Zeit ist
(und untypisch sind gewiß die Schicksale des Enkels des Schneiders).
Unser empirisches sozialgeschichtliches Wissen zum ersten D rittel des
18. Jahrhunderts, ich w iederhole es, ist äußerst dünn, n ich t zuletzt des­
halb, weil die Vorgänge sich w eitgehend im Dunkeln abspielen und erst
deutlicher sichtbar w erden, nachdem eine gewisse Konsoldierung einge­
treten ist. Erst eine Vielzahl solcher Lebensläufe von ansonsten unbekann­
ten L euten k ö nnte ein einigerm aßen sicheres Bild liefern und z.B.
Bew egungs-'Straßen’ sichtbar m achen. Es ist eine Zeit, in der wir nicht
m ehr die S tatik der überlieferten überindividuellen V erhältnisse voraus­
setzen können, aber auch noch nicht die Zeugnisse selbstbew ußter W ort­
führer und Interpreten des N euen vorfinden. Umso w ichtiger wären
113
sprachgeschichtliche D etailuntersuchungen, die hier Aufschlüsse geben
könnten.
Unsere Erzählung kann aber zum indest zeigen, was im ersten D rittel des
Jahrhunderts m ö g l i c h ist. Es existiert ein Bewegungsraum, regional
wie sozial, und — dies der Erzählung kurzer Sinn — w enn wir vom Bürger­
tum dieser Zeit sprechen und dam it manches sehr H eterogene zusam m en­
fassen, dann bezeichnen w ir dam it keinen hom ogenen ‘S tan d ’, sondern
diesen B e w e g u n g s r a u m . Hier finden A ufstiege sta tt, ‘Lebensläufe
nach aufsteigender L inie’, auch Abstiege, hier k o m m t es zur unvorherge­
sehenen Interaktion von Personen ganz unterschiedlicher H erkunft, von
N orm ensystem en ganz unterschiedlicher S tru k tu r und T radition und hier
b esteh t bereits auch ein recht großer Reflexions- und Diskursbedarf, weil
auch Selbstverständigung notw endig ist. D am it wird vielleicht klar, was
das heißt: daß das G emeinsame des Bürgertums sein Problem ist, nichts
Gemeinsames zu haben. Es m uß geschaffen w erden. N otw endig ist eine
gemeinsame V orstrukturierung und Standardisierung der W irklichkeit,
eine R eduktion von K om plexität, die das Handeln wechselseitig berechen­
bar m acht, auch w enn m an die angestam m te Bezugsgruppe verläßt. Diese
R eduktion von K om plexität trägt im 18. Ja h rh u n d ert den Namen
‘M oral’ und dann, nach der K onsolidierung, ‘Bildung’. Eine allgemein­
menschliche M oral soll es sein, keine ständische, eine, die man bei jedem
Positionswechsel räum licher und sozialer A rt w ieder auffinden kann, und
so w erden die W örter ‘bürgerlich’ und ‘m enschlich’ o ft zu Synonym en.
Niemals zuvor ist über Moral soviel nachgedacht und geschrieben w orden,
denn niemals hatte man ein neues V erhaltensfundam ent überständischer
und überregionaler A rt so nötig. — Noch ehe die V erbindung zur Sprach­
geschichte hergestellt ist, läßt sich bereits sagen: Der zweite A kt in der
G eschichte der E ntstehung der deutschen Standardsprache ist — wie
der erste, von der ‘R efo rm atio n ’ bew irkte — das Ergebnis einer Krise der
regional und ständisch partikularen O rdnungen.
III.
Z unächst küm m ern sich die G elehrten um das neue Problem , Leute vom
Schlage eines Thom asius oder G ottsched, verm utlich n ich t aus purer
M enschenliebe und S olidarität, sondern auch deshalb, weil hier ein neuer
Bedarf, ein neues ‘Publicum ’, ein neuer M arkt sich au ftu t. Die relative
A utonom ie des universitären Lehr- und D isputionswesens gibt für die
G ebildeten der Zeit auch das Modell einer bürgerlichen Ö ffentlichkeit ab,
das Modell einer res publica litteraria, in die grundsätzlich das gesamte
N eubürgertum einbezogen ist. Es ist eine politisch vielfach gebrem ste
Ö ffentlichkeit, die sich ihre Lücken suchen m uß, um sich verwirklichen
114
zu können. Eine solche Lücke sind die ‘schönen W issenschaften’ und
‘freien K ünste’. Wenn es dem König von Preußen einfällt, ein Gedicht
zu m achen, dann m uß er sich gefallen lassen, daß er vom rechtlosen
Juden Mendelssohn rezensiert wird. So w eit die ‘schönen W issenschaften’
und ‘freien K ünste’ scheinbar von der Politik en tfe rn t sind, so sind sie
doch als M edium der V erständigung noch über ganz andere Dinge brauch­
bar als solche der K unst. Wer z.B. in einer Kritik oder in einer Poetik über
bestim m te V erhaltensw eisen oder Eigenschaften eines Helden räsonniert,
m eint dam it nicht nur eine fiktive Kunstfigur, sondern begründet das auch
m it seinen allgem eineren A nsichten über das m enschliche Leben. —
Das also ist der e r s t e F aktor, welcher der L iteratur eine besondere
Stellung zu verschaffen vermag: Als der heim lichen S tätte einer ö ffen t­
lichen Rede m it tendentiell universeller T hem atik und dam it als Forum
des Diskurses, in dem die neue Intersubjektivität sich bilden kann.
Als z w e i t e s wäre die Eigenart poetischer Rede als gebundener Rede
zu nennen. Jan M ukarovsky, der strukturalistische Poetiker, hat den
Bühlerschen S prachfunktionen eine vierte hinzugefügt, die ästhetische,
welche die A ufm erksam keit au f das Zeichen selbst lenke. Ich will diese
Theorie hier nicht übernehm en, weil sie m it einigen diskussionsbedürfti­
gen V oraussetzungen operiert, sondern nur bei ihr anknüpfen. Etwas
salopp kann diese ‘ästhetische F u n k tio n ’ gedeutet w erden als eine V er­
schnürung von T exten, die ihre T ransportierbarkeit erh ö h t. Dieser Sach­
verhalt w urde in den letzten Jahren, als das N achdenken über T ex t­
ästhetik im m er w ieder zur A bw eichungspoetik zurückkam , etwas ver­
nachlässigt. Wenn ein T ext gereim t ist und ein bestim m tes M etrum auf­
weist, dann ist er w esentlich leichter aus seiner S ituation zu lösen, ohne
daß er in seinem W ortlaut verändert wird. Das gilt schon für simple
Bauernregeln, die durch ein solches R ekurrenzsystem verschnürt werden.
Natürlich können in ausgebildeteren poetischen Form en dann weit
kom plexere M ittel der Bindung eintreten, die Reim und M etrum sogar
überflüssig m achen, Pointierungen etw a, ganze G eschichten m it Anfang,
M itte und Ende, von denen man n icht einfach etwas weglassen kann, bis
hin zu raffinierten M ethoden der m etaphorischen V erklam m erung und
sym bolischen Querverweise. Es sind T exte von besonders starker Ko­
härenz, — von so starker K ohärenz, daß sogar A bstriche bei der Logizitä t und beim R ealitätsbezug gem acht w erden können, ohne daß sie des­
halb zerfallen. Solche verschnürte und transportable Texte, räum lich wie
zeitlich transportabel bis hin zur sogenannten ‘Zeitlosigkeit’ großer Dich­
tung — solche T exte also eignen sich in besonderem Maße dazu, als Topoi
(‘Ö rter’) der V erständigung kanonisiert zu w erden und in ähnlichem
Maße Intersubjektivität zu begründen wie ein ‘heiliger’ T ext; aber diese
115
Intersubjetivität kann nun als profane die religiöse ergänzen, gelegentlich
auch in K onkurrenz zu ihr treten.
H inzu kom m t ein d r i t t e r M om ent. Poesie im 18. Ja h rh u n d e rt ist vor­
nehm lich erzählende oder dram atische Poesie; daneben natürlich auch eine
Fülle von gereim ter K leindichtung, die man aber nu r auf etwas m ißver­
ständliche Weise als lyrisch bezeichnen k ö nnte (das ‘L yrische’ im m oder­
nen Sinn gibt es erst seit G oethe). Solche D ichtung find et ihre Domäne
in der konkreten Falldarstellung, im Exem pel. So m eint z.B. schon
Thomasius, das Studium der Poesie sei u.a. für den angehenden Juristen
deshalb sehr nützlich, weil er lernen könne, wie m an zu einem ‘lege’ einen
geschickten ‘casum ’ finden könne. D ichtung in diesem Sinne ist MoralKasuistik an Exem peln. Die m ehr als ein Ja h rh u n d ert dauernde Fixierung
am G oethischen Typus von Poesie hat uns solche Ä ußerungen im m er
wieder belächeln lassen. A ber das ist unhistorisch. Wenn G ottsched m eint,
am Anfang der poetischen P roduktion stehe im m er ein m oralischer L ehr­
satz, zu dem man dann eine passende Fabel sucht, dann ist das nicht
Engstirnigkeit, sondern A usdruck eines kulturpolitischen Programms
der Herstellung von Intersubjektivität durch D ichtung. Kein A utor einer
m oralischen W ochenschrift läßt es sich nehm en, seine Lehren erzähle­
risch-szenisch einzukleiden oder in fingierten Briefen vorzutragen. Und
auch die Schaubühne, die noch Schiller als m oralische A nstalt deu ten wird,
kann sich Ansehen erw erben als eine A rt A bendschule der Intersubjektivi­
tä t. ‘M itleiden’, so sagt Lessing, sollen wir in der Tragödie lernen, und das
m eint nichts anderes als Intersubjektivität. Für Christian Wolff ist die
Kirche die geistliche, das T heater die w eltliche V erkündigungsanstalt der
Moral. Die “ C om ödien und T ragödien” hätten “ einen Vorzug für den
w ahren E xem peln” , denn bei den “w ahren E xem peln” liegt o ft allzuviel
Zeit zwischen der T at und ihren Folgen. “ Hingegen in Com ödien und
Tragödien folget alles, was zusamm en gehöret, in einer kurzen Reihe
aufeinander, und lässet sich daraus der Erfolg der Handlungen viel besser
und leichter begreiffen, als w enn man im menschlichen Leben darauf acht
h a t.” Im Besonderen des poetischen Exem pels, so m einte er, solle das
Allgemeine anschauend erkannt w erden. Es ist eine Dichtungslehre, die
dann später m it dem Begriff des ‘T ypischen’ in ganz anderem K ontext
w iederkehren wird.
IV.
Ihre herausragende B edeutung kom m t die D ichtung erst in den späten
4 0er und in den 50er Jahren des 18. Jahrhunderts. Die 30er und frühen
40er Jahre sind beherrscht von einer anderen D om inante, die unter
dichtungsgeschichtlichem A spekt als V orstufe bezeichnet w erden muß.
116
Ich spreche in diesem Zusam m enhang von der ‘Gottsched-W olff-Zeit’ oder
der Phase der norm ativen F orderung oder des Objektivism us (das letzte
im A nschluß an Brüggemann). Denn in dieser Phase sollen die Maximen
des richtigen H andelns noch auf deduktivem Weg aus obersten Prinzipien
der V ernunft und N atur abgeleitet w erden. Da diese Instanzen aber Leer­
form eln sind, setzen sie den sozialen Konsens, den sie begründen sollen,
bereits voraus.
Es ist ein nur scheinbar deduktives, in W irklichkeit zirkuläres Verfahren,
bei dem V ernunft und N atur doch im m er wieder durch A u to ritäten oder
Berufungen auf den gesunden M enschenverstand, also durch Tradition
gestützt w erden müssen. Man nen n t zuweilen als Sym bolfigur der A uf­
klärung Prom etheus, der das F euer vom Himmel geholt h at; das ist durch
eine zweite Sym bolfigur zu ergänzen, näm lich M ünchhausen, der sich am
eignenen Schopf aus dem Sum pf zog. Die L etztinstanzen von V ernunft
und N atur mögen subjektiv tatsächlich die entscheidende Rolle gespielt
haben, aber aus der D istanz gesehen h atten sie nu r eine persuasive Hilfs­
fu n k tion bei der H erstellung des sozialen Konsens, der aus alten, h etero ­
genen Quellen neu zusam m engestellt und befestigt w erden m ußte.
V ernunft und N atur als L etztinstanzen waren in dieser Phase der Konsens­
bildung nur kurzfristig einzusetzen. Schon je tz t bedient man sich gern der
Ü berzeugungskraft der poetischen Exem pel. Die sächsiche T ypenkom ödie
ist vielleicht das auffälligste Beispiel. In ihr sollen die ‘L aster’, d.h. A b­
w eichungen vom vernünftigen M ittelm aß angeprangert w erden. Es gab da
gewiß manches zu lachen und zu lernen. A ber die ‘Tugend’ blieb, als
bloßes V erm eiden von A bw eichungen, leer und blaß.
In den späten 40er und den 50er Jahren treten neue M ittel hinzu. Das
‘d electare’ der neuen Poesie schafft einen konsensbildenden kulturellen
‘Ü berschuß’, F reundschaft und Geselligkeit w erden gefeiert, und in der
A nakreontik auch das gepflegte erotische Spiel. Z ur N atur und zur V er­
n u n ft tr itt als w eitere Instanz das ‘H erz’.
Es beginnt jene Zeit, die in den Literaturgeschichten als ‘E m pfindsam keit’
erscheint. Ein H erz hat jeder, auch der U ngebildete, der kein collegium
logicum durchlaufen hat. Man könnte von der G ellert-Zeit sprechen, auch
von der Zeit des jungen Lessing, des jungen Wieland und eines guten
D utzend w eiterer A utoren, die heute keiner m ehr liest, die aber eine
förm liche D ichtungskultur bildeten: Pyra, Lange, Hagedorn, Uz, G ötz,
Gleim, J. E. Schlegel, Rabener, Weiße, Gessner, Kästner, Ewald von Kleist,
Cram er, R ost, Gieseke, Zachariae und noch einige m ehr. 1751 wird Geliert
Professor in Leipzig, qualifiziert durch drei K om ödien, einen Rom an, eine
lateinische Program m schrift für die rührende K om odie und einen Band m it
117
Fabeln und Erzählungen. Diese Fabeln und Erzählungen w erden, nach
der Bibel, zum w eitestverbreiteten Buch Deutschlands. D ichtung w irkt
unm ittelbar aufs Herz und ist deshalb wie keine andere In stitu tio n fähig,
die neue Intersubjektivität zu festigen. Ich kann hier auf die inhaltliche
Seite dieses L iteraturtypus nicht eingehen; es genüge der Hinweis, daß
die fortw ährende T hem atisierung von F reundschaft, Geselligkeit, Ge­
lassenheit und Genügsamkeit die K onfliktverm eidung, also den sozialen
Konsens, zum obersten G ebot m acht.
V.
Schon seit einiger Zeit ist hier im plicite von Sprachgeschichte die Rede.
Die Kodifizierung einer sprachlichen Norm setzt ja voraus, daß es aner­
kannte V orbilder gibt, bei denen die G ram m atiker anknüpfen können.
Die Entw icklung im 18. Jh. läßt sich un ter diesem G esichtspunkt exem pla­
risch an den unterschiedlichen A rgum entationssituationen G ottscheds
und Adelungs verdeutlichen. G ottsched war bei seinen sprachlichen
N orm ierungsversuchen vor einem ähnlichen Problem gestanden wie bei
seinen poetischen und m oralischen. V ernunft und N atur allein k onnten
die sprachliche N orm nicht begründen. Um aufzuzeichnen, was das
‘b este’ Deutsch war, m ußte er eine V orentscheidung treffen. G ottsched
setzte fest, das ‘beste’ D eutsch sei ein geläutertes M eißnisch. Damit aber
folgte er nicht der V ernunft und N atur, sondern der T radition (was d urch­
aus vernünftig war). Wenn er dafür die Begründung gab, daß das Meiß­
nische in der M itte des deutschen Sprachraum s lag, war das eher ein
Zeichen seiner A rgum entationsnot. Kein Wunder, daß man ihm von der
Periphere her, von Schlesien und vor allem der Schweiz, heftig w ider­
sprach. Zwar berief sich G ottsched auch auf die ‘b esten’ Schriftsteller,
aber abgesehen davon, daß das auch zirkulär war: Wer sollten diese
‘b esten ’ Schriftsteller sein, in den 40er Jahren des 18. Jh ., zumal er m it
den neu aufkeim enden Bestrebungen der jungen G eneration nichts im
Sinn hatte? Er nen n t A utoren wie O pitz, die H ofdichter Canitz und Besser
und den A bt Mosheim, gewiß verdienstvolle M änner, aber doch von viel
zu geringer Wirkung, als daß sie das A rgum entationsdefizit h ätten ausgleichen können. Da ist Adelung in einer völlig anderen S ituation. Neben
den von G ottsched favorisierten A utoren kann er sich auf ‘b este’ A utoren
berufen, die, wie G eliert und die anderen genannten, tatsächlich bereits
hohe überregionale A nerkennung genossen. Es gibt in den 50er Jahren
eine vielgelesene, überregionale poetische N ationalliteratur, und diese
L iteratur folgt bereits einer weitgehend einheitlichen Sprachnorm . Na­
türlich h ätte Adelung sein W örterbuch nicht allein m it diesen A utoren
bestreiten können; eher schon h ätten sie für seine Bemühungen um Stil
118
und G ram m atik ausgereicht. V or allem aber h atten sie eine A rt PilotF u n k tion als vorzeigbare V orbilder, hinter deren Schild dann auch
andere Bereiche berücksichtigt w erden konnten.
Der Beitrag dieser L iteratur bei der D urchsetzung einer überregionalen
N orm ist von der älteren, dichtungssprachlich orientierten Forschung
nur ungenügend berücksichtigt w orden. N och bei Blackall z.B. kom m t
sie nicht vor. Denn ihre unm ittelbar dichtungsgeschichtliche Bedeutung
ist, gelinde gesagt, unauffällig, verglichen etw a m it den gleichzeitigen
Bemühungen K lopstocks. A ber ihre konsensstiftende Wirkung m acht sie
w ahrscheinlich zum w ichtigsten Beitrag der Poesie bei der E ntstehung
der überregionalen N orm überhaupt. Deshalb m eine eingangs geäußerte
Befürchtung, daß ein zu pauschaler Begriff von Literatursprache hier
w eiterhin ein Forschungsdesiderat ungesehen lassen könnte.
Für Adelung jedenfalls (und noch für didaktische Handbücher des
frühen 19. Jahrhunderts) ist dies die ‘klassische’ Periode der deutschen
L iteratur, und schon als er in den 70er Jahren sein W örterbuch erschei­
nen läßt, kann er sich nicht m ehr auf die inzwischen nachgewachsene
neue G eneration berufen. Es beginnt eine d ritte Phase sowohl in der
Geschichte der D ichtung wie in der G eschichte bürgerlicher Intersub­
jektivität.
VI.
Ohnedies ist das eben entw orfene Bild etwas einseitig. Schon die poetische
Sprache K lopstocks, die den 50er Jahren zugehört, ist für Norm ierungs­
versuche nicht brauchbar, sondern schöpft ihr Pathos aus der N orm ab­
weichung. Und schon in der zw eiten Hälfte der 50er Jahre en tste h t m it
dem Bürgerlichen Trauerspiel eine literarische S tätte der K onfliktform u­
lierung, und zwar jenes innerbürgerlichen K onflikts, der aus rigoristischer N orm und Glücksbedürfnis des Einzelnen entspringt (der K onflikt
m it der höfischen Welt kom m t erst rund zwanzig Jahre später auf die
Bühne). Gegenläufig zum Prozeß der Festigung des bürgerlichen MoralKonsens und des bürgerlichen Sprach-Konsens vollzieht sich schon hier
eine Bewegung, welche die N orm en bereits voraussetzt und die Kosten
der N orm ierung them atisiert oder aus der A bweichung F unken schlägt.
Um 1770 kom m t das voll zum D urchbruch. Der A ugenblick der gefestig­
ten N orm ist zugleich schon der A ugenblick der Revolte gegen die Norm.
Es m elden sich m it lauter Stim m er die Abweichler, sei’s angestoßen
durch das Sprachdenken Ham anns, sei’s auch nur deshalb, weil der
expandierende literarische M arkt dem Provokateur besondere Chancen
zu bieten scheint. Etwas zugespitzt könnte m an sagen: In den 70er
119
Jahren beginnt, angesichts der eben erst gefestigten Norm , das Zeitalter
der A bw eichungspoetik und der A bw eichungsethik, jenes bis an die
Gegenwart reichende Z eitalter also, das der N orm im m er wieder den
em phatischen Begriff einer W ahrheit gegenüberstellt, die über jede Norm
hinausgreift. Die R eduktion von K om plexität durch N orm ierung wird
als W ahrheitsverlust em pfunden. Der Sturm und Drang, von dem hier
die Rede ist, ist bereits die erste binnenbürgerliche Rebellion.
Die Dichtung w endet sich in den 70er Jahren jenen Them en zu, für die
w eder die Leipziger noch die Berliner A ufklärer hinreichende Lösungen
oder zum indest Form ulierungen gefunden h atten, sozialen Problem en,
dem Problem des Todes, das im m er wieder als cantus firmus au ftritt,
und jenem Problem , das man heute m it dem W ort der ‘Selbstverwirklichung’ zu bezeichnen pflegt. Schon in den 70er Jahren, nach zwei
G enerationen, hat das Neu-Bürgertum den ganzen Turnus vom k o n tu r­
losen K onglom erat zu jener reduzierten K om plexität durchgem acht,
die allererst Intersubjektivität erm öglicht, zugleich aber auch als V er­
kürzung der W ahrheit und Knebelung der E ntfaltung des Einzelnen
em pfunden w ird. Man hat früher gesagt und sagt es gelegentlich auch
heute noch, der S turm und Drang sei die Zeit der E ntdeckung des In­
dividuums. Das ist sicher nicht falsch. A ber m an m uß hinzufügen: Es
ist die Entdeckung des e i n g e s c h r ä n k t e n Individuum s; die
Them atisierung der Individualität m acht ja überhaupt erst einen Sinn,
Individualität ist überhaupt erst ein entdeckungswürdiges Problem, wenn
überindividuelle norm ative S trukturen einen so hohen Geltungsgrad
erreicht haben, daß der Einzelne sich an ihrem W iderstand als Einzelner
erfahren kann.
Geliert und sein Kreis h atten Gelassenheit, Bescheidenheit und Gesellig­
keit gepredigt. Zum K ultbuch der 70er G eneration aber avanciert der
‘W erther’, der eben dies zum Them a hat: ‘Einschränkung’ des A uthentizitätsstrebens in allen denkbaren V erw irklichungsbereichen: m eta­
physisch, erotisch, künstlerisch, sozial, bis hin zur Sprache. Der erste
K onflikt W erthers m it seinem Chef ist ein sprachlicher: Der G esandte
will ihm seine Inversionen nicht durchgehen lassen ...
VII.
Doch ich will hier nicht repetieren, was zur Sprache der Sturm - und
Drang-Zeit zu sagen w äre, sondern ich will zum A bschluß auf die
längerfristig, bis in die Gegenwart w irkende T endenz hinweisen, die in
dieser Periode erstm als deutlich greifbar w ird. Sprachliche Norm ierung
und N orm ierung der W irklichkeit zum Zwecke der Berechenbarkeit
und Intersubjektivität gehen im m er Hand in H and. Und seit jener
120
ersten binnenbürgerlichen Rebellion wird es im m er w ieder Bewegungen
geben, welche die zum Zwecke der N orm ierung reduzierte K om plexität
w iederherstellen w ollen. W ahrscheinlich verdankt die bürgerliche Gesell­
schaft gerade diesen R ebellionen ihre bem erkensw erte Ü berlebensfähig­
keit, denn sie halten die N orm en locker und erm öglichen die Anpassungen
an neue S ituationen. Jede der vielen T odesannoncen der bürgerlichen
Gesellschaft läutete in W irklichkeit eine neue M etam orphose ein. Mit
dem Sturm und Drang beginnt eine A rt F u n k t i o n s d u a l i s m u s
der L iteratur offenkundig zu w erden (vorhanden war er in A nsätzen schon
im m er), — der bis in die G egenwart reicht, eng m it dem F unktionsdualis­
mus einer recht verstandenen ‘S prachkultur’ zusam m enhängt und le tz t­
lich die Ratio der bürgerlichen Gesellschaft, ihre Beweglichkeit m itbe­
gründet.
A uf der einen Seite gibt es eine F unktion von L iteratur, die ich als subsi­
diär bezeichne. Diese F unktion dom iniert sow ohl in der G ottsched-Z eit
als auch in der G ellert-Zeit, und sie dom iniert überall da, wo L iteratur
in den D ienst einer bestim m ten Sozialisation gestellt w ird. Sie u n te r­
stützt die Standardisierungen der W irklichkeit wie die der Sprache. Sie
m acht bei w eitem den H auptanteil des G ebrauchs von L iteratu r bis in
die G egenwart au s: A uch sogenannte ‘kritische’ L iteratur ist subsidär,
w enn sie zur Stabilisierung des W irklichkeitsbildes oppositioneller Zirkel
dient. — Daneben aber gibt es eine zw eite F unktio n von L iteratur, die
ich als kom plem entär bezeichne und die erstm als in den 70er Jahren
des 18. Jahrhunderts m it M acht herv o rtritt. Sie zielt au f die jeweils u n ­
beleuchtete Seite der W ahrheit, auf das, was bei den Problem lösungen
der jeweiligen R ationalität vernachlässigt, verdrängt, als irrelevant bei­
seite gestellt w urde. Ihr S pektrum ist so w eit wie der Raum , der bei der
jeweiligen R eduktion von K om plexität ausgeblendet w urde und gerade
deshalb die M enschen beunruhigt. Er reicht von der ‘sym bolisch-augen­
blicklichen O ffenbarung des U nerforschlichen’, wie G oethe es nennt,
über die sozialen und psychischen K osten unserer Problem lösungen bis
hin, zum Beispiel, zum unversorgten Problem des Todes.
Falsch jedoch wäre es, diese zweite, in fortschrittlichen Milieus auf A n­
hieb attraktiver erscheinende F unktion d irekt erfassen zu wollen und
nur ihr unsere Pflege angedeihen zu lassen. G erade die erste, die subsi­
diäre F unktion begründet, wie eh und je, Intersubjektivität, und dieses
G eschäft sollte man n icht den P roduzenten von ‘Dallas’ allein über­
lassen. Die ‘A usdruckskraft’ der N orm abw eichung w irkt nur deshalb,
weil sie die N orm voraussetzt und ein z u s ä t z l i c h e s Register
ist; nicht U nfähigkeit, sondern nur das souveräne — zum indest passive —
121
Beherrschen der N orm m acht die A bw eichung zu einem A kt der Freiheit.
Mag sein, daß institutioneile Sprachnorm ung sich auch heute noch in
derselben Begründungsnot befinden wie zu Zeiten G ottscheds und A de­
lungs und sich, wie diese, dem V orw urf der Pedanterie aussetzt.
Die arbiträren Elem ente einer Einzelsprache sind nicht strik t begründbar,
und die Begründungen der m otivierten Elem ente sind zum eist nur als Esels­
brücken zu gebrauchen. Scheinrationale D etailbegründung verdeckt hier
nur, was, wie bei G ottsched und Adelung, die eigentliche Quelle der N orm
ist: T radition, die nicht begründbar, doch der kritischen Weiterführung
zugänglich ist. ‘Begründet’ ist S prachkultur nur in der U nentbehrlichkeit
einer R eduktion von K om plexität für jede Verständigung, und in der N o t­
w endigkeit zugleich, diese R eduktion nicht zur Bornierung verkom m en
zu lassen, sondern ein möglichst hohes Maß an D ifferenzierung zu erm ög­
lichen. So kann sie auch an die K om plem entär-Funktion von D ichtung
anknüpfen. Denn anders als G ottsched und Adelung können wir uns auch
d o rt auf die ‘b esten’ S chriftsteller berufen, wo es n icht n u r um die D urch­
setzung einer N orm , sondern auch um deren Relativierung geht. Selbst
die Wilhelminische Klassikerpflege m ußte G oethes norm enverw irrende
Sprachmagie m it-transportieren,und selbst der Büchmannisierte Schiller
en th ält noch die ‘C ntrebande’ der Freiheit. Wenn ‘S p rach k u ltu r’ beides
will, Einübung von N orm en und Locker-H alten der N orm en, wird sie sich
in besonderem Maße am Beispiel der Poesie orientieren können.
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FRANZ HEBEL
Sprachkultivierung in der schulischen Bildung
Das Plakat, m it dem Sie zu dieser Tagung eingeladen haben, h at mir gut
gefallen. Wie ich m ehrm als beobachten konnte, forderte es zu N achden­
ken und A useinandersetzung heraus. Man sieht darauf einen nach links
gerichteten Kopf, auf der H öhe der Kehle tr itt aus schwarzem H inter­
grund ein grüner, frisch gepflückter Apfel hervor, ein B latt hängt noch
am Stiel; unten erkennt man ein Geflock von Wurzeln oder Haaren, man
könnte an den oberen Rand einer m ännlichen Brust erin n ert sein. Evas
Apfel, das M edium analoger K om m unikation beim Liebesspiel der Ureltern, wird im A dam sapfel des Mannes zum Instrum ent digitaler Kom­
m unikation, zu der Stim m e, die das Ja oder das Nein spricht. Was das Ja
und seine Folgen angeht, wissen wir aus der biblischen G eschichte bescheid. So also h at die V ertreibung aus dem Paradies begonnen, daß Evas
Apfel zum A dam sapfel w urde, daß eine K om m unikation ohne Zwischen­
töne, die digitale, an die Stelle des R eichtum s jener anderen trat. Mir
scheint, daß sich heute diese ärm ere in der schulischen Bildung fortsetzt.
Und dam it bin ich beim Them a.
Die W örter, die zu dem T hem a “ Sprachkultivierung in der schulischen
Bildung” zusam m engestellt w urden, sind vieldeutig und determ inieren
sich auch in dieser Zusam m enstellung n icht zur Eindeutigkeit. Für die
w ichtigsten von ihnen, Bildung und K ultur bzw. Kultivierung, gab vor
zw eihundert Jahren Moses M endelssohn in seiner A ufklärungsschrift fol­
gende Erklärung:
“ Die W orte Aufklärung, K ultur, Bildung sind in unserer Sprache noch neue
Anköm m linge. Sie gehören vorderhand bloß zur Büchersprache. Der gemei­
ne Haufe versteht sie kaum . Sollte dieses ein Beweis sein, daß auch die Sa­
che bei uns noch neu sei? Ich glaube n ich t.” '
Der Sprachgebrauch habe, so m eint M endelssohn, die G renzen zwischen
den Inhaltsseiten der W örter noch nicht endgültig gezogen. Er schlägt
vor, Bildung als O berbegriff zu w ählen, K ultur und A ufklärung als Un­
terbegriffe auf einer Ebene. K ultur sei m ehr auf das Praktische gerichtet,
Fertigkeiten, S itte, B rauchtum ; A ufklärung sei auf das Theoretische ge­
rich tet, w issenschaftliche E rkenntnis vor allem. Beide seien subjektiv als
Fähigkeiten der G esellschaftsm itglieder zu verstehen, K ultur dann als
Kultivierung auch, objektiv als Ergebnis der A nw endung eben dieser Fä­
higkeiten. Bildung ist also im m er nach Mendelssohns Verständnis auch
auf W issenschaftsorientierung gerichtet.
125
K ultur ist im folgenden als die A useinandersetzung der G esellschaftsm it­
glieder um eine konsensfähige D eutung der W irklichkeit und Begründung
ihres Handelns gesehen. Dabei geht es um eine Verständigung über die Be­
ziehungen der Beteiligten untereinander, ihre Beziehung zu sich selbst und
zur äußeren N atur. Die Interpretation dieser Beziehungen geschieht in
Symbolisierungen verschiedenster A rt, von denen die Sprache die w ich­
tigste ist. N ennt man diesen Prozeß aber einen V erständigungsprozeß,
dann besteht die G efahr, ihn als herrschaftsfreien Diskurs zu deuten.
Tatsächlich greifen in ihn aber diejenigen, die an M itteln der H errschaft
teilhaben, über Selektionen und S ubstitutionen lenkend ein. Diese sind
im Bereich der Schule bei uns vor allem der Staat, der über O rganisation
und Inhalte des U nterrichts bestim m t. “ Schulische Bildung” ben en n t al­
so jene widersprüchliche Einheit von A ufklärung und K ultur einerseits
und H andhabung selektiver und substituierender M echanismen zur Si­
cherung der H errschaft andererseits. Diese widersprüchliche Einheit er­
scheint in der G eschichte des D eutschunterrichts in welchselnder G estalt.
Ich w erde im folgenden die vier G esichtspunkte dazu herausgreifen, die
nach m einer Einschätzung gegenwärtig die w ichtigsten sind. Ihre Beach­
tung führt zu dem Ergebnis, daß in der schulischen Bildung das G edachte
an die Stelle des D enkens, das F orm ulierte an die Stelle des Form ulierens
zu treten droht, w enn nicht schon getreten ist. Diese vier G esichtspunkte
sind:
— das V erständnis des Sozialen als national;
— die D om inanz der Z entralkultur gegenüber anderen kulturellen Tätig­
keiten;
— die U nbestim m theit der Inhalte des D eutschunterrichts; und
— die F lucht ins Einfache.
Ich habe an anderer Stelle den kulturtheoretischen Rahm en für diese
Auswahl ausführlich begründet: inw iefern näm lich schulische Bildung als
V eranstaltung der zentralen K ultur die Spannung zwischen Spielraum
und Festlegung nur bew ahren kann, w enn sie in ihren Bildungsbegriff
A ufklärung einschließt; andernfalls verkom m t K ultur zur Anpassung ans
S elektierte und S ubstituierte gem äß H errschaftsinteressen.2
Das V erständnis des Sozialen als national
Es geht hier um jenes spezifisch deutsche Problem , das sich seit dem Aus­
gang des 18. Jahrhunderts stellt und das H elm uth Plessner als das der
“verspäteten N ation” beschrieben h a t.3 Die verspätete staatliche Eini­
gung hat das Selbstverständnis der D eutschen als K ulturnation gefördert,
126
so daß Sprache und L iteratur als integrierende K räfte eine übertriebene
Bedeutung erhielten, die B edeutung der G esellschaft für diese Integra­
tio n aber verdeckt w urde. In der Sprache M endelssohns k ö n n te man
sagen, daß in der Bildung bei uns die K ultur die A ufklärung über­
lagerte. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts geht es hinsichtlich der M utter­
sprache im G ym nasium noch um die R echtfertigung m uttersprachlichen
U nterrichts gegenüber dem Latein als “ Einheitssprache der G ebildeten” .
Man findet z.B. in der Schulschrift des G ym nasium s Essen von 1829 die
M uttersprache als “das Palladium eines V olkes” dargestellt4 , die letzte
In stitution, die die nationale Id en tität verbürgen kann. Im Rahm en des
Liberalismus, der sich um das Paulskirchen-Parlam ent entw ickelte, ge­
w innt die N ationalerziehung einen neuen A kzent. Der Patriotism us der
48er war au f Reichseinigung gerichtet und zugleich gegen Fürstenherr­
schaft gew andt. Für sie w ar die nationale Einigung identisch m it einer
gesellschaftlichen Liberalisierung, einer Entw icklung zur D em okratie hin.
So b e to n t Diesterweg (1790-1866), der wegen seiner Liberalität in Reli­
gionsdingen 1850 aus preußischen D iensten entlassen wurde, daß nicht
die Zugehörigkeit zu Einzelstaaten entscheidend sei, sondern die Einheit
der D eutschen.5 In der w ilhelm inischen Zeit gew innt dann die Besinnung
auf die nationale B edeutung der M uttersprache jene nationalistische Be­
tonung, die O tto Lyon m it dem bösen Schlagwort “Vom Humanismus
zum G erm anism us” b enannt hat. D am it ist gleichzeitig ein antirationalisti­
scher, antiaufklärerischer A ffekt verbunden. Solches G edankengut bleibt
auch nach Niederlage und U m gestaltung des Staates 1919 wirksam. Ab
1920 erscheint die “ Zeitschrift für D eutschkunde” , 1922 wird die “ D eut­
sche O berschule” eingerichtet. Die D eutschkunde w ollte in L iteratur und
Sprache den deutschen N ationalcharakter auffinden und stärken — durch
w issenschaftliche Forschung wie durch schulischen U nterricht. Dabei
m einte der D eutschdidaktiker W alther Seidem ann, man könne innere
Sprachbildung so gestalten, daß die Schüler über die “ innere S prachform ”
ihrer nationalen Eigenart gewiß w ürden.6 Der endgültige Bruch m it der
hum anistischen T radition aus A ufklärung und Klassik geschieht dann im
N ationalsozialism us, der das N ationale ins Rassistische pervertierte, Wis­
senschaftsfeindlichkeit als V olksnähe ausgibt. Und nach der Zeit der Ver­
brechen schreibt z.B. R udolph Prestel in der zw eiten Auflage seiner Di­
daktik 1963:
“Der Weg des 19. Jahrhunderts führt nicht über Diesterweg, auf dessen päda­
gogischer Saat zuviel Flugsand eines verspäteten Aufklärungsrationalism us
liegt ...” 7
Was m it “ Flugsand des R ationalism us” gem eint ist, spricht W alther Seide­
mann in der 4. Auflage seiner D idaktik so aus:
127
“ Die Einheitsschule (wir würden heute Gesam tschule sagen, F.H.) ist nicht
n ur und sogar nicht in erster Linie eine bestim m te Schulgliederung, sondern
ein Bildungsgrundsatz. Sie will als Vorbedingung für die Volkseinheit die
E inheit der Erziehung zur deutschen K ultur.” 8
Ursprünglich war die Einheitsschule verstanden als eine Schulform , in
der klassen- bzw. schichtspezifische U nterschiede ausgeglichen werden
sollten. Das ist bei Seidem ann gar n ich t m ehr das Them a, sie gelten bei
ihm als überw unden, w enn bei allen unterschiedlichen Interessenlagen
die Einheit im N ationalen erreicht wird. Das Problem ist nicht, daß Sei­
dem ann offenbar nicht für die Einheitsschule (G esam tschule) ist, darü­
ber wäre m it A rgum enten zu streiten und gegebenenfalls zu unterliegen.
Das Ungebildete, weil A ufklärungslose an dieser Ä ußerung ist vielmehr
die V erschiebung des sozialen Problem s der Bildungschancen ins N atio­
nale; im Gefolge davon wird dann die V olkskultur so einheitlich gesehen,
wie sie gerade aufgrund der U ngleichheit der Gesellschaftsm itglieder nicht
ist.
Und heute? In dem neuesten, w enn auch n icht m odernsten D eutsch-Lehr­
plan der Bundesrepublik, der zur L ehrerfortbildung freigegebenen End­
fassung des revidierten Lehrplans von Baden-W ürttemberg, findet man zu
dem hier behandelten A spekt unseres Problem s au f S. 32 einen wichtigen
Hinweis. Es geht dabei für Klasse 10 um eine Aufgabe im “A rbeitsbereich
3: Sprachbetrachtung und G ram m atik”. Diese A ufgabe ist so form uliert:
“ Die deutsche Sprache in den beiden deutschen S ta ate n : die sprachliche Ein­
heit als A usdruck einer gemeinsamen G eschichte und K ultur. Tendenzen der
Sprachentw icklung in beiden deutschen S taaten.” ^
Das ist ein wichtiges T hem a für den D eutschunterricht. Hier aber w irk t es
wie ein Irrläufer, weil es im Zusam m enhang m it dem Lernziel steht, die
geschichtliche Dim ension der Sprache an D ialekten zu erkennen. D arauf
wird dann später ausdrücklich Bezug genom m en, es wird hingewiesen auf
“ Bevölkerungsbewegungen nach dem Krieg” . 10 Dazwischen steh t aber,
als ob es sich um das gleiche handelte, der Hinweis auf den “ Vergleich
von W örterbüchern West und O st” 11, w odurch zwei Dinge verm engt w er­
den: einerseits das Problem der historischen Entw icklung von D ialekten,
auch infolge von politischen Entscheidungen; andererseits das Problem
der A useinanderentw icklung des w estdeutschen und des ostdeutschen
D eutsch, sofern diese überhaupt besteht, die nach m einem V erständnis
auf andere Vorgänge zurückzuführen ist. Da geht es n ich t um D ialekte,
sondern um Sprachveränderung aufgrund von unterschiedlichen Entw ick­
lungen gesellschaftlicher System e. O ffenbar überlagern hier nationaler­
zieherische Interessen die fachlich bestim m ten A ufgaben des D eutschun­
terrichts. Der E indruck der Verwischung von politischen und fachlichen
128
G esichtspunkten wird an anderer Stelle bestätigt, d o rt näm lich, wo die
“deutsche Frage” erneut beschw oren wird:
“ Deutsche Frage: geistesgeschichtlich-kulturelle Zusammenhänge Süddeutsch­
land —M itteldeutschland. (Schiller, G oethe, W ieland).” 12
Das k ip p t ins G roteske. Für die angespielten geistesgeschichtlich-kulturel­
len Zusam m enhänge zwischen Süddeutschland und M itteldeutschland
waren soziale Gründe entscheidend, zum indest m itentscheidend, oder
wissen die Lehrplanm acher Baden-W ürttembergs wirklich nicht, was
G oethe z.B. nach Weimar führte und wie sein V ater das beurteilte? Da
tau ch t, noch verhüllt, diese alte Denkfigur auf, in der das Soziale natio­
nal-kulturell interp retiert w ird. Deshalb m uß m an sagen, daß der BadenW ürttembergische D eutschlehrplan zwar der neueste, aber n ich t der m o­
dernste ist. Ich benutze ihn tro tzd em als Beispiel, weil er nach meiner
Einschätzung zur Zeit der kulturell-politische trend-setter ist. Er u n te r­
drückt an der schulischen Bildung die A ufklärung und verhindert auf die­
se Weise sprachliche Kultivierung.
Die D om inanz der Z entralkultur gegenüber anderen kulturellen Tätig­
keiten
Die G eschichte des D eutschunterrichts ist von frühesten Zeiten an von
dem Problem begleitet, wie das V erhältnis von H ochsprache zu D ialekt,
von H ochkultur zu V olkskultur zu bestim m en sei. Diesterweg sah das
Problem im Zusam m enhang m it den sozio-kulturellen Chancen, die
Schüler(innen) über den Besitz der H ochsprache gewinnen. Er meinte,
wohl m it R echt, daß auch die Schüler der U nterschicht fähig sein müß­
ten, jene überregionale Sprache zu verstehen und zu gebrauchen, in der
relevante gesam tgesellschaftliche Inhalte diskutiert w erden. Was er nicht
in Rechnung stellte, war die Gefahr, daß bei einem “ H inauferziehen” zu
Hochsprache und H ochkultur im m er der Preis des V erlustes kultureller
O ppositionen und A lternativen gezahlt wird, die besonderen Lebenswel­
ten regionaler oder sozialer A rt en tsp re ch e n .13 Das V erständnis von
sprachlicher K ultivierung als “H inauferziehen” legt es auch nahe, an die
Stelle der Befähigung zu kultureller T ätigkeit die Anpassung an die an­
erkannte K ultur zu setzen. Seit Beginn eines eigenständigen D eutschun­
terrichts wird dieses Problem u n te r zwei V oraussetzungen diskutiert.
Für die eine kann die A uffassung A ugust H erm ann Niem eyers stehen,
der K ant und Pestalozzi verpflichtet war, aber stets vor der Ü berschät­
zung form aler Bildung w arnte. Er lebte übrigens von 1754-1828, war ein
Enkel Franckes und zuletzt D irektor der Franckeschen Stiftungen:
129
“ In Familien, wo gut gesprochen wird, ist die Übung nicht so lange nötig
als in den Volksschulen. Hier ist sie zugleich ein M ittel, Kinder des Volkes
zu gewöhnen, den Lehrer, der ja im D eutschunterricht und auf der Kanzel
sich nicht ihres gemeinen platten H austons bedient, sondern richtig Hoch­
deutsch spricht, recht verstehen zu lernen.” 1^
Der Erwerb der H ochsprache steht bei ihm im D ienste des Zugangs zu
den Bereichen des Wissens, die wegen ihrer überregionalen B edeutung
hochdeutsch verm ittelt w erden; im Dienste der Aneignung gesellschaft­
lich ungleich verteilten Wissens, das die G esellschaftsm itglieder entspre­
chend ihren Bedürfnissen erw erben wollen oder erw erben müssen. Die­
ser volkserzieherischen Position ste h t eine A uffassung gegenüber, die die
schichtspezifischen Sprachunterschiede bestehen läßt, indem den Schulform en des dreigliedrigen Schulsystems je eigene Aufgaben der sprachli­
chen Kultivierung zugewiesen werden. 1852 weist z.B. von Raum er darauf
hin, daß die Sprache der K inder aus gebildeten Fam ilien eh schon der
Hochsprache nahestehe, so daß man für die sprachliche Kultivierung die­
ser K inder weniger Zeit aufw enden müsse.15 Noch 1951 stellt F reuden­
thal fest, daß die volkstüm liche Sprachbildung den Sprachbedürfnissen
der “ L aien” , des “gem einen M annes” genügen müsse und daß alles, was
darüber hinausführe, in der Volksschule überflüssige Liebesmüh s e i.16
U nter solchen V oraussetzungen wird “volkstümliche Sprachbildung” zum
Ersatz für soziale Chancen. So etw a h atten sich auch die N ationalsozia­
listen die Verteilung sozialer G ratifikationen vorgestellt. A ber diese Ver­
drängung hat in D eutschland nicht nur eine G eschichte, sondern sie ist,
wie manche Zeichen verm uten lassen können, auch andauernde Gegen­
wart. In dem neuesten, ich w iederhole: nicht m odernsten b u ndesdeut­
schen Lehrplan für D eutsch an G ym nasien, dem von Baden-W ürttemberg,
findet man als gymnasialspezifische A ufgabe:
“ Im Gym nasium wird die Fähigkeit entw ickelt, theoretische Erkenntnisse
nachzuvollziehen, auch schwierige Sachverhalte geistig zu durchdringen
sowie vielschichtige Zusammenhänge zu durchschauen, zu ordnen und ver­
ständlich darzustellen. Der Schüler soll über die Beherrschung der M utter­
sprache und frem der Sprachen zur freien argum entierenden Rede und zur
K enntnis unterschiedlicher Sprachstrukturen und M ethoden des selbständi­
gen Spracherwerbs geführt w erden.” 17
Alle diese Ziele sind gut und richtig — aber sie gelten nicht nur für das
G ym nasium , sondern für alle Schularten; gerade die neueste Entw icklung
im Bereich der Berufsbildung bestätigt das. Hier aber sind sie ausdrück­
lich, 1983, dem A bschnitt “Der besondere Erziehungs- und Bildungsauf­
trag des G ym nasium s” zugewiesen. Bezüglich des Verhältnisses H ochspra­
che — D ialekt wird unter den Bildungs- und Erziehungszielen des D eutsch­
unterrichts angeführt:
130
“ — Förderung der A usdrucksfähigkeit in der Hochsprache, wobei die M und­
art in ihrem Eigenwert anerkannt b leibt.” 1®
Die -Begründung für diese Toleranz wird an späterer Stelle gegeben:
“Als U nterrichtssprache ist grundsätzlich die Hochsprache zu verwenden.
Der Schüler soll sie korrekt und angemessen gebrauchen lernen. M undart
sprechende Schüler sollen so zum G ebrauch der Hochsprache hingeführt
werden, daß ihre Bereitschaft zur spontanen m ündlichen Äußerung erhalten
bleibt und gefördert wird. Durch die V erdeutlichung von Eigenarten und
G em einsam keiten verschiedener M undarten kann das V erständnis für die
Vielfalt und E inheit des deutschen Volkes vertieft w erden.” 1^
Wieder w erden beherzigensw erte Forderungen verkürzt geboten. Es fehlt
näm lich ein Hinweis darauf, daß Dialekt auch soziale U nterscheidungs­
funktion haben kann. So nim m t es nicht w under, daß unter der Über­
schrift “ A ufw ertung der M undart” zwar zu lesen ist:
“ A ufw ertung der M undart: Zusammengehörigkeitsgefühl, Gefühlswerte,
Anschaulichkeit. Beispiele von M undartdichtung und M undarttheater. Eige­
ne Gestaltungsversuche. Sprachspiele im D ialekt.” 20
U nter den F unktionen fehlt aber der Protest, die genannte soziale U nter­
scheidungsfunktion und das M undartlied in seiner neuen Form . Dabei
handelt es sich bei neuerem M undartgebrauch um einen kulturgeschicht­
lich und politisch wichtigen Vorgang. Im Gefühl der O hnm acht gegen­
über den M etropolen geschieht hier — wie auch anderswo — ein Rückzug
in überschaubare Lebensw elten m it erlebbarer Zusam m engehörigkeit,
auch sprachlich. Es treten d o rt sym pathetische Beziehungen anstelle der
rationalen, die angemessen wären, um die Z entralm acht besser zu kon­
trollieren. Und dieses Problem soll n icht in den Zusam m enhang des “ Spre­
chens über D ialekt” in Klasse 10 gehören, bei im m erhin 16jährigen Schü­
lerinnen und Schülern? N ation und Volk sta tt G esellschaft: K ultur ohne
A ufklärung verkom m t zur Halbbildung und, wie je tz t zu zeigen ist, in
der sprachlichen K ultivierung zur norm gerechten O berflächlichkeit.
In dem Baden-W ürttembergischen Lehrplan sind Lernziele und Inhalte
verbindlich. Dabei treten besonders in Kasten eingerahm te Anweisungen
hervor. Von diesen gelten zwei der Rechtschreibung, sechs sind Hinweise,
daß die Hälfte der Zeit für L iteratur aus dem Lektüreverzeichnis verw andt
w erden m uß, siebenm al wird die V erpflichtung ausgesprochen, daß bei
der Textausw ahl G oethe und/o d er Schiller zu berücksichtigen sind, ein­
mal, daß verschiedene G attungen beachtet w erden müssen.21 Hier bestä­
tigt sich: Ziel ist die Anpassung der Schüler an die zentrale K ultur, nicht
die Befähigung zu kultureller Tätigkeit. Erbe sta tt Erwerb.
131
Die Unbestimmtheit der Inhalte des Deutschunterrichts
Im Unterschied zu allen anderen Fächern in der Schule h at der Sprach­
u n terricht innerhalb des D eutschunterrichts keinen Inhalt, der Schülerin­
nen und Schülern in der Weise frem d wäre, wie dies in Frem dsprachen
oder Sachfächern der Fall ist, auch der M athem atik. (Im L iteratu ru n ter­
richt innerhalb des D eutschunterrichts stellt sich das Problem anders).
Dieser Sachverhalt führt zu der Frage, ob der Inhalt des m uttersprachli­
chen Sprachunterrichts eher form al oder inhaltlich zu bestim m en ist.
Das gilt sowohl für die produktiven wie für die analytischen T ätigkeiten,
also für Sprachkultivierung in den A rbeitsbereichen Sprechen und Schrei­
ben ebenso wie für die Sprachkultivierung im Bereich von Sprachbetrachtung und G ram m atik. N iem eyer, den wir schon als sozialbew ußten Volks­
erzieher kennengelernt haben, erklärt die A ufgabe der Sprachkultivierung,
ausgehend vom gebildeten Sprechen in m anchen Fam ilien, so:
“Jener bildende Umgang wird ja bei w eitem n icht allen zuteil. Überdies hat
die Bekanntschaft m it den Sprachgesetzen an sich selbst etwas Geistbilden­
des, und es ist schon als V erstandesbeschäftigung von hohem Wert; außer­
dem bekom m t jede Fertigkeit einen desto höheren, je m ehr man sich der
Gründe deutlich bew ußt ist.” 22
Hier geht es darum , daß die sprachlichen R egularitäten der Syntax, Se­
m antik, Pragm atik ebenso wie die kulturell verm ittelten H andlungsm u­
ster des Sprechens und Schreibens n icht einfach blind vollzogen, sondern
erkannt und in ihrer F unktion verstanden w erden können. Reflexivität
des eigenen H andelns steh t hier im Zentrum der Sprachkultivierung.
Dem steh t eine Begründungsfigur für die Beschäftigung m it der S tru k tu r
der M uttersprache gegenüber, die um die Jahrhundertw en d e w eit ver­
b reitet war und bei der es darum geht, in der S tru k tu r der M uttersprache
den nationalen Geist w iederzufinden und darin das Individuelle als na­
tional zu erkennen.23 Niem eyers Position, deren Reflexivität den Irr­
tu m nahelegt, Beschäftigung m it Sprache könne ein “T urngerät des Gei­
stes” sein, reflexive S prachbetrachtung und Bew ußtw erdung des eige­
nen sprachlichen H andelns könne abgelöst von Inhalten und S ituatio­
nen geschehen, w urde häufig als Form alism us und Intellektualism us
diffam iert. In der heutigen Diskussion wird Sprachkultivierung w eitge­
hend als solche R eflexivität verstanden, und es ist die schon bei D iester­
weg zu erkennende funktionale S prachbetrachtung24 anerkannt. Sprach­
kultivierung zielt dann darauf, bei der Analyse und P roduktion von T ex­
ten nicht nur auf den sprachlichen K otext, sondern auch auf den situa­
tiven K ontext Bezug zu nehm en. Die Entw icklung der Pragm atik und
der Gesprächsanalyse h at da neue M öglichkeiten für den U nterricht vor-
132
bereitet. Die konsequente Entw icklung einer didaktischen Sprachlehre
im Bereich von S prachbetrachtung und G ram m atik ebenso wie von Spre­
chen und Schreiben scheitert aber bis heute daran, daß die Lehrpläne
aller Bundesländer für die Sprachlehre gram m atische Inhalte vorschrei­
ben, die die traditionelle Schulgram m atik w iederholen. Schulbücher m it
eigenen, neuen A nsätzen k önnten gar nicht zugelassen w erden. Dabei
folgt man zudem einer bundesw eit erfolgten Term inologieregelung der
KMK, durch die z.B. die V alenzgram m atik ausgeschlossen wird. Herr
Wimmer hat in einem G utachten dieses In stituts deutlich darauf hinge­
w iesen.25
Der Lehrplan von Baden-W ürttemberg bleibt bedauerlicherw eise in dem
traditionellen W iderspruch verstrickt, daß er einerseits funktionale Sprachund T extbetrachtung ausdrücklich fordert, andererseits den S to ff der
Schulgram m atik ebenso verbindlich m acht wie die traditionellen Schreib­
m uster. Da w erden Inhalte K lassenstufen zugeordnet, als ob in S tu ttg art
jem and w üßte, was sonst keiner w eiß: in w elchem A lter K inder heute
z.B. sprachliche M odalitäten unterscheiden können; in Klasse 6 bestim m t
n icht, in Klasse 7 vielleicht, in Klasse 8 ganz bestim m t? Das mag der
Schulaufsicht helfen, der Sprachkultivierung dient so etwas nicht, weil
die Bedürfnisse der Sprecher sich nicht nach Lehrplanregelungen richten.
Die F lucht ins Einfache
Die Frage nach der — wie man so sagte — “ verständlichen” Form ulierung
spielte in den A useinandersetzungen um die Hessischen R ahm enrichtlinien
eine wichtige Rolle. Häufig war m it diesem A rgum ent etwas anderes als
“V erständlichkeit” gem eint, wie die o ft w iederholte Gleichsetzung von
“ unverständlich” und “soziologistisch” zeigt. Es geht dabei um die Frage,
w ieweit die fachliche, und das heißt im m er a u c h : die fachsprachliche
Form ulierung eines Lehrplans gehen darf. Ist es richtig zu verlangen, daß
E ltern und Schüler den sie betreffenden L ehrplan auf A nhieb verstehen
können müssen? Zwar bedürfen wir heute nicht m ehr der Forderung nach
W issenschaftlichkeit, weil es den m uttersprachlichen U nterricht gegen
den L ateinunterricht zu verteidigen gälte. Wohl aber brauchen wir Wissenschaftsorientiertheit, w enn der m uttersprachliche U nterricht nicht
völlig willkürlich von denen bestim m t w erden soll, die gerade über die
politische M acht verfügen. Wir haben ja erlebt, was dabei herauskom m t,
daß näm lich am Ende einer nationalistischen Erziehung eine rassistische
stand, die M illionen von M enschen das Leben gekostet hat.
Auch die R eklam ation der Erfahrung des Kindes kann in diesem Zusam­
menhang nicht stechen. Der Gegensatz E rfahrung des Kindes und Wissen133
4
Schaft ist Ergebnis einer antirationalistischen, antitheoretischen Einstel­
lung, er existiert nicht tatsächlich. Denn auch das Schulkind b au t seinen
Wissensbesitz m it Hilfe von Begriffen auf, kann darüber nur verfügen,
wenn er geordnet ist, und lernt nur dazu, w enn der L ernprozeß folge­
richtig und klar überschaubar gestaltet wird. Zwar kann die Bedeutung
eines Wissensstoffes in der Wissenschaft anders akzentuiert sein als im
Leben, deshalb ist ja die didaktische R eflexion nötig. Alle anderen Ge­
genüberstellungen verweisen aber auf einen antiw issenschaftlichen A ffekt,
der dem U nterricht nicht dient. Denn nur m it Hilfe von Wissenschaft
kann man etwas über die reale Lebensw elt von Kindern erfahren; ohne
sie muß man sie aufgrund einer Ideologie postulieren.
Das Problem der F lucht in die E infachheit spiegelt sich oft in F ord eru n ­
gen, die die Ö ffentlichkeit an Lehrpläne stellt. Der neue Lehrplan BadenW ürttemberg scheint die F orderung nach E infachheit zu erfüllen, nicht
zuletzt auch durch seine Kürze. Prüfen wir das an einem Beispiel. Das
Lernziel für den d ritte n A rbeitsbereich, Sprachbetrachtung und Gram­
matik, für Klasse 5 lautet:
“Die Sprachbetrachtung dient dem V erständnis sprachlicher Äußerungen,
dem Einblick in Gesetzm äßigkeiten und A usdrucksm öglichkeiten der M ut­
tersprache sowie der Einsicht in Leistungen und Funktionen der Sprache.
Dam it soll sie auch zur A usdrucksfähigkeit und zur Sicherheit im Sprachge­
brauch beitragen.
Die Schüler lernen Bedeutungsfunktionen und Bauformen einfacher Sätze
sowie Zusammenhänge und Gliederungsm öglichkeiten des W ortschatzes
kennen. Sie lernen gram m atische Kategorien und üben ihre A nw endung bei
der Erklärung sprachlicher Ä ußerungen.”
In der verbindlichen Inhaltsspalte steht dann zunächst:
“Wesentliche F unktionen der Sprache im Sprachgebrauch
M itteilung, Verständigung und sprachliches H andeln.”
V on den Inhalten der Zielangabe finde ich in der Inhaltsspalte alle die
wieder, die m it G ram m atik im traditionellen Sinne zu tun haben, sie le­
sen sich wie ein A usschnitt aus dem Inhaltsverzeichnis des G rammatikSchülerduden. Ich zitiere:
“ Syntax, A rten des einfachen Satzes: Aussage-, Frage-, Aufforderungs-, Aus­
rufesatz; Satzglieder: Subjekt, Prädikat, O bjekt (Genitiv-, Dativ-, Akkusativ­
objekt); Satzzeichen ...;
W ortarten, Substantiv und Artikel, Verb: Infinitiv, Personalform en in Ver­
bindung m it Personalpronom en; Im perativ und andere Form en der A uffor­
derung; Tem pora (Präsens, Präteritum , Futur), Pronom ina und ihre Bedeu­
tungsbeziehungen im T ext: Personal-, Possessivpronomen, Präpositionen,
Fragewörter, Bedeutungslehre, W ortfamilie, W ortfeld.” 26
134
Das ist so eine Stelle, von der ich vorhin sprach, durch die die trad itio ­
nelle Schulgram m atik ewig w iederholt wird, über die Term inologierege­
lung sogar u n te r A usschluß m öglicher kleiner Verbesserungen. Die vorher
zitierte Stelle: “W esentliche F unktionen der Sprache, Sprachgebrauch;
M itteilung, V erständigung und sprachliches H andeln” stellt aber einige
Problem e: “M itteilung” ist offenbar aus dem Modell der Faktoren und
F u nktionen der K om m unikation in den Plan geraten, “ sprachliches H an­
deln ” könnte ein O berbegriff für Mehreres sein, und “V erständigung”
bleibt offen. “ V erständigung” findet man in einschlägigen Hilfsm itteln
n ich t oder nur als A bleitung oder m it Zusätzen. Sollte hier m it “ V erstän­
digung” etwa “ K om m unikation” gem eint sein, aber irgend ein Goggelmoggel — Sie kennen ihn aus “Alice hinter den Spiegeln” — h ätte das
W ort verboten? — Jedenfalls stehen die im Plan gereihten W örter nicht
auf einer begrifflichen Ebene. Ich h ätte stattdessen geschrieben:
“ Faktoren und Funktionen der K om m unikation:
Sprecher (Ausdruck) — Angesprochener (Appell) — Gegenstände und Sach­
verhalte (Darstellung).
Sprache und Sprechen in alltäglichen S ituationen.”
Ich halte das für eine bessere, sachlichere, klarere und eine theoriebezo­
gene Form ulierung, die das V erständnis der Laien nicht ausschließt. Der
Fachm ann, der der Lehrer doch wohl im m er noch sein soll, weiß, in wel­
chem Zusam m enhang das alles steht. Die Form ulierung des Lehrplans
ist nur scheinbar volkstüm licher. Sie gibt den Theoriebezug auf, ohne
sachlich verständlicher zu sein. Z ieht man A ufklärung von Bildung ab,
dann bleibt offenbar n i c h t K ultur übrig, sondern etwas, was eben je ­
ner Goggelmoggel als “ K u ltu r” zu definieren sich anm aßt.
A uf den A usschnitt aus dem Inhaltsverzeichnis des Schüler-Duden will
ich nicht eingehen. A ber w arum steht da z.B. “ B edeutungslehre” sta tt
“ S em antik” , vorher aber “ S y n tax ” sta tt “ V erknüpfungslehre” ? Wer be­
stim m t eigentlich diese Willkür?
Einfach ist schwer.
Nur überzeugende E infachheit erw eckt das V ertrauen, daß es um Sprachkultivierung, nicht um andere, m ehr oder weniger vordergründige Ziele
gehe.
Wenn meine V erm utung stim m t, daß es sich bei diesem Lehrplan um
einen kulturpolitischen trend-setter handelt, dann wird von sprachlicher
K ultivierung in der schulischen Bildung in Z ukunft kaum noch die Rede
sein können.
135
Ich fasse zusam m en:
V ersteht man un ter “ Bildung” m it M endelssohn die Einheit von K ultur
und Aufklärung, dann ist sprachliche K ultivierung ohne A ufklärung, o h ­
ne Wissenschafts- und Theoriebezug nicht möglich.
Aus der Entw icklung des D eutschunterrichts kann m an vier Tendenzen
erkennen, die die V erknüpfung von K ultur und A ufklärung gefährden,
nämlich:
— das Verständnis des Sozialen als national. Die deutsche Teilung legt
das Selbstverständnis der D eutschen als K ulturnation erneut nahe und
könnte diese unheilvolle T endenz auch w eiterhin fördern.
— die Dom inanz der Z entralkultur gegenüber anderen kulturellen Tätig­
keiten. Freilich braucht eine Gesellschaft wie die unsere eine Standard­
sprache, die die V erständigung über die sprachlichen V arietäten hinweg
erm öglicht. Zu sprachlicher K ultiviertheit gehört aber, daß die Sprecher
dadurch nicht den (sub)kulturellen A usdrucksform en en tfrem det und
dieser gar beraubt w erden, weil der Anpassungsdruck an die Z entralkul­
tu r zu stark wird. V or allem gehört zu sprachlicher Kultivierung heute
auch die Fähigkeit, die eigene Sprache in der verfrem deten Form als Me­
dium der Verständigung anzunehm en, die sie im M unde von A usländern
haben kann; im M unde von Ausländern geringer A usbildung vor allem
und solchen, deren M uttersprache ganz anders ist als die unsere.
— die U nbestim m theit der Inhalte des D eutschunterrichts. Gegenstand
des D eutschunterrichts ist die M uttersprache im gesellschaftlichen V er­
kehr. Der Zusatz “im gesellschaftlichen V erkehr” ist gegen zwei Verkür­
zungen gerichtet. Z unächst dagegen, daß bei B etrachtung der m u tter­
sprachlichen Eigenheiten dieselben als integrierende K raft außerhalb der
gesellschaftlichen Handlungsbedingungen gedeutet w erden. D ahinter
steh t ein V erständnis von K ultur, das diese außerhalb des realen Lebens
sieht, über diesem, sei es nationalistisch, sei es ästhetisierend. Die zweite
Verkürzung, gegen die der Zusatz “ im gesellschaftlichen V erkehr” ge­
rich tet ist, ist das eingeschränkte V erständnis von der Erfahrungsw elt
der K inder heute. Sie bedürfen schon als Zehnjährige — natürlich in al­
tersgem äßer Form — der V orbereitung auf die M odernität. Dabei spielt
die Chaotisierung der Erfahrung durch das M edienangebot eine wichtige,
im m er noch wichtiger w erdende Rolle. Hinzu kom m t die über den tech ­
nologischen und bürokratischen D enkstil geförderte A usblendung der
Frage nach dem Zweck der Zwecke. Sprachliche K ultiviertheit ist hier
durch eine Desym bolisierung der Erfahrung bedroht, weil sich an die
Stelle eigener Symbolisierungsleistungen von außen angesonnene, nicht
rekonstruierbare Sym bolisierungen setzen. Dagegen kann es der Sprach136
kultivierung dienen, w enn kulturelle T ätigkeiten höher bew ertet werden
als die A nnahm e kultureller O bjektivationen.
— die F lucht ins Einfache. Die Inhalte des D eutschunterrichts können
vor allem nicht durch T heorielosigkeit besser bestim m t werden. Stattdessen ist für sprachliche K ultivierung die A rbeit an einer Aufgabe ge­
fordert, deren Lösung noch n icht abzusehen ist, die Moses Mendelssohn
in der frühesten Zeit, da sie sich stellte, aber so charakterisiert hat:
Es kom m t stets auf die G rundbegriffe unseres D enkens an.
“Ohne diese können wir in keiner Wissenschaft, in keiner Theorie der Kunst
den m indesten Schritt tun. Je w eiter wir in unserer B etrachtung gehen, je
länger wir gleichsam den Faden ausspinnen, der von diesen ersten Begriffen
ausgeht; desto weniger können wir die Folgen m it ihren ersten Gründen zu­
gleich übersehen, desto m ißlicher wird also jede kleine Unrichtigkeit oder
auch nur U nbestim m theit in den ersten G rundbegriffen. So lange wir in un­
seren Schlüssen noch Begriffe und Worte, Zeichen und Bezeichnetes zugleich
denken können, kom m t auf die gar zu genaue Bestim m ung der Grundideen
noch so viel n icht an. Hier und da mögen die Umrisse derselben noch schwim­
m end, die Grenzen nicht auf das genaueste bezeichnet sein, bald dieses, bald
jenes Merkmal m ehr oder weniger m it einschließen. Im Grunde sind diese
Wegzeichen n icht unsere einzigen Führer, auf die wir uns völlig verlassen.
Wir haben vielm ehr noch im m er unsern Ausgangsort in den Augen, und kön­
nen uns kleine Ausweichungen erlauben; denn wir wissen wieder einzulen­
ken. Sobald aber die Reihe unserer Schlüsse so lang wird, daß wir uns den
bloßen W orten wie algebraischen Form eln anvertrauen müssen, so führt jede
kleine Abw eichung am Ende w eit vom Ziele weg; denn wir wissen nicht
m ehr, wohin wir einlenken sollen.” 27
Hier finden wir an geschichtlich früher Stelle, in den sechziger Jahren des
18. Jahrhunderts, beschrieben, was uns heute als die H errschaft des Sig­
nifikanten b edroht, die H errschaft des G edachten über das D enken, des
F orm ulierten über das Form ulieren. Diese ist die größte Bedrohung der
Sprachkultivierung, und es m uß bezw eifelt w erden, daß die Schule ihr
hinreichenden W iderstand entgegensetzt. Neigt sie doch dazu, aus Bildung
A ufklärung zu elim inieren und sie nach einem willkürlich gefaßten Kul­
turbegriff zu definieren.
Anm erkungen
1
Moses Mendelssohn, Ober die Frage: was heißt aufklären? in: M.M., Gesam­
m elte Schriften. Nach den Originaldrucken und H andschriften herausgegeben
von G.B. Mendelssohn, Leipzig 1843 (N achdruck der Ausgabe 1863: Hildes­
heim 1972) III, S. 399.
2
Vgl. Franz Hebel, Spielraum und Festlegung, Königstein/Ts. 1979.
3
Helm uth Plessner, Die verspätete N ation, S tuttgart 1959.
137
A. Schrieber, A ndeutungen über den U nterricht in der deutschen Sprache
auf Gymnasien, in : Schulschrift Gym nasium Essen 1829, S. 12-14; vgl. da­
zu auch Juliane Eckhardt, Der Lehrplan des D eutschunterrichts, Weinheim
1979.
5
Friedrich A dolf Wilhelm Diesterweg, Schriften und Reden in zwei Bänden,
hrsg. von Heinrich Deiters, Bd. 1, Berlin/Leipzig 1950, S. 75.
6
W alther Seidem ann, Der D eutschunterricht als innere Sprachbildung, Heidel­
berg 1927 (4. Auflage Heidelberg 1959), S. 84.
7
R udolph Prestel, M ethodik des D eutschunterrichts 2 1963, S. 239.
8
Seidemann (Anm . 6), S. 84.
9
10
Revidierter Lehrplan Deutsch für Baden-W ürttemberg, S. 32.
ebd.
11
ebd.
12
ebd., S. 40.
13
Friedrich A dolf Wilhelm Diesterweg, Meinungen über Sprache und Sprach­
unterricht, besonders über den gegenwärtigen Standpunkt der M ethode des­
selben, hrsg. von Heinrich Deiters u.a., I. A bt. Bd. 4, Berlin 1961, S. 8-9.
14
August Herm ann Niemeyer, G rundsätze der Erziehung und des U nterrichts
für Eltern, H auslehrer und Schulm änner (1787) 2. Teil, Reutlingen ®1827,
S. 421.
15
R udolf v. Raum er, Das D eutsche auf dem Gym nasium, in: R. v. R., Geschich­
te der Pädagogik, Bd. 3 der 2. A btl., Gütersloh 1852, 1897, S. 211.
16
H erbert Freudenthal, Volkstüm liche Sprachbildung, W estermanns Pädagogi­
sche Beiträge 1951 (3), S. 354.
17
Lehrplan (Anm . 9), S. 3.
18
ebd., S. 7.
19
ebd., S. 11.
20
ebd., S. 32.
21
ebd., S. 5, 6, 10, 11, 15, 20, 25, 29, 39, 44.
22
Niemeyer (Anm. 14), S. 108.
23
Handbuch der Pädagogik Bd. 2, Besondere U nterrichtslehre oder M ethodik
des U nterrichts (1898) l 0 1913, S. 285.
24
Friedrich A dolf Wilhelm Diesterweg, Wegweiser für deutsche Lehrer, Bd. 1,
Essen 2 1838, S. 334.
25
Rainer Wimmer, IDS-Stellungnahme zu dem “Verzeichnis grundlegender
gram m atischer Fachausdrücke ...” , in: IDS-Mitteilungen 9, M annheim 1983,
S. 5 ff., insbesondere S. 21 ff.
26
Lehrplan (Anm. 9), S. 7/8.
27
M endelssohn (Anm. 1), V, S. 403.
13
ADOLF MUSCHG
Sprachkultur und Literatur
Jan Willem van de Wetering, der niederländische, englisch schreibende
Verfasser vortrefflicher Krim inalrom ane, h at sich einen Teil seiner Qua­
lifikation — für m ich: den w ichtigsten — als Schüler eines Zen-Klosters
in K yoto geholt. In seinem Erfahrungsbericht “ Der leere Spiegel” refe­
rierte er die G eschichte eines Mönchs, der S tunde um S tunde dam it zu­
bringt, den G arten von gefallenem Laub zu säubern. N ebenan haust ein
alter, bereits invalider Meister, der ihm bei dieser mühseligen A rbeit zu­
schaut. Wie sie vollbracht ist, sagt der A lte: Je tz t fehlt n u r noch eins. —
Was? will der G ärtner wissen. — Trag mich über den Zaun, dann will
ich’s dir zeigen. — Der M önch gehorcht; der A lte schleppt sich zu einem
Bäumchen, das noch nicht alles Laub hat fallen lassen, und schüttelt es.
Im Nu ist der G arten wieder m it Blättern übersät. — Das! sagt der Alte.
Kein ganz unpassender Einstieg zum K apitel L iteratur und Sprachkultur,
w enn diese als Sprachpflege im alten Sinn gepflegter N orm en verstan­
den wird. Wir haben es offensichtlich in unserer Zen-Geschichte m it
einem subtileren V erständnis von G artenpflege zu tun. Wobei es ganz
falsch, das heißt: ganz unbuddhistisch wäre, sich über den sorgfältigen
G ärtner lustig zu m achen. Da soll kein P edant durch Schaden klug, son­
dern ein from m er T äter durch Geschehenlassen weise w erden. Wenn er
bei dieser Gelegenheit erleuchtet w urde, so durch die Erfahrung der Er­
gänzungsbedürftigkeit des Tuns durch N icht-Tun; noch m ehr: der Zu­
sam m engehörigkeit, ja der Gleich-Gültigkeit von Position und Negation.
Noch etwas m ystischer ausgedrückt: das sorgfältig w eggeräum te und
das sorg-los wieder fallende B latt stam m en vom selben Baum. Der Wind,
den die Hand des alten Meisters erzeugt hat, ist kein A rgum ent gegen
die O rdnung des Gartens, sondern dem onstriert sie — auch sie! — als
bewegliche Ordnung.
Diese G eschichte hat m ir geholfen, über m eine anfängliche, vielleicht
etwas subalterne U nlust an unserem T hem a “ S p rachkultu r” w eiterzu­
kom m en. Wie jeder, der sich noch durch Schul-G ram m atik und G utes
D eutsch, durch m ehrere Disziplinen von Sprachw issenschaft plagen
m ußte, habe ich Gründe für diese U nlust, die zum R essentim ent einladen. Es ist leicht, gegen die V ersuche, ins Wasser Linien zu ziehen, die
N atur des Wassers auszuspielen, diese N atur wom öglich überhaupt erst
in den D ichtern verkörpert zu finden und im Fall, daß m an sich selber
139
dazu zählt, für die eigene A rbeit als F reiheit in A nspruch zu nehm en —
als Freiheit vom gepflegten, ja ganz besonders vom gepflegten D eutsch.
Natürlich befindet m an sich m it diesem Genie-Anspruch in ansehnlicher
Gesellschaft. Zum Selbstverständnis der auf D eutsch L iteraturtreibenden
gehört ja m indestens seit dem Sturm und Drang, genauer besehen seit
M artin L uther und Jakob Boehme der A nspruch, die eigene Sprache
neu zu schöpfen und zu schaffen, inspiriert vom heiligen Geist oder,
wenn der nicht m ehr helfen will, vom Teufel — heiße der M ephisto oder
Dr. Schleppfuß. K unst will auf D eutsch die Sprache Adams, oder schlank
und leicht wie aus dem N ichts entsprungen sein — sie erhebt sich über
das Bestehende, das sie wie N ichts behandelt. Einmal h at dieses Nichts
“to te K onvention” , “M ode” , “ Regel” , bloß N achahm ung frem der, wo­
möglich gar “ artfrem der” V orbilder geheißen; ein anderm al aber auch
Schulm eisterei, Beckm esserturm , erstarrte Norm . N icht nur auf D eutsch,
aber da am ausdrücklichsten, ideologiem ächtigsten, fühlt sich SPRACHE,
groß geschrieben, einem Begriff des Originalen verpflichtet, der sich ge­
w öhnt hat, gerade der K onvention des sogenannten “guten D eutsch” zu
spotten. Schim m ert nicht dieser Topos sogar durch die Verkleidung je­
ner Linguistik, die die parole, das W ort aus M enschenm und, die lebendi­
ge V ariante, ausspielt gegen die langue; die Sprache in Bewegung gegen
das to te Corpus des D ictionnaires, das sozial und em otional situierte
W ort gegen das in der B edeutung fixierte?
Da ist nicht nur R espekt vor den Tatsachen, da ist auch noch ein Stück
R om antik am Werk, und sie kann seltsam e Bettgenossen schaffen. Ich
erinnere mich an ein L iteratentreffen im Quebec, an dem n ich t erst die
gram m atisch und stilistisch norm ierte, sondern schon die gedruckte, ja
die geschriebene Sprache zum K ulturverrat erklärt w urde: diesen hoch­
gradigen A lphabeten schien nur die oralite, das vom M und zum Ohr, vom
Herzen zum Bauch geredete, w enn irgend möglich überhaupt gesungene
oder getanzte W ort kulturbildend und menschenwürdig. A ber auch am
scheinbar ändern Ende der Zivilisation, in M cLuhans verkabeltem WeltD orf, steht die F iktion spontaner A nsprache am Bildschirm im Geruch
echter M enschlichkeit: so treffen sich der ethnologische L iterat und der
lächelnde Disc Jockey in der V erachtung Gutenbergs. Ein Glanz von
Pfingstw under ru h t auch auf den Kürzeln der Jugend- und Aussteigerspra­
chen, deren echte — oder gespielte — Sprachlosigkeit verstanden w erden
m öchte als P rotest gegen die Sprache der Verwalter.
Daß sich der Schriftsteller m it seinem elaborierten Code dem reduzier­
ten, wegw erfenden der K ultur-O pfer — oder K ulturleichen, wie sie sich
in Zürich 1980 genannt haben — im m er noch näher fühlt als den V ertre­
tern eines sogenannten guten D eutsch (oder Englisch, oder Französisch)
140
ist gewiß ein internationales Phänom en, wie der dam it zusam m enhängen­
de Boom der M odern M undart und später der Rock-Poesie. A ber auf
D eutsch hat die K ritik an der jeweils als herrschend denunzierten Spra­
che im m er eine besondere Schärfe gehabt. Auch die Sprache der D ichter
gibt, wie diejenige der Aussteiger, gern und o ft dem onstrativ zu verste­
hen, daß sie einem K ulturbegriff, den sie als hohl, ungedeckt, unm ensch­
lich erfährt, nichts verdanken will — und sie w ußte n ich t immer, oder
w ollte n icht wissen, daß diese verständliche R eaktion wieder sehr leicht
dem R eaktionären verfällt, gegen das sie sich w endet. Wer die echte
K unst — oder die wahre S pontaneität — erst da beginnen läßt, wo die
K ultur aufhört, m uß sich daran erinnern lassen, daß schon einmal auf
D eutsch jem and verkündet hat, w enn er das W ort K ultur höre, entsiche­
re er seinen Revolver — es war einer, der sich als D ichter verstand. Und
der Propagandam inister, d er’s ihm nachsprach, beanspruchte für das,
was er anrichten half, seinerseits wieder den N am en einer neuen, einer
blut- und bodennahen K ultur. Er vernichtete dam it die G rundlage einer
Zivilisation, die feinere G eister vor ihm als un-deutsch gekennzeichnet
h atten — nur: so b rutal h atten sie’s natürlich nicht gem eint.
Wenn diese vertrackte G eschichte für unser Them a etw as bew eist, so
doch wohl dies.- daß es das Ursprüngliche als Wert nur da, und nur so
lange geben kann, als der Gegen-Wert des K ultivierten, des Überlieferungs­
würdigen und -befürftigen gegeben und geläufig b le ib t; und daß man
w eder K ultur noch Zivilisation hat, wenn m an m eint, das U nverm ittelte
dagegen ausspielen zu können. Dafür gibt sich das M edium, von dem wir
handeln, nicht her; der U nm ittelbarkeitsw ahn zeigt sich, im harmlosen
Fall, als Selbstbetrug, im Fall öffentlicher V erbreitung als Beziehungs­
schwindel, wie das G utenachtlächeln des Schlafm ittelverkäufers am Fern­
sehen.
A ber ich habe von S prachkultur und Literatur zu reden. Und der Litera­
tu r gestehen ja auch unverfängliche Zeugen das R echt zur A bw eichung
zu. Die Sprachw issenschaft definiert das literarische Zeichen geradezu
als anders geladenes — ich glaube, die russischen Form alisten sprachen
von “ Iso to p ” —, dessen Bedeutung nicht, oder nicht prim är, durch so
etwas wie allgem einen Sprachgebrauch, sondern durch den spezifischen,
einmaligen K ontext definiert wird. Will sagen: der Sinn, den die K on­
vention dem Zeichen vorgibt, ist im K unstw erk nur als Z itat gegenwär­
tig, auf dessen M odifikation es ankom m t. Die Ü bereinkunft, die das Zei­
chen an eine Sache gebunden hat, ist dazu da, gebrochen zu w erden, sie
ist, weniger dram atisch gesprochen, Material, Spielm aterial. Wer die Be­
deutung des Zeichens zu kennen glaubt, m uß sie im K unstw erk, nach
dessen eigener Spielregel, nochm als kennen, von frischem deuten lernen.
141
Das ist ein Prozeß, dessen subtile Form en seine R adikalität verbergen;
er verlangt, provoziert einen M itspieler, der seinerseits zur A bweichung,
zum Bruch m it Sprachgew ohnheiten, zu einem sym bolischen A benteuer
fähig ist. Literarisch lesen ist eine K unst, die gelernt w erden will. Die E r­
fahrungen, die dazugehören, bilden sich selbstverständlich auch außer­
halb der Sprach-Kunst, aber man begabt sich dazu doch nur im Umgang
m it ihr, in der B ereitschaft für ihren Eigen-Sinn. Es wird, m it ändern
W orten, ein hohes — was n icht sagen will: akadem isches — Niveau ver­
baler G ew ohnheit verlangt, w enn man das U ngew ohnte an der litera­
risch, kunstm äßig eingesetzten Sprache als solches realisieren soll — als
Leser wie als Schreiber. G erade um den Schein des U nverm ittelten (e t­
was Besseres h at das literarische Werk n icht zu bieten) zu genießen, muß
man viel verm ittelt bekom m en, m itbekom m en haben von allem, was
am sprachlichen Zeichen eben nicht N atur, sondern — altertüm lich ge­
sagt — Willkür, m oderner gesagt: Ü bereinkunft ist: n ich t gottgegeben,
sondern historisch geschaffen und besetzt, sozial gebraucht, auch zum
M ißbrauch geeignet. Es ist die durch solche K onventionen beschränkte
Freiheit der W örter, die sich der Leser — n icht nur der von literarischen
T exten — gegen die K onvention, aber ihrer bew ußt, w ieder nehm en muß,
der literarische T ex t fo rd ert ihn geradezu auf, sie sich zu nehm en. Denri
er selbst b eruht auf ihr: ja er ist durch den Eigen-Sinn seines Sprachge­
brauchs definiert.
Und dam it ergibt sich das scheinbare Paradox, daß nichts so sehr der
Ü bereinkunft, des Bewußtseins einer T radition, der K enntnis seiner V or­
geschichte bedarf wie das literarische Zeichen. N ur der Leser, der sich
der M öglichkeiten von Sprachgebrauch, der Sprach-K ultur kundig ge­
m acht hat, ist kritisch genug, um die Überraschung zu würdigen, die
das K unstw erk zu bieten h at — und frei genug, um sich, w enn’s hoch
kom m t, seine K ritik durch das K unstw erk entw affnen zu lassen; die
disziplinierte Lizenz, die sich die K unstsprache herausnim m t, zu Verste­
hen als Erinnerung an reale Freiheiten, an realisierbare P otentiale des
Menschen.
Wären sie nur berechtigt gewesen, die beweglichen Klagen deutscher
D ichter über ein Zuviel an K onventionen! In W irklichkeit war es ja ge­
rade der Mangel an intelligenter K onvention, an allgem einer Sprachkul­
tu r, der sie zwang, sich zu Genies aufzuw erfen und nicht nur ¿¡e K unst,
sondern geradezu die deutsche Sprache im m er neu zu erfinden. Kein
Wunder, daß sie, bei so schw acher sozialer Stütze, w ohl oder übel von
oben inspiriert sein m ußten, w enn nicht von den G öttern, so doch vom
Glücksfall eines gnädigen Herrn. So m ußte aus dem Mangel, dessen ge­
schichtliche G ründe u n te r dem S tichw ort D eutsche M;sere ausreichend
142
beschrieben w orden sind, in G ottes oder Teufels N am en eine Tugend
w erden, die Tugend des autonom en Originals. So m ußte sich der D ich­
te r als der im m er wieder Einzige unter lauter Barbaren als Wilder her­
v ortun — um dann für seine Einzigkeit ebenso verfem t wie gefeiert zu
w erden.
Wer die deutsche L iteratur neben die französische oder die angelsächsi­
sche hält, stellt n icht ganz neidlos fest: jene L iteraten bewegen sich of­
fensichtlich in einem K ontinuum , dessen Brüche auf den ersten Blick
auffälliger erscheinen können, und das dennoch die W ahrnehm ung ver­
gangener Leistungen über große Zeiträum e hinweg erlaubt. Shakespeares
Stücke sind au f heutigen Bühnen zwar interpretationsbedürftig (und in­
terpretationsfähig), aber es sind nie Kuriosa, wie etw a diejenigen des
A ndreas Gryphius. Racine und Corneille sind erkennbar w eit her, ihre
R hetorik, ihr W ertsystem liegen uns ferne. A ber so wenig repräsentativ
sie sind, sie sind au f der heutigen Com édie Française präsentabel, ohne
gewaltsam er A ktualisierung zu bedürfen, das m acht: die französische
Bühnensprache hat sich, bei den größten revolutionären Erschütterungen
der politischen K ultur, das Instrum entarium bew ahrt, in dem ihre histo­
rischen und historisch gew ordenen Inhalte vorgestellt w erden können,
und zwar in einer F orm , die das Mea res agitur auch einem distanzierten
Publikum w ahrzunehm en erlaubt. Die eigenen A ntiquitäten werden,
durch eine T radition gehütet, zum Gegenstand eines nicht nur antiquari­
schen Interesses. Dergleichen haben wir auf D eutsch n ich t; literarische
Gegenstände, die älter sind als zw eihundert Jahre, beschäftigen bei uns
nur noch das akadem ische Interesse. Wir haben allenfalls eine aus Gip­
feln, das heißt: glorreichen oder anrüchigen Einzelfällen bestehende Li­
teratur. Und da diesen G ipfeln die Täler und Ebenen fehlen, feh lt eigent­
lich auch das Gefühl für ihren geschichtlichen A bstand, für die soziale
R ealität der Topographie. Die Zw ischenräum e liegen sozusagen im Ne­
bel historischer Bew ußtlosigkeit. Auch im Vergleich m it der anderen
an staatlicher Zerstückelung vergleichbaren K ulturnation Europas, Italien,
schneidet die deutsche L iteratur unglücklich ab. Denn die Italiener setz­
ten das Gefühl für ihre nationale Identität, anders als die Deutschen, ge­
rade auf den M ythos einer kulturellen Ü berlieferung und auf eine gebil­
dete Sprache, die sie stellvertretend und darum um so intensiver pflegten.
Wie stünde die deutsche L iteratur da, wenn sie einen D ante als Maßstab
ihrer Id en tität gehabt hätte! Sie h atte seinesgleichen: W olfram von
Eschenbach war keine geringere K raft als D ante. A ber die Sprache, die
kom positioneile K ultur des “ Parzival” , die das Zeug gehabt h ätte, zum
Sam m elpunkt einer K ulturgem einschaft, zum F undam ent einer Überlie­
ferung höchster Eigenart und Raffinesse zu w erden, ist heute die Sprache
143
eines verschw undenen ostfränkischen D ialekts, zugänglich nur m it Hilfe
von W örterbüchern und philologischem Spezialwissen. Man m uß bis zu
G oethe gehen, um einen m it D ante vergleichbaren K atalysator kulturel­
len Selbstbew ußtseins zu finden; G oethe, dem die T ränen kam en, als er
einen sizilianischen Bootsm ann — einen M enschen des V ierten Standes —
Verse Tassos rezitieren h ö rte; G oethe, der, obw ohl er wie keiner den Zu­
sam m enhang von T radition und D ichtergröße verstand und reflektierte,
selbst wieder zum unfreiwilligen D arsteller des deutschen Dilemmas w ur­
de. Denn gerade der K lassikerkult, der ihm blühte, diente ja als Ersatz­
sto ff sta tt einer T radition und war w eit en tfern t, zur M axime etw a staat­
lichen oder gar alltäglichen H andelns zu w erden. Der mögliche T raditions­
stifter w urde zum Solitär par excellence und dam it zum Sym bol einer
K onvention des Exklusiven und des Bildungshochm uts, gegen den sich
spätere D ichter, um ihrer Selbsterhaltung willen, wieder m it ihrer eige­
nen R adikalität w enden m ußten. Es sagt fast alles, daß G oethes Wirkung
do rt, wo ihm selbst am m eisten an ihr gelegen w ar: im sorgfältigen Um­
gang m it der N atur, in einem organischen, zart-em pirischen V erständnis
von Wissenschaft, in der E hrfurcht vor dem Kind und der Universalität
seiner Anlagen — daß diese Lebensbegründung in der Weisheit eigentlich
nur bei den A nthroposophen, also im Zeichen der S onderbarkeit, Ereig­
nis gew orden ist. D er R est ist — nun ja: L iteratur geblieben, gefeierte
zwar, aber sozial einsame.
O hne T radition keine R evolution, auch n icht in der L iteratur. Die skan­
dalöse N euheit Baudelaires, die herm etische R adikalität Mallarmes, die
kühne Prosodie E.M. H opkins’ konnte nur auf dem H intergrund einer
bew ährten und bew ahrten Form ensprache als U m sturz derselben be­
m erkt w erden. Und je länger der Um sturz her ist, desto deutlicher k ö n ­
nen wir in ihm auch das G leitende, Übergängliche, ja die überw undene
Form dialektisch Bew ahrende und Salvierende w ahrnehm en. Und, was
Wunder, diese N euheiten haben eben darum , anders als im Deutschen,
Schule m achen können. Der Surrealism us oder der Futurism us stellen
im Rückblick S tufen eines Weges dar, den das Bew ußtsein der gebilde­
ten Zeitgenossen, w enn auch verspätet, mitgegangen ist, w ährend w ir in
der deutschen L iteraturgeschichte eher die T endenz feststellen, den
großen D ichter hinterher, um ihn großzusprechen, aus dem K ontext
der Bewegung w ieder zu lösen, in dem er seinen Zeitgenossen erschienen
ist. Trakl oder Lasker-Schüler, habe ich an m einen hohen Schulen ge­
lernt, sollen schon qua D ichter heute keine Expressionisten gewesen
sein, von Kafka, Musil, R obert Walser zu schweigen, an denen je länger
desto weniger ein E p ochenetikett haften will. Sie sind hapax legomena,
unm ittelbar zum Geist der D ichtung — die sich in diesem V erfahren
144
wieder als sehr deutscher, als sozial körperloser Geist zu erkennen gibt.
Bis vor wenigen Jahrzehnten wäre auf D eutsch schwer vorstellbar gewe­
sen, was im Französischen oder Englischen selbstverständlich ist: daß
ein M oderner sich au f seinen A hnen im 19. Ja h rh u n d ert b eru ft und sei­
ne Praxis an ihm m ißt, Robbe-G rillet an Balzac, T.S. Eliot an Jo h n Donne.
Das Reich der W eltliteratur, das G oethe h atte stiften wollen, war auf
Deutsch nicht von dieser W elt; eine Utopie, kein Weg, der zur Nachfolge
einlud. Keine L iteratur straft wie die unsere ihre Epigonen m it Verach­
tung. Wer dichtete wie Rilke, brauchte für den S p o tt nicht zu sorgen,
wer schrieb wie G oethe, ta t es als Parodist — oder disqualifizierte sich
als Bildungsphilister. Daß man m it Stolz ein Epigone und kritisch sein
kann, dem onstrierte — m it Schärfe — der einzige Karl Kraus. Die K ultur­
politik des D ritten Reiches h atte etwas wie deutsches Selbstgefühl schein­
bar endgültig verkram pft, deutsche Selbst-B ehauptung zu einem Witz
von böser Provinzialität verkom m en lassen. Erst seit wenigen Jahrzehn­
ten, seit der G ruppe 47 und ihren Folgen, beginnt sich, wie ich glaube,
ein neues V erhältnis zu den eigenen Wurzeln anzubahnen und m it der
A nerkennung heilloser Brüche ein Gefühl für Zusam m enhang zu bilden.
Die Existenz einer D D R -Literatur, die das A ndere im Eigenen, das Eige­
ne im Ä ndern ehrlich und phrasenlos zu sehen zwingt, mag etwas mit
dieser Wende zu tu n haben. A uf einmal beginnt auch das eigene A ndere
in der V ergangenheit, in der Literaturgeschichte, zwar nicht vertraut,
aber präziser frem d, auf berührende A rt historisch, also annäherungsfä­
hig zu werden. Ich glaube im Ernst, daß es der deutschen L iteratur seit
Jah rh underten n icht m ehr so gut gegangen ist wie heute — weil sie es
sich so wenig Wohlsein läßt in ihren Grenzen, den nationalen, den räum ­
lichen und zeitlichen; weil sie ihre Sprache als A rbeit versteht, als ästhe­
tische A rbeit an einer großen, ebenso schrecklichen wie fruchtbaren Un­
sicherheit der W erte, als T rauerarbeit an der gem einsamen und tren n en ­
den Geschichte. Neue, universale K atastrophen täglich vor Augen, be­
ginnt sie den Bestand der Dinge zu prüfen, aber auch m it ändern Augen
zu hüten. Um zu wissen, w ohin sie geht, will sie besser wissen, w oher
sie k o m m t — historisch; und wo sie steh t — politisch, sozial. Sie ist nicht
m ehr unfreiwillig erhaben über die H istorie, sondern sehenden Auges
eingemischt in die V erhältnisse, von denen sie handelt — in denen sie
handelt, wie symbolisch immer. Das sym bolische Spiel- und H andlungs­
angebot, das wir literarische Q ualität nennen, wird auch bei uns nicht
m ehr nur gering geschätzt — oder nur hochgelobt ins Folgenlose.
Endlich brauchte, wenn ich recht sehe, die deutsche L iteratu r nicht
m ehr so w eit her zu sein; brauchte es nicht m ehr so w eit her zu sein m it
ihrer Einsam keit in der W eltliteratur. A ber die K orrektu r kom m t spät 145
inzwischen ist das ganze Script überholt, wie das M edium, in dem es
überliefert ist, wie die G renzen einer nationalen K ultur. Die Leitsprachen
der technologischen Zivilisation orientieren sich an keinem literarischen
Vorbild m ehr, sie w erden durch ganz andere K om m unikationsträger ge­
prägt — der K ulturkritiker würde beifügen: um ihre Prägung gebracht.
Und er würde auch den Begriff der K om m unikation darin nicht m ehr
anw endbar, sondern zu einer F orm alität heruntergekom m en finden,
auch wenn die Branche ihn unaufhörlich und wissenschaftlich im M un­
de führt. Der Bildschirm im W ohnzimm er entw ickelt sich vom Freizeit­
spielzeug im m er m ehr zum Term inal eines um fassenden Verteilsystems
von Inform ationen und D ienstleistungen. Ein technisches Problem ist es
längst n icht m ehr, den neuen Zeichenträger überall au f Zweiweg-Komm unikation zu schalten: es kann bald ein G ebot der Ö konom ie und der
Ökologie w erden, den größten Teil der A rbeit, die noch von Menschen
zu tun bleibt, zu Hause am Bildschirm zu leisten, und natürlich wird die­
se A rbeit seine Sprache sprechen. Das Buch, das klasssische und wohl
unverzichtbare M edium der literarischen K ultur, wird an diesem A rbeits­
platz im m er weniger zu suchen haben.
Das menschliche Glied in der elektronischen K ette wird zur Berechen­
barkeit seiner Bedürfnisse und Lebensäußerungen, sozusagen zu einer
statistischen Existenz angehalten. Es m uß selbst, um die Funktionstüch­
tigkeit und die Sicherheit des System s zu gew ährleisten, in hohem Grad
funktionalisierbar, vom Sachzwang her — wenn möglich, ohne ihn als
Zwang em pfinden zu können — bestim m bar sein. Diese Ansprüche er­
geben sich aus der N atur — oder wollen w ir’s K ultur nennen —? des elek­
tronischen Nervensystems, das schon in seinem Kern, dem Silikonkri­
stall, auf binäre E ntscheidungen program m iert ist. Was nicht Ja ist, m uß
Nein sein, was n icht schwarz ist, weiß, was n icht Jacke, Hose. In der
phantastischen A ddierbarkeit dieser elektronischen Bausteine verschleiert
der A pparat, daß er, auf allen Ebenen, nach dem prim itiven System des
ausgeschlossenen D ritten funktioniert. Er kann also auch einer E ntschei­
dung auf G rund falscher, ja unsinniger Prämissen die Weihe der R atio­
nalität verm itteln. Wer in dieses System eingew eiht ist, und der U nkun­
dige erst recht, wird nicht m ehr leicht darüber hinaussehen. Er d urch­
schaut seinen rein in Strum entellen C harakter auch dann nicht mehr,
wenn er vorgibt, ihn vorauszusetzen, und läßt sich von der Logik des
Programms gefangennehm en wie das Eichhörnchen von der Trom m el.
A uf subtilere, gewaltlosere Weise, als Orwell vorausgesehen hat, schnei­
det der A pparat ihrer V erw irklichung den m enschlichen Bedürfnissen
ihre O ptionen ab. Und es kann dahin kom m en, daß der W iderstand gegen
die technische R atio nicht nur folgenlos bleibt, sondern undenkbar, un­
vorstellbar wird.
146
Was kann Sprachkultur, also Sprachpflege, un ter diesen Bedingungen
heißen? In welcher Form orientiert sie sich an der L iteratur? Wenn es
w ahr ist, daß L iteratur der Sprachgebrauch bleibt, in dem die Form in
der F unktion nicht aufgeht; in dem der Berechenbarkeit der Zeichen
zuw idergehandelt oder gar gespottet w ird; in dem die O ption des Kom­
m unikationspartners, des nicht ausgeschlossenen, sondern geforderten
D ritten, offenbleibt; wenn es w ahr ist, daß L iteratur von Haus aus die
auf M ehrdeutigkeit angelegte, eine em otionale, also kom plexe R eaktion
herausfordernde, von ihrem Eigenwillen her den Eigensinn des Spiel­
partners inspirierende Sprachform ist; w enn es am Ende zutrifft, daß
die literarische Sprache in spielender Form Ha.nd\ungsmöglichkät
speichert, zuerst die M öglichkeit anders, unvorhergesehen zu handeln —
w enn das w ahr ist (und ich glaube, es bleibt wahr), so h ätte die Sprach­
pflege, verstanden als alternative K ulturtechnik, heute stärkere Gründe
als jem als, sich an der L iteratur zu orientieren. Dann kön n te Sprachpfle­
ge fast ein Synonym für Lebensrettung gew orden sein, und zwar auf al­
len Ebenen, von der intim -privaten über die öffentlich-politische bis hin
zur globalen. D enn die L iteratur schärft, durch ihre A rt des Zeichenge­
brauchs, den M öglichkeitssinn gegenüber dem bedrohlich oder tödlich,
vor allem: stu m p f und unem pfindlich gew ordenen Positiven. Wenn die
Inform ationen, die ein C om puter speichern kann, nicht weiterhelfen —
dann findet sich im ganz anders beschaffenen, anders erw orbenen Spei­
cher der L iteratur vielleicht eine andere M öglichkeit zur Fortsetzung
unserer Geschichte. D am it man ihr folgen, sie auch nur w ahrnehm en
kann, m uß freilich das kulturelle G edächtnis der Sender und Empfänger
von Zeichen dieser A rt erhalten bleiben. Die K om petenz zu ihrem Ge­
brauch erw irbt man sich natürlich nicht durch L iteratur, durch Bücher
allein, sondern in der gestischen, beweglichen, sinnlichen Praxis persön­
licher A usdrucksm öglichkeiten. Diese aber bedarf der Stütze, der Er­
innerung der Bücher, eines Corpus gepflegter Überlieferung.
Zum Schluß ein persönliches Wort. Jan Willem van de Weterings ZenMeister sollte mir und uns M ut m achen zur Einsicht, daß auch Sprach­
pflege m ehr ist als ein ordentlicher G arten. Daß sie ihren Namen erst
dann verdient, wenn sie bereit ist, ihren O rdnungssinn vom Einfall einer
neuen R ealität überholen zu lassen. Erst dann bew ährt er sich als Weis­
heit, m uß nicht Sisyphusarbeit bleiben. A ber so viel O rdnung, diese be­
wegliche O rdnung des G ärtners m u ß sein, d a rf sein, auch wenn sie von
der schönen Tücke ihrer O bjekte im m er wieder lächerlich gem acht wird.
Hier m uß die N orm dann das M itlachen lernen. Die A rbeit an unserem
kulturellen G edächtnis ist ein nie abgeschlossener Prozeß. Vielleicht er­
scheint seine N ot-w endigkeit erst recht, w enn der G arten b edroht ist;
147
dann zeigt sich, daß die T ätigkeit des Pflegers, w eil sie ebenso sym bo­
lisch wie praktisch ist, die M axime eines retten d en Einfalls für das G an­
ze en thält und überliefert. Natürlich m uß man die B lätter n ich t nur sam­
meln, sondern auch fallenlassen können; wehe nur, w enn sie nicht m ehr
fallen. Nur eine des Ü berholtw erdens fähige S prachkultur entw ickelt
ein Sensorium dafür, w ann der Baum stirbt, will sagen, w ann jene lebens­
wichtige Fähigkeit, aus einem System auszubrechen, es zu überholen, an
der Wurzel b ed ro h t ist.
Ais Schriftsteller wird m an m anchm al gefragt, w elchem A u to r man sich
in der A rbeit verpflichtet oder verw andt fühlt. G em eint sind dann meist
Zeitgenossen, Kollegen, M oderne. Und gefragt wird — wenn auch nicht
m it diesen W orten — nach Einfluß, V orbild, Prägung. Ich habe gelernt,
daß ich unterscheiden m uß: V erbunden und verpflichtet fühle ich mich
jedem , der in m einer G eneration ein lebendiges und em pfindliches Deutsch
schreibt. V orbild sind sie m ir alle nicht: wie könnte ein Kafka, ein R obert
Walser, aber auch ein Borges, M arquez, B eckett oder Grace Paley V or­
bild sein. Der einzige, auf den diese Bezeichnung im m er besser paßt, ist
G oethe — bei dem das U nnachahm liche tatsächlich m it einer Haltung,
m it einem Gestus, einer V orsicht zusam m engeht, die sich zur N achah­
mung em pfiehlt. D enn sie gehört nicht nur dem Genie, sie gehört dem
Begriff der K ultur selbst an. Ich m öchte sagen: sie gehört zum Gleichge­
wichtssinn einer K ultur. G oethes naturw issenschaftliche Schriften bei­
spielsweise sind m ehr als W issenschaft, sie sind praktizierte Weisheit, se­
hende und tätige Brüderlichkeit im Umgang m it der N atur, Zeugnisse
eines Taktes, den wir nicht ungestraft verfehlen. Denn auch w ir sind Na­
tur, sind m it den O bjekten unseres Interesses durch ein N etzw erk ver­
bunden, das zu zerreißen, zu ignorieren schlim m er als kulturlos ist: es
ist selbstm örderisch. Wir können nicht leben, w enn die Bäume sterben.
Und nicht von den Bäumen zu reden, kann ein V erbrechen, m ehr: es
kann ein tödlicher Fehler sein, w enn wir wissen, wie sehr unser A tem
vom A tem der Bäume abhängt. Wir kö nnen es wissen, wir können es
schon spüren. Wir bekom m en es als N otstand zu fühlen, weil wir das
freiwillige, das dankbare Gefühl für den Zusam m enhang nicht aufge­
bracht, als Zivilisation u n terdrückt haben, das für G oethe w issenschafts­
notw endig war, ja N aturw issenschaft hieß: R espekt vor dem O bjekt, u n ­
serem m itgeschaffenen Gegenbild, dem w ir nichts antun können, ohne
es uns selbst zu tun. Wenn es w ahr ist, daß w ir dem Geist gleichen, den
wir begreifen — dann bleibt angesichts unserer P rodukte, die uns m it
dem T od bedrohen, nur der Schluß übrig, daß es dem begreifenden G riff
auf unsere G egenstände am nötigen Zartgefühl u nd am hinlänglichen Ge­
fühl für unser eigenes Wohl gefehlt hat. Diesen anderen G riff spüre ich
148
bei G oethe als menschlichen T ak t im dichterischen R hythm us; als
G rundgestus eines rücksichtsvollen, deshalb vorsorglichen, darum auch
gegenw artsbegabten Erdenbew ohners.
Wir finden es nicht m ehr skurril, daß es G oethes M axime war, vor allem
den Sinnen zu trauen. Die Sinne sind das Organ der G egenstände an un­
serem eigenen Leib, sie erlauben uns, ein naturgetreues, m enschengerech­
tes Urteil über Richtig und Falsch, Bekömmlich und U nfruchtbar. Unser
F o rtsch ritt ins Un-Sinnliche — von der K ernphysik bis zur Spitzenm edi­
zin, vom Fernsehbild bis zur Betriebsrationalisierung — hat, vorsichtig
gesprochen, unsere K om petenz nicht bestätigt, m it G rößen umzugehen,
die sich unserem Gefühl entziehen. Wir haben, beim G riff ins Innere der
Materie, bis zur Zertrüm m erung ihrer Kerne, unsere G renzen m itgesprengt
und m it der Spaltung des A -tom on auch unser Bew ußtsein als Zivilisa­
tionsteilnehm er gespalten.
Natürlich m eine ich nicht, daß wir das Rad zurückdrehen, daß wir von
G oethe m ateriell lernen können. A ber wir können von ihm lernen, unse­
ren w ahren Bedürfnissen nachzugehen und ihnen m ehr zu trauen als den
L eitbildern der Planer, die sich innerhalb einer G eneration vor unsern
Augen — und zu unserm Schaden — tragikom isch überholt haben, wie
sich ein A phorism us Lichtenbergs oder eine M axime G oethes niemals
überholen kann. Die L iteratur ist deshalb das M edium, m eine ich, in
dem unsere Erkenntnisse und Einsichten über uns, unsere Zivilisation,
am wenigsten altern. D enn nu r in der K unst ist ihnen ein E lem ent des
Spiels, des fortsetzbaren Spiels zugesetzt, das von der M aterie, an der es
vorgeführt wird, zwar n icht ganz zu trennen ist, sie aber doch zu einem
sym bolischen, das heißt auch, im m er noch verfügbaren S to ff des Interes­
ses m acht, w enn die Tatsachen, die er präsentiert, vergangen sind. In
W alter Benjamins “W ahlverw andtschaften”-Aufsatz ist vom unverm eid­
lichen A useinandertreten des T atsachen- und der W ahrheitsgehalts einer
D ichtung die Rede: von diesem A useinandertreten sei ihre U nsterblich­
keit abhängig. Diese U nsterblichkeit aber ist ihrerseits gebunden an die
Einsicht nicht nur unserer G eschichtlichkeit, sondern unserer Sterblich­
keit. Wir spüren vielleicht besser als Benjamins Zeitgenossen, was er
m einte, w enn er die D ichtung gemessen wissen w ollte an ihrem Potential
zur Erlösung — eine Kategorie, die angesichts der süchtigen Fixierung
unserer K ultur auf ihren Ruin alles Ü berspannte verliert. Es ist d urch­
aus die Frage, ob wir noch zu retten sind. Und auf die Zuversicht, oder
auch nur: die Sicherheit der C om puter dürfte dabei n ich t viel Verlaß
sein. In der L iteratur aber ste h t die G efahr aufgeschrieben, in der größ­
ten L iteratur: m it einem Sinn dafür, daß m it der G efahr auch das R et­
tende wachse. Dieser Sinn für das Mögliche, im Schlim m sten und Besten
149
im m er noch Mögliche, ist seine eigene Prophetie; ist eine der wenigen
Bürgschaften dafür, daß uns auch jenseits des K unst-Rahm ens Erlösen­
des gelingen kann. Sprachpflege ist je tz t eine Form der Selbsterhaltung,
denn in der Sprache, zuerst der Sprache der L iteratur, wird die K om pe­
tenz zur R ettung — w enn es eine gibt — überliefert und geübt. Diese
Sprache ist, in Erm angelung einer gnädigen Steuerung durch den In­
stinkt, die wir verloren haben oder von der wir verlassen sind, das Ge­
fäß unseres bew ahrenden Gedächtnisses an uns selbst, das Regulativ u n ­
seres Gleichgewichtes als K ultur.
Die Zen-Geschichte zu Beginn soll belegen, daß es bei der Sprach-Pflege,
die hier gem eint ist, nicht pflegerisch und pfleglich zugehen kann. Mit
jedem Tag, der vergeht, m it jedem , der der letzte sein kann, wird sie
ein kühneres U nternehm en. Es bedarf einer V ernunft von der A rt der
Meister, die auf den ersten Blick der R atio en tb eh rt: denn wir müssen
Zusehen lernen, wie unsere Liebesmüh durch jedes neue Blatt, das vom
Baum fällt, zuschanden wird. Wir müssen m it dieser V ernichtung unse­
rer A rbeit sogar im Bunde sein. Nur dann ist es uns vielleicht gegeben,
sie im m er wieder, im m er neu um ihrer selbst willen zu tu n . Und nur,
was um seiner selbst, in der Liebe zur Sache als einer ganzen, getan wird,
tun wir wirklich um unsertw illen und um des M enschen willen. Kant
h at das Menschliche durch die Fraglosigkeit seines Selbstzw ecks defi­
niert: für die Würde des M enschen gibt es keinen ändern G rund als sie
selbst, und sie wird verletzt, wenn der Mensch den M enschen zum Mittel
für etwas anderes m acht. Er ist nicht durch seine F u n k tio n definierbar,
und wenn er sich darin erschöpft, hö rt er auf, menschlich zu sein. Die
Maxime dieses Handelns — oder auch dieses V erzichts auf H andlung —,
w urde von K ant n icht für ästhetische G egenstände reserviert. Er ver­
stand sie als M aßstab des Sozialen und Politischen. A ber w enn er im
öffentlichen Raum verloren geht, steh t immer wieder das K unstw erk
dafür und bezeugt das Maß durch seinen Sprachgebrauch, selbst den
maßlosen. Ein ästhetischer Gegenstand mag durch seine G renzen zum
K unstw erk bestim m t sein; über die M öglichkeit, W ahrnehm ung zu prü­
fen und zu üben — denn aistbein heißt w ahrnehm en — ist er nicht an
diese Grenzen gebunden. In der Verallgemeinerung und in der K onkre­
tisierung dessen, was das K unstw erk fiktiv vollendet hat, wird aus einer
G esellschaft eine K ultur: eine G em einschaft, die das Ihre erkennen und
pflegen lernt; die K ultur wird nicht durch das, was sie herstellt, oder
konsum iert, oder hat, sondern durch das, was sie ist.
150
LUDWIG HARIG
Das Rauschen des sechsten Sinnes.
Vom R ohstoff zum Kunststoff und wieder zurück
Eines Tages hatte ich, als Zehnjähriger vielleicht, einen Schulaufsatz m it
den folgenden W orten begonnen: “ Brr! der Wecker rappelt. Fröhlich springt
mein V ater aus dem B ett. “Als mein V ater diese beiden Sätze gelesen hatte,
sagte er: “Wer schreibt, der b leib t!”
V on diesem Augenblick an habe ich geschrieben; ich saß in der Küche am
Küchentisch, in der Schule in m einer Schulbank, im G arten auf einem G arten­
stuhl, und schrieb. In m einem K opf schw irrten die W örter, sie w irbelten in
den Ganglien, w ühlten in den grauen Zellen, ich w arf sie au f die eine und
dann wieder auf die andere Seite, ich ordnete sie erst nach der Länge und
später nach ihrem Klang, tauschte sie ineinander und spielte ein aufregendes
Sinn- und Verwirrspiel, und im N acken sträubten sich m ir die Haare vor lauter
heiligen Schauern, die m ir den Rücken hinunterliefen bis in die Zehenspitzen,
und so ergeht es m ir heute noch.
Ich sprach und hörte, und ich h ö rte und sprach; ich schrieb und las, und ich
las und schrieb, aber das Schreiben war mir im m er das A benteuerlichste, und
es h atte Folgen. D enn schreibend verw andelte ich mir die Welt, und nur
schreibend ließ sie sich von m ir verwandeln. Die Welt w ar voller W örter, sie
war vollgestopft davon, hier in den K öpfen, do rt in den Büchern, lauter R oh­
stoffe, spitzige W örter wie R ohdiam anten, rohe Brocken, wie sie jederm ann
aus dem Halse drängen, auf der Zunge liegen, von den Lippen springen, dem
Fuhrm ann A ntes zum Beispiel, w enn er m it seinem Schimm el sprach, oder
G roßvater aus dem O berdorf, w enn er auf die Spatzen fluchte.
Da gab es aber auch die W örter in der Saarbrücker Zeitung, au f die wir abon­
niert w aren, und in der Berliner Illustrierten, die T ante Erna jeden Samstag
aus Saarbrücken m itbrachte, da gab es W örter in geheimnisvollen M ärchen­
sammlungen und im evangelischen Gesangbuch, in G roßvaters dickem Lexi­
kon und in V aters dreibändiger Bibliothek des Wissens und der Bildung für
den Schul- und S elbstunterricht von H errn Übelacker aus der königlich­
preußischen U nteroffiziersschule. Ich stürzte mich auf die gesprochenen
und die geschriebenen W örter und verleibte sie m ir ein, um m it ihnen allen
mein freies und frivoles W örterspiel zu treiben, das mir am Ende aber immer
mißlang, weil ich ja n icht wissen konnte, wie ich es anstellen sollte, die
151
W örter so kunstvoll und zugleich so zauberhaft au f dem Papier zu ordnen,
daß nicht nur mich und m einen V ater, sondern die ganze alphabetische
Welt die heiligen Schauer schütteln würden.
Ich entsinne mich eines Tages im Sommer, als ich m it dem Wilhelm-BuschA lbum hinter dem Haus im Gras lag, genau wie der D ichter Bählamm,
dessen Geschichte ich eben las, da h atte ich eine Erleuchtung, aber nicht
m it Blitzen und G loriolen; es rauschte in m einen O hren. Mir war aber
kein O hrw urm ins O hr gekrochen wie Bählamm, nein, mir rauschte es im
Ohr von den W örtern, die ich las, und dieses R auschen h at seitdem nicht
m ehr nachgelassen. Ich las:
“ Im D urchschnitt ist man kummervoll
Und weiß nicht, was man m achen soll.
N icht so der D ichter. Kaum m ißfällt
Ihm diese altgebackne Welt,
So knetet er aus weicher Kleie
Für sich privatim eine neue
Und zieht als freier Musensohn
In die P oetendim ension.”
“V ate r” , sagte ich, “was ist eine D im ension?” und mein V ater, in seiner
knappen A rt, aufgerufen zu einer lebensentscheidenden A ntw ort, sagte:
“O je !” und dann fügte er hinzu: “ Länge, Breite, H öhe, das sind die drei
Dimensionen. Die S tuhlkante ist die erste, die Sitzfläche ist die zweite,
der ganze Stuhl ist die d ritte Dimension. “ Nun w ußte ich also schon, daß
der schreibende Mensch auf und sozusagen in der d ritte n Dimension sitzt,
durch die vierte D imension, die die Dimension der G eister ist, schnur­
stracks hindurchfährt in die fünfte, die nur den Schreibenden Vorbehalten
ist, denn es geht ja, nachdem es geheißen hatte:
“ Und zieht als freier M usensohn
In die P oetendim ension”
weiter:
“ Die fünfte, da die vierte, je tzt
V on Geistern ohnehin besetzt.
Hier ist es luftig, duftig schön,
Hier hat er nichts m ehr auszustehen.”
Sollte das Schreiben etw a Fliehen bedeuten, ein A usflug au f die ergötz­
liche Spielwiese, ein L ustw andeln zwischen Rosen und Lorbeer? Sollte
ich mich durch das Schreiben in ein W ölkenkuckucksheim flüchten,
m ich in ein fernes, sanftes L uftreich fo rtheben können? Und würde
das überhaupt ein erstrebensw ertes Ziel sein? Inzwischen schrieb ich
152
w eiter, ohne zu wissen, was das Schreiben eigentlich sei; ich jonglierte
m it m einen W örtern im K opf und schrieb sie aufs Papier und küm m erte
mich nicht darum , ob es etwas bedeutete oder gar lebensentscheidend sei.
Doch als ich, sehr viel später, von den Sprachw issenschaftlern erfuhr, daß
das, was ich da ta t, “ die U m kodierung kognitiver, phonetischer und graphem ischer Vorlagen in die entsprechenden graphom otorischen Innervations­
m uster und die ihnen entsprechenden Bewegungsabfolgen” sei und sich
diese U m kodierung in m einem besonderen Falle n icht auf andere K onsti­
tu en ten des K om m unikationsprozesses beziehe, sondern auf sich selbst,
und einer von ihnen als beispiel den w underbaren Satz von G ertrude Stein
zitierte: “ a rose is a rose is a rose” , da w ußte ich: nur in m einem spiele­
rischen Schreiben selbst würde ich mein T un erkennen, nur schreibend
würde ich das Schreiben beschreiben können.
Der Satz von G ertrude Stein la u tet näm lich gar nicht: “ a rose is a rose is
a rose” , so als ginge es reihweis w eiter und im m er voran in einem endlosen
Rosenspalier, sondern: “ a rose is a rose is a rose is a rose” , und erst diese
schöne Gleichsetzung einer Rose m it sich selbst und obendrein auch noch
eines Satzes m it sich selbst, dieser zarte A nhauch einer zauberischen T au to ­
logie m acht das Schreiben zum Schreiben: vor m einen Augen b reitet sich
ein aufgeschriebener R osengarten, ein eingew inkeltes Beet, ein ausgezir­
keltes R ondell, ein w ortw örtlicher und zugleich übertragener, ein w irklicher
und möglicher, ein Zw eibrücker Rosengarten und ein G arten Eden, von
G ertrude viel akkurater und doch wieder labyrinthischer geschrieben als
etw a von Le N otre gepflanzt, der ja bekanntlich ein M eister im geom e­
trischen Stil gewesen und ein V orbild für alle O rnam entalisten geblieben
ist. “ Die Rose im Möglichsein und die Rose im W irklichsein und die Rose
im Wirklichsein und Möglichsein ist eine und dieselbe” , schreibt Nikolaus
von Kues, mein philosophischer G ew ährsm ann von der Mosel.
Ja, das Schreiben ist also doch wohl etwas anderes als das pure U m ko­
dieren in Innervationsm uster, es geht nicht in einer R ichtung m it dem
Schreiben, es geht vorwärts und wieder zurück, es geht in die Quere und
in die Irre, es geht in ihm wahrlich nicht nach den G esetzen der Logik
vor. Beim Schreiben k o m m t zur fünften Dimension die sechste hinzu;
sechs, das ist die Zahl der A nagram m e und der Analogien, das dreim al
V erdoppelte, dam it es nicht m ehr nur die U m kehrung, nicht nur das Gegen­
teil von etwas, sondern durch dreimaliges V erdoppeln etwas ganz Neues
ist, das die W örter vorführen. N icht die Drei und nicht die Sieben, die
Sechs beherrscht das Schreiben, kongruente H exagone, magische H exa­
gram m e, springlebendige H exam eter, und ist n icht die Bibliothek von
Babel, die Jorge Luis Borges beschreibt und die alle möglichen Bücher
en th ält, w orin alles Geschriebene, was zu schreiben kom binatorisch
153
möglich ist, nachzulesen steht, aus lauter sechseckigen Galerien gebaut?
Ich nehm e die rohen, die ungefügten W örter, wo ich sie antreffe, mein
Schreiben ist ein einziges A usprobieren und Erfinden, ein Stauchen und
Strecken, ein Streicheln und Prügeln der W örter in Buchstabenrätseln und
doppelten Rösselsprüngen, in Abzählversen und Wechselgesängen, und
schreibend spiele ich m it im Trojaspiel und im L abyrinthtanz, schreibend
sage ich auf das Sechsereinm aleins der Hexe und die Zehnerreihe des
A thanasius Kircher. Was sagt die Hexe im “ F au st” ?
“ Du m u ß t verstehn!
Aus Eins mach Zehn,
Und Zwei laß gehn,
U nd Drei m ach gleich,
So bist du reich.
Verlier
die Vier!
Aus Fünf und Sechs —
So sagt die Hex —
Mach Sieben und A cht,
So ists vollbracht:
Und N eun ist Eins,
Und Zehn ist keins.
Das ist das H exen-Einm aleins!”
Die lexikalische V ielfalt, die syntaktische V ariation: G oethes H exenein­
maleins, G ertrude Steins Rose, Wilhelm Buschs Balduin Bählamm, das
ist m eine Kleie, die erste grob, die zweite fein, die d ritte k u n te rb u n t ge­
m ahlen. A uf w undersam e Weise sind diese Kleien zusam m engekom m en,
obgleich sie aus so verschiedenartigem R o h sto ff geschrotet scheinen. Aber
nun sind sie in m einem K opf ineinandergeknetet, kein S ilbenkom pott,
kein L etternkleister, kein W örterbrei; wie ein lucker Hefeteig, wie ein
lum m erer Backpulverkuchen, wie eine eingebackene W ildpastete, gehen
die W örter auf, und bevor ich überhaupt dazu kom m e, sie aufzuschreiben,
rum oren sie in allen m einen Sinnen. Ich schm ecke sie, ich höre sie aber
auch, ich taste sie, ich sehe sie aber auch, und nur, wer eine gute Nase
h at, riecht auch den Braten. Es ist ein M irakel: mein Hirngespinst ist
zum W ortgeflecht gew orden; ich schreibe.
Unversehens geht es m it den W örtern von der Hand ins Auge, von der
Zunge ins Ohr, und was für ein Erregen im Ohr! was für ein Erkennen
im Auge! Die W örter blitzen, die W örter donnern: zum Seh- und Hörsinn,
zum Tast- und Schm ecksinn, zum feinnervigen Riechsinn ist als sechster
der Schreibsinn hinzugekom m en, und er ist es, der so gewaltig rauscht,
154
ohne daß ein O hrw urm durch den K opf hindurchkriecht. A ber was ist es,
das so rauscht? Und ist es w irklich im Ohr zu hören, oder vielmehr im M unde?
K om m t es vielleicht vom säuselnden Sprechen, oder ko m m t es von der F e­
der, die so zischend über das Papier fährt? Sind es einzelne W örter, ist es ein
einzelnes Blatt, oder ist es ein ganzes geschriebenes Buch, das so rauscht?
Leibniz sagt, die Bewegung eines einzigen Blattes hörten wir nicht, wohl
aber das Rauschen des Waldes, und er sagt sich zu R echt, daß dieses Summa
Sum m arum nicht aus lauter N ullw erten bestehen kann, wie es die M engen­
m athem atik suggeriert. Nein, es sind die unterschw elligen K räfte, die
“ petites perceptions” , die dieses R auschen des Schreibsinns in Gang halten.
Es rauscht und rieselt und zw itschert sogar; aber n icht in diesem sechsten
Sinnesorgan rauscht und zw itschert es, der sechste Sinn selbst ist es, der
so w ortreich rauscht. Und er rauscht nicht um sonst.
Schreiben ist taufen und um taufen, ist pflanzen und um pflanzen, ist biegen
und umbiegen; Schreiben ist W örter bringen, ist W örter setzen, ist W örter
w enden, aber auch um w enden, um setzen, um bringen, und nicht n u r ein
Umbringen von W örtern selbst im Schreiben, sondern auch ein Umbringen
dessen und derer, die die W örter nennen. A ber das ist kein U m wenden m it
Heugabeln, kein U m setzen m it Schaufeln, kein Um bringen m it Ä xten und
Revolvern, auch w enn Wolfgang Weyrauch in den fünfziger Jahren gesagt
h at, sein G edicht sei ein Messer.
O nein, im Schreiben geht es ganz kultiviert zu, wie auch im Sprechen
schon. Das U m bringen ist ein V erw andeln, die W örter verpuppen sich, die
W örter m ausern sich, sie kehren verändert zurück und sind nicht m ehr die­
selben. Im sprechenden Schreiben verschw indet das Schreiben wie im
schreibenden Sprechen das Sprechen verschw indet; wie im Liebesrausch
tau ch t das eine in das andere ein, anm utige M etam orphosen geschehen, es
ist kein ordinäres Bäumchen-wechsle-dich, kein sportliches U m satteln, kein
theatralischer R ollentausch, wie sich der hörende Sprecher als sprechender
H örer und der lesende Schreiber als schreibender Leser im sprechenden
Leser und im lesenden Sprecher, aber auch im hörenden Schreiber und im
schreibenden H örer w iederfindet: lauter “ petites m o rts” , lauter “ belles
m o rts” ; und dieses Liebesspiel, das der Schreibende ein Leben lang m it
den W örtern zubringt und n icht m it den Personen und den Dingen, die
sie bezeichnen, ist nicht ein unverbindliches T ändeln und Schäkern m it
W örtern, obgleich der R o h sto ff längst zum K unststoff gew orden ist, m it
dem m an ja bekanntlich alles m achen kann.
Nein, mein W örterspiel ist mein Lebensspiel, W örter sprechend und W örter
schreibend, sprechend schreibend und schreibend sprechend lebe ich.
155
Ist nicht mein eigenes Schreiben ein Sprechen und mein Sprechen ein
Schreiben zugleich? Was ta t ich denn in dem Augenblick, in dem ich
dieses schrieb? Ich schrieb vom Sprechen über das Schreiben. Und was
tu ich in diesem Augenblick, in dem ich zu Ihnen spreche? Ich spreche
vom Schreiben , ja ich spreche vom Schreiben über das Sprechen, das mein
Leben ist und das ich tu n m uß, sonst hielte ich es gar n ich t aus. Als spre­
chender Schreiber, als schreibender Sprecher führe ich mein D oppelleben;
zur E inbildungskraft ist die E intönungskraft hinzugetreten, und ich m uß
zusehen und zuhören, wie ich dieses vertrackte D oppelspiel kultiviere.
“ Der kultivierte Mensch hat seine Energie nach innen” , sagt Spengler im
“ Untergang des A bendlandes” , und Novalis sagt: “Aller innerer Sinn ist
Sinn für Sinn. ” Ein kultiviert G esprochenes ist folglich so fein verw andelt,
daß, w ährend der Sprecher spricht, der H örer ihm zugleich die W örter von
den Lippen liest; das kultiviert Geschriebene aber m uß sich als ein so
em pfindlich Hergestelltes entpuppen, daß, w ährend der Schreiber schreibt,
der Leser ihm im V oraus schon die W örter von der F eder h ö rt. Sie sehen,
meine Damen und H erren, wie Hören und Sprechen, wie Lesen und
Schreiben nicht einfach nur vier Fertigkeiten sind und das Schreiben die
vierte und letzte und höchste unter ihnen ist, sondern wie sie synästhetisch ineinandergreifen in diesem Prozeß des U mbringens wie die kom bi­
nierten Griffe in einem tödlichen Ringkam pf.
Was ist das G eschriebene? “ Was ist ein literarischer T ex t?” fragt der
Professor aus D üsseldorf; er ist nach Saarbrücken gekom m en und erzählt
den Sprach- und Literaturw issenschaftlern noch einmal die G eschichte
vom sakralen Ü berich, vom anarchischen Es und dem arm en geplagten
Ich in der M itte, das erst dann souverän und irenisch w erden kann, wenn
es den polem ischen V ater g etö tet und die naive M utter beschlafen hat.
“Ein Ursadism us” , sagt der Professor, “ pervertiert in m aschineller Sub­
stitu tio n .” Ja: “was ist ein literarischer T ext —psychoanalytisch?” fragt
der Philosoph und Psychoanalytiker, und er an tw o rtet: “ T exte sind
W eibsleichen.” Die M utter w ird durch das G eschriebene zur heiligen
Prostituierten, und im Selbstbezug des narzißtisch Schreibenden w ird sie
wieder jungfräulich; sie ist im O pferm ahl verzehrt, kannibalistisch ver­
w andelt, zur eschatologischen Figur gew orden. Der Schreibende h at Hand
an den V ater und Hand an die M utter gelegt, er hat den phallischen S tift
ergriffen und an das jungfräuliche Papier gerührt; zum Glück für mich, ich
lasse die Schreibm aschine beiseite und halte den S tift fest in der Hand,
m ein Kannibalismus ist noch n icht in m aschineller S ubstitution verkom ­
men. O weh! auf wie schm ähliche Weise bringt es die K reativität zu lauter
hingeopferten M üttern! Was ist aus den Schreibenden, was ist aus m ir ge­
w orden?
156
Fünfzig Jahre lang schreibe ich nun schon, mein Lebensweg starrt von
M utterleibern, er ist von Weibsleichen übersät, von O pferläm m ern ge­
pflastert. Da liegt m eine M utter, und da liegen auch die G roßm ütter alle
beide, da liegen T ante Luise und T ante Else und meine beiden T anten
E rna, womöglich m eine Kusinen und wer w eiß welche jokastischen Substitu tinnen noch aus der näheren und w eiteren V erw andtschaft, die mich
gewaschen und gekäm m t und m ir die Fingernägel geschnitten haben, ohne
zu ahnen, wie sie den lüsternen Schreibsinn des Ö dipus gew eckt und schutz­
los in seine phallische F eder gelaufen sind.
“ Brr! der Wecker rappelt. Fröhlich springt mein V ater aus dem B e tt.”
Meine erste Weibsleiche. Lieber, kluger V ater, m it dem ersten Klingel­
zeichen ist er fröhlich aus den Federn gesprungen und hat dem todes­
süchtigen Ö dipus die W alstatt überlassen. So ist der K unststoff wieder
zum R o h sto ff gew orden, auf dem Weg allen Fleisches, und was bleibt
übrig? W ortleichen, W ortasche, W ortstaub. Da stehe ich nun, und der
Kreis ist geschlossen: das Einmaleins, das R osenrondell und auch Balduin
Bählamms Lebenslinie haben sich im Hexenring zum herm eneutischen
Zirkel geschlungen.
“ Ich kenn es w ohl, so klingt das ganze B uch!/ Ich habe m anche Zeit dam it
verloren; / Denn ein vollkom m ner W iderspruch/ Bleibt gleich geheimnis­
voll für Kluge wie für T o re n ” , sagt M ephisto, und er fäh rt fo rt: “ G ew öhn­
lich glaubt der Mensch, w enn er nur W orte hört, / Es müsse sich dabei
doch auch was denken lassen.” Und was ist m it G ertrude Stein, die ja
eine Frau gewesen ist? Der Professor zitiert Lacan und sagt: “ La femm e
n ’existe pas! ” und flugs wird die psychoanalytische F littchen- zur Strich­
jungentheorie, denn die am erikanische E lektra h a t es m it ihrem Bruder.
“ Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose ist eine R ose”, heißt es bei G er­
trude, und dann fügt sie hinzu: “und als ich das dann später zu einem
Ring gem acht hatte, m achte ich Poesie u nd was ta t ich ich liebkoste lieb­
koste ganz und gar” , und schon drei Seiten w eiter ist von ihrem Bruder
Leo die Rede und von einem Liebesgedicht: “ Dieser ältere Bruder hatte
gerade eines geschrieben und es sagte daß er o ft gesessen und irgend einen
kleinen Grasfleck angeschaut h ätte und das sei einfach ein Grasfleck ge­
wesen wie Gras ist, aber je tz t war er verliebt und so w ar der kleine Gras­
fleck voller Vögel und Bienen und Schm etterlinge.”
Ein Aufflug steht bevor, vielleicht ein A bsturz. Sehen wir, w ohin es Balduin
Bählamm am Ende gebracht hat, nachdem es ihm nicht gelungen war,
Weibsleichen zu produzieren. Der O hrw urm wühlt ihm im Ohr, Rieke
M istelfink schickt ihm die Ziege auf den Leib, Krischan d urchbohrt
seinen Schirm m it der Sense, schreckliche Kapricen und Kastrationen!
Am Ende flüchtet er sich in einen Liebestraum m it zwei Frauen, da heißt es:
157
“ Und selig will er sich erheben,
Um m it der Dame fortzuschw eben.
Doch ach! Wie schaudert er zusammen!
Denn wie m it tausend Kilogrammen
Hängt es sich plötzlich an die Glieder,
H em m t das entfaltete G efieder
Und hindert, daß er w eiterfliege...”
N och also hat er das Weib nicht m it der F eder getötet, noch also sind
Kilogramme und Federn nicht eins gew orden, noch schwingt er sich nicht
auf aus dem F ederbett, das ich schon m it dem ersten Sonnenstrahl ver­
lasse, fröhlich wie m ein Vater. Ich rufe “ H eureka!” genau wie Archimedes
und auch aus dem gleichen G rund. Wir haben näm lich den A uftrieb en t­
deckt, er das hydrostatische G rundgesetz und ich das angelische L u ft­
kutschen m it den W örtern, die ich sprechend aufschreibe und schreibend
ausspreche. Csupan singt im “ Zigeunerbaron: “ Das Schreiben und das
Lesen/ Sind nie m ein Fall gew esen” , und der m oderne Legastheniker an t­
w ortet ihm: “ Das Lesen und das Schreiben/ Das laß ich lieber bleiben” .
Nein, in der O perette und in der neuen Schule ist die K ultur des Schrei­
bens verpönt. A ber: “Wer schreibt, der b leib t” , sagte mein V ater, und
folglich gilt w ohl doch: “Wer spricht, bleibt n ic h t” , und so höre ich lieber
auf zu sprechen und w ende mich wieder dem Schreiben zu.
158
UWE PÖRKSEN
Das Demokratisierungsparadoxon
Über die zweifelhaften Vorzüge der Verwissenschaftlichung und Verfachlichung unsrer Sprache
Franziska. Man spricht selten von der Tugend, die man
h at; aber desto öfter von der, die uns fehlt.
Das Fräulein. Siehst du, Franziska? da hast du eine
sehr gute Anm erkung gemacht.
(Lessing, Minna von Barnhelm, Zweiter
Aufzug, Erster A uftritt)
Wir brauchen dringend eine Sprachkritik, eine Satire, die das, was uns
alltäglich an Sprache um gibt, kübelweise m it S p o tt übergießt.
Es ist aber vielleicht die Frage, ob die Sprachw issenschaft als Sprachwis­
senschaft in diesem Fall zuständig ist,und speziell ein Problem, ob, wenn
die Linguistik, ihrer ‘T hem atiken’ ein wenig müde, nun die Sprachkritik
w ieder entdeckt und ihre deskriptiven Analysen hineinträgt, dies für ein
Ü berleben der S prachkritik günstig wäre.
Die Teilgebiete der Sprachw issenschaft, die sich in den sechziger Jahren
— vielleicht etwas voreilig — als “ M oderne Linguistik” eingeführt haben,
haben der publizistischen Sprachkritik der fünfziger Jahre den Garaus
gem acht. Sie haben das getan, indem sie, zu R echt, auf linguistische
Mängel und Fehler im “ W örterbuch des U nm enschen” von Storz, S tern­
berger, Süskind oder in Karl K orns “Sprache in der verw alteten W elt” hin­
wiesen, aber selbst n icht einmal den Versuch unternahm en, Sprachkritik
ernsthaft zu verteidigen und sie theoretisch wie praktisch zu begründen.
Peter von Polenz m it seiner Berufung auf de Saussure und die bloße Be­
schreibung der Sprache als Funktionsgefüge war hier repräsentativ.1
Sprachkritik w urde nicht ernst genom m en, ihre linguistische Begründung
war ohne Interesse.
M.E. ist die publizistische Sprachkritik der Epoche seit 45 tatsächlich
nicht eindeutig zu beurteilen, nicht im m er klar und genau genug fun­
d iert; es wäre angesichts der versandeten Diskussion besser, sich bei dem
E ntw urf einer Sprachkritik vorerst auf die G eschichte, auf A utoren ex­
trem en Form ats wie Leibniz, G ottsched, Campe, Jochm ann zu besinnen.2
Sie verfügen in verschiedener H insicht über ein Instrum entarium :
159
Sie haben ein Sprachvorbild, F rankreich, und im Fall Jochm anns, auch
England.
Sie gehen von einer klaren Diagnose der Sprache ihrer Zeit aus.
Und sie form ulieren das Ideal einer vollkom m enen Sprache.
Ist also nun der Sprachw issenschaftler als Sprachkritiker zuständig?
Jeder Sprecher fühlt sich zuständig und ist es auch, indem er auswählt,
verw irft und annim m t, sichtet, berichtigt, die Stirn runzelt, sp ottend
nachahm t, lacht. Sprachgeschichte ist die K onkretion fortw ährender
Sprachkritik und resultiert aus dem durch sie zustande kom m enden
Sprachausgleich.
Der Linguist kann dies nur halb bew ußte kritische V erhalten auf anderer
Reflexionsstufe w iederholen. Es w äre vernünftig, w enn er, vorausgesetzt,
daß er für Sprache Sinn hat, diesen Sinn im Vergleich m it älteren Sprachzuständen und nachbarlichen Sprachen klärt und schärft; w enn er also
das Sprachgefühl und das Sprachideal anderer G em einschaften zu R ate
zieht; und w enn er seine w issenschaftlichen Begriffe, seine Einsicht in
Funktionsw eise und V eränderungsm öglichkeit der Sprache, seine Diagno­
se des gegenwärtigen Sprachzustandes und seine K ritik daran zur Gel­
tung bringen würde. Er ist in erhöhtem Maße zuständig. Seine Beteiligung
an der sprachkritischen Diskussion, wie, von der anderen Seite, die o ft
indirekte des Schriftstellers, könnte deren o ft klägliches Niveau heben.
Er wird sich vielleicht auch besser über die Eigenschaften seiner Stellung­
nahm e im klaren sein, über die V orbehalte, die zu m achen sind.
Wir müssen zwei Dinge auseinanderhalten: die K ritik an der Sprache ist
nahezu unlösbar m it der K ritik an der Sache verquickt, sie m eint o ft in
der K ritik an einem neuen Sprachgebrauch die K ritik an den neuen A uf­
fassungen und R ealitäten — ist also nur ein Vorw and.
Sie h at ihren A ngelpunkt m eist außerhalb der Sprachw issenschaft. Ihre
Quelle ist eine bestim m te G rundeinstellung. Wer Sprache kritisiert, b e­
tritt den K am pfplatz der Werte, der Parteien; daher rührt die Heftigkeit,
m it der hier gestritten wird. Der A nlaß ist ein o ft als absolut angesehener
b edrohter Wert.
Es ist freilich nicht im m er leicht zu trennen, ob wir an einer falschen Sa­
che oder an einer falschen Sprache A nstoß nehm en; für den S prachkriti­
ker ist beides eigentlich eins. V ielleicht gibt es eine prim är sprachliche
R eizbarkeit und E m pfindlichkeit — so etwas wie ein absolutes Gehör.
Auch das absolute sprachliche G ehör kann äußerst heftig reagieren. A ber
dann befinden wir uns im m er noch kaum auf dem Boden der Sprachwis­
senschaft.
160
Der Sprachw issenschaftler w ird die G eltung sprachkritischer Aussagen
eher einschränken. Der Gegenstand des Sprachkritikers ist ja “ n u r” der
Sprachgebrauch, der sich einbürgert, nicht die Frage gram m atikalischer
und lexikalischer Richtigkeit.
Wir befinden uns im Bereich des ‘usage’, einem Zwischenbereich zwischen
der absoluten O bligatorik des gram m atischen System s und der durch dies
System erm öglichten w eitgehenden Freiheit und Beliebigkeit der Rede.
In diesem Bereich haben gewisse Usancen, eben der Sprachgebrauch,
ständig die Neigung, zur ‘sozialen N orm ’ (Coseriu)^ zu w erden und wird
diese K onvention ständig auf ihre Sachgem äßheit hin kritisch überprüft.
Das gilt für die Situationsregeln des Sprechens, also für die an typische
Situationen gebundenen typischen Sprechweisen, die den Spielraum unse­
rer Rede abstecken, wie für den allgemeinen — ‘guten ’ oder ‘schlechten’ —
öffentlichen Sprachgebrauch oberhalb dieser T extgattu n g en .4
Es kann hier eigentlich nur ein ‘besser’ oder ‘schlechter’, ‘angem essener’
oder ‘unangem essener’ geben. O bligatorische Aussagen sind in diesem
Bereich vom sprachw issenschaftlichen S tan d p u n k t aus sinnlos: es ist der
Bereich der E thik und darum der Freiheit. D aher w ohl auch die Heftig­
keit (Man kann niem anden zwingen).
An welchen K riterien läßt sich der konventionalisierte Sprachgebrauch,
der ‘usage’, messen? Einige ältere K ategorien, z.B. G ottscheds in seiner
‘R ed ekunst’, w aren etw a: ‘D ifferenziertheit’, ‘D eutlichkeit’, ‘Kürze und
N achdruck’.5 Mit ihnen bewegen wir uns noch auf einer sprachlichen
Ebene. G ehören n icht auch ‘R hythm us und W ohlklang’ dazu?
Ein weiteres K riterium wäre die ‘R ichtigkeit’ des eingebürgerten Sprachge­
brauchs; m it diesem M aßstab verlassen wir zum indest teilweise die sprach­
liche Ebene. Sachliche und sprachliche Richtigkeit, die Plazierung einer
Sache un ter eine geeignete Vorstellung und die Plazierung der Vorstellung
unter den richtigen sprachlichen A usdruck, sind m anchm al gar nicht zu
tren n en .6
Ein drittes K riterium wäre die ‘R ichtigkeit’ des ‘usage’ im Sinne der durch
ihn überlieferten O rientierung an einem höchsten G ut. Wenn wir diesem
K riterium folgen, überschreiten wir die G attung einer sprachwissenschaft­
lichen Ä ußerung am w eitesten. Unser A usgangspunkt sind gewisse G rund­
entscheidungen. Und wir beschäftigen uns m it Phänom enen, die wir zwar
durch sprachliche A nalysen sichtbar machen können, vor denen wir uns
aber fragen müssen, ob wir ihnen durch Sprachkritik beikom m en. —
Sprachliche Fehlentw icklungen sind überwiegend A u s d r u c k für e t­
was, und man m uß auf ihre E ntstehensbedingungen einzuw irken versu­
chen.
161
Ich greife aus dem beweglichen Meer des Sprachgebrauchs ein Phänom en
heraus, das ich das ‘D em okratisierungsparadoxon’ nenne. Ich meine da­
m it folgendes:
Je m ehr die W issenschaft in den letzten Jahrzehnten dem okratisiert w or­
den ist und die U niversitäten sich geöffnet haben, um so undurchdring­
licher sind die W issenschaften geworden.
Je w eiter W issenschaft in die praktische Lehrerausbildung und in den
Schulunterricht vorgedrungen ist, um so unergiebiger und bürokratischer
scheinen diese Ausbildungsgänge gew orden zu sein.
Je m ehr sich ein scheinbar fachlicher Stil und W issenschaftswörter in
der G em einsprache, in der Sprache des öffentlichen und privaten Um­
gangs ausgebreitet haben, um so weniger h at diese Sprache ihren aufklä­
renden Wert behalten.
Besteht zwischen der D em okratisierung der W issenschaft und der zu­
nehm enden U ndurchdringlichkeit der Sprache ein Zusam menhang?
Wir neigen dazu, die zunehm ende K om plizierung und Differenzierung
unserer Welt verantw ortlich zu m achen; ich halte das für einen gedan­
kenlosen T opos und für einen Irrtum . Die Gründe sind sehr viel einfacher.
Die D em okratisierung der W issenschaft, die sich in den letzten Jah rzeh n ­
ten ereignet hat, ist in Zahlen eindrucksvoll zu fassen: Die Zahl der S tu­
denten, die eine U niversität besuchten, betrug 1950/51 112.000, 1970/71
das Dreifache, näm lich 350.000, und 1977/78 605.000.
N im m t man alle H ochschulen zusam m en, die Universitäten, G esam t­
hochschulen (seit 1975/76), Pädagogischen Hochschulen und F achhoch­
schulen, so stieg die Zahl der Studierenden zwischen 1950/51 und 1977/78
von 172.000 auf 913.000, näherte sich also der M illionengrenze.7
Inzwischen h at sie diese G renze übersch ritten ; sie lag 1982 bei 1.203.000
S tudenten; d arunter waren 251.000 Studierende an Fachhochschulen.8
Dieser Versechsfachung der S tudentenzahl entsprach der Ausbau des
w issenschaftlichen Personals, wovon gleich zu sprechen sein wird, und
eine V erm ehrung der Hochschulen. Zwischen 1960 und 1978 w urden
14 U niversitäten, 7 G esam thochschulen und m ehr als 100 F achhoch­
schulen neu gegründet.9 Fast alle U nterrichtseinrichtungen h atten die
Neigung, das M odell U niversität, ihre T itulatur, ihre soziale Binnenstruk­
tu r und ihre L ehrm ethoden zu übernehm en. — Und ihre Sprache.
Die D em okratisierung der universitären Bildung, die einer Revolution
gleichkam, war begleitet von einem allgemeinen V erwissenschaftlichungs­
schub. Diesen Verwissenschaftlichungsschub fassen wir auf allen Ebenen
162
und in jeder Nische unsrer Gesellschaft. Wir begegnen ihm in der Spra­
che der Universität, im U nterrichtsw esen, in der Populärw issenschaft,
auf dem B uchm arkt und in den Medien, in der Umgangssprache.
1. Zur V erw issenschaftlichung der Wissenschaften
Wer in den fünfziger Jahren G eisteswissenschaften studierte, h atte keine
Mühe, die Sprache der F achvertreter zu verstehen. Porzig, Brinkm ann,
Glinz redeten und schrieben gem einsprachlich. Die wissenschaftliche
Sprache als B egriffsinstrum ent, N om enklatur und D arstellungstechnik
hatte eine nur untergeordnete Funktion. Die Mühen lagen in der Unver­
trau th eit m it dem O bjekt oder in seiner K om pliziertheit, also in der Sa­
che, nicht in der Sprache.
In diesem P unkt hat sich in den letzten Jahren vieles geändert. Ein junges
Semester hat heute Schw ierigkeiten, die A nkündigungen am Schwarzen
B rett zu verstehen. Insbesondere der Pädagoge und der Linguist stehen
vor einem Sprachverhau. Die Sprache selbst bietet W iderstand. In den
V eröffentlichungen wie in der Lehre dom iniert W issenschaftlichkeit als
allgemeines, generalisierbares Instrum entarium , als R aster, als Sprache.
Wir haben eine Verw issenschaftlichung der Hum anw issenschaften zu
konstatieren.
Als Beleg k ö nnte m an in der Linguistik die Term inologielexika anführen,
die dem Studierenden seit den sechziger Jahren zur Verfügung stehen.
Sie erläutern 1000 bis 2000 Term ini, von ‘A bbildung’ bis ‘Z yklustheo­
rie’. Zwischen 1966 und 1975 erschienen m indestens acht solcher Lexi­
k a.10
Man könnte diese V erw issenschaftlichung erklären, indem man an die
Geschichte des Faches erinnert. Die germ anistische Sprachw issenschaft
hat sich überwiegend erst in den sechziger Jahren, verspätet, der interna­
tionalen Linguistik geöffnet. Sie hat dam it A nschluß gesucht an eine
Wissenschaft, deren Modell die N aturw issenschaften oder die Sozialwis­
senschaften waren. Dam it waren höhere E xaktheitsansprüche verbunden,
ein differenzierter term inologischer A pparat und eine generalisierte Be­
schreibungstechnik.
Und w eiter ließe sich anführen, es sei sozusagen ‘natürlich’, daß eine
wissenschaftliche Sprache sich ständig erw eitert und auseinanderfächert.
Unser wissenschaftliches V erfahren besteht ja darin, daß ein Denk- und
Erfahrungsm odell und ein m it ihm verknüpfter Begriffsapparat ständig
angew endet, ausgearbeitet und überprüft, korrigiert und erw eitert wird.
Ausdrücke, die zunächst noch gem einsprachlich verw endet w urden und
163
die der Vorgänger intuitiv zu verstehen glaubte, w erden vom Nachfolger
in Frage gestellt, diskutiert, neu definiert: sie erhalten einen engeren, ge­
norm ten Sinn. So ergibt sich fast autom atisch ein Zuwachs an M etaspra­
che und eine Sprachdifferenzierung.
Beides ist nicht zu bezw eifeln, es sagt aber nur die Hälfte. Es erklärt
nicht, w arum Linguistensätze wie die folgenden zeitrepräsentativ w ur­
den. Ich zitiere wahllos 11 :
“ K om m unikationsakte w erden von m indestens zwei K om m unikations­
partnern in einer K om m unikationssituation vollzogen (kp in k sit).”
“Die verw endeten kontextfreien Regeln können als S onderform k o n te x t­
abhängiger oder kontextsensitiver (co n tex t sensitive CS gegen context
free CF) Regeln angesehen w erden, bei denen der K ontex t gleich null
ist.”
“ Die S uper-S truktur eines T extes ist eine F u n k tio n der T extsorte. Die
bisher besterforschte S uper-S truktur ist die E rzählstruk tu r.”
In der pädagogischen W issenschaft h atte man zeitweise Mühe, andere
Sätze zu finden als diese:
“Die kom plexe T hem atik der Lernzielbestim m ung für Curricula histo­
risch-politischen U nterrichts soll in den folgenden Ausführungen proble­
m atisiert, der A spekt politischer Im plikationen bei der Begründung von
Lernzielen und die Lernzielsetzung auf einer m ittleren A bstraktionsebene
näher erö rtert w erden.”
“ Es b esteht eine signifikante positive K orrelation zwischen dem effekti­
ven Lernzuwachs (LZ) und der Bearbeitungszeit ( t).” — Mit anderen
W orten: wer länger lernt, lernt mehr.
“ Schulversuche (S) sind ein H ilfsm ittel der Bildungsplanung, die Schulw irklichkeit schrittw eise und k ontrolliert zu verändern. Sie w erden zu
Innovationsinstrum enten für Schulreform en, w obei Schulreform und S
in Wechselbeziehung zueinander steh en .”
Die Gründe für diese Sprache liegen überwiegend außerhalb der Wissen­
schaft. Ich versuche, sie in sechs Thesen zusam m enzufassen.
1) W issenschaftssprachen erfreuen sich eines hohen Prestiges und sind
nachahm bar. Je ausgearbeiteter eine W issenschaftssprache ist, je verfestig­
ter, um so leichter wird die N achahm ung. In einem solchen Falle w erden
sekundäre M erkmale w issenschaftlicher T exte, Abkürzungssym bole, T er­
mini, G liederungstechniken, Tabellen usw., zum prim ären M erkmal. —
Es gab in den siebziger Jahren zahlreiche V eröffentlichungen, die ihre
Existenz fast ausschließlich der Prestigeanleihe bei einer verbreiteten
164
V orstellung von E xaktheit verdankten. Ihre ‘Leistung’ bestand darin,
ziemlich bekannte oder leicht einsehbare sprachliche T atsachen durch
die Ü bersetzung in eine gleichsam naturw issenschaftlich exakte Zeichen­
sprache zu verfrem den oder sie in einer neuen Term inologie vorzustellen.
Die K unst, m it Hilfe prestigebesetzter Ausdrucksw eisen sprachliche
A ttrappen aufzubauen, h a tte ungezählte Anhänger.
2) Mit einer arithm etischen Stellenverm ehrung w ächst nicht unbedingt
die E ntdeckung der Sache, sondern ihre V erdeckung durch Sprache in
geom etrischer Progression.
Um bei dem letzten Beispiel zu bleiben: zwischen 1953 und 1976 hat
sich die Zahl der Pädagogikprofessoren an den U niversitäten von 26 auf
518 erhöht, die der U niversitätsdidaktiker insgesamt von 101 auf 4 .1 4 8 .12
Die Folge ist, daß in dieser Zeit die laufbahnbedingte P roduktion erzie­
hungsw issenschaftlicher A rbeiten sich um 4.000 mal, sagen wir, 5 bis 20
Publikationen erhöht. So viele pädagogische Sachen sind aber in einem
so kurzen Zeitraum nicht ausfindig zu m achen. Die 20.000 bis 80.000
Publikationen, die über den bis dahin gültigen E rkenntnisbedarf hinaus­
gehen, w erden nu r wenig Neues enthalten können. Die Folge ist, sie er­
setzen den inhaltlichen Mangel durch ‘S prache’. Die wissenschaftliche
Sprachfassade tr itt an Stelle der Sachen. Die explosionsartige Stellenver­
m ehrung führt zur Explosion von W issenschaftsersatz, dessen Krücke der
Fachjargon ist. —
Man könnte dieses Zahlenexem pel noch eindrucksvoller gestalten, indem
man die E ntw icklung an den Pädagogischen Hochschulen hinzunim m t.
Hier erhöhte sich die Zahl der Professoren in den 10 Jahren zwischen
1966 und 1976 von 725 auf 1.948, die des gesam ten wissenschaftlichen
Personals von 1.943 auf 5.802.13
Vergleichbares gilt in bescheidenerem Umfang von der G erm anistik. Zwi­
schen 1953 und 1976 h at sich in diesem Fach die Zahl der Professoren
verneunfacht, von 51 auf 466, und die des gesam ten w issenschaftlichen
Personals versechzehnfacht, von 168 auf 2.4 5 6 .14 — Über die Zahlen­
entw icklung in der germ anistischen Sprachw issenschaft liegen mir keine
genauen Zahlen vor. Wenn wir berücksichtigen, daß bis in die späten
sechziger Jahre die deutsche L iteratur des M ittelalters und, in sehr be­
scheidenem Ausmaß, die germ anistische Sprachw issenschaft meistens
von einem und dem selben Fachvertreter verw altet w urden und daß
Sprachw issenschaft m eistens nur vorkam in der Form von obligatori­
schen Ü bungen zur G ram m atik des G otischen, A lthochdeutschen, M ittel­
hochdeutschen, gedacht als P ropädeutikum zur literaturw issenschaftli­
chen Beschäftigung, dann ist von einem hohen proportionalen Anstieg
165
der Zahl germ anistischer Linguisten auszugehen. Zu den Folgen gehörte
eine Repetitions- und M ultiplikationsliteratur. Aus einem K apitelchen
zur ‘V erbvalenz’, das man jedem 13jährigen in einer Schulstunde erklä­
ren kann, wurden zwei Regale w issenschaftlicher L iteratur, aus einer
reizvollen hypothetischen S yntaxtheorie, dargeboten in luzider Esoterik,
w urde eine Bibliothek. Zu den K onsequenzen gehört auch die Binde­
strichlinguistik. Man flieht, vor dem stupenden A usstoß an Wissenschaft,
an die Ränder. (Ich bekenne mich hier “schuldig” .) — O der man nim m t
seine Z uflucht zu etwas, was Gauger un ter dem Titel ‘W issenschaft als
Stil’ beschrieben hat und was ich in den Begriffen ‘S prach attrap p e’ und
‘W issenschaftsattrappen’ zu fassen versucht h a b e .15
3) Wenn es richtig ist, daß unser wissenschaftliches V erfahren fast a u to ­
matisch zu einer Erw eiterung des genorm ten Zeicheninventars führt,
dann verm ehrt sich bei einer raschen A uffächerung und V erm ehrung
wissenschaftlicher P roduktionsplätze ebenso schnell die Terminologie.
Die Sprachdifferenzierung ist eben kein natürlicher Vorgang, der sich
aus der K om plizierung unserer E rkenntnis und der Welt erklärt. In der
Term inologieentw icklung, w enn ich mich so ausdrücken darf, tic k t der
Parkinson.
4) Mit der G eschw indigkeit der W issenschaftsproduktion, die bei steigen­
der Zahl der P roduzenten und A bnehm er sich erhöht, sinkt in der Regel
deren sachliche und sprachliche Q ualität. Die K ontrollinstanzen werden
unübersichtlich und unw irksam . Niem and ist m ehr in der Lage, das Ver­
öffentlichte kritisch zu sichten und zu ordnen.
5) Die ‘W issenschaftsentw icklung’ unterliegt gleichzeitig einer Steuerung
durch Verlagsinteressen. Die Linguistik w urde rasch als M arkt interessant.
1981/82 gab es im m erhin allein 60.000 G erm anistikstudenten und über
100.000 Philologen.16 Verlagsimperien entdeckten die in der m odernen
Disziplin schlum m ernden V erw ertungsm öglichkeiten und n utzten sie in
einem konkurrenzbestim m ten Tem po aus, sei es auf dem Schulbuchm arkt
oder dadurch, daß sie einen A utorenbandw urm als A utoritätenbandw urm
in U m lauf brachten. Auch völlig U nerprobtes w urde rasch etabliert; der
term ingebundene Verlegerauftrag begünstigte die gestanzte Erzeugung
inhaltloser ‘W issenschaft’. Die ‘E ntw icklung’ der Linguistik durch ein
cleveres M arketing war verm utlich w ichtiger als die eigenständige E n t­
wicklung des Fachs in seinen stillen Instituten. Die Kommerzialisierung
ist jedenfalls ein eigenständiger F aktor in unserer ‘Forschungsgeschichte’
der letzten 20 Jahre.
6) Identitätsschw ache Fächer neigen zur K om pensation ihrer Schwäche
durch ‘S prache’ und zur Prestigeanleihe bei den starken N achbarn. Nur
so gelingt ihnen ihre soziale Abgrenzung. —
166
In den letzten 20 Jahren haben die G eistesw issenschaften einen erheb­
lichen Prestigeverlust erlitten — gegenüber dem konstanten Prestige der
N aturw issenschaften und dem gewaltigen Prestigeanstieg der Sozialwis­
senschaften und der Psychoanalyse. Zur Zeit einer verspäteten K onfron­
tatio n der deutschen U niversität m it ihrer V ergangenheit geriet die Ger­
m anistik gleich zweifach in eine Krise: als b eto n t ‘d eutsch e’, ideologie­
anfällige W issenschaft u nd als verschwom m ene, ‘w olkige’ Disziplin.
Die naturw issenschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Modelle der
neuen Linguistik erhielten unter solchen U m ständen eine F unktion, die
w eit übers Sachdienliche hinausging; sie w urden m it der Aufgabe befrach­
tet, die neutrale W issenschaftlichkeit des Fachs zu sichern, und fielen
entsprechend h ypertroph aus. — Die Präzisionssprache fungierte als
‘D istanzierungsstrategie’. 17 M ilitante ‘W issenschaftlichkeit’ tra t an die
Stelle eines von H ypotheken belasteten Populismus.
H alten wir fest:
Eine verfestigte W issenschaftssprache ist besonders leicht sim ulierbar.
Die w issenschaftliche Sprachdifferenzierung ist u.a. auch ein Parkinson­
phänom en. Mit steigender G eschw indigkeit der W issenschaftsproduktion
steigt der A nteil standardisierter Sprache und sinkt der Inform ationsge­
halt.
Eine explosionsartige Stellenverm ehrung führt schon aus einem Mangel
an Sachen zur explosionsartigen V erm ehrung von ‘W issenschaft’ in A n­
führungsstrichen.
Die K om m erzialisierung der W issenschaft hat den gleichen Effekt.
Identitätsschw ache Fächer tendieren zur K om pensation ihrer Schwäche
durch Jargonbildung und Prestigeanleihe.
Die sechs Grundregeln w irken zusam m en zur P roduktion von etwas, des­
sen Sinn schwer einzusehen ist. — Der allgem einste Sinn, daß wir, indem
wir etwas über unsre Sprache erfahren, auch etwas über uns selbst in Er­
fahrung bringen, geht u n te r im G estrüpp einer inhaltsarm en Scholastik.
Bürokratisch, m it pedantischem E rnst w erden Sachverhalte, die jed er­
m ann intuitiv so fo rt richtig erfaßt und die sich aus der N atur der Sache
ergeben, untersucht und statistisch beglaubigt und verum ständlicht. Der
naturw issenschaftliche E xaktheitsanspruch ist zwar n ich t sinnvoll, aber
er garantiert die U nendlichkeit des Forschungsgegenstandes. Wir ertrin ­
ken in einer F lut, n ich t von Inform ationen, sondern von Publikationen.
Es gibt nichts zum Kauen. Die D isproportion zwischen dargestellter Sa­
che und sprachlichem A ufw and ist d a s Leseerlebnis. Was wir erfahren,
ist nicht falsch, sondern überflüssig. Wir haben diese pseudow issenschaft­
liche T rivialliteratur, weil es die P roduktionsplätze gibt, auf denen wir
167
sitzen, und, weil die Länge der Publikationsliste — analphabetisch ge­
nug! — als Q ualifikationsm aßstab gilt.
Es ist nicht unsozial, auf eine unsinnige W issenschaftsproduktion hin­
zuweisen, es ist unsozial, S tudentengenerationen m it Unsinn vollzustop­
fen. Das Fach fächert sich bürokratisch auf und franst aus, wird unüber­
schaubar und unzugänglich, weil in unserer W issenschaftsorganisation
etwas nicht stim m t.
Die D em okratisierung unseres A rbeitsgebiets hat zu einer Verwissen­
schaftlichung geführt, die dazu zwingt, unsre Publikationsspielregeln
gründlich zu überdenken.
Wie gesagt: Sprachkritik allein ist ein hilfloses U nterfangen; man muß
versuchen, auf die E ntstehensbedingungen dieser Sprache einzuw irken.
Dabei w ollte ich ausdrücklich die Frage ausklam m ern, welcher Sprachty p in der Sprachw issenschaft angemessen wäre, der naturw issenschaft­
liche, der sozialwissenschaftliche oder der ältere hum anwissenschaftliche,
also bildungssprachliche; sie läßt sich nur danach entscheiden, wie je­
m and den w issenschaftstheoretischen O rt der Linguistik bestim m t.
2. Zur V erwissenschaftlichung der praktischen Lehrerausbildung und
des U nterrichts
Der ‘D eutsche Bildungsrat’ forderte 1970, im Zuge der Bildungsreform,
eine V erw issenschaftlichung des U n terrich ts.18 Welche Folgerungen
im D eutschunterricht aus diesem Programm der ‘Szientisierung’ gezo­
gen w urden, w elchen Einfluß die Linguistik, Soziologie und die sozial­
wissenschaftliche Erziehungsw issenschaft auf einen veränderten D eutsch­
u n terricht genom m en haben, das wäre ein riesiges Untersuchungsgebiet,
auf das ich mich hier nicht einzulassen vermag. Ich beschränke mich
stattdessen auf einen sprachkritischen Seitenblick.
Ein Suhrkam pbändchen m it dem Titel ‘Problem e der Schule im gesell­
schaftlichen Wandel. Das Beispiel O denw aldschule’ zeigt, in welchem
Ausmaß ein fortschrittliches Landerziehungsheim um 1970 seine A uf­
gabe darin sah, sich zu verw issenschaftlichen: seine Selbstverwaltung,
Lehrplan und U nterricht, und seinen pädagogischen Freiraum .
“Wir können das alles nur als Prozeß planen” , heißt es. “ Die K apazitä­
ten der L ehreinrichtungen, die Lehrprogram m e, ja selbst die G ebäude,
Lehr- und Lernvorgänge als Prozeß im um fassenden Prozeß der V erän­
derungen von Gesellschaft und W irtschaft w issenschaftlich zu planen,
das ist die Aufgabe, die vor uns liegt.”
168
Die Schule wird an den F o rtschrittsstrom der W issenschaft angeschlos­
sen und die L ehrerkonferenz zum Umschlagplatz zwischen den sog. ‘In­
form ationssystem en’ Psychologie und Soziologie und der erzieherischen
Praxis. Dabei dogm atisieren und bürokratisieren diese Inform ationssyste­
me sich auf eigentüm liche Weise.
Einer der A utoren des Bändchens erfaßt den verbliebenen pädagogischen
Freiraum , indem er das soziale Lernen in der Schule zum w issenschaft­
lichen Gegenstand m acht. Er form uliert insgesamt 40 A ufgaben für das
soziale Lernen. Dabei geht er zum Teil so vor, daß er gewisse Leitgedan­
ken der Psychoanalyse zu ‘Lernzielen’ u m funktioniert, er n en n t z.B. die
Z iele:
— “ m it der eigenen Trieb w eit vertraut und ‘b efreu n d e t’ sein ...”
— “die eigene Sexualität bejahen und genießen lernen”
— “fähig w erden zu stabilen affektiven Bindungen an andere (auch an
Tier und Dinge) und sie in W orten und G esten ausdrücken lernen
(‘O bjekte libidinös besetzen lernen’).”
Der w issenschaftliche Besen, einmal aufgerufen, arbeitet nun selbsttätig
weiter. Wo ein ‘Lernziel’ ist, m uß eine w issenschaftlich fundierte D idak­
tik und eine ‘L ernerfolgskontrolle’ her. “ Lernzielbestim m ungen sind
noch keine unm ittelbaren Handlungsanw eisungen” , schreibt er. “ Dam it
sie das w erden können, ist m indestens zweierlei nötig: die K enntnis der
verschiedenen Weisen des sozialen Lernens (...) und die O perationalisie­
rung der Lernziele. O perationalisierung der Lernziele soll bedeuten, daß
zu jedem Ziel eine Reihe von konkreten V erhaltensw eisen angegeben
werden m üßte, die ein Individuum (in m anchen Fällen spontan, in an­
deren Fällen provoziert) zeigen soll, dam it gesagt w erden kann, es habe
dieses Lernziel erreich t.”
“Diese O perationalisierung theoretisch lückenlos vorwegzunehm en, über­
fo rd ert die Phantasie eines einzelnen” , setzt unser A u to r hinzu und ver­
langt R eihenuntersuchungen. Die Verw issenschaftlichung führt zu einer
totalen und totalitären Erfassung des pädagogischen Spielraums.
Wir sprechen hier w eder von T heorie noch von einem Spezialfall. Der
A rtikel ‘Schulversuche und ihre w issenschaftliche Begleitung’ im ‘H and­
lexikon für Erziehungsw issenschaft’ von 1976 geht von den gleichen
Prämissen aus: H ypothesen sind zu bilden und durch O perationalisie­
rung zu überprüfen.
Der um fangreiche Beitrag über ‘Modellversuche im Bildungswesen und
ihre w issenschaftliche Begleitung’, der in dem zw eibändigen Bildungs­
bericht des M ax-Planck-Instituts für Bildungsforschung von 1983 zu
169
finden i s t 19, inform iert je tz t darüber, ein wie breites S pektrum von
M odellversuchen seit 1970 existiert. Es liefen z.B. 37 “Modellversuche
zur Entw icklung und Erprobung von Spiel- und L ernangeboten im Be­
reich des K indergartens für 3- bis 4jährige Kinder und für 5jährige im
Rahm en der organisatorischen Zusam menfassung m it 3- und 4jährigen.”
Alle diese M odellversuche unterw erfen sich offenbar dem sprachgesicherten W ahnsystem der pädagogischen W issenschaft und erzeugen w iederum Sprache. Z.B.:
“Die Mechanismen der Um w andlung von w issenschaftlichen Fragestel­
lungen in unlösbare Problem e durch O perationalisierung implizieren
stets eine Entfernung von der ursprünglichen P roblem atik.”
Was Karl Korn in der ‘Sprache in der verw alteten W elt’ beschäftigte,
nein, was er als die Signatur unsrer Epoche diagnostizierte, die W uche­
rung der Verw altungssprache über den Rahm en ihrer ursprünglichen
V erw endung20, h at im U nterrichtsw esen freie Bahn. Die pädagogische
W issenschaftssprache ist vom Typus der V erw altungssprache o ft gar
nicht zu unterscheiden, eins geht ins andere über, V erw issenschaftlichung
schlägt sofort um in Bürokratisierung. Die D em okratisierung der wissen­
schaftlichen Bildung hat zu einer lächerlichen Pädokratie geführt. —
Auch hier dürfte gelten, daß der R o tstift des Sprachkritikers nur sehr
wenig ausrichten kann.
Man gestatte einen letzten kurzen Seitenblick auf die R eferendarausbil­
dung, auf das Staatliche Sem inar für Schulpädagogik in Freiburg. Als
genüge es nicht, daß die U niversität schlecht genug U niversität spielt,
spielt auch dieses Studiensem inar Universität. Seine Fachleiter geben
eine Schriftenreihe, die Studiensem inar-K onzepte, kurz ‘STS-K onzepte’,
heraus. In den H eften 1-6, deren um fänglichstes über 150 Seiten stark
ist, werden die R eferendare schriftlich darüber unterrich tet, worin die
‘T ätigkeit des M entors im R ahm en der R eferendarausbildung’ b esteh t
(H eft 3), wie ein U nterrichtsentw urf (H eft 4), wie die schriftliche Prü­
fungsarbeit (H eft 6) anzulegen ist usw. —
Das eigentüm lichste Kennzeichen dieses Seminars ist seine scheinwissen­
schaftliche S chriftkultur. Die Referendare w erden nicht nur verpflichtet,
sich die STS-Konzepte anzuschaffen und bestim m te Seiten unbedingt
und so fort zu lesen, sie erhalten schon am ersten Tag, bei D ienstantritt,
ein 90seitiges H eft m it dem T itel ‘Sem inar-B eratung’, das sie auf der
ersten Seite darauf aufm erksam m acht, dieses H eft sei “ keineswegs
der einzige Weg der K om m unikation zwischen Kollegium und Leitung
auf der einen und den R eferendaren auf der anderen Seite. Es kom m t
hinzu: ...” — Und nun nen n t das H eft sieben M öglichkeiten m ündlicher
170
K om m unikation, u n te r anderem “das Einzelgespräch D ozent — R eferen­
dar beim Vorliegen besonderer Fragen.”
Schon in der ersten Sem inarsitzung wird der R eferendar auch aufm erk­
sam gem acht auf die ‘Beurteilung’ seines U nterrichts. Das Sem inar hat
einen ‘K riterienkatalog’ erarbeitet, der in dem erw ähnten H eft abge­
d ruckt und erläutert ist. Die Erläuterung w eist darauf hin, daß dieser
Katalog w issenschaftlichen Ursprungs u nd daß er vollständig ist. Pädokratien haben offenbar grundsätzlich diese Neigung zur lückenlosen Er­
fassung. Der ‘K riterienkatalog’, der die N otengebung objektivieren soll,
liest sich wie ein zeitgenössischer Beichtspiegel. Er zerfällt in acht Ele­
m ente, I. U nterrichtsziele, II. U nterrichtsgegenstände usw., VIII. Lehrv erhalten; diese acht H auptpunkte zerfallen in Subkategorien, und da
unterscheidet der Katalog zwischen 54 ‘G esichtspunkten’ auf der linken
und 39 ‘K riterien’ au f der rechten Seite. ‘U nterrichtsziele’ z.B. zerfallen
in die G esichtspunkte ‘Grob- und Feinziele’, und ihnen stehen als ‘Kri­
terien ’ ‘Wahl, Form ulierung, V erw irklichung’ gegenüber. Natürlich lernt
der R eferendar eine fachlich genorm te Umgangssprache: ‘Frontal-U n­
te rric h t’ und ‘P artnerarbeit’, ‘schülerzentriert’ und ‘leh rerzen triert’,
‘G robziele’ und ‘Feinziele’, ‘P artnerarbeit’. A uch hier dürfen wir m it
lückenlosen W ortfeldern rechnen.
Wer noch nicht durch die Schule entm ündigt und in Universitätssemina­
ren vergreist ist, wird spätestens je tz t für den S taatsdienst zurechtgeschla­
gen und ausgetrocknet, zu einem Z eitpunkt, wo der S taat kaum noch
Stellen zu vergeben hat. Sein C harakter wird gebrochen.
3. Zur V erw issenschaftlichung und Verfachlichung der Umgangssprache
Der V erw issenschaftlichungsschub, den wir in den Hum anw issenschaften
beobachten und der fast das gesamte U nterrichtsw esen durchdringt, ist
auch im Bereich der öffentlichen und privaten Umgangssprache überall
erkennbar. Man m uß sich erinnern! Eine Zeile wie ‘Aggression: Warum
schon kleine K inder beißen und schlagen’ auf der Titelseite einer Zeit­
schrift wäre vor 25 Jahren nicht möglich gewesen. ‘Aggression’ existier­
te nicht als W ort der öffentlichen G ebrauchssprache. Das Beispiel steht
für ungezählte.
Noch eigentüm licher ist, in welchem Grad W issenschaftswörter in die
Umgangssprache eingedrungen sind. “Wenn Ihr K ind” , sagt die K inder­
gärtnerin, “ alle A nnäherungen, K ontaktaufnahm eversuche und M itspiel­
wünsche kategorisch ablehnt und aggressiv beantw ortet, dann sind das
Signale eines sozialen Fehlverhaltens.” Leidet das Kind u n te r ‘Trennungs­
angst’? — Diese Term ini gehören der Sphäre des O bjektiven, Unpersön171
liehen an, sie sind nicht für eine private, intim e R edesituation geschaffen.
Sie subsum ieren E rlebnisinhalte, die im konkreten Fall als persönlich
und einmalig em pfunden w erden, u n te r eine allgemeine Kategorie und
schließen sie an an ein allgemeines D enkgebäude. Sie w irken distanzie­
rend, eine A rt Selbstentfrem dung durch Sprache ist die Folge.21
Ein drittes Beispiel. — Der Fahrschullehrer u n te rric h tet seine K unden:
an der Straßenkreuzung gebe es einen ‘Warn- und Sicherblick’, einen
‘R öhrenblick’ (die Straße entlang) und einen ‘F ächerblick’. Was liegt
hier vor? Eine Kopie offenbar. Fachlichkeit ist ein so durchgängiges, n o t­
wendiges Prinzip, daß auch der Fahrschullehrer seinen U nterricht fach­
wissenschaftlich gestaltet. N ur so ist er abgesichert, seriös, und h at einen
V erkaufsw ert. Scheinfachlichkeit liegt hier vor.
Die vielbesprochene Verw issenschaftlichung der Alltagswelt ist faßbar
in einem breitgefächerten E ntlehnungsschub von W issenschaftswörtern
u nd in einer scheinhaften oder tatsächlichen V erfachlichung der Um­
gangssprache. Ich kann das Gebiet, das zu unserem Them a gehört, hier
nur noch streifen, un d beschränke mich auf abkürzende, andeutende,
tastende Bemerkungen:
Wir erleben zur Zeit einen ungeheuren Überlieferungsschw und, einen öf­
fentlichen G edächtnisschw und. Die V erw issenschaftlichung des Alltags
ü berantw ortet ungezählte neue Sektoren, die bis vor kurzem noch in den
Bereich eines lokal und mündlich überlieferten Wissens gehörten, einer
universellen S chriftkultur. Die V erschriftlichung unseres Wissens reicht
nischenlos von der Säuglingspflege bis zur Sterbebegleitung. Sie belehrt
nicht nur, sie entm ündigt auch, sie delegiert die konkrete Existenz an
schriftlich orientierende oder orientierte R atgeber. Ein autoritätsbesetz­
tes, handlich gem achtes Orientierungswissen greift in alle lokalen und
privaten Sphären.
Wird es überhaupt zum Wissen? Die W issenschaftswörter erfahren beim
Übergang in die Alltagsw elt häufig eine Bedeutungserw eiterung, eine Er­
w eiterung des Umfangs und Verarm ung des Inhalts. O der sie behalten
ihren A nw endungsbereich und w erden k o n tex tad äq u at eingesetzt, der
Inhalt erscheint aber als nebulöser bzw. weißer Fleck und kann im Zwei­
felsfall nicht definiert w erden. Die Ausdrücke w erden zum ‘Pseudobe­
griff’ im Sinne Wygotskis. Ihre ‘dynam is’ liegt im A ssoziationshof: sie
signalisieren W issenschaftlichkeit, transportieren deren Prestige in die
Alltagssphäre hinein oder nehm en in ihr ein neuartiges K o n n o tat von Ge­
fühlen und W ertungen an. In jedem Fall w andelt sich bei dem Sphären­
wechsel ihre F unktion. Sie schließen die Alltagssphäre an an den A u to ­
ritätsbereich W issenschaft, vertrauenspendend und absichernd, bedarf­
w eckend, zum Fragen und zur H orizonterw eiterung einladend.
172
Bei Max Weber fin d et sich die Bemerkung, daß wir in der Regel nicht
wissen, wie eine S traßenbahn funktioniert, daß wir aber in dem G lau­
ben leben, es jederzeit erfahren zu können. “ Die zunehm ende Intellek­
tualisierung und R ationalisierung bed eu tet also nicht eine zunehm ende
allgemeine K enntnis der Lebensbedingungen, u n te r denen man steht.
Sondern sie b ed eu tet etwas anderes: das Wissen davon oder den G lauben
daran: daß m an, w enn man nur w ollte, es jederzeit erfahren könnte, daß
es also prinzipiell keine geheimnisvollen unberechenbaren M ächte gebe,
die da hineinspielen, daß man vielm ehr alle Dinge — im Prinzip — durch
Berechnen beherrschen könne. Das aber bed eu tet: die Entzauberung
der W elt” . 22 Genau dies ist die Wirkung der W issenschaftswörter. Nur,
daß wir vielleicht den A usdruck ‘E ntzauberung’ nicht übernehm en wür­
den. Die W issenschaft erreicht uns in der A lltagswelt ja meistens nicht
m ehr als sie selbst, sondern, au f dem Umweg über R atgeber und Bera­
tung, angew andt, kom m erziell verm ittelt. Je kom m erzieller sie auftritt,
in Poesie und R hetorik eingehüllt, um so m ehr w erden wir auf einen ge­
schlossenen H orizont zu bewegt. Sie entzaubert nicht nur, sie verzau­
b ert auch. Die sogenannte Sachliteratur h at einen Zug zur Entsachlichung. Für die Werbung gilt das ohnehin.
Die W issenschaftswörter hierarchisieren die Sprache und erzeugen das
Gefühl, dort, wo die Quellen dieser W örter liegen, in ihrer H erkunfts­
sphäre sei man w eiter, befinde man sich in einem um fassenderen, u nbe­
k annten System , das die Fähigkeit berge, alle Problem e zu beherrschen.
Sie steigern den Bedarf an expertenhafter Hilfe. Sie fungieren als Be­
darfsw eckungsinstrum ent, so wie sie in sozialistischen Staaten als Herr­
schaftsinstrum ent fungieren. Sie schließen uns an an ein N etz, das aus
Industrie und W issenschaft gew ebt ist, und w irken als Ansaugstellen.
‘Ö kologie’ ist ein Z auberw ort. Es befestigt H eilserw artungen an die Wis­
senschaft.
Die Entlehnung der W issenschaftswörter erw eitert unseren H orizont
virtuell. Der Inform ationsradius w ächst, aber wir erfahren über immer
m ehr im m er weniger. Das Bewußtsein einer sich im m er w eiter ausdif­
ferenzierenden, verkom plizierenden Welt nim m t zu. Die Umgangsspra­
che ist belastet, vielleicht überlastet durch unverstandene oder nur pas­
siv verfügbare V okabeln. A ber unser Weltbild wird kaum kom plexer,
eher vereinfacht es sich. Die G ebrauchssprache schrum pft.
Die Tatsache, daß wir eigentlich so wenig Wirkliches erfahren, wird ver­
tu sch t durch etwas, was m an, einen anthropologischen Begriff Weisgerbers
sozialpsychologisch und historisch um interpretierend, die sprachliche
‘Z w ischenw elt’ nennen sollte. Eine durch W iederholung ritualisierte
Sprache täuscht über unser Unwissen hinweg. Sie tu t das in einem Sprach173
medium , das sich als A ttrappe vor die R ealität stellt. Die stru k tu rieren ­
den M ittel sind z.B. die Scheinfachlichkeit, die W ortreihe und der Uni­
versalbegriff.
Die ‘S cheinfachlichkeit’, ob sie nun aus der standardisierenden Wirkung
einer eiligen S prachproduktion hervorgeht oder ob sie den Typus Wis­
senschaftssprache kopiert, gibt unserer öffentlichen Sprache ein au to ri­
täres, verkrustetes A nsehen. Man vergleiche einmal die N achrichtenspre­
cher des BBC m it den unseren. Unsere Politiker reden eine scheinfach­
liche, verform elte Sprache.
D er Begriff ‘W ortreihe’ m eint die Beobachtung, daß w ir gew ohnt sind,
bestim m te W eltausschnitte in einer festen W ortreihe, einer begrenzten
K ette von W örtern, referiert zu erhalten, so daß wir glauben, diesen Rea­
litätsausschnitt in einer solchen W ortreihe zu h a b e n . Die Wörter
tendieren dazu zu dom inieren — an Stelle des Satzbaus.
Die Universalbegriffe sind W örter, die auf dem Weg pointierender A b­
straktion eine Teilw ahrheit verabsolutieren und in denen wir riesige Be­
reiche zu überblicken glauben. ‘E ntw icklungsland’, ‘Info rm atio n ’, ‘Sexua­
litä t’, ‘Ö kologie’, ‘Energie’. Es sind Schlüsselbegriffe, halbwissenschaftli­
che Universalwörter, von denen eine starke Wirkung ausgeht. N icht zu­
letzt m it ihrer Hilfe bilden w ir uns ein, die Welt im G riff zu haben.23
Sie bilden, zusam m en m it der W ortreihe und der Scheinfachlichkeit, die
Schwimmkugeln und das N etz des öffentlichen D enksystem s, in dem
wir leben.
Ich breche hier ab. — H at Sprachkritik überhaupt einen Sinn, wenn sie
sich auf Erscheinungsform en der V erw issenschaftlichung unserer Ge­
m einsprache richtet? H at es Sinn, an die S prachkritik der ‘D ialektik der
A ufklärung’ zu erinnern, nachdem ihre einstigen Jünger einiges dazu ge­
tan haben, die in ihr enthaltenen Prophezeiungen zu erfüllen?
“A ppellantentum scheint eine A rt von K rankheit zu sein, deren typischer
V erlauf inzwischen gut b ek an n t ist: Sie tritt in regelmäßig sich wieder­
holenden Anfällen auf, die für den davon Befallenen recht schm erzhaft
sein k ö nnen,” m eint Niklas Luhm ann in seinem V ortrag ‘U nverständli­
che W issenschaft’. Als Soziologe sei man gew ohnt, davon auszugehen,
“daß eine Vorgefundene gesellschaftliche R ealität Gründe dafür hat, daß
sie so besteht, wie sie besteht: Gründe oder H intergründe” . 24
Gründe für eine unsachgem äße Verw issenschaftlichung der Hum anw is­
senschaften lassen sich, wie ich glaube, erkennen; sie liegen z.B. in der
gründerzeithaften Produktionslage. Ähnliches mag für den pädagogischen
Bereich gelten, der hier berührt w urde. Und der kom m erzielle H inter­
grund der V erw issenschaftlichung unserer Lebensw elt ist überall erkenn­
bar.
Die V erw issenschaftlichung h at aber noch einen anderen, vielleicht kaum
weniger wirksam en H intergrund: das V ertrauen in die Wissenschaft, “ das
Wissen oder den G lauben d ara n ,” wie es bei Max Weber heißt, “daß man
(...) alle Dinge — im Prinzip — durch Berechnen beherrschen k ö n n e.”
Zum H intergrund gehören, gerade im außerw issenschaftlichen Bereich,
Lösungserw artungen, vielleicht auch Heilserw artungen, die sich auf die
Wissenschaft richten.
Diese ihre hierarchische Position bedingt die Expansion ihrer Sprache,
z.B. aus N aturw issenschaften und Sozialwissenschaften in die benach­
barten Fächer, aus der W issenschaft insgesamt in die Gemeinsprache.
Wir können die V erw issenschaftlichung unsrer Sprache als eine Spielart
der M etaphorik auffassen. Es gibt ja die M etapher n icht n u r im Bereich
des Einzelw orts und des Bildfeldes, sondern auch ganzer Sprachsphären,
T ex tty pen. Bei der Ü bertragung geht von der Ausgangssphäre eine pro­
jektive Wirkung auf die Zielsphäre aus. Diese kann erhellt und eigentlich
erst erschlossen, sie kann aber auch eingeengt, entstellt und verfrem det
w erden, oder sie wird überw uchert.
Natürlich ist dies Bild der Ü berw ucherung einseitig; es läßt sich sehr
leicht die Gegenrechnung aufm achen.
Die Entlehnung von W issenschaftsbegriffen in die G em einsprache etw a
b ed eu tet eine ständige H orizonterw eiterung; vielleicht hat der E ntleh­
nungsschub in den letzten Jahrzehnten eine Europäisierung, eine Latinisierung des D eutschen erreicht. Es scheint, daß die ‘W örter aus der
F rem de’, von denen noch A dorno sp rac h 25, keine Sonderstellung m ehr
haben, ganz ähnlich wie etw a im Englischen, daß sie glücklich eingebür­
gert sind.
Es wäre nun absurd und genant, auch für die linguistische oder pädago­
gische L iteratur dieses Zeitraum s eine A rt Gegenrechnung aufm achen
zu wollen. Die war nicht das Them a. Das Them a w ar Sprachkritik.
Um aber jedem M ißverständnis vorzubeugen: ich w ollte mich nicht ge­
gen eine esoterische W issenschaftssprache w enden. Ob wir uns in der
Linguistik einer form alisierenden Schreibweise bedienen, ob wir A nlei­
hen bei den N aturw issenschaften oder der Logik oder den Sozialwissen­
schaften m achen, das läß t sich nu r unter dem G esichtspunkt beurteilen,
ob es der Sache, der Erhellung des Gegenstandes dient. V erm utlich kann
m an in den Bildfeldern gar nicht vielseitig genug sein.
175
Ich sehe, was unsere Sprache angeht, zwei schwierige Fragen:
1) Welchen S tan d o rt schreiben wir der Linguistik neben den anderen Wis­
senschaften zu? Ist die U nsicherheit in dieser Frage ein G rund für die
derzeitige Sprachverwirrung? Ist dies Fach ein K onglom erat, den ver­
schiedenen Disziplinen zugänglich? — R om an Jakobson h at in dem A uf­
satz ‘Die Linguistik und ihr V erhältnis zu anderen W issenschaften’ um ­
fangreiches M aterial für eine solche E rörterung bereitgestellt.26
2) Als hum anw issenschaftliche Disziplin erfüllt sie m.E. im m er eine dop­
pelte F unktion: sie d ien t i n der Sacherkundung zugleich der Selbstver­
ständigung des M enschen. V erfehlt die Linguistik nicht ihren Sinn, wenn
ihre Ausdrucksweise diese erkennende A nw endung auf uns selbst, die
wir umgangssprachlich vornehm en, nicht m ehr erlaubt?
M.E. spricht einiges dafür, sich au f die Leistungsfähigkeit der Gem ein­
sprache zu besinnen, einer Bildungssprache, die um Term inologie und
begriffliche Form eln erw eitert ist. Sie ist verm utlich der K om plexität
des Gegenstandes besser gewachsen, ist eher in der Lage, ihn vielseitig
differenzierend zur D arstellung zu bringen, als z.B. die steifen, angesichts
des O bjekts Sprache vereinfachenden Schreibweisen der N aturw issen­
schaft. Die szientistische Schreibweise bed eu tet eine U nterin terp retatio n
des Bereichs Sprache, wir unterschätzen, vielleicht, weil wir die Möglich­
keiten des Satzbaus, des Periodenbaus und der Großgliederung zu wenig
im Auge haben, völlig die Fähigkeit der G em einsprache, die kom plizier­
testen Sachverhalte zu repräsentieren. Ihre A nw endung wäre zugleich
ein nützlicher Prüfstein, der das Triviale als trivial ans Licht bringt.
Warum erproben wir, überhaupt, nicht die R eichw eite der Bildungsspra­
che, in den H um anw issenschaften, im U nterrichtsw esen, in der ö ffen t­
lichen und privaten G ebrauchssprache, sta tt uns auf die standardisierte
Fachlichkeit und Scheinfachlichkeit der verschiedenen situ atio n sty p i­
schen Teilsprachen einzulassen? Die Würde einer zeitgenössisch erwei­
terten Bildungssprache liegt m.E. nicht darin, eine unvollkom m ene Wis­
senschaftssprache zu sein, die der wissenschaftlichen E rkenntnis h in ter­
herhinkt und eine A rt Geröllfeld überholter Theorien bildet. Sie h at ih­
ren eigenen M ittelpunkt und Leistungsradius. Der Verw issenschaftlichungs­
schub in den letzten Jahrzehnten legt es eher nahe, erzw ingt es vielleicht
sogar, aus R espekt vor der zu erhaltenden Sachlichkeit der Wissenschaf­
ten, ihren Universalitätsanspruch auf W elterklärung in Zweifel zu ziehen
und ihre Befrachtung m it H eilserwartungen zurückzuweisen.
Nicht eine Verw issenschaftlichung unserer Sprache ist wünschenswert,
sondern eine Vielsprachigkeit, ein sprachlicher ‘P olytheism us’, und da­
neben die Erarbeitung eines Sprachgebrauchs, m it dem es möglich ist,
176
sich in den verschiedenen S ituationen und Sachbeziehungen in e i n e r
Sprache auszudrücken, die vorgeform ten Inhalte in e i n e r bewegli­
chen Sprache auszuarbeiten und allgemeiner durchsichtig zu machen.
“ Die Umgangssprache ist nicht notw endigerw eise vage, schillernd oder
ungenau; das ist lediglich die ohne K önnerschaft gehandhabte Umgangs­
sprache” , schreibt der Biologe Bernhard Hassenstein. “ Der M öglichkeit
nach ist die Umgangssprache in der D arstellung der W irklichkeit von be­
liebiger Präzision.” *7
Es gibt eine A rt W issenschaftssprache, die, unsinnlich und eindim ensio­
nal, schon in der H um anw issenschaft ihren Gegenstand nicht erreicht,
und deren Expansion in U nterrichtsw esen und Gem einsprache austrock­
nend wirken kann:
Sie addiert F akten, ohne daß ein sinnvoller Zusam m enhang erkennbar
wird;
sie ist monologisch;
sie verzichtet darauf, die Position eines Sprechenden zu m arkieren und
von ihr aus einen Raum zu entw erfen;
sie verräum licht auch n icht ihren Gegenstand und verzichtet überhaupt
auf M ittel der Veranschaulichung;
der Satzbau ist undurchsichtig, oder die Satzbaupläne sind einfach und
stereotyp und ihr R hythm us infolgedessen m onoton;
der sprachliche Zugriff, die M etaphorik z.B., ist einseitig und starr;
man bevorzugt Substantive und die sog. ‘blassen’ V erben, die nur noch
eine gram m atische, satzkonstituierende F unktion haben (aufw eisen,
teilnehm en) und daher geeignet sind, eher statische R elationen abzubil­
den;
man rasselt m it vorgefertigten prestigebesetzten Form eln und W ortauto­
ritäten, so daß einem Hören und Sehen vergeht.
Dagegen eine gegenständliche Sprache, von der etwas, ein M oment, auch
in die der Sacherhellung dienende w issenschaftliche D arstellung eingehen
könnte:
diese wäre dann nicht nur klar, ökonom isch und genau, wie es sich ge­
hö rt, sondern würde auch noch über eine spezifische Energie sinnlicher
Vergegenwärtigung verfügen;
wir hören eine Stim m e;
ein G edanke verbindet Teile;
daß es Wichtiges und Unwichtiges gibt, wird durch den zugewiesenen
Raum und den Satzbau ausgedrückt;
177
der Stil ist eher verbal, V erben der A ktion, die anschaulich sind, w erden
verw endet und eignen sich, dynam ische und dialektische Prozesse abzu­
bilden;
die Sache wird im Dialog entw ickelt und, durch Synonym envariation
und vielseitige M etaphorik, offengehalten;
der A utor verräum licht und veranschaulicht, was er darstellen will, er
h at ein Gegenüber;
er knüpft an, auch an A lltagserfahrung und m ündliche Rede;
er bem üht sich, m im etische Q ualitäten der Sprache zu nutzen, die Sinn­
lichkeit des Gegenstandes durch sinnliche und räum liche A nhaltspunkte
w iederzugeben;
ein Gedankengang kann z.B. in dem Periodenbau eines Satzes sim uliert
w erden;
man w echselt zwischen kurzen und langen Sätzen, der R hythm us ist
abwechslungsreich und vielseitig — an Stelle eines ökonom ischen Sche­
matism us en th ält er Ü berraschungsm om ente, Sprünge;
die Sprache ist w ohlklingend;
sie hat einen R hythm us;
und sie lebt von dem ironischen Bewußtsein, daß man in den W örtern
nicht die Sachen hat.
Der preußische G raf Gustav von Schlabrendorf, der als Em igrant in Paris
gelebt hat und dessen S prachtheorie durch Carl Gustav Jochm ann über­
liefert w orden is t28, m einte, daß die öffentliche Prosa und die gelehrte
Sachprosa nach dem V orbild des Englischen auf M ündlichkeit aufruhen
solle, und vielleicht darf man noch einmal an die Eigenschaften erinnern,
die G ottsched einer vollkom m enen Sprache zuschrieb:
‘D ifferenziertheit’, ‘D eutlichkeit’, ‘Kürze und N achdruck’.
Anm erkungen
1
Die D ifferenziertheit seiner linguistischen A rgum entation galt der Kritik,
kaum der Begründung von Sprachkritik. Vgl. z.B. Peter von Polenz: Funk­
tionsverben im heutigen Deutsch. Sprache in der rationalisierten Welt. Bei­
hefte zum W irkenden W ort 5, Düsseldorf 1963; ders.: Sprachpurism us und
Nationalsozialism us. Die Frem dw ort-Frage gestern und heute. In: Germ ani­
stik —eine deutsche Wissenschaft. F rankfurt 1967 (edition Suhrkam p.
Bd. 214), S. 111-165.
Eine um fangreiche, wenn auch unvollständige Bibliographie zur Diskussion
178
um die Sprachkritik enthält neuerdings die Sammlung: Hans Jürgen Heringer
(Hg.): Holzfeuer im hölzernen Ofen. Aufsätze zur politischen Sprachkritik.
Tübingen 1982, S. 317-332.
2
G ottfried Wilhelm Leibniz: Deutsche Schriften. Bd. 1: M uttersprache
und völkische Gesinnung. Hg. von W alther Schmied-Kowarzik. Leipzig 1916
(Philosophische Bibliothek. Bd. 161.) [S. 3-24: Erm ahnung an die Deutschen,
ihren Verstand und ihre Sprache besser zu üben, sam t beigefügtem Vorschlag
einer deutschgesinnten Gesellschaft; S. 25-54: Von deutscher Sprachpflege.
Unvorgreifliche G edanken betreffend die Ausübung und Verbesserung der
deutschen Sprache.]
G ottfried Wilhelm Leibniz: Unvorgreifliche G edanken betreffend die Aus­
übung und Verbesserung der deutschen Sprache. Zwei A ufsätze. Hg. von
Uwe Pörksen. K om m entiert von Uwe Pörksen und Jürgen Schiewe. S tu tt­
gart 1983. (Reclam s Universal-Bibliothek. Nr. 7987 [2]).
Johann Christoph G ottsched: Schriften zur L iteratur. Hrsg. von Horst
Steinm etz. S tu ttg art 1972. (Reclams Universal-Bibliothek. Nr. 9361 [5 ]).
Joachim Heinrich Campe: Ober die Reinigung und Bereicherung der deut­
schen Sprache. D ritter Versuch /w elcher den von dem königl. Preuß. Ge­
lehrtenverein zu Berlin ausgesetzten Preis erhalten h a t/ von Joachim Heinrich
C am pe’n/Herzogl. Braunschweig. Schulrath. Verbesserte und vermehrte
Ausgabe. Braunschweig 1794. — Zugänglich auch unter dem Titel ‘G rund­
sätze, Regeln und Grenzen der V erdeutschung' als Einleitung zu Campes
‘W örterbuch zur Erklärung und V erdeutschung der unserer Sprache aufge­
drungenen frem den A usdrücke.’ Braunschweig 2 1813. — R eprint hg. von
H elm ut Henne. Hildesheim /N ew Y ork 1970.
Carl Gustav Jochm ann: Über die Sprache. Faksim iledruck nach der Origi­
nalausgabe von 1828, m it Schlabrendorfs ‘Bemerkungen über Sprache’ und
der Jochm ann-Biographie von Julius E ckardt. Hg. von Christian Wagen­
knecht. G öttingen 1968. (Deutsche N eudrucke).
Carl Gustav Jochm ann: Politische Sprachkritik. A phorism en und Glossen.
Hg. von Uwe Pörksen, ausgew. und kom m , von Uwe Pörksen und Siegfried
Hennrich, Herbert Klausmann, Eva Lange, Jürgen Schiewe. Stuttgart 1983.
(Reclams Universal-Bibliothek. Nr. 7933 [3 ]).
3
Zu diesem Begriff der ‘N orm ’ vgl. Eugenio Coseriu: System , Norm , Rede,
in: Eugenio Coseriu: Sprache. Strukturen und Funktionen. XII Aufsätze.
Hg. Uwe Petersen. Tübingen 1970, S. 193-212, bes. S. 207 ff.
4
Ich habe gelegentlich Hugo Stegers anregendes und m.E. besonders leistungs­
fähiges Konzept, die soziale Binnengliederung unserer Sprache zu erfassen,
in Sprachkritik um zum ünzen versucht. — Siehe z.B.:
Hugo Steger/Helge D eutrich/G erd Schank/Eva Schütz: R edekonstellation,
R edekonstellationstyp, T extexem plar, T extsorte im Rahm en eines Sprachverhaltensm odells. In: Gesprochene Sprache. Jahrbuch 1972 (= Sprache
der Gegenwart Bd. 26), Düsseldorf 1974, S. 39-97.
Vgl. dazu Uwe Pörksen.- T extsorten, T extsortenverschränkungen und
Sprachattrappen. In: W irkendes Wort 1974, S. 219-239.
179
5
Johann Christoph G ottsched: Deutsche Sprachkunst. II. A bschnitt ‘Von
der V ollkom m enheit einer Sprache überhaupt.’ §§ 2-4. In: Johann Christoph
G ottsched: Ausgewählte Werke. 8.Bd., 1. Teil. B earbeitet von H erbert Penzl,
S. 50 f.
6
Vgl. Kuno Lorenz/Jürgen M ittelstrass: R ational Philosophy o f Language:
The Program me in P lato’s Cratylos reconsidered. In: Mind 76 (1967), S. 1-20.
Uwe Pörksen: Platons Dialog über die Richtigkeit der W örter und das Pro­
blem der Sprachkritik. In: Germ anistische Linguistik H. 1/2 (1979), S. 37-50.
7
Hansgert Peisert/G erhild Fram heim : Das H ochschulsystem in der Bundes­
republik — Funktionsw eise und Leistungsfähigkeit. S tuttgart 1979, S. 22 f.
8
Statistisches Bundesam t Wiesbaden (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch 1983
für die Bundesrepublik D eutschland. Stuttgart und Mainz 1983, S. 344.
9
Hans Werner Prahl: Sozialgeschichte des Hochschulwesens. München 1978,
S. 366. — Die neu gegründeten Universitäten: Bochum , Konstanz, Regens­
burg, Bielefeld, D ortm und, Bremen, Düsseldorf (seit 1819 Medizinische
Akadem ie), Kaiserslautern, Trier, Oldenburg, Osnabrück, B ayreuth, Ulm
(M edizinisch-Naturwissenschaftliche Hochschule), Passau. — Die neuen
Gesam thochschulen (U niversitäten): Bamberg, Duisburg, Essen, Kassel,
Paderborn, Siegen, W uppertal. — Zur Zahl der Fachhochschulen vgl.
Peisert/Fram heim (Anm. 7).
10
Ihre A utoren waren Mario Pei (1966), Mario Pei und Frank Gagmar (1968),
Gerhard Helbig (1969), W infried Ulrich (1972), Carl Heupel (1973), Werner
Welte (1974), Werner Abraham (1974), Harro Stam m erjohann (1975).
11
Die Z itate, die auf beunruhigende Weise austauschbar sind, weise ich hier
und im folgenden n icht nach. Eine persönliche Polemik ist nicht beabsich­
tigt.
12
Achim Leschinsky/Peter R oeder: D idaktik und U nterricht in der Sekundar­
stufe I seit 1950. A. Entw icklung der Rahm enbedingungen. In: Max-PlankInstitut für Bildungsforschung. Projektgruppe Bildungsbericht (Hrsg.):
Bildung in der Bundesrepublik D eutschland. S tu ttg art 1980. Bd. 1 E nt­
wicklungen seit 1950, S. 309. — Die Quellen der A utoren sind das S tatisti­
sche Bundesam t: Statistik der Bundesrepublik D eutschland. Fachserie 11,
Bildung und K ultur. Reihe 4,4: Personal an Hochschulen 1976. S tuttgart
und Mainz 1977-, sowie entsprechende V eröffentlichungen für frühere Jahre. —
Die A utoren m erken für die Fächergruppe Pädagogik an: “ 1953 einschließ­
lich Leibesübungen, Sport und Sporterziehung, 1972 und 1976 Erziehungs­
wissenschaften und L ehram t an Grund-, Haupt- und Sonderschulen.”
13
L eschinsky/Roeder, S. 307. — Quellen wie in Anm. 12.
14
Leschinsky, R oeder, S. 309. — Quellen wie in Anm . 12. — Die Zahlen gel­
ten “ 1976 einschließlich germanistische Sprachen sowie Sprach- und Li­
teraturw issenschaft” .
15
Hans-Martin Gauger: Wissenschaft als Stil. In: D eutsche Akadem ie für
Sprache und Dichtung. Jahrbuch 1979. Heidelberg 1979, S. 22-33.
Vgl. den u nter Anm . 4 genannten A ufsatz über ‘T extsorten, T extsorten­
verschränkung und Sprachattrappen’ und m eine Polem ik ‘Vom pseudo­
wissenschaftlichen Jargon’. In: Neue R undschau 71 (1974), S. 214-222.
180
16
Statistisches Bundesam t Wiesbaden (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch 1983
(siehe Anm . 8), S. 356.
17
Der Term inus wurde gesprächsweise von Wolf Lepenies geprägt.
18
Jürgen Kreft: Entw icklung der L iteraturdidaktik im Rahm en der Deutsch­
didaktik. In : Bildungsbericht des M ax-Plank-Instituts für Bildungsforschung
(siehe Anm . 12), S. 553 f. zur ‘Szientisierung’ des L iteraturunterrichts.
19
H orst W eishaupt: Modellversuche im Bildungswesen und ihre wissenschaft­
liche Begleitung. In: Bildungsbericht des M ax-Plank-Instituts für Bildungs­
forschung (Anm . 12), 2. Band, S. 1287-1342.
20
Karl Korn: Sprache in der verwalteten Welt, dtv 1962, S. 17: “ Ein groteskes,
aber keineswegs als ausgefallen anzusehendes Beispiel ist der Satz des Pfar­
rers, der seinen Schützling ‘das Liebesbedürfnis in den ganzen Zusammen­
hang der Liebe einplanen’ heißt. Es handelt sich um ein authentisches, be­
glaubigtes Z itat. Am G roteskfall wird deutlich, was allgemeine Sprachsignatu r in der verw alteten Welt ist, die Ü bersetzung in den A ktenvorgang.”
21
A dorno und H orkheim er haben das Phänom en am Beispiel psychoanalytisch
überform ter Gespräche beschrieben: “ Die Wahl der Worte im Gespräch, ja
das ganze nach den Ordnungsbegriffen der heruntergekom m enen T iefen­
psychologie aufgeteilte Innenleben bezeugt den Versuch, sich selbst zum
erfolgsadäquaten A pparat zu m achen, der bis in die Triebregungen hinein
dem von der K ulturindustrie präsentierten Modell entspricht.” T heodor W.
A dorno/M ax Horkheim er: Dialektik der A ufklärung, Frankfurt/M . 1969,
S. 176.
22
Max Weber: Wissenschaft als Beruf. G edanken anläßlich einer Studenten­
versammlung 1919, die über Berufsfragen orientiert werden sollte. In: SV —
Schriftenreihe zur Förderung der Wissenschaft 1958/3, S. 16.
23
Diese W örter sind ein G egenstand wiederkehrender, höchst anregender Ge­
spräche m it Ivan Illich.
24
Niklas Luhm ann: Unverständliche Wissenschaft. Problem e einer theorieeige­
nen Sprache. In: Deutsche Akadem ie für Sprache und Dichtung. Jahrbuch
1979. Heidelberg 1979, S. 34.
25
T heodor W. A dorno: W örter aus der Frem de. In: Th. W. A dorno: N oten
zur Literatur. Gesammelte Schriften. Bd. 11. F rankfurt 1974, S. 216-232.
26
Rom an Jakobson: Die Linguistik und ihr Verhältnis zu anderen Wissenschaf­
ten. In: Rom an Jakobson: A ufsätze zur Linguistik und Poetik. Herausgege­
ben und eingeleitet von Wolfgang Raible. München 1972, S. 150-224.
27
Bernhard Hassenstein: Wie viele Körner ergeben einen Haufen? Bemerkun­
gen zu einem uralten und zugleich aktuellen Verständigungsproblem. In:
Schriften der Carl Friedrich von Siemens Stiftung, hrsg. von A nton Peisl
und Arm in Mohler. Band I ‘Der Mensch und seine Sprache’.Frankfurt/M .,
Berlin, Wien 1979, S. 238.
28
Vgl. das I. Kapitel ‘Über den R hythm us’ in Jochm anns Buch ‘Über die Spra­
che’ von 1828 (Anm. 2).
181
Sprachkultur und politische Kultur
WALTHER DIECKMANN
V o rw o r t: S p r a c h k u ltu r u n d p o litis c h e K u ltu r
Das Them a “S prachkultur und politische K u ltu r” ist ein großes Them a
und ein sehr anspruchsvolles dazu, zum indest für den, dem es nicht ge­
lingen will, den Begriff der K ultur seiner w erthaften K om ponenten gänz­
lich zu entkleiden und ihn strikt als beschreibenden Begriff für den jeweils
vorfindlichen, gleichviel ob guten oder schlechten Zustand der kulturellen
Angelegenheiten zu verw enden. Im Tagungsprogramm tau ch t dieser schwer­
gewichtige Begriff nun auch noch verdoppelt auf, kom poniert zu einer
Them aform ulierung, die eines großen Vortrags würdig ist, wie er anläßlich
eines Festaktes in der Paulskirche oder bei einer ähnlich prom inenten Gele­
genheit gehalten w erden könnte. — Die Tagungsbeiträge w erden solche
Ansprüche nicht erfüllen können.
Das Them a ist n icht nur anspruchsvoll, sondern auch schwierig zu be­
handeln. Das liegt zum einen daran, daß die Zusam m enhänge zwischen
Sprachkultur und politischer K ultur so vielfältig sind, daß die Beiträge,
wenn sie nicht in irgendeiner Weise sich gemeinsam an einer Rahm en­
frage orientieren, sich leicht im w eiten Raum der möglichen Bezüge ver­
lieren können. Dieser G efahr haben die Beteiligten versucht vorzubeugen,
indem sie eine solche, zum indest vage bestim m te Rahm enfrage vereinbart
haben. Etwa so:
Es ist im politischen Bereich nicht ohne G rund viel von Glaubwürdig­
keitsverlust, Parteienverdrossenheit, System m üdigkeit oder Legi­
tim ationsverfall die Rede. Diese Klagen oder Vorwürfe sind nicht
unbedingt neu, auch ist das w ahrgenom m ene Problem sicherlich
nicht nur, nicht einm al in erster Linie unter dem Titel “ Sprach­
kultur und politische K u ltu r” zu behandeln oder gar zu lösen. Doch
hat es auch eine sprachliche und kom m unikative Seite. Es ist des­
halb eine berechtigte Frage, ob nicht auch die A rt und Weise, wie
Politiker öffentlich m iteinander oder zum Bürger reden, zu dem
beklagten G laubwürdigkeitsverlust beiträgt, und welche Eigen­
schaften politischer Rede und K om m unikation es sind, die diese
Wirkung beim Bürger hervorrufen können. Eine Kultivierung der
politischen Sprache h ätte dann an den Eigenschaften anzusetzen,
die die Analyse unter der genannten Frage als bedeutsam identifi­
ziert hat.
182
A uf diese Weise wird das allgemein form ulierte Them a im ersten S chritt
auf die öffentlich-politische K om m unikation eingegrenzt, und es bekom m t
m it dem Bezug auf Begriffe wie Legitim ationsverfall und Glaubwürdigkeits­
verlust im zw eiten S chritt zusätzlich eine besondere Zielrichtung.
Das T hem a ist zum anderen auch deshalb schwierig zu behandeln, weil
die Frage, ob der W issenschaftler über die Beschreibung hinaus auch be­
w erten kann, darf oder gar soll, im Blick auf die Analyse der politischen
S prachkultur eine besondere Brisanz erhält. Zw ar m eine ich, daß die
G renze zwischen Beschreibung und Bewertung, vor allem als verdeckte
Bewertung, auch bei anderen U ntersuchungsgegenständen in der faktischen
w issenschaftlichen T ätigkeit längst nicht so klar gezogen wird wie im
theoretisch-allgem einen Reden über das Problem ; das Besondere bei den
Analysen politischer Sprache ist jedoch, daß die Grenzüberschreitungen
unverm eidlich einen Kläger finden, weil der R aum des Politischen w esent­
lich ein R aum des Strittigen ist. D ennoch halte ich w ertende Aussagen in
w issenschaftlichen V eröffentlichungen n icht grundsätzlich für ein Problem.
Schlim m er ist es jedenfalls, w enn die Bewertungen unter dem Druck des
A nspruchs rein beschreibender Rede aus dem Prädikatsteil der Ä uße­
rungen, wo sie offen zutage liegen, verschwinden und stattdessen im
R eferenzakt oder in den n icht ausgedrückten Prämissen verdeckt ihr Un­
wesen treiben. V om W issenschaftler zu fordern ist, daß er sich über den
S tatus seiner Aussagen jeweils selbst im Klaren ist und daß er dem Leser,
auch w enn es um ständlich ist, deutlich zu erkennen gibt, w elchen A n­
spruch er jeweils erhebt. Insbesondere sollte klar sein, wofür der Wissen­
schaftler seine spezifische Fachkom petenz ins Feld führt und wo dies
n ich t oder nur eingeschränkt der Fall ist.
Die linguistischen Beiträge von Gerhard Strauß, Gisela Z ifonun und
von Werner Holly geben G elegenheit zu überprüfen, w ie Linguisten, die
sich in den letzten Jahren sprachkritischen Fragen zugew endet haben,
m it dem Problem der Bew ertung umgehen. Es sind Zeugnisse linguistischer
Sprachkritik oder, wie sich zunehm end durchsetzt, “linguistisch begrün­
d eter S prachkritik” , die in den vergangenen Jahren in der Bundesrepu­
blik — auf einer relativ einheitlichen sprach- und kom m unikationstheo­
retischen G rundlage — deutlich einen neuen A nlauf genom m en hat. Z u­
sätzlich kom m t m it Wolfgang Bergsdorf ein Politikw issenschaftler und
P olitiker zu W ort, der sich in besonderer Weise als Diskussionspartner
eignet, weil er sich in zahlreichen V eröffentlichungen zu Problem en der
politischen Sprache geäußert hat und m it der sprachkritischen und
sprachwissenschaftlichen L iteratur gründlich vertraut ist, sie allerdings
n ich t im m er m it reinem Vergnügen und Z ustim m ung gelesen hat.
183
WOLFGANG BERGSDORF
Über die Schwierigkeiten des politischen Sprechens in der D em okratie
I.
Die Sprache der Politik ist in den letzten Jahren ins G erede geraten.
Publizisten, W issenschaftler der einschlägigen Branchen, Leserbriefschrei­
ber und natürlich auch Politiker beschäftigen sich nicht nur im deutschen
Sprachraum kritisch m it der politischen Sprache. Zwei H auptangriffs­
punkte kristallisieren sich im vielfältigen Beschuß der Kritik heraus:
Erstens der V orw urf, Sprache w erde im politischen K ontext fast reflex­
artig verw endet, nahezu autom atisch würde auf Form eln und Leerform eln
zurückgegriffen, w o K onkretion und Präzision gefordert sei, und zweitens
der V orw urf, Sprache w erde zu m anipulativen Zwecken eingesetzt, sie
werde also von ihrer kom m unikativen A ufgabe zugunsten einer der
Politik nützlichen M anipulationsstrategie entfrem det. Beide Vorwürfe
treffen sich in dem G eneralverdacht, die Sprache der Politik diene nicht
der K om m unikation zwischen Regierenden und R egierten, sondern sie
schließe die w ahren A bsichten der Regierenden herm etisch ab von der
Urteilsfähigkeit der Regierten.
Dieser A ngriff auf die politische Sprache ist ebenso wenig eine neue E n t­
w icklung wie die Klagen über die angebliche V erseuchung der H och­
sprache durch F rem dw örter oder die ostinate K ritik an den sich in Elfen­
beintürm en abschließenden Fachsprachen der W issenschaft. Gemeinsa­
mes Motiv für diesen D reifrontenkrieg der Sprachkritik ist die F o rd e­
rung nach Erhöhung der “V erständlichkeit” , nach Verbesserung der
kom m unikativen T eilnahm echancen aller Bürger.
Der sprachliche E xotism us der W issenschaft wird zwar beklagt, aber
doch im w esentlichen als unverm eidbar hingenom m en. U nd auch die
kontrapunktisch geführte Klage über den epidem ischen Befall der d eu t­
schen Sprache durch F rem dw örter findet regelmäßig nur Widerhall bei
beruflich oder sachlich besonders enthusiasm ierten Benutzern der d eu t­
schen Sprache. A nders ist dies bei der politisch begründeten Kritik an
der Sprache der Politik. Indem sie der Sprache der Politik m angelhafte
V erständlichkeit — als In ten tio n oder Ergebnis von Unvermögen — u n te r­
stellt, wird sie selbst zum Politicum , das den S treit der M einungen
herausfordert.
184
D enn die K om m unikation über Politik in der D em okratie setzt eine
“Sprache für alle” voraus, wie sie vor dreihundert Jah ren von G ottfried
Wilhelm Leibniz gefordert w urde. Seine vordem okratische Begründung
für die N otw endigkeit einer “Sprache für alle” , um “lust und liebe zu
Weisheit und tugend bey den Teutschen heftiger (zu) m achen” , läßt sich
m it geringem A ufw and an Phantasie als Begründung der sprachlichen
V oraussetzungen der D em okratie transportieren: “ bey der ganzen nation
aber ist geschehen, daß diejenigen, so kein latein gelernet, von der wißenschaft gleichsam ausgeschloßen w orden, also bey uns ein gewißer geist und
scharffsinnige gedancken, ein reiffes urtheil, eine zarthe em pfindlichkeit
deßen so wohl oder übel gefaßet, noch n icht u n te r den Leuten so gemein
gew orden, als w ohl bey den auslandern zu spüren, deren w ohl ausgeübte
M uttersprach wie ein rein polirtes glas gleichsam die scharffsichtigkeit des
gem üths b efördert und dem V erstand eine durchleuchtende clarheit
g ieb t” .1 Wollte Leibniz die “ Sprache für alle” als mächtiges Instrum ent
der A ufklärung in Stellung gebracht sehen, so läßt sich dies heute leicht
als ein Plädoyer für m ehr dem okratische P artizipationschancen verstehen.
Hier drängt sich die Frage auf, ob ein Plädoyer für eine politische “ Sprache
für alle” nicht h inter der Entw icklung herläuft; ob nicht die Massen­
m edien, insbesondere das Fernsehen, daran m itgew irkt haben, das F unda­
m en t für einen politischen Sprachgebrauch zu legen, dessen Verstehbarkeit die Grenzen des politischen Interesses w eit gesprengt und zusätzliches
politisches Interesse en tfach t hat; ob die K ritik an der “V erständlichkeit”
der politischen Sprache n icht eher als Beweis dafür zu gelten hat, daß eine
politische Sprache für alle ganz andere Schw ierigkeiten aufw irft als die der
V erständlichkeit.
II.
Bevor diese Fragen u n tersucht w erden können, müssen einige Feststel­
lungen über die Leistungen der Sprache in der politischen A useinander­
setzung getroffen w erden. D enn auf die Sprache der politischen Propa­
ganda konzentriert sich der K am pf der politischen G ruppierungen um
Z ustim m ungsbereitschaft, die sprachlich erzeugt w erden soll. Hier er­
läutert die handelnde Politik ihre Ziele und Begründungen und stellt sich
H erausforderungen konkurrierender M achtansprüche, w enn und solange
G ew altanw endung als M ittel des politischen Kam pfes ausgeschlossen
bleibt. Weil die sprachliche A useinandersetzung über Politik hauptsächlich
in diesem Feld sta ttfin d e t, ist es verständlich, daß es o ft m it der “ Sprache
der P olitik” gleichgesetzt wird.
185
Typologie oder Term inologie dieses Sprachfeldes sind ausgerichtet auf
die Selbstdarstellung und -rechtfertigung der Politik. Zwischen Wahlrede
und Parteiprogram m , zwischen Pressegespräch und Fernsehinterview ,
zwischen parlam entarischer Rede und Regierungserklärung bestehen
zwar graduelle U nterschiede im A dressatenkreis und deshalb auch im
konkreten G ehalt der Aussagen. Gemeinsam ist diesen H au pttypen poli­
tischen Sprechens jedoch, daß sie Form en für die Darlegung und Begrün­
dung politischer Ziele in der Ö ffentlichkeit anbieten. Dabei unterschei­
den sich Parteiprogram m und Regierungserklärung ähnlich wie Wahlrede
und parlam entarische Rede dadurch, daß Z ukunftsentw ürfe und politische
A ktion in einem unterschiedlichen M ischungsverhältnis them atisiert w er­
den. So dürfte z.B. die A useinandersetzung m it dem politischen Gegner
außerhalb des Parlam ents regelmäßig schärfer ausfallen.
Die politische A useinandersetzung bedient sich einer Term inologie, die
sich aus zwei großen Bereichen zusam m ensetzt: Der Fachsprache der
Politik, deren Begriffe aus den von der Politik zu behandelnden Fach­
gebieten (Ö konom ie, Technik, R echt, O rganisation etc.) en tleh n t w urden,
und der M einungssprache, die die G rundorientierungen und Z u k u n fts­
entwürfe der Politik widerspiegeln soll. Beiden “ S prachen” gemeinsam
ist die hohe A bstraktionsebene. Sie ist die Folge der ausgew eiteten Distanz
zwischen der unm ittelbaren E rfahrbarkeit von Zusam m enhängen und der
N otw endigkeit, sie dennoch zu beurteilen2 . W ährend jedoch die Fach­
sprache der Politik den Eindruck hoher R ationalität erzeugt, indem die
entlehnten Fachterm ini die Lösbarkeit der politisch-organisatorischen
Fachfragen signalisieren, w irkt die M einungssprache irrational. Die m an­
gelnde Präzision, die unterschiedlichen und widersprüchlichen In ter­
pretationsm öglichkeiten und die dadurch erm öglichte em otive A usstrah­
lung ihrer Term ini, vor allem aber die polarisierende O rganisation ihrer
Begriffsfelder bew irken den K ontrast von m angelnder R ationalität der
Meinungssprache und rational durchw irkter Fachsprache.
Die Sprache der politischen Propaganda bedient sich beider “ Sprachen” .
Die aus Werten abgeleiteten und deshalb rational nur im m anent begründ­
baren Zielvorstellungen der Politik, die in der M einungssprache ausgedrückt
w erden, w erden durch eine V erm ischung m it der Fachsprache der Politik
rationalistisch eingefärbt, um so dem Bedürfnis nach rationaler Begrün­
dung von Politik R echnung zu tragen. Ähnlich kann sich auch die Irratio ­
nalität der M einungssprache auf die Fachsprache übertragen, wie die
sprachliche Seite der Diskussion um Kernenergie exem plarisch deutlich
m acht. Die gegenseitige rationale und irrationale Einfärbung von Fachund Meinungssprache gibt der Sprache der politischen A useinander­
setzung zusätzliche W irkungsm öglichkeiten. Sie bleiben unerkennbar,
186
wenn dieser Sprachgebrauch allein als “ Sprache der Ideologie” verstanden
und dann auch o ft — aus der F orderung nach R ationalität heraus — negativ
bew ertet wird. Sie bleiben auch dann unerkennbar, wenn politisches
Sprechen nicht als das verstanden wird, was es bezw eckt: näm lich Zu­
k u n ft zu antizipieren, G egenwart zu rechtfertigen oder zu verwerfen
und V ergangenheit zu bew erten. Oder: Um es m it der je tzt zu Bühnen­
ehren gekom m enen Fragetrias zu form ulieren: W oher kom m en wir?
Wer sind wir? Wohin gehen wir?
Die Sprache der Politik will H andlungsentw ürfe anbieten; der Austausch
von Inform ationen ist subsidär, er dient der Begründung der vorgeschla­
genen H andlungsentw ürfe. Die Prädom inanz der Handlungsdim ension
im politischen Sprachgebrauch überlagert die Inform ationsfunktion nicht
nur, sondern sie bindet Inform ationen an politische Zwecke. In der
polarisierten S tru k tu r der politischen A useinandersetzung en th ält jede
für die Politik relevante Inform ation eine potentielle D ynam ik, die die
politischen G ruppierungen zu ihren G unsten sprachlich zu entfalten
oder auszublenden versucht.
Dies ist der G rund dafür, daß in der Politik — anders als in der Wissen­
schaft — Inform ationen n icht allein in dem V ertrauen gegeben werden,
daß Interessierte sie aufnehm en und verarbeiten; vielm ehr w erden sie
bew ertet, in Zusam m enhänge hineingestellt und —je nach verm uteter
Bedeutung — m öglichst o ft im K ontext der Bew ertung repetiert, um so
eine größtm ögliche Zahl von Mitbürgern zu erreichen. In der Politik
endet der H andlungskreis nicht wie in der W issenschaft m it der Inform a­
tion, sondern er beginnt m it ihr. Am Ende steh t das Ziel: die angestrebte
V eränderung oder Stabilisierung der M achtsituation — es ist so unver­
m eidlich, daß sich die Praxis der Inform ation ebenso wie ihre sprach­
liche Einkleidung an diesem Zweck ausrichtet.3 A uch w enn dieser Zweck
nicht erkannt oder verborgen w ird, durchw irkt er die öffentliche Prä­
sentation der Inform ation. Die A nstrengungen vor allem to talitärer
System e, die Inform ationsinstanzen to ta l zu kontrollieren und eine
gleichgeschaltete sprachliche Bewertung sicherzustellen, unterstreichen
die Bedeutung, die der politischen Inform ationsgebung beigemessen
wird. Die Inform ationsinstanzen m achen sich das Bedürfnis der Bürger
nach Inform ation zunutze, um deren M einungsbildung und V erhalten
zu steuern. Ob der Zweck und dam it auch die politische Einfärbung
der Inform ationsgebung erkannt wird oder nicht, die den Bürger er­
reichenden Inform ationen entlasten ihn von dem D ilemma zwischen
Meinungszwang und M einungsunfähigkeit, indem sie ihn über das u n te r­
richten, w orüber er keine persönliche E rfahrung gewinnen kann.
187
Für die Analyse des politischen Sprachgebrauchs ergibt sich hieraus, daß
eine Beschränkung allein au f das Sprachm aterial die w esentliche Dimen­
sion politischen Sprechens verfehlt. Wenn der politische Zweck des
Sprechens nicht berücksichtigt w ird, bleibt die H andlungsdim ension der
politischen Sprache ausgespart. Es ist deshalb unzureichend, politische
Ä ußerungen als T exte nur im K ontext von T exten zu verstehen, denn
sie gewinnen ihre B edeutung als T exte nur im K ontext von Handlungen4 .
Denn politischer Sprachgebrauch bezieht sich im m er auf gegebene poli­
tische S ituationen. Selbst darstellende Sätze w erden durch den politischen
K ontext m it W ertungen so aufgeladen, daß sie A ktionscharakter erhalten,
indem sie dem A dressaten Handlungen oder U nterlassungen nahelegen.
Die politische Sprache fungiert als H andlungsleitsystem 5 so lange, wie
Politik nicht ersetzt w ird durch Anpassung an sogenannte Sachzwänge
oder aber zu M itteln der Gewalt greift.
Wer Politik als A ufgabe der G estaltung und dam it auch der Entscheidung
versteht, m uß dam it hinnehm en, daß ein großer Teil der Politik sich m it
dem E ntw urf von H andlungszielen und den V oraussetzungen ihrer V er­
wirklichung beschäftigt. Handlungsziele sind nicht evident und für
jederm ann einsehbar, sondern gründen auf unterschiedlichen Werten.
U nter den Funktionsbedingungen m oderner politischer System e müssen
sie jedoch so form uliert sein, daß sie eine möglichst breite U nterstützung
erhalten. Die Sprache der politischen Propaganda, in der die Ziele poli­
tischen Handelns ausgedrückt w erden, m uß deshalb so flexibel sein, daß
ihre Überredungs- und Ü berzeugungskraft nicht am W iderstand von
W irklichkeits-Perzeptionen scheitert, die Protagonisten konkurrierender
Handlungsziele aufgebaut haben.
Eine Gesellschaft bleibt politisch strukturlos und handlungsunfähig, so­
lange politische Ziele nicht gebündelt und so wirksam w erden. Politische
Integration w ird so von gem einsamen Wert- und Zielvorstellungen ge­
leistet. Die Integration setzt n icht die to tale Id en tität politischer Werte
und Ziele voraus, w ohl aber die relative Id en tität der W ertsysteme der
unterschiedlichen politischen G ruppen, die in der politischen A useinan­
dersetzung einen relativen politischen Gesamtwillen überhaupt erst
konstituieren. Die Sprache leistet dieser für jedes politische System un­
abdingbaren Integration dadurch ihren D ienst, daß sie die M ittel an­
b ietet, Werte und Ziele zu form ulieren. Dies geschieht durch die in der
Sprache nur unzulänglich abbildbaren Entw ürfe für die G estaltung der
Z ukunft, durch Ideologien. Dies sind sprachliche Gebilde, deren Wirk­
sam keit nicht aus ihren notw endigerw eise unterschiedlichen W ertpro­
filen und deshalb keineswegs für jeden nachvollziehbaren Begründungs­
zusamm enhängen verständlich w ird, sondern durch ihre m onologische
188
S truktur. Sie bezieht ihre Faszinationskraft durch die Steigerung einer
o der weniger W erte zu einem nicht w eiter begründbaren W ertsystem;
alle anderen W ertsystem e w erden so relativiert. Diese Radikalisierung
verfolgt eindeutige Zwecke, befreit von Zweifel und U nsicherheiten und
erlaubt G ew ißheit und Selbstsicherheit. Die Integrationsleistung von
Ideologien hängt deshalb ab von ihrer Flexibilität als der Voraussetzung
ihrer Ü berzeugungskraft.
Diese Flexibilität prägt auch die Sprache der Politik, insbesondere die der
politischen Propaganda. Die geringe Präzision ihrer Begriffe kann nicht
als Mangel, sondern m uß als Bedingung ihrer W irksamkeit begriffen w er­
den. Der Mangel an inhaltlicher Präzision ist so als Vorbedingung für
breite V erständlichkeit wie für A npassungsfähigkeit an Unvorhergesehe­
nes zu verstehen.
III.
Alltagssprache und die Sprache der politischen Propaganda unterscheiden
sich vor allem im S tellenw ert und in der G ebrauchshäufigkeit von Be­
griffen. Die Sprache der Politik ist eine Sprache der Begriffe. Selbst wenn
sie W örter aus der Alltagssprache entleiht, verleiht sie ihnen o ft den Rang
von Begriffen, den diese dann wieder verlieren, sobald sie aus dem politi­
schen K ontext entlassen w erden. Begriffe sind nicht nur Sym bole wie
W örter, die als Namen oder Zeichen für einen Gegenstand oder eine
Substanz stehen. Die Bedeutung von W örtern wird durch den allgemei­
nen Sprachgebrauch geregelt, w ährend Begriffe Sprachgebrauch m it nor­
m ierter oder norm ierender B edeutung sind. Begriffe sind verdichtete Sym ­
bole, die für Zusam m enhänge stehen und durch sie bestim m t werden.
Erst in diesen Zusam m enhängen, die unterschiedlich sein können, erhalten
sie ihre Bedeutung. O hne diese Zusam m enhänge sind sie unvollständig,
ergänzungsbedürftig oder “ ungesättigt” 6 .
Diese Feststellung trifft in besonderer Weise au f die Begriffe zu, m it deren
Hilfe soziale Ereignisse und Entw icklungen beschrieben werden. Für histo­
rische und politische Entw icklungen ist es kennzeichnend, daß sie nicht
m onokausal erklärt w erden können, sondern nur durch die Bündelung
einer Vielzahl von Ursachen, deren jeweilige A ntriebskraft für den in
Gang gesetzten Prozeß selten genau zu berechnen ist. Die Einschätzung
rich tet sich an unterschiedlichen W erten und Zielvorstellungen aus, an
der sich auch die Begriffsbildung für die Beschreibung sozialer Phänom ene
orientiert.
Meist geschieht die Begriffsbildung durch die Herauslösung eines in einer
gegebenen politischen S ituation festgestellten Merkmals, das abstrahiert
189
und generalisiert wird. So war z.B. der Begriff “A bsolutism us” als Postfestum -Signatur einer bestim m ten Periode der europäischen G eschichte
erfolgreich, weil er die absolute Verfügungsgewalt von H errschern über
ihre U ntertanen auf einen Begriff gebracht hat, der das unterschiedliche
Selbstverständnis beispielsweise der preußischen und der französischen
Könige, unterschiedliche Rechts- und Regierungsssystem e, unterschied­
lich politische und soziale Bedeutungen von Adel, Kirche, M ilitär und
Bürgertum ebenso ausklam m ert wie Entw icklungen, die der A bsolutis­
m us zu seiner eigenen Ü berw indung in Gang setzte.
Die Steigerung eines oder m ehrerer Merkmale zur D om inanten, die einem
Begriff seiner B edeutung gibt, erm öglicht es ihm, als “m ehr oder weniger
stabilisiertes, elem entares oder entw ickeltes geistiges K onzept der O rien­
tieru n g ” 7 zu fungieren. Die W ahrnehmung von historischen und politi­
schen Prozessen geschieht durch ein R aster von Begriffen, deren analy­
tische und utopische E lem ente aus selektiven Perzeptionen gewonnen
werden. Im K ontrast dazu steht, daß zum indest im sozialen Bereich die
A nw esenheit oder A bw esenheit eines Merkmals oder einer M erkm alkom ­
bination meistens eine graduelle Frage ist. Sie ist noch schwerer zu b e­
antw orten, falls es darum geht, eine Reihe von M erkmalen, die in ver­
schiedenen V ariationen auftreten, auf den Begriff zu bringen.
Weil Begriffe “O rientierungen über O rientierungen”8 sind, weil durch
ihre R aster N uancen und fließende Übergänge fallen, weil sie m it Werten
aufgeladen sind, eignen sie sich für die Politik als M ittel des Kampfes
um M acht. W örter, die m an sich ohne K ontext denkt, können nicht lügen.
Sie können aber täuschen, w enn sie in einen politischen K o n tex t gebracht
w erden, etw a durch eine “ u n d ”-Fügung, wie sie die Nationalsozialisten
zur V erbindung von “ Blut und B oden” ben u tzt haben. A ber: “ Begriffe
können lügen, denn unausgesprochen steh t der K o n tex t h in ter ih n en ” ,
wie beispielsweise der Begriff “ Endlösung” klarm acht9 .
Begriffe, welche im politischen K ontext häufig V erw endung finden, ver­
fügen über eine ausgeprägtere Handlungsdim ension, als sie für den Sprach­
gebrauch in anderen Bereichen des Lebens charakteristisch ist. Sie ge­
w innen diese H andlungsdim ension aus ihrer U nbestim m theit und K on­
textabhängigkeit, aus ihrer Fundierung durch o ft gegensätzliche Wer­
tungen und G eneralisierungen. Die Sprache der politischen Propaganda
m acht sich die präskriptive D im ension ihrer Begriffe zunutze, indem sie
die ihnen zugrunde liegenden W ertsetzungen nicht explizit erläutert,
sondern darauf vertraut, daß diese m it den Begriffen in das Bewußtsein
der A dressaten einfließen.
190
Bei den in der Politik verw endeten Begriffen können drei H auptarten von
T ypenbegriffen10 unterschieden w erden, in denen die Handlungsdim en­
sion in unterschiedlicher Weise ausgeprägt ist: K lassifikatorische T y p e n ;
wie die klassischen Staatsform bezeichnungen “M onarchie” , “ A ristokratie” ,
“ R epublik” 11 versuchen, feststellbare M erkmale m it bestim m ten Eigen­
schaften von H errschaftssystem en zu kontrollieren. A nders als klassifi­
katorische T ypenbildungen, z.B. in den Sozialw issenschaften, sind ihre
Nachfolger wie “D em okratie” , “ Faschism us” und “ Sozialism us” heute
auch stark w ertgeladen und so weniger geeignet, einem größeren Adressa­
tenkreis ein Phänom en zu beschreiben, ohne es zu bew erten. Dies gelingt
bestenfalls durch die Hinzufügung von A ttrib u ten wie in den K om bina­
tionen “konstitutionelle M onarchie” und “ parlam entarische D em okratie” ,
die auf diese Weise M erkmale m it Verfassungssystem en kom binieren, um
Unterscheidungen m it zurückgenom m enen Bew ertungen zu treffen.
Sehr viel deutlicher wird die W ertsetzung bei den E x trem typen der Poli­
tik, wo ein K ontinuum durch eine künstliche G renze in zwei Teile getrennt
wird. N icht nur das Rechts-Links-Schem a verdankt dieser sehr veränder­
baren und unterschiedlich gezogenen Trennlinie seine unerschöpfliche
L ebenskraft, sondern das m it ihm verbundene Gegensatzpaar “ K onser­
vativismus — F o rts c h ritt” . 12 Politische Positionen geraten regelmäßig
zwischen diese Gegensätze, ohne die K raft aufzubringen, deren Schem a­
tism us aufzubrechen. In der W issenschaft gelingt dies oft. E xtrem typen
dienen hier der A nstrengung, V arianten deutlich zu m achen, ein “sow ohl
als auch” und ein “ m ehr oder weniger” herauszuarbeiten, w obei davon
ausgegangen wird, daß reine E xtrem typen absolute A usnahm en bleiben.
Die dritte H auptart von T ypenbegriffen sind Idealtypen 13 ; ihre Eigen­
schaften prägen den C harakter der politischen Sprache in besonderer
Weise. Sie sind gedankliche K onstrukte, gew onnen aus der einseitigen
Steigerung eines oder m ehrerer G esichtspunkte und durch Zusam m en­
schluß einer Fülle von diffus und diskret, hier m ehr, d o rt weniger, stellen­
weise gar nicht vorhandener Einzelerscheinungen, die sich zu einem Ge­
dankenbild fügen. In seiner begrifflichen R einheit ist der Idealtyp em pi­
risch nicht vorfindbar, er “ist eine U topie, ein Grenzbegriff, m it dem
konkrete Phänom ene nur verglichen w erden können, um einige ihrer be­
deutsam en Bestandteile herauszuarbeiten” 14.
Es ist vor allem ihre idealtypische Verw endung, die Schlüsselwörter in
G eschichte und Politik erfolgreich m acht. Mit ihrer Hilfe kann die u nzu­
längliche G egenwart vor der Instanz der Z ukunft angeklagt w erden. Be­
griffe wie “ F re ih eit” , “ G erechtigkeit” und “ S olidarität” , aber auch “ D em o­
k ratie” 15 und “Sozialism us”16 sind Schlüsselwörter, die Parteinahm e
191
verlangen, welche der A dressat kaum verweigern kann. Schlüsselwörter
sind an einem Begriff festgem achte Z ukunftsentw ürfe m it Vergangen­
heitsdeutungen, die politische Philosophien suggerieren, ohne sie deutlich
zu explizieren. Sie tendieren zu U topien und geben sich aus als Realitäten,
zum indest als realisierbare P rojektionen. Sie harm onisieren A bstufungen,
Unterschiede und W idersprüche und verzichten so auf K onturen. Sie er­
heben den A nspruch von G esam tlösungen und erschweren Teillösungen.
Sie setzen auf G esetzesm äßigkeiten und S trukturen und sprechen sich
so gegen E inzelfaktoren, Individuelles und Zufall als Beweggründe für
Entw icklungen aus 17. Sie erw ecken so den A nschein von V oraussehbar­
keit und Planbarkeit und dam it auch von R ationalität und wollen dafür
ihre irrationale Faszinationskraft einsetzen. D ennoch sind sie ebenso un­
verzichtbar für das V erständnis von G eschichte und Politik wie für die
politische Praxis. D urch die für Schlüsselbegriffe typische, nicht auflös­
bare Spannung zwischen unbestim m ter B edeutung und ausgeschnittener
Meinung, durch ihre von der G eschichte herrührende em otive Ausstrahlung
gewinnen sie eine D ynam ik, die sie sow ohl zu Indikatoren wie als F ak­
toren politischer E ntw icklungen w erden l ä ß t 18. Diese politische In te­
grationsleistung m acht die Begriffe unverzichtbar für die politische A us­
einandersetzung.
IV.
Die Integrationsleistung der politischen Sprache erfordert einen hohen
Preis: den Preis einer mangelnden Präzision ihrer Begriffe. G erade weil
die Sprache der Politik eine Sprache der Begriffe ist, wird ihre mangel­
hafte Präzision augenfällig und ohrfällig. Man kann diesen G edanken
allerdings auch in um gekehrte R ichtung bringen. Je höher die Präzision
der politischen Begrifflichkeit, je genauer sie eine politische Vision oder
eine gegebene Lage au f einen Begriff bringt, desto geringer wird ihre
Integrationsleistung, desto sektoraler oder ephem erer ihre Fähigkeit, für
dieses Erklärungskonzept U nterstützung zu gewinnen. Die K ritik an der
mangelnden Präzision der politischen Sprache wird so zu einem K om pli­
m ent für ihre Integrationsleistung, welche nur von einer ‘Sprache für
alle’ aufgebracht w erden kann. Die K ritik an der mangelnden Präzision
der politischen Sprache beschäftigt sich nur vordergründig ausschließlich
m it der sprachlichen Seite der Politik. Diese Feststellung ist deshalb von
Bedeutung, weil sich die Sprache der Politik als eine Sprache der Begriffe
nur im K ontext von politischen Handlungen verdeutlicht. Das ist der
G rund, weshalb K ritik an der politischen Sprache von politischer Kritik
nicht zu trennen ist. U nausgesprochen m itkritisiert w erden stets politische
Inhalte, welche sich in politischen Handlungen und ihrer sprachlichen
192
A rtikulation dokum entieren. Und dies ist nicht nur legitim, sondern das
Ü berlebenselixier der D em okratie. Bei der Sprache der Politik gewinnt
also die Sprachkritik eine politische Dimension, zu der sie sich bekennen
sollte. Diese politische Dimension der Sprachkritik w endet sich vor allem
den Politikern zu. Sicherlich sind die Politiker in der parlam entarischen
D em okratie auch verantw ortlich für die Sprache, in der sich dem okra­
tische Politik repräsentiert. Sie sind aber n icht alleine verantw ortlich.
Ein hohes Maß an V erantw ortung für unsere politische S prachkultur
tragen die Massenmedien und un ter ihnen besonders das Fernsehen. Un­
tersuchungen über Fernsehnachrichtensendungen19 haben gezeigt, daß
deren sprachliche V erständlichkeit extrem niedrig ist, sie jedoch durch
die Bebilderung so kom pensiert wird, daß der Zuschauer der Suggestion
erliegt, Politik nachvollziehen und aufgrund der präsentierten Inform a­
tionen beurteilen zu können.
Die D em okratie ist ein politisches System , das vom Gesetz der großen
Zahl regiert wird. Es kann nicht den A nspruch erheben, W ahrheit offen­
zulegen, es produziert “ n u r” M ehrheiten für politische Programme, die
dam it dennoch nicht aus der A useinandersetzung m it konkurrierenden
Programm en entlassen w erden. Das hat auch K onsequenzen für die
Sprache der Politik. H andelnde Politiker sind darauf angewiesen, von
m öglichst vielen verstanden zu werden, weil sie M ehrheiten gewinnen
oder erhalten wollen. Eine dem okratische S prachkultur hat deshalb immer
einen antielitären S oupcon. Dem sprechenden Politiker hilft der Beifall
einiger nur wenig; er m uß am Beifall die Vielen interessiert sein. Sein
Wunsch nach dem Beifall aller bleibt ein unerfüllbarer Traum , glücklicher­
weise. Sprechen, sich sprachlich verständlich m achen und auch sich ver­
ständigen können — diese Fähigkeit wird dem Politiker in der D em okra­
tie ebenso abverlangt, wie seine Bereitschaft, K ritik auch an seiner Sprache
hinzunehm en. Hugo Steger hat von der Würde der alltäglichen Sprache
gesprochen. Ich glaube, daß sich m it gleichem R echt auch über die Würde
der politischen Sprache sprechen läßt, sofern sie das leistet, was sie leisten
soll: ein hohes Maß von V erständlichkeit zur Verfügung zu stellen, das
die Politik als die Sache von allen nicht nur für wenige reserviert.
Anm erkungen
1
G ottfried Wilhelm Leibniz: Erm ahnung an die Teutschen, ihnen verstand
und spräche beßer zu üben, sam t beygefügten Vorschlag einer Teutsch gesinten Gesellschaft. 1682/83. E rstveröffentlichung: Hannover 1846.
W iederabdruck in: Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift des Allge­
meinen D eutschen Sprachvereins, Heft 29 (1907), S. 292 - 312; Zitate:
S. 300, 302 f.Zit. nach Hugo Steger: Über die Würde der alltäglichen
193
Sprache und die N otw endigkeit von K ultursprachen, Bibliographisches
In stitu t M annheim/W ieh/Zürich 1982, S. 25.
2
Vgl. hierzu: Eckart Pankoke: Sprache in “ sekundären System en”. Die
soziologische Interpretation sprachkritischer Befunde, in: Soziale Welt,
Jg. XVII, 1966, S. 253 ff.
3
Hermann Lübbe: Der Streit um Worte. Sprache und Politik, in: ders.,
Bewußtsein in Geschichten. Studien zur Phänologie der Subjektivität,
Freiburg i. Br. 1972, S. 140.
4
Ebd.
5
Siegfried J. Schm idt: Sprache und Politik. Zum Postulat rationalen
politischen Handelns, in: A nnam aria Rucktäschel (Hrsg.), Sprache und
Gesellschaft, München 1972, S. 91; Aldous Huxley schreibt: “ ‘Bloße
W orte’ sagen wir verächtlich und vergessen dabei, daß W örter die Macht
haben, das Denken der Menschen zu form en, ihre Gefühle in bestim m te
Richtungen zu lenken, ihr Wollen und Handeln zu bestim m en. Unser
V erhalten und unser C harakter w ird weitgehend von der N atur der W örter
bestim m t, die wir ständig gebrauchen, um über uns selbst und die uns um ­
gebende Welt zu sprechen” (Words and their Meanings, Los Angeles 1940).
6
G ottlob Frege: F unktion, Begriff, Bedeutung. Fünf logische Studien,
hrsg. von G ünther Patzig, G öttingen 1974, S. 22.
7
Ernst Wolfgang O rth: T heoretische Bedingungen und m ethodische Reich­
weite der Begriffsgeschichte, in: Reinhard Koselleck (Hrsg.), Historische
Sem antik und Begriffsgeschichte, S tuttgart 1978, S. 141.
8
Ebd., vergl. hierzu auch Stanislaw Andreskj: Die Hexenm eister der Sozial­
wissenschaft. M ißbrauch, Mode und M anipulation einer Wissenschaft,
München 1977, S. 163.
9
Vgl. hierzu: Harald W einrich: Linguistik der Lüge. Heidelberg 1967, S. 37.
10
Vgl. für das folgende: Carl G. Hempel: Typologische M ethoden in der
Sozialwissenschaft, in: Ernst T opitsch (Hrsg.), Logik der Sozialwissen­
schaften, Köln-Berlin 1965, S. 85 - 103.
11
Karl Dietrich Bracher: Schlüsselwörter der Geschichte, Düsseldorf 1978,
S. 26.
12
Vgl. hierzu z.B. Niklas Luhm ann: Der politische Code. “ Konservativ”
und “ progressiv” aus system theoretischer Sicht, in: Zeitschrift für Politik,
Jg. 21, H eft 3, 1974, S. 253 - 271. L uhm ann geht vom K ontrastreichtum
der politischen Sprache aus und weist der Unterscheidung zwischen
konservativ und progressiv die Funktion eines “ prim ären politischen
M echanismus” zu (ebd., S. 253).
13
Max Weber: Gesam melte Aufsätze zur W issenschaftslehre, Tübingen 1952,
S. 191 ff. An anderer Stelle kennzeichnet Max Weber Idealtypen “ als
Gebilde jener A rt ... welche je in sich die konsequente E inheit möglichst
vollständiger Sinnadäquanz zeigen, eben deshalb aber in dieser absoluten
reinen Form vielleicht ebensowenig je in der R ealität auftreten wie eine
physikalische Reaktion, die unter der Voraussetzung eines absolut leeren
Raumes errechnet ist” (ebd., S. 10).
194
14
Hempel [Anm. 10] .
15
George Orwell schreibt bereits 1946: Begriffe wie Dem okratie und
Sozialismus haben verschiedene Bedeutungen, “ die nicht m iteinander
zu versöhnen sind. Für einen Begriff wie Dem okratie gibt es nicht nur
keine anerkannte D efinition, sondern auch jeder Versuch, eine zu erreichen,
wird überall auf W iderstand stoßen. Denn es wird überall gespürt, daß wir
ein Land loben, indem wir es dem okratisch nennen: deshalb beanspruchen
die V erfechter von jeder A rt politischer Herrschaft, daß sie eine Dem okratie
sei, und befürchten, den Begriff nicht m ehr verwenden zu können, falls er
m it einer bestim m ten Bedeutung verknüpft wird. Begriffe dieser A rt wer­
den oft in einer bew ußt unehrenhaften Weise verwendet, z.B. dann, wenn
jem and sie in seiner privaten Definition verw endet und seinen Zuhörer
in dem Glauben beläßt, der Sprecher meine etwas vollständig anderes”
(George Orwell: Politics and the English Language, in: Collected Essays,
L ondon 1961, S. 353 - 367, für das O riginalzitat vgl. S. 359). Für die Be­
deutung der Sprache als M ittel der politischen Kontrolle im Totalitaris­
mus vgl. die “ Kleine G ram m atik” in seinem utopischen Rom an N eunzehn­
hundertvierundachtzig, Zürich 1950.
16
Die historische Karriere des Schlüsselwortes “ Sozialism us” untersucht
Claus D. Kernig: Sozialismus. Ein Handbuch. Bd. 1. Von den Anfängen
bis zum Kom m unistischen Manifest, Berlin-Köln-Mainz 1979. Kernig
arbeitet heraus, daß der “ Zeitalterbegriff” Sozialismus allen A nforderun­
gen entsprach, dem sich Entwürfe zur Ausgestaltung von Lebensordnungen
stellen müssen. Sie sollten sein 1) “ simpel verheißungsvoll” , 2) “ massen­
wirksam ” , 3) “ moralisch konstruktiv in einer um orientierungsbedürftigen
Z eit” , 4) “kom plizierungs- und differenzierungsfähig” , 5) “ individuell
und gesellschaftlich verpflichtend” , 6) “ handlungsweisend” und 7) “ herr­
schaftslegitim ierend” und “ institutionsbegründend” (ebd., S. 23 ff.), vgl.
hierzu auch die Diskussion bei Hans Müller: Ursprung und Geschichte
des Wortes “ Sozialism us", Hannover 1967, sowie die Studie von L(udwig)
H(einrich) Adolph Geck: Ober das Eindringen des Wortes “ sozial” in den
deutschen Sprachgebrauch, G öttingen 1963, der nachweist, daß “sozial”
in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts in der deutschen Sprache heimisch
wurde, w ährend “ Sozialism us” erst 20 Jahre später seine deutsche Karriere
begann (ebd., S. 27 ff.).
17
Bracher [Anm. 11] .
18
R einhard Koselleck: Begriffsgeschichte und Sozialgeschichte, in: ders.
(Hrsg.), Historische Sem antik und Begriffsgeschichte, S tuttgart 1978, S. 29.
19
Erich Straßner: Fernsehnachrichten. Zusam m enfassender Bericht über
die DFG-Projekte “ N achrichtensprache und der Zusamm enhang von T ext
und Bild” und “ Die sem antische V erarbeitung und N utzung audiovisueller
Inform ationen der Fernsehnachrichten” , in: Media Perspektiven 6/1981,
S. 446.
195
WERNER HOLLY
Politische K ultur und Sprachkultur
Wie sich der Bürger politische Ä ußerungen verständlich m achen kann
1. Zum Begriff der ‘politischen K u ltu r’
‘Politische K ultur’ ist längst zu einem m odischen K am pfbegriff in ö ffen t­
lichen A useinandersetzungen gew orden. Wann im m er politische A ffären
und Skandale ans Licht kom m en oder strittige politische V orhaben dis­
k u tiert w erden, wird heute von der G efährdung der politischen K ultur
gesprochen — natürlich im m er nu r durch die anderen. Z unächst war aber
m it diesem Begriff in Sozial- und Politikw issenschaft etwas anderes ge­
m eint, nämlich “ein analytisches M ittel zur Erfassung der G esam theit
aller Einstellungen, W erthaltungen und Umgangsformen, die sich in einer
Gesellschaft auf das politische H andeln und die politischen Institutionen
beziehen” (Rausch 1980, 10). Man beschäftigte sich vor allem m it der
Bevölkerung (civic culture), versuchte, ihre Beziehung zum politischen
System, Grade von P artizipation und A kzeptanz in Umfragen und Sta­
tistiken zu messen, häufig auf der Basis eines unterschw ellig norm ativen,
am erikanisch geprägten D em okratieverständnisses.1
Wenn hier aus sprachw issenschaftlicher Sicht von politischer K ultur im
Zusam menhang m it S prachkultur die Rede sein soll, dann doch m ehr in
Bezug auf das H andeln der politischen A kteure, und zwar auf ihr sprach­
liches Handeln, auf bestim m te Phänom ene politischer K om m unikation,
die neben anderen F aktoren einen politischen S til2 oder politische Stile
prägen — aber ohne jede polem ische oder überhaupt norm ative A bsicht;
politische Stile w erden eher im Sinne von F unktionalstilen verstanden
und im Hinblick darauf, was die Bürger in unserer politischen K ultur
sprachverstehend leisten müssen.
Unsere politische K ultur oder einzelne politische Stile können hier natür­
lich nicht beschrieben oder auch nur Umrissen w erden; es sollen aber an­
hand zweier Beispiele zwei (bekannte) M erkmale politischer K om m uni­
kation aufgegriffen w erden, und es soll gefragt w erden, was man m it
sprachwissenschaftlichen M itteln zur Beschreibung von und zum Um­
gang m it politischer K om m unikation beitragen kann.
196
2. Zwei Thesen zur politischen K om m unikation
1. These: Die Inszeniertheit politischer K om m unikation h at zur Folge,
daß positiv bew ertete Sprachhandlungsm uster wie INFORM IEREN oder
DISKUTIEREN b en u tzt w erden, um die eigentlich angestrebten Muster,
WERBEN und LEGITIM IEREN, zu verpacken.
Als erstes Merkmal politischer K om m unikation m öchte ich ihren Insze­
nierungscharakter hervorheben. Wie alle politischen Phänom ene stehen
politische Ä ußerungen in einer Spannung zwischen dem , was tatsächlich
geschieht, und den offiziellen D eutungen davon; in politischer K om m u­
nikation wird im m er wieder versucht, über alle möglichen Sachverhalte
und Ereignisse M ythen und propagandistische D eutungen zu erzeugen,
einschließlich solcher über ihre eigene N atu r.3
Parlam entarische Selbstdarstellungen rivalisierender Parteien anläßlich
der V erabschiedung von G esetzen w erden in der Ö ffentlichkeit als “ De­
b a tte n ” ausgegeben.4 Selbstdarstellungen von Politikern w erden als “ In­
terview s” inszeniert, politische W erbesendungen w erden als “ Fernseh­
diskussionen” gestaltet. Eine groß angelegte Propagandaveranstaltung
im D eutschen Bundestag wird z.B. als “Dialog m it der Jug en d ” aufge­
führt. Auch die politischen K om m unikationsform en selbst zeugen also
von der “ Zw ieschlächtigkeit politischer R ealität” (Offe).
Dies gilt nicht nur für die sogenannte “ Sprache der Ü berredung” , die ja
im B rennpunkt des öffentlichen Interesses steht, sondern auch für an­
dere Bereiche politischer K om m unikation, also auch für die Sprache der
Bürokratien, für die Justiz, noch m ehr für V erhandlungen. Auch d o rt
k o m m t es im m er darauf an, n icht nur bestim m te Sachaufgaben zu erfül­
len, sondern auch akzeptiert zu w erden, als legitim gerechtfertigt zu gel­
ten. Dazu sind kleine Inszenierungen nach positiv bew erteten und wenig
angreifbaren K om m unikationsm ustern angebracht, gleichgültig, was
eigentlich getan wird.
In Term ini der G offm anschen “ R ahm en-A nalyse” (G offm an 1974) könn­
te man davon sprechen, daß ein “ prim ärer R ahm en” für eine sprachliche
Handlung, z.B. ein persuasives A rgum ent, in einen anderen Rahm en ein­
geb ettet oder “ m oduliert” wird, z.B. in eine Inform ation —wie übrigens
auch sonst häufig in alltäglichen K om m unikationen. Dabei geschieht
mehr als nur eine V erschiebung von einer R ealitätsebene in eine andere
wie etw a bei einem alltäglichen Bericht über eine Handlung oder bei
einer T heaterhandlung, die nur gespielt w ird. A ber es geschieht auch we­
niger als bei einer betrügerischen Handlung, wo bew ußt eine falsche V or­
stellung über den C harakter der H andlung erzeugt wird. Obwohl Politiker
natürlich ein Interesse daran haben, daß die Rahm en-D oppelung nicht zu
197
deutlich wird, ist doch im allgemeinen davon auszugehen, daß sie nicht
täuschen. Die “ R ahm entransform ation” durch politische Verpackung
ist meist leicht aufzudecken, w enn man nur sorgfältig zwischen den Zei­
len liest.
Ü berhaupt geht es hier nicht darum , politische K om m unikation zu “ däm onisieren” , es geht auch nicht um platte Politikerschelte. Vielmehr
sind w eitverbreitete alltägliche M öglichkeiten der K om m unikation zu
beachten, deren spezielle F unktion für politisches Sprachhandeln be­
schrieben w erden soll. Ziel solcher Beschreibungen kann auch nicht sein,
m oralisierende A ppelle an Politiker zu richten, sie mögen doch bitteschön ihre K om m unikationspraktiken ändern, die übrigens nur teilweise
bew ußter Planung, ansonsten langjähriger Sozialisation entstam m en.
Die F unktion politischen Sprachgebrauchs ist eben n icht nur V erständi­
gung5, sondern in erster Linie, “ V erhaltensweisen von Menschen zu be­
einflussen, praktiziertes V erhalten zu bestärken oder es durch neue Ver­
haltensm aßstäbe zu verändern und abzulösen.” (Bergsdorf 1978, 49).
Daß dabei m itunter das Ziel der Verständigung geopfert wird und die
Beeinflussung nur Erfolg hat, weil eben n icht alle alles verstehen, schafft
einen K om m unikationsbereich, wo V erschleierung und M anipulation
möglich werden.
Politiker müssen aber wohl so reden, es gehört — wie Eroms (1974) be­
m erkt — zur N atur des R hetorischen, gerade nicht transparent, explizit
zu sein. Deshalb müssen au f der anderen Seite die A dressaten als mündi­
ge Bürger, so Eroms, diese M erkmale politischer K om m unikation m itbe­
rücksichtigen, dam it sie n icht m anipuliert w erden. Dabei soll kein prin­
zipieller Gegensatz zwischen Politikern und Bürgern k o nstru iert w erden;
auch Bürger müssen zur A rtikulation ihrer Interessen bisweilen m it M it­
teln politischer K om m unikation handeln. Es gibt aber kom plem entäre
A ufgaben für kom plem entäre Rollen in politischer K om m unikation.
Was b ed eutet die Inszeniertheit politischer K om m unikation für die
sprachwissenschaftliche Beschreibung? Wenn man sich nicht darauf be­
schränken will, politische Begriffe und ihren G ebrauch in der G eschichte
zu untersuchen, was in der Sprachw issenschaft traditionell gem acht w ur­
de, sondern wenn man Ä ußerungen in S ituationen beschreiben will, muß
man zunächst nach den kom m unikativen F unktionen, den Illokutionen
(Sprachhandlungsm ustern) fragen, die in einer Ä ußerung realisiert w er­
den.
Nach dem bisher Gesagten darf man behaupten, daß nahezu jede Ä uße­
rung eines Politikers, bestim m t aber jede öffentliche Ä ußerung, a u c h
nach den M ustern WERBEN u nd/oder LEGITIM IEREN gem acht wird.
198
Natürlich wird ein Politiker auch INFORM IEREN, FRAGEN, A U FFO R ­
D ERN , APPELLIEREN, VERORDNEN usw., aber in der Ö ffentlichkeit
niemals onne Berücksichtigung einer zw eiten Ebene, die häufig die eigent­
lich angestrebte ist und die m it dem Versuch zu tu n hat, durch Persuasion
Zustim m ung zu politischen Einstellungen und Handlungen des eigenen
Lagers zu erreichen.
Wie man seit Watzlawick u.a. (1967) davon ausgeht, daß jede Äußerung
einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt aufw eist, so kann man für
politische Ä ußerungen grundsätzlich postulieren, daß es neben der vor­
gegebenen offiziellen Illokutionsstruktur noch w eitere, nur im Hinblick
auf WERBEN und LEGITIM IEREN verständliche M uster g ib t.6 Natür­
lich ist es auch in anderen K om m unikationsbereichen so, daß man neben
den tex tsortenkonstitutiven M ustern zugleich andere verfolgt; so wird
man in einer Diskussion nicht nur HYPOTHESEN A UFSTELLEN, BE­
GRÜNDEN, BESTREITEN, M O D IFIZIEREN usw., man wird auch per­
suasive M uster wie BEWERTUNGEN, EINSTELLUNGSKUNDGABEN,
ZUSPITZUNGEN usw. verw enden, die über das Rational-A rgum entative
hinausgehen. Die entscheidende Frage ist aber, ob persuasive M uster zur
U nterstützung des Diskussionsziels der M einungsbildung, Klärung, Präzi­
sierung, Überzeugung usw. eingesetzt w erden, oder um gekehrt: ob die
Diskussions-M uster auf die Bewertungen hin funktionalisiert sind, ob es
also nur ums R echthaben, Bloßstellen o.ä. geht.
So m uß in politischer K om m unikation gefragt w erden, ob die Äußerung
letztlich nicht überwiegend der verdeckten WERBUNG und LEGITIMA­
TION dient und andere, explizitere M uster nicht daraufhin funktionali­
siert sind. Bleibt diese D oppelheit unberücksichtigt, ist das V erständnis
der Ä ußerung bestenfalls naiv oder oberflächlich und en th ält Risiken.
Wenn man die m itgem einten oder eigentlich gem einten M uster, die nur
zwischen den Zeilen stehen, n icht b e w u ß t bem erkt, heißt das näm ­
lich noch nicht, daß die intendierten perlokutiven E ffekte, die Werbungs­
und Legitim ationsziele n icht doch unterschw ellig erreicht w erden. Die
unauffällige, unm erkliche W erbung ist sicherlich nicht die erfolgloseste.
U m gekehrt ist bew ußtes Offenlegen m itgem einter M uster nicht der ein­
zige Weg, relevante Teile einer politischen Ä ußerung zu verstehen. Es
gibt auch — gerade bei Jugendlichen — ein intuitives D urchschauen, das
sicherlich m it zum vielbeklagten Glaubw ürdigkeitsverlust und Legitimi­
tätsverfall beigetragen hat.
Eine der A ufgaben sprachw issenschaftlicher Analyse ist jedenfalls die
Explizierung m itgem einter, nur im plikativ oder kom pak t ausgedrückter
Inhaltskom ponenten, zu denen an erster Stelle nicht-explizite illokutive
M uster gehören.7 Folgendes Beispiel zur Illustration:
199
Beispiel 1:
Ein Bundestagsabgeordneter sagt einem Besucher auf eine Inform a­
tionsfrage zur Organisation der Fraktionsarbeit nach einigen Sätzen
über die A ufgaben der Fraktionsarbeitsgruppen und -arbeitskreise:
... und in der Fraktion, des hat der X Y [Fraktionskollege] eben ganz
richtig gesagt, da gibts dann die G rundsatzdebatten, so wie beispiels­
weise des letzte M al m it einer S tim m e M ehrheit wir äh die Kriegs­
dienstverweigerungsnovelle von der Tagesordnung abgesetzt haben ...
Dabei handelt es sich ganz sicher nicht um eine bew ußt und sorgfältig
geplante Äußerung, bei der W erbestrategen und politische Form ulierungs­
talente am Werk w aren — w om it m an m itunter rechnen m uß, seit in den
Parteien das Bew ußtsein von der B edeutung sprachlicher K om m unikation
w ieder gewachsen ist. In dieser eher banalen Ä ußerung eines H interbänk­
lers zeigt sich dagegen, wie durch jahrelange Sozialisation, durch Einüben
bestim m ter Muster, durch Lernen am V orbild, den Politikern schon in
Fleisch und Blut übergegangen ist, daß man keine G elegenheit zum WER­
BEN und LEGITIM IEREN auslassen sollte. B etrachtet man die Ä ußerung
genauer, findet man den Kern der ganzen Sprachhandlung, die IN FO R ­
MATION (in der Fraktion, da gibts dann die G rundsatzdebatten), noch
angereichert durch zwei Zusätze, die als BELEGE dieser Inform ation
fungieren: einmal, als Parenthese/Schaltsatz eingeschoben, die BERU­
FUNG auf die Ä ußerung eines Fraktionskollegen (des hat der X Y eben
ganz richtig gesagt) -, zum zw eiten eine EXEM PLIFIZIERUNG, die m ehr
veranschaulicht als nu r die erw artete Inform ation, w ann und auf welche
Weise welche Fraktionsgrem ien arbeiten (so wie beispielsweise des le tzte
M a l...): Dam it wird BELEGT, daß die Fraktionssitzungen nicht als bloße
Zustim m ungsapparate zu ansonsten von der F raktionsspitze getroffenen
E ntscheidungen funktionieren, sondern daß — was positiv zu bew erten
sei — “ G ru ndsatzdebatten” stattfinden. Schon der K ernsatz en th ält diese
Wertung, die durch die H erausstellung nach links (statt: in der Fraktion
gibts dann ...) und die extrem e Sperrung durch die Parenthese noch sti­
listisch verstärkt wird. D am it wird die eigene A rbeit LEGITIM IERT.
Zusätzliches G ew icht erhält die INFORMATION-WERBUNG durch die
V erwendung des Insider-Jargon-Kürzels F raktion für ‘F raktionssitzung’
oder ‘G esam tfraktion’. Ü berhaupt m uß man sich fragen, w arum eine ein­
fache Inform ation über S tru k tu r und Zeitplan der F raktionsarbeit über­
haupt der BELEGE bedarf, wenn nicht zugleich eine möglicherweise
strittige BEHAUPTUNG enthalten ist: eben daß in den F raktionssitzun­
gen gut gearbeitet wird, das h eiß t ‘grundsätzlich d e b a ttie rt’ wird. Ge­
stützt und um rahm t wird diese ‘K ernlegitim ation’ noch durch w eitere
Muster wie SICH SOLID ARISIEREN, indem die Kollegenäußerung po­
sitiv bew ertet wird, oder durch RENOMMIEREN m ittels fachsprachli­
cher Ausdrücke wie Kriegsdienstverweigerungsnovelle, m it einer S tim m e
M ehrheit, von der Tagesordnung absetzen.
200
Folgende Übersicht soll noch einmal die illokutive Struktur veranschaulichen. Natürlich ließen sich andere, um fas­
sendere und genauere Darstellungen denken; dieses Strukturbild soll für den jetzigen Zweck genügen8 :
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Schematischer Ausschnitt aus einer Sprachhandlungsm uster-A nalyse
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201
WERBUNG und LEGITIM IERUNG w erden also n icht d irek t und u n ­
verm ittelt vorgebracht, sondern eingebettet in ein vorher initiiertes
Schema INFORM ATION, als BELEGE einer INFORM ATION gewisser­
m aßen getarnt. Die W erbungsabsicht wird im zw eiten Teil deutlicher.
Diese S tru k tu r k en n t man aus Fernsehdiskussionsbeiträgen und S tate­
m ents, wo m an nach einer kurzen sachlich-rationalen, m ehr argum enta­
tiven Passage (in die freilich durch w ertende Referenzausdrücke und an­
dere M ittel schon WERBUNG unauffällig eingelagert ist) zu einem Teil
übergeht, der deutlicher WERBUNG und POLEMIK enth ält. An der
Übergangsstelle finden sich m eist Cluster von Gliederungssignalen (übri­
gens, und dann, nur, denn, so wie beispielsweise) u n d /o d er expliziten
aufm erksam keitssteuernden R ederechtssicherungen (lassen Sie mich nur
noch das eine sagen, w enn ich das noch sagen d a rf u.ä.).
Das U m funktionieren von K om m unikationsschem ata ist keineswegs ein
Spezifikum politischer K om m unikation. Auch die alltägliche Frage nach
dem Verbleib der M anschettenknöpfe kann zu einem A nlaß für eine
ärgerliche Tirade über U nordnung gem acht w erden, — auch im Alltag
ein Erschwernis der Verständigung. In politischen K om m unikationen
wirken INFORM ATION oder ARGUM ENTATION nachträglich häufig
als bloße A ufhänger für WERBUNG und LEGITIM ATION, die in Wirk­
lichkeit m ehr R aum einnehm en und nur notdürftig eingepackt werden:
dennoch wird auf den ablenkenden Rahm en der INFORM ATION oder
DISKUSSION nicht verzichtet.
Für den A dressaten bleibt um gekehrt die A ufgabe, die zwischen den
Zeilen stehenden Aussagen und die dam it verknüpften H andlungsm uster
konsequent zu verstehen und nicht bei der oberflächlichen, expliziter
angebotenen In terp retatio n stehenzubleiben. K onsequente Analyse ist
nämlich m eist auch die einzige M öglichkeit für A dressaten im Umgang
m it politischen Ä ußerungen.
2. T h ese: Der Ein-W eg-Charakter öffentlicher politischer K om m unika­
tio n erfordert alltagssprachliche T echniken, die kom plexen und z.T.
verdeckten Inhalte verstehend zu verarbeiten, z.B. Paraphrasen.
ö ffen tlich e politische K om m unikation ist zum allergrößten Teil Massen­
kom m unikation; den technischen Bedingungen der Massenmedien en t­
sprechend ist sie dam it zum eist “ Ein-W eg-Kommunikation” (Glinz), die
A dressaten sind fast ganz auf R ezeption beschränkt. Die geringen aktiven
Beteiligungsm öglichkeiten in Leserbriefen, R undfunktelefonaten, Bür­
gerdiskussionen u.ä. können an der grundlegenden “A sym m etrie” poli­
tischer K om m unikation9 kaum etwas ändern.
202
Die A sym m etrie politischer K om m unikation h at aber nicht nur m edien­
technische Gründe. A uch da, wo m ehr als sporadisches Feed-back mög­
lich wäre, in W ahlveranstaltungen, Diskussionen, in K ontakten m it Poli­
tikern haben die Bürger gegen die R outine und die sprachliche Überlegen­
heit politischer A kteure, hin ter der o ft professionelle Spracharbeit
ste c k t1 0 , selten eine Chance, sich angemessen zu artikulieren.
Erschwerend kom m t hinzu, daß die häufigsten politischen Sprachhandlungsm uster WERBEN und LEGITIM IEREN gar n icht auf einen Dialog
zielen. Ihre beabsichtigten perlokutiven E ffekte sind gerade nicht hörer­
seitige sprachliche H andlungen, was einen Wechsel der Sprecherrolle för­
dern würde. Sie zielen beim A dressaten vor allem auf Einstellungen wie
FÜR RICHTIG HALTEN oder nicht-sprachliche H andlungen wie WÄH­
LEN. Es sind jedenfalls keine dialoginitiierenden M uster wie FRAGEN
oder VORW ÜRFE. In diesem Zusam m enhang erscheint die im m er wie­
der geäußerte A bsicht, “ in Dialoge m it Bürgern ein zu treten ” 11, nur als
ein w eiterer Inszenierungs-Coup, nicht als ernstgem einter Versuch, die
grundsätzliche A sym m etrie aufzuheben.
D am it entfällt (nicht nur in der M assenkom m unikation) ein wichtiges
mögliches K orrektiv gegen die Einseitigkeit persuasiver K om m unikation.
Ist es in — ebenfalls rhetorisch aufbereiteten — K om m unikationstypen
wie (echten) DISKUSSIONEN, GERICHTSVERHANDLUNGEN, (kri­
tischen) INTERVIEWS noch möglich, durch W iderspruch, Rückfragen,
G egenargum entationen und dergleichen m anipulative Züge offenzulegen, —
der A dressat von (m assenm edialer) Propaganda kann nur abschalten oder
genau hinhören. Das hat V orteile, denn er m uß sich n ich t in endlose,
fruchtlose D ebatten einlassen, die sich o ft im G estrüpp em otionalisierter,
letztlich interessengesteuerter Schlagabtäusche verheddern, aber es bür­
det ihm die ganze Last der Analyse auf.
Der Kern sprachkritischer Bemühungen um politische Ä ußerungen sollte
dann auch Analyse sein: “ H aben wir die A nalyse, so ist auch alles g etan .”
(Heringer 1982, 27). Beschäftigung m it politischer S prachkultur sollte
nicht auf die norm ierende Bekäm pfung irgendw elcher sprachlicher Mittel
zielen, sondern darauf, die A nalysefähigkeiten w eiterer Kreise der Bevöl­
kerung zu verbessern: “ Sprachkritik von u n te n ” (W im m er).12 Wie die
V erbreitung schriftlicher K om m unikation durch den B uchdruck eine
qualitative V eränderung der Sprachkom petenz aller durch die A lphabe­
tisierung notw endig m achte, so erfordert die V erbreitung politischer
K om m unikation durch M assenmedien eine w eitere Verbesserung der
Sprachkom petenz hin zu verständigerem Umgang m it den w ichtigsten
M itteln politischen Sprachhandelns.
203
Zwei Einw ände gegen diese F orderung müssen allerdings ausgeräum t
werden. Der erste Einw and rich tet sich gegen eine Ü berschätzung mas­
senm edialer K om m unikation; die Bürger ließen sich von der Propaganda
politischer Parteien und Institutionen und ihrer A kteure gar nicht w irk­
lich beeinflussen. Viel w ichtiger sei vielmehr der Einfluß von Bezugs­
und Prim ärgruppen; überhaupt w erde — nach der T heorie der kogniti­
ven Dissonanz — ohnehin nur Bestätigung der eigenen Meinung gesucht
und w ahrgenom m en. Die Ergebnisse der W irkungsforschung sind da aber
durchaus widersprüchlich; es ist wohl unbestreitbar, daß — durch welche
V erm ittlungen und Brüche auch im m er — politische Sozialisation m it
sym bolischen M itteln, zum großen Teil nach sprachlichen M ustern s ta tt­
findet; die Regeln ihres G ebrauchs zu kennen, führt in jedem Fall zu
einem besseren V erständnis politischer K om m unikation. Für die Mög­
lichkeiten w irklicher Diskussion in Bezugs- und Prim ärgruppen ist die
Fähigkeit, politische Ä ußerungen interpretieren und besser verstehen
zu können, eine w ichtige Voraussetzung.
Der zweite Einwand geht dahin, sprachwissenschaftliche Analyse lasse
sich nicht zugleich differenziert und einfach, verständlich und konsens­
fähig praktizieren. Dem m uß entgegengehalten w erden, daß jeder, an­
knüpfend an alltagssprachliches Sprechen über S prache13, gewisse Ver­
fahren erlernen kann, sein V erständnis von sprachlichen Ä ußerungen
zu verbessern; dazu sollte man m it eigenen W orten ausform ulieren, was
man verstanden hat. Denn die wohl einfachste, aber auch wirkungsvollste
M ethode, etwas vom Zusam m enhang und von der D iskrepanz von sprach­
lichem Inhalt und A usdruck sichtbar zu m achen, ist die alltagssprachliche
Paraphrase.
Auch in einem anderen wichtigen Bereich, w o es in einer praktischen
Situation um möglichst um fassendes V erstehen geht, in der Gesprächs­
psychotherapie, wird die T echnik der Paraphrase nach bestim m ten R e­
geln 14 verw endet. D ort kom m t es vor allem auf Verbalisierung em otio­
naler E rlebnisinhalte an, die auf diese Weise ins Bew ußtsein gebracht
w erden sollen, w ährend sie sonst nur nicht-sprachlich, parasprachlich
oder ‘zwischen den Zeilen’ zum A usdruck kom m en. Für politische Kom­
m unikation kann die Paraphrase-Technik zu einer V ertiefung des Ver­
ständnisses führen, insbesondere im H inblick au f weniger offene K om ­
m unikationsziele u nd -interessen, auch im H inblick darauf, wie solche
B edeutungskom ponenten zum A usdruck gebracht werden.
Die N otw endigkeit, die B edeutung einer politischen Ä ußerung möglichst
vollständig zu explizieren, habe ich vorhin anhand verdeckter ‘N ebenbei’Sprachhandlungsm uster illustriert. W eitere typische D iskrepanzen zwi­
schen A usdrucksform en und inhaltlichen S trukturen finden sich da, wo
204
in N ominalisierungen und anderen W ortbildungen, wo durch unklare
Quantifizierungen, vage und prädizierende Referenzausdrücke, durch
Verschiebungen der Prädikatsklassen, durch Ellipsen, Subjektschübe,
M etaphorisierungen, durch konnotative Bedeutungen, durch Präsuppositionen, Im plikationen, unauffällige Partikel, durch Gliederungssignale,
W ortstellung, In tonation und durch viele andere sprachliche M ittel m ehr
die kom plexen Inhalte nur kom pakt oder im plikativ oder indirekt aus­
gedrückt sind und deshalb nur schwer faßbar und kontrollierbar sind.
Die ganze Breite sprachw issenschaftlicher Forschung in den Gebieten
Pragmatik, Satzsem antik und W ortsem antik, Textlinguistik und Argu­
m entationstheorie hat hier im Rahm en einer handlungsorientierten Be­
schreibung wichtige M osaiksteine zu einer differenzierten T extanalyse
beizutragen. D am it diese T extanalyse nicht nur für die E xperten, sondern
für alle fruchtbar w erden kann, müssen ihre Grundlagen in Form ulierungs­
alternativen nach einfachen Paraphrasengrundsätzen um gesetzt werden.
Wie solche Form ulierungsalternativen aussehen können, will ich in einer
möglichst expliziten Paraphrasierung eines kurzen A usschnitts aus einer
Regierungserklärung H elm ut Kohls veranschaulichen. Danach m öchte
ich kurz auf die verw endeten Paraphrasierungsprinzipien eingehen.
Beispiel 2:
Bundeskanzler Kohl in seiner Regierungserklärung vom 21.11.83
zur Stationierung neuer R aketen:
... Niem als dürfen wir zulassen, daß Friede und F reiheit gegeneinan­
der ausgespielt werden. N ur ein Volk, das in Frieden und Freiheit
lebt, kann auch wirklich einen Beitrag fü r den Frieden in der Welt
leisten. Wir D eutschen, wir alle wollen diesen Frieden in F re ih e it...
Versuch einer m ehrschichtigen, alltagssprachlichen, nicht-w ertenden Paraphrase:
Wenn ich Ihre A rgum entation richtig verstehe, appellieren Sie m it
“ dürfen w ir” an alle Bürger und/oder an Ihre Parteigänger, dafür ein­
zutreten, daß Friede und Freiheit n icht als A lternativen vertreten
werden, eine Position, die Sie sehr negativ beurteilen, wobei Sie hier
offen lassen, wer diese Position vertritt. Sie begründen Ihren Appell
m it der Meinung, daß nur ein Volk, das beides hat, etwas, das Sie
hier nicht näher bestim m en, für den Frieden tun kann; und daß, wer
nur eines hat, nur Frieden oder nur Freiheit, dem nach nicht wirklich
etw as für den Frieden tun kann. Sie bekunden Ihren Wunsch — und
meinen, in dieser Frage für alle Deutschen oder sogar für alle Men­
schen sprechen zu können —, nur diese A rt von Frieden, der eng m it
Freiheit verbunden ist, zu erhalten.
Wenn ich nach Ihren Absichten und dem Zusamm enhang frage, in
dem Ihre Äußerungen stehen, so wollen Sie den Bürgern dam it wohl
klar m achen, daß die Stationierung neuer R aketen gerechtfertigt ist,
weil nur diese — Ihrer M einung nach — die A ufrechterhaltung der
Freiheit und dam it auch des Friedens garantieren.
205
Wenn ich danach frage, wie Sie Ihre Äußerungen form ulieren, so be­
tonen Sie im m er w ieder den Zusamm enhang von Frieden und Frei­
heit, in jedem Satz. Die gesonderte Behandlung dieser Werte beurtei­
len Sie dagegen sehr negativ. Sie heben auch den E rnst dieser Frage
hervor, indem Sie an Gefühle appellieren, die m it “ Frieden” , “ Frei­
h e it” , “ V olk” , “ D eutsche” und “W elt” verknüpft werden und spre­
chen das Gefühl für die Gem einsam keit aller Bürger an, indem Sie
“ w ir" und “ wir alle” verwenden. A ußerdem m achen Sie die zuge­
spitzte Situation bei dieser E ntscheidung deutlich, indem Sie “ nie­
m als” , “n u r” und “ w irklich” zur Bekräftigung Ihrer Position einsetzen. Sie verstärken Ihren Appell auch durch eine Darstellung, die
uns vor Augen halten kann, daß es nicht anders sein “ darf” , nicht
anders sein “ kann” und wir es —wie Sie selbst — auch eigentlich
nicht anders “ w ollen” .
Sie zeigen, daß Sie kom plexe A rgum entationen in vereinfachten For­
meln verständlich m achen können und wollen durch konsensfähige
Begriffe Z ustim m ung erlangen, die Bürger für Ihre Position werben.
Es handelt sich natürlich nur um eine von verschiedenen M öglichkeiten,
diese kurze Passage zu paraphrasieren. Sie gibt mein persönliches Ver­
ständnis wieder, was ich durch die dialogische Form ulierung ausdrücken
wollte. D ennoch b eruht sie n icht nur auf subjektiver Interp retatio n ,
sondern greift zurück auf intersubjektiv eingespielte Regeln der K om m u­
nikation und eine gewisse K enntnis der S ituation.
Zunächst wird S chritt für S chritt jeder auffindbare Satzinhalt um schrie­
ben, wobei Illokutionen (APPELLIEREN, BEGRÜNDEN, WUNSCH
BEKUNDEN) und die zugehörigen H andlungsbeteiligten ausgedrückt,
vage Referenzen und Q uantifizierungen offengelegt, weggelassene Re­
ferenzstellen (Ellipsen) auch in nichtverbal ausgedrückten Prädikationen
rekonstruiert, im plizit w ertende Prädikate zunächst durch neutralere
ersetzt, die W ertungen dann aber ausdrücklich genannt w erden. Dabei
werden A rgum entationen verdeutlicht, m itgem einte V oraussetzungen
und Folgerungen hinzugefügt.
ln einem zw eiten Durchgang wird nach den übergeordneten Bewirkungs­
versuchen (perlokutiven V ersuchen) und den w eiteren sachlichen und
situativen Zusam m enhängen gefragt, bei denen auch dahinterstehende
K om m unikationsinteressen einbezogen werden.
In einer d ritten Schicht w erden noch einmal Form ulierungshandlungen15
betrachtet, um den stilistischen Wert bestim m ter A usdrucksm ittel und
illokutiver V erknüpfungen auch über die Satzgrenzen hinaus zu berück­
sichtigen. Dabei spielen besonders Gefühle und Einstellungen auf Spre­
cher- und A dressatenseite eine Rolle.
206
Wie schon gesagt, ist dieses V orgehen nicht das einzig denkbare; es sind
aber die w esentlichen A spekte einer sprachwissenschaftlich fundierten
T extanalyse einbezogen. Es wird versucht, das eigene T extverständnis
auszuform ulieren, und dam it wird die einzige Beteiligungsmöglichkeit,
die der Bürger in politischer K om m unikation im allgemeinen hat, näm ­
lich sehr genau zuzuhören, m axim al ausgeschöpft. Dabei soll zunächst
wirklich nur akzeptierend, d.h. ohne eigene Wertung paraphrasiert wer­
den. Dies erscheint m ir wichtig, weil die Beschreibung m it negativ urtei­
lenden K ategorien bereits als R eaktion, als scheinbare A n tw o rt (wo doch
noch gar keine möglich ist) em pfunden w erden könnte, bevor überhaupt
die ganze B edeutung der Ä ußerung erfaßt ist. Die strik te Beschränkung
auf eine ‘deskriptive’ M ethode der Paraphrasierung — so problem atisch
sie im Detail auch sein mag — kann aber auf Bedeutungs- und Form ulie­
rungskom ponenten führen, die sonst übersehen w erden. Das heißt aber
nicht, daß einer unkritischen R ezeption das W ort geredet w erden soll,
im Gegenteil. Angemessene und argum entationskräftige K ritik wird so
erst möglich und kann dann d o rt besser artikuliert w erden, wo wechsel­
seitige K om m unikation wirklich stattfinden kann, in Prim ärgruppen also.
So wird auch gew ährleistet, daß n icht durch w ertende Paraphrasen ein
‘S treit um W orte’ angezettelt w ird, sondern daß deutlich w ird, wo poli­
tische K onflikte begründet sind: in unterschiedlichen Interessen, Einstel­
lungen, Bewußtseinslagen.
Im folgenden form uliere ich noch einmal einige Regeln für die Paraphra­
sierung politischer Ä ußerungen:
1.
Nenne ausdrücklich, wer zu wem welche sprachliche Handlung m acht, auch
wenn das erst erschlossen werden muß.
2.
Nenne ausdrücklich, was dabei über welche G egenstände/Personen/Sachver­
halte ausgesagt wird, auch w enn dies erst erschlossen werden muß.
3.
Löse verkürzte Aussagen in Sätze m it Verben auf, auch solche, die in Sub­
stantiven und Adjektiven und Adverbien stecken. Verwandle Passivaussagen
in aktive; wo werden Handlungen als Vorgänge, Vorgänge als Handlungen
geschildert?
4.
Ersetze zunächst w ertende Ausdrücke durch andere, neutralere und nenne
dann die W ertung ausdrücklich.
5.
Zeige auf, welche Aussagen wie begründet werden, welche Folgerungen zu
ziehen sind.
6.
Nenne stillschweigende Voraussetzungen und A nnahm en ausdrücklich.
7.
Sprich aus, was m it der Ä ußerung im größeren Zusam m enhang m it welchen
Interessen erreicht werden soll.
8.
Frage Satz für Satz nach anderen (einfacheren, genaueren) Form ulierungen
und sprich aus, was die Verwendung der gew ählten A usdrücke bedeuten könnte.
207
a) A chte auf auffällige Häufungen, Bilder, Gefühlswörter. Wie werden
Personen, G ruppen, brisante Sachverhalte benannt?
b) A chte auf ‘kleine W örter’, auf Verallgem einerungen, auf fehlende Men­
genangaben.
9.
Fasse die G esam tabsicht und auch die w ichtigsten M ittel der Stiltaktik in
einem Satz zusamm en.
Obw ohl solche Paraphrasen von jederm ann gem acht w erden könnten,
bedarf es zuvor der Sensibilisierung und Einübung. Hier liegt eine w ich­
tige Aufgabe des m uttersprachlichen S chulu n terrich ts.16 Die Paraphra­
sen haben vor allem exem plarischen Charakter. D enn es kann natürlich
nicht darum gehen, die ganze F lut politischer Ä ußerungen, die täglich
durch die Medien auf uns niedergeht, auf diese penible Weise zu verar­
beiten. Daß man aber, wo es relevant ist, sich selber im D etail verständ­
lich m achen kann, was gesagt w orden ist, als Basis für eigene politische
Äußerungen, scheint m ir eine unabdingbare V oraussetzung für politische
S prachkultur in einer D em okratie zu sein.
Anm erkungen
1
S. grundlegend A lm ond/V erba 1963 und 1980. Weitere L iteratur bei Rausch
1980, Reichel 1982, Wewer 1982.
2
S .v . Beyme 1971.
3
Darauf h at vor allem der amerikanische Politologe M urray Edelm an in ver­
schiedenen A rbeiten <1964, 1971, 1977) hingewiesen. Dazu Dieckm ann 1981.
4
S. dazu Holly 1982, 19 f.
5
S. auch die Habermassche U nterscheidung von Verständigungs- vs. Erfolgs­
orientierung (Haberm as 1981), die S trauß/Z ifonun (in diesem Band) auf­
greifen.
6
Es wird m anchm al auch explizit geworben und legitim iert, wie man auch
den Beziehungsaspekt zum Inhaltsaspekt m achen kann.
7
S. dazu v. Polenz 1980.
8
Durchgezogene Striche für ‘indem ’-Relationen (vertikal) und ‘u n d ’-Relationen (horizontal); gestrichelte Linien für ‘w obei’-Relationen (zusätzliche
M uster).
9
Dazu Erom s 1974a.
10
Man denke etw a an die AG “Sem antik” der CDU inden 70er Jahren.
11
Beispiele bei Erom s 1974 und Kuhn 1983.
12
Zu dieser spraehkritischen Position s. Heringer 1982, Wimmer 1982.
13
Dazu v. Polenz 1980a.
208
14
Ohne daß der Begriff der Paraphrase hier w eiter problem atisiert werden
kann, m uß darauf hingewiesen werden, daß anders als häufig in linguisti­
schen A rbeiten (z.B. R ath 1975) kom m unikative Paraphrasen do rt auch als
dialogische M ittel der Verständnissicherung verstanden werden, als Mittel
der R ekonstruktion und In terpretation von Partneräußerungen ¡dieser
Paraphrasenbegriff ist auch schon in linguistische A rbeiten eingegangen (s.
Wenzel 1981, W ahm hoff 1981). Paraphrasen sind d o rt also nicht textbil­
dende A ltem ativform ulierungen des Sprechers, sondern dialogkonstituieren­
de, kom m unikationsreflexive Um form ulierungen durch einen verstehenden,
m öglichst n icht w ertenden Hörer.
15
S. Sandig 1978, 11.
16
So fordert v. Polenz 1983, 57: “ Anstelle traditioneller ästhetischer oder
pedantischer A usdrucksnorm en sollte der U nterricht in der M uttersprache
vor allem darin bestehen, den Schülern gegen die konventionellen ö ffen t­
lichen Sprachrituale ein sprachkritisches Bewußtsein und Fähigkeiten re­
flektierten Sprachhandelns zu verm itteln, m it denen sie in der Lage sind,
hinter den verkürzenden, indirekten, im pliziten, inhaltlich verschleiernden
A usdrucksform en der üblichen T extsorten die direkteren, offeneren und
genaueren A usdrucksform en zu entdecken und als Form ulierungsalternati­
ven oder als Rückfragetechniken zu üben.”
L iteratur
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210
GERHARD STRAUSS / GISELA ZIFONUN
Sprachkultivierung als politische Aufklärung
Es gibt Anlässe und M om ente, bei denen die ‘inszenierte’ politische
Rede unserer Staatsschauspieler von ihrem Publikum nicht beklatscht
w ird, wo selbst in der V erm ittlung über die öffentlich-rechtlichen Kanäle
die Inszenierung zur Selbstentlarvung m ißrät — einfach deshalb, weil das
Publikum , z.B. die anw esenden Journalisten, aus seiner Rolle fällt, ein
Tabu bricht und an der richtigen Stelle la ch t.1
Lachen über eine unfreiwillig mißglückte Selbstdarstellung, über die
kom m unikative V erzerrung politischer Sachverhalte bis zur U nkennt­
lichkeit hat eine befreiende und aufklärende Wirkung. Der Lächerlich­
k eit preisgegeben zu sein, hat — so h o fft man — positive ‘kultivierende’
Rückw irkung auch au f das kom m unikative G ebaren von Politikern.
Diese Idee oder gar H offnung der Kultivierung politischer K om m uni­
kation und politischer Sprache, veranlaßt und eingefordert durch den
kritischen und sprach-rezeptionskritischen Bürger, stellen wir bei unseren
Thesen zum Them a in den V ordergrund.
Z unächst vier V oraussetzungsthesen:
1. Wir gehen nicht von einem statischen Begriff politischer Kommunikations- und S prachkultur aus, sondern von dem dynam ischen Begriff
der Kultivierung politischer K om m unikation. U nter politischer K om m u­
nikationskultivierung wollen w ir verstehen:
— die Reflexions- und Reform ierungsarbeit an etablierten und norm ativ
verfestigten kom m unikativen und sprachlichen V erfahren zur In ter­
pretation und K onstitution politischer R ealität und an den zugrunde­
liegenden Spielregeln und kom m unikativen Strategien,
— die Entw icklung der Fähigkeit, m it kom m unikativen K onflikten über
politische Problem verhalte kultiviert um zugehen, d.h. der Fähigkeit
— kom m unikative K onflikte aufzudecken, sta tt sie systemmüde
und resignierend hinzunehm en,
— die w erthafte Einschätzung der konfliktauslösenden Sprachgebräuche und kom m unikativen V erfahren zu überdenken, zu b e­
gründen und unter möglicher Revision kom m unikativer Norm en
und Strategien Lösungen auszuhandeln, um Verständigung zu
erm öglichen,
211
— bzw., d o rt w o dies nicht möglich ist, den K onflikt m it den
besseren A rgum enten, sta tt m it besseren sprachlichen und
nicht-sprachlichen Strategien auszutragen.
2. Politische K om m unikationskultivierung bezieht sich vor allem auf den
pfleglichen Umgang aller Beteiligten, Politiker wie Ö ffentlichkeit, m it
kom m unikativen K onflikten.
3. K om m unikative K onflikte in der Interaktion zwischen Politiker und
Bürger sind M itursachen von G laubwürdigkeitsverlust und System müdig­
keit.
4. Solche K onflikte erwachsen aus einer unterschiedlichen Erw artungs­
haltung jeweils von Bürger und Politiker, d.h. unterschiedlichen kom m u­
nikativen Interessen beider In teraktions'parteien’.
Das Interesse des Bürgers ist (idealiter) darauf gerichtet, (in P olitikerinter­
views, -reden, -debatten usw.) über politische Zusam m enhänge inform iert
zu w erden, teilzuhaben an der A ushandlung politischer Entscheidungen
auf der Basis unterschiedlicher S tandpunkte und unterschiedlicher W ert­
setzungen; das Interesse des Politikers dagegen ist darauf gerichtet, seine
oder die Politik seiner Partei zu vertreten, zu ‘verkaufen’, Handlungen
und Entscheidungen oder Kom prom isse zu rechtfertigen, seine Position
zu festigen, M acht und persönlichen Einfluß zu erhalten bzw . dazu zu
gewinnen, Wähler von sich zu überzeugen und für sich einzunehm en, d.h.
also bestim m t von Erfolgskalkülen des Legitimierens und Werbens (vgl.
den Beitrag von Holly in diesem Band). Mit H aberm as können w ir diesen
Interessengegensatz, wie er kom m unikativ in der Interaktionskonstella­
tion Politiker — Bürger zum A usdruck kom m t, auf den Gegensatz zwischen
V erständigungsorientiertheit und Erfolgsorientiertheit zurückführen2 , d.h.
— der Bürger m uß — w enn er überhaupt seine politischen und kom m u­
nikativen R echte in einer D em okratie w ahren will — davon ausgehen,
daß der Diskurs m it dem Politiker bzw. die an ihn adressierte Rede
des Politikers verständigungsorientiert ist,
— der Politiker dagegen ist prim är an erfolgsorientierter R ede und am
strategischen Diskurs ausgerichtet bzw. glaubt es sein zu müssen.
V erständigungsorientiertheit heißt hier:
— die Rede zielt ab auf rational m otiviertes Einverständnis, d.h.
— Zustim m ung zum Inhalt einer politischen Aussage, weil der Bürger,
aufgrund zugelieferter F akten von der R ichtigkeit der Aussage über­
zeugt ist
— Ü bernahm e einer politischen Zielsetzung durch den Bürger, weil die
enthaltenen W ertesetzungen den eigenen, für rational gehaltenen W erte­
setzungen des Bürgers kritisch standhalten.
212
Erfolgsorientiertheit heißt hier:
— Einverständnisgewinnung und Zustim m ung w erden ausschließlich
in den D ienst eigener Handlungsziele, z.B. der Eigenwerbung oder
der Selbstdarstellung gestellt, sie sind nu r M ittel zum Z w eck.’
Die notw endige Erw artungshaltung des Bürgers auf verständigungsorien­
tierte Rede wird in der Regel durch den politischen Diskurs nicht oder
nur der Form nach eingelöst, ohne daß allerdings der K onflikt zwischen
den beiden O rientierungshaltungen jemals offengelegt würde, da der Poli­
tik er seinerseits an der F iktion des verständigungsorientierten Diskurses
festhalten m uß, denn ohne die A ufrechterhaltung dieser offenbar für eine
dem okratische Gesellschaft grundlegende Fiktion wäre auch seinen Er­
folgskalkülen die Basis entzogen.
Wir kom m en nun zu zwei K ernthesen:
5. An der ‘O ffenlegung’ und ‘Bewältigung’ dieses K onfliktes ist vor allem
der Bürger interessiert, w ährend nicht zu erw arten ist, daß die Politiker
von sich aus, d.h. ohne E inforderung durch den kritischen Bürger, ihre
Rede an einer kom m unikativen E thik des verständigungsorientierten Dis­
kurses ausrichten.
O ffenlegung, das heißt fragen
— Inwiew eit, m it w elchen kom m unikativen V erfahren, m it welchen W ort­
gebräuchen usw. verstoßen Teilnehm er an konkreten politischen
D iskursen gegen m eine Erw artungshaltung der Verständigungsorientiertheit?
— Warum tu n sie das?
Bewältigen, das heißt fragen
— Wie ordne ich V erstöße gegen die kom m unikative E thik ein?
Wie interpretiere ich sie bezogen auf einen möglichen Erfolgskalkül?
— Wie kann ich mich selbst und andere gegen die E ffekte dieses Kalküls
schützen?
— Wie kann ich darauf hinw irken, daß die O rientierung an diesen Kal­
külen S chritt für S chritt abgebaut wird?
6. Nützlich bei der Offenlegung und Bewältigung dieses K om m unikations­
konfliktes durch den Bürger können spezielle hörerbezogene Maximen
sein, d.h. Maximen, die au f die R ezeptionssituation erfolgsorientierter poli­
tischer Rede zugeschnitten sind.
Wir schlagen zwei sprach kritische M aximen für den H örer/R ezipienten vor,
die jeweils noch durch zwei bzw. drei U nterm axim en konkretisiert sind.
213
I
Maxime der ‘Reflexion auf das Interesse’
1. Bedenke, daß der Sprecher Interessen h at und Ziele verfolgt. Sei kritisch
gegenüber dem G eltungsanspruch seiner Ziele.
Wir verweisen hier w ieder nur auf die strategischen Ziele
‘Legitim ieren’, ‘W erben’.
2. Bedenke, daß der Sprecher sprachliche M ittel benutzt, um seine Ziele
zu verfolgen. Sei kritisch gegenüber (scheinbaren) Argum enten und
A rgum entationsstrukturen! Sei kritisch gegenüber dem perlokutionären
C harakter seiner Sprechhandlungen!
Perlokutionären C harakter haben Sprechhandlungen dann, w enn ihr illok utionärer G ehalt in den D ienst einer beabsichtigten Wirkung gestellt
w ird, die von dem V erstehen der vollzogenen lllokution verschieden ist,
z.B. w enn eine politische ‘S ach’- Aussage gem acht w ird, um zu w erben
oder einzuschüchtern, zu im ponieren oder sich zu legitim ieren.
Sprachliche M ittel, die eingesetzt w erden, um perlokutionäre Wirkungen
zu erzielen, können au f verschiedenen textsem antischen und wortsem antisch-pragm atischen Ebenen festgem acht w erden:
A uf der T extebene z.B. an der N icht-B eachtung von Gesprächsregeln wie
Beim-Thema-Bleiben, Andere-zu-W ort-kommen-Lassen oder auf der M ikro­
ebene an V erfahren wie ‘indirekte falsche A nalogiebildung’ (z.B. durch
U m funktionierung von Eigennam en zu P rädikatoren), ‘unzutreffende
Generalisierungen referenzsem antischer A rt’ oder ‘euphem istischer W ort­
gebrauch’.4 Wir m öchten nu r auf e i n sprachliches V erfahren im Zu­
sammenhang des aktuellen Them as ‘Bestechlichkeit von politischen A m ts­
träg ern ’ kurz eingehen, ein V erfahren, das man ‘referentielle A ufspaltung’
nennen k önnte und das m it der Bezugnahme auf ein und dieselbe Person
in entw eder dieser oder jener E igenschaft/Funktion gegeben ist: Da der
T atbestand der ‘V orteilsnahm e’ nur bei A m tsträgern einen strafwürdigen
T atbestand, V erstoß gegen § 331, STGb, darstellt, ist es strategisch geraten,
denjenigen, der im V erdacht der V orteilsnahm e steht, aus der Extension
des Prädikats ‘A m tsträger’ herauszuhalten.
Wenn jem and nun aber als Bundesm inister offensichtlich A m tsträger ist,
so bleibt nur das V erfahren der referentiellen A ufspaltung, erkennbar an
a/s-Form eln wie etw a der Aussage von Lam bsdorff, er habe als Minister
von der Fa. Flick keine einzige Mark genom m en, oder der Aussage von
Brauchitsch, er habe m it Genscher nu r in dessen Eigenschaft als Partei­
vorsitzender, nicht als A ußenm inister gesprochen. Der strategische Diskurs
m acht hier von einer sprachlichen M öglichkeit G ebrauch/M ißbrauch, die
der Linguist in die Sphäre der sogenannten intensionalen K ontexte ver­
weist: Man kann zwar glauben, der A ußenm inister sei ein n etter Mensch,
214
ohne zu glauben, daß H err Genscher ein n etter Mensch sei, weil man nicht
weiß, daß H err Genscher eben z.Zt. unser A ußenm inister ist, aber man
kann nicht zugleich wissen, daß G enscher Parteivorsitzender und A ußen­
m inister ist, und nur m it jeweils dem einschlägigen A nteil seiner — doch
hoffentlich n icht schizophrenen — Persönlichkeit sprechen.
II Maxime der ‘Reflexion auf die Meinungs- und Interpretations­
abhängigkeit’
1. Bedenke, daß der Sprecher seine eigene In terpretation von Realität
hat. Sei kritisch gegenüber dem W ahrheitsanspruch seiner Aussagen,
selbst w enn du unterstellen kannst, daß er w ahrhaftig ist!
Zwischen beiden Geltungsansprüchen m uß m an sicher unterscheiden.
E infach zu beurteilen und unproblem atisch für die kritische R ezeption
ist der Fall der U nw ahrheit bezüglich quasi objektiver politischer F akten,
etw a die zahlreichen Irrtüm er R. Reagans über politische D aten — Fälle,
in denen man dem Präsidenten subjektive W ahrhaftigkeit nicht abspre­
chen wird.
Dagegen wird das V erhältnis zwischen W ahrheit und W ahrhaftigkeit auch
für den kritischen R ezipienten problem atisch im Bereich der eigentlichen
politischen Interpretationsvokabeln, m it denen politische R ealität erst
geschaffen w ird. Gegen diese A rt politischer Aussagen wie etw a “ Der
(w irtschaftliche) Aufschw ung ist d a ” , “ eine gewisse Stabilisierung ist
erreichbar” kann keine objektive R ealität ins Feld geführt w erden. Da­
durch w ird für den Bürger die G renzziehung zwischen w ahrhaftiger, aber
eben eigenwilliger und standortbedingter W eitsicht, und unw ahrhaftiger,
bew ußt verzerrender D arstellung politischer Problem verhalte schwierig,
aber im Einzelfall umso wichtiger.
D irekt auf solche Interpretationsvokabeln zielt U nterm axim e 2 von II ab.
2. Bedenke, daß der Sprecher s e i n e In terpretation von politischer
R ealität sprachlich verm ittelt. Geh n icht davon aus, daß er denselben
Sprachgebrauch/W ortgebrauch h at wie du!
Hier ist fast das gesamte politische V okabular einschlägig. Der politische
W ortschatz ist in hohem Maße sem antisch instabil in dem Sinne, daß ver­
schiedene Sprechergruppen politische W örter nach unterschiedlichen Regeln
zur Klassifikation und Bewertung der sozialen R ealität gebrauchen. Man
denke nur an den spezifisch ideologischen W ortschatz, der zur G rundaus­
stattu ng politischer Ideologien, R ichtungen und Parteien gehört, also Wör­
ter, die m it jeweils unterschiedlichen (sem antischen) N uancen zur Eigen­
gruppenidentifikation und -Stabilisierung (als Fahnenw örter) oder zur A b­
grenzung/D iskrim inierung des politischen Gegners (als Stigm aw örter) b en u tzt
w erden: Freiheit, Sozialism us, D em okratie, Frieden, H um anität, F ortschritt
215
einerseits, Aggression, Faschismus, Totalitarismus andererseits.
A ber auch politische A lltagsw örter, die m it dem ideologischen Bereich
nur indirekt verm ittelt sind, wie etwa A ufschw ung, w irtschaftliche Be­
lebung, Sicherheit, R eform , Solidarität w erden von verschiedenen politi­
schen Seiten unterschiedlich gebraucht bzw. unterschiedlich zur Erzeu­
gung politischer R ealität eingesetzt. Welche A ktivität bei der Erzeugung
von R ealität der G ebrauch bestim m ter W örter en tfalten kann, ist in jüng­
ster Zeit z.B. durch das W ort Sicherheitsrisiko unter Beweis gestellt w or­
den. Erst die sem antische Neuerung, die Verlagerung des Extensionalisierungsbereichs von R isiko von Sachverhalten auf Personen (Jem and ist
ein Sicherheitsrisiko) und die brisante V erbindung zweier militärischer
H ochw ertw örter wie Sicherheit und Risiko hat diese A ktivität erm öglicht.
Wir kom m en nun zu Maxime II, 3, der zusam m en m it I, 2 vielleicht wichtig­
sten:
3. Bedenke, daß der Sprecher s e i n e In terpretation von politischer
Realität sprachlich durchzusetzen versucht. Sei kritisch gegenüber dem
Geltungsanspruch seines Sprachgebrauchs/W ortgebrauchs!
Solche sprachlichen D urchsetzungsstrategien seien hier m it den Stichw ör­
tern ‘persuasive D efinition’, ‘m anipulativer Sprach-/W ortgebrauch’,
‘sem antischer K am pf um die B esetzung/U surpation von H ochw ertw örtern,
politischen L eitvokabeln’ nu r angedeutet.
Wenn der Bürger die sprachlichen D urchsetzungsstrategien durchschaut
und im Einzelfall konkret nachweisen oder festm achen kann, nim m t er
ihnen und dam it dem strategischen Diskurs die Spitze: Dieser geht ins
Leere, weil er kritisch vorweggenom men und ihm argum entativ begegnet
wird.
Wir form ulieren nun einige Thesen zur Aufgabe der Linguistik, einer ge­
sellschaftlich engagierten Linguistik bei der K ultivierung politischer
K om m unikation:
7. Die erläuterten M aximen müssen ihre W irksamkeit au f der Ebene der
aktuellen Rede- und T extkritik entfalten. Dazu m uß die gesellschaftlich
engagierte Linguistik ihren Beitrag leisten.
8. Sie tu t dies einerseits konkret parole- oder sprachverkehrsbezogen,
indem sie bei Einzelanalysen von Parlam entsdebatten, Politikerreden,
-interviews usw. die A nw endung der Maximen exem plarisch vorführt.
9. Darüberhinaus jedoch m uß die A rbeit des Linguisten, da es um K om ­
petenzerw eiterung und A ufklärung im Umgang m it kom m unikativen
Verfahren im strategischen Diskurs allgemein geht, auch auf der Ebene
notw endiger Verallgemeinerungen, d.h. auf langue- oder Sprachsystem216
ebene ansetzen, d.h. die M öglichkeit, politisch-kom m unikativ aufgeklärt
zu handeln, m uß als abstraktes H andlungsm uster bzw. als R epertoire an
solchen H andlungsm ustern zur Verfügung stehen und von W issenschaft­
lern zur Verfügung gestellt w erden, in der Weise, daß es in konkreten
K om m unikationssituationen vom Bürger als R ezipient politischer Rede
jederzeit aktiviert w erden kann.
10. Beiträge zu einer solchen langue-bezogenen Sprachkultivierung sind
von der Linguistik z.B. in Form eines H andbuches der expliziten staats­
bürgerlichen R hetorik in öffentlichen Institutionen, wie v. Polenz es im
Jahre 1978 gefordert hat, zu erw arten.
11. Bezogen auf die A rbeit des IdS, die in ihrer Zielsetzung selbst primär
langue-bezogen oder sprachhandlungstypologisch ist, konkretisiert sich
diese A usrichtung in der A ufgabe der Erstellung eines H andbuches der
schweren W örter, in dem auch der sozialpolitische W ortschatz und dam it
auch die K ultivierung politischer K om m unikation bzw. lexikalisch be­
dingter K om m unikationskonflikte eine w ichtige Rolle spielen w erden.
Wir form ulieren daher an dieser Stelle einige Thesen zu M öglichkeiten
und F orm en politischer Sprachkultivierung im W örterbuch:
12. Sprachkultivierung im W örterbuch ist eine Fortsetzung sprachhandlungsbezogener Textanalyse m it anderen M itteln. D aher kann sie nur
durch eine ‘andere’, aus ihrem sprachlich-kom m unikativen Glashaus be­
freite Lexikographie geleistet w erden.
13. Das b edeutet konkret: Die Lexikographie politischer W örter begreift
politisch brisante W örter, politische Interpretationsvokabeln als ‘gefro­
ren e’ H andlungsm uster des interpretierenden Klassifizierens und Bewertens. Sie bezieht konfliktäres Sprachhandeln in die lexikographische Be­
schreibung ein, indem sie anhand der k ontextuell gesicherten G ebrauchs­
beschreibung dieser W örter ihren konfliktären S to ff herausarbeitet.
14. Im Dienst dieser politisch aufklärenden Lexikographie können aus
den parole-nahen M aximen, wie wir sie form uliert haben, spezifische
langue- und w ortschatzbezogene M aximen abgeleitet w erden.
15. D am it diese sprachkritischen Maximen in der speziellen T extsorte
W örterbuch5 wirksam w erden, d.h. operationalisiert w erden können,
schlagen w ir folgende D oppelstrategie vor:
a) In einem allgemeinen pragm atischen (Zusatz-) Teil des W örterbuch­
vorw ortes w erden die w ortschatzbezogenen sprachkritischen Maximen
selbst ausgeführt.
217
b) Den jeweils für bestim m te Typen von W örtern einschlägigen Maximen
sind bestim m te lexikographische K ennzeichnungen zur Verwendungstypik, zur G ruppenspezifik politischer W örter zugeordnet, die als
pragm atische M arkierungen in der M ikrostruktur des W örterbuches
auf die typologisch jeweils entsprechenden Lemma-Ausdrücke bzw.
Klassen von Lem ma-Ausdrücken angew endet werden.
ln diesem Modell einer lexikographischen D oppelstrategie der politischen
A ufklärung greifen M aximen und M arkierungen wie folgt ineinander:
— die M axime stellen die M uster aufgeklärten Umgangs m it politischem
V okabular zur Verfügung
— die M arkierungen aktivieren die jeweils einschlägigen M uster (am
jeweils entsprechenden Lem m a-A usdruck bzw. an seiner Beschreibung).
Die M arkierungen sind dann vom W örterbuchbenutzer bzw. Sprachteilhaber als A larm zeichen zu verstehen, die ihn für bestim m te Gebräuche
bzw. M ißbräuche politischer W örter im m anipulativen, taktisch-persuasiven
Sprachgebrauch/ in erfolgsorientierter Rede sensibilisieren.
16. Folgende F aktoren, die für die sem antische Instabilität politischer
W örter als dem gem einsam en N enner ihrer kom m unikativ problem atischen
Eigenschaften verantw ortlich sind, sind u.a. zu berücksichtigen:
— ihre Interpretationsabhängigkeit und
— ihr Bezug auf unterschiedliche N onnen, Ideologien, politische Lehren,
W issenschaften und
— ihr Bezug au f verschiedene (Meinungs) G ruppen, Parteien und
— ihr essentieller Bezug auf G eschichte/G eschichtlichkeit.
17. E ntsprechend diesen F aktoren kann vom Lexikographen ein R epertoire
von pragm atischen M arkierungen entw ickelt w erden, etwa:
— ‘Interpretationsvokabeln’ (oder z.B. ‘ideologische S treitw ö rter’) als
Bezeichnung für politische W örter, m it denen unterschiedliche (Variante)
In terpretationen und D eutungen sozialweltlicher Erscheinungen voll­
zogen w erden,
— ‘G ruppen-, Partei-, Norm en-, R ahm envokabeln’ (oder z.B. ‘Schlagw örter’,
‘L eitw örter’, ‘Fahnen- und Stigm aw örter’) als Bezeichnung für politische
W örter m it eingeschränkter/relativer Gültigkeit und V erbindlichkeit
jeweils relativ zu den betreffenden G ruppen, Parteien bzw. Ideologien,
N orm en (Abgrenzungsvokabular),
— ‘G eschichtliche (Grund)Begriffe, ‘G eschichtsvokabeln’ als Bezeichnung
für W örter m it historischer Sensibilität und diachron/synchroner Be­
deutungsfülle; etc.
218
18. Bezogen auf die hier genannten F aktoren sem antischer Instabilität
insgesamt k ö nnte z.B. eine sprachaufklärerische M axime als eine A rt
P ropädeutik für den kritischen Umgang m it politischer Sprache form u­
liert w erden, an der sich der Sprachteilhaber g e n e r e l l , d.h. für
a l l e m it politischen A usdrücken verbundenen konfliktären K om m uni­
kationsgelegenheiten, orientieren kann:
Maxime III (vgl. II, 3)
Bedenke, daß die (m it M arkierungen wie ‘politisch’, ‘ideologisch’, ‘in
m anipulativem Sprachgebrauch’ ausgezeichneten) W örter zum politischideologischen W ortschatz gehören und daher aufgrund ihrer sem antischen
U nbestim m theit und interpretativen O ffenheit zur Verwendung in erfolgs­
orientierter K om m unikation und dam it im taktisch-persuasiven oder m ani­
pulativen Sprachgebrauch prädestiniert sind ...
Bedenke, daß Sprecher diese W örter in politisch-öffentlicher Kom m unika­
tion gebrauchen, um jeweils i h r e , m it der deinen n i c h t notw endig
übereinstim m ende In terpretation (Meinung, Auffassung) von politischer
R ealität s p r a c h l i c h zu verm itteln und auch s p r a c h l i c h durch­
zusetzen versuchen.
O der spezieller bezogen au f den F ak to r der ‘Interpretationsabhängig­
k e it’ die konkretere M axime IV
Maxime IV (vgl. II, 2)
Bedenke, daß die (m it der M arkierung ‘Interpretationsvokabel’ ausgezeichne­
ten) W örter von Sprechem /Sprechergruppen auf ganz unterschiedliche Weise
zur Interpretation und D eutung sozialweltlicher E rscheinungen/politischer
R ealität verw endet werden. Sei kritisch gegenüber ihrem Aussagewert, denn
sie werden interpretierend (d.h. beschreibend und w ertend) auf ganz unter­
schiedliche ‘G egenstände’ der Realität angewendet. Es sind inhaltlich un­
scharfe W örter, deren Unschärfe von Sprechern o ft bew ußt taktisch oder
m anipulativ zur Behauptung von sog. ‘T atsachen’ ausgebeutet wird, z.B.
bei strittigen Fragen wie Was ist Terrorism us? oder Wer ist (wann) Terrorist?
Wer ist (wann) ein Sicherheitsrisiko/erpreßbar/förderungsw ürdig?
Bedenke also, daß diese W örter m eist n ich t so unverfänglich und harmlos
gebraucht werden wie z.B. die W örter Haus oder Straße, sondern als ideolo­
gische (Streit) W örter in ihrer Bedeutung meinungs- und interessenabhängig
sind. Sei daher vorsichtig/nicht leichtfertig gegenüber d er Verwendung
dieser W örter in deinem eigenen Sprachgebrauch und sei kritisch gegenüber
dem Sprachgebrauch anderer, auch dann oder gerade wenn sie behaupten,
ihr Sprach- bzw. W ortgebrauch sei der ‘richtige’, ‘w ahre’.
Bedenke ferner, daß n ich t jedes W ort ein real existierendes ‘Ding’ einfach
bezeichnet und die Sprache n icht der W irklichkeit angepaßt oder auf den
Leib geschneidert ist. Die politische W irklichkeit so wie sie dir z.B. in den
Massenmedien verm ittelt wird, ist häufig s p r a c h l i c h (d.h. auch durch
einzelne W örter) hervorgebracht, verm ittelt und gedeutet.
219
In ähnlicher Weise wie zum F ak to r ‘Interpretationsabhängigkeit’ w ären
auch zu den anderen F aktoren sprachaufklärerische M aximen zu fo rm u ­
lieren, auf die der W örterbuchbenutzer wieder durch spezifische Markie­
rungsprädikate (bzw. ein R epertoire solcher Prädikate) in den W örterbuch­
artikeln verwiesen w erden kann.
19. A uf diese M aximen nehm en dann alle W örterbucheinträge oder Teile
von W örterbucheinträgen explizit Bezug, die z.B. m it den einschlägigen
M arkierungen ‘Interpretationsvokabel’, ‘P arteiw ort’ oder ‘F ah n en w o rt’
ausgezeichnet sind.
20. M arkierungen, wie die genannten, w irken aufklärend in m ehrfacher
Hinsicht:
— Sie sind R e l a t i v i t ä t s - oder R e s t r i k t i o n s i n d i k a ­
t o r e n insofern, als sie den W örterbuchbenutzer m it der A ufklärung
über die Interpretationsabhängigkeit politischer W örter davor w arnen,
meinungs- und gruppenspezifische W ortgebräuche als für die g e s a m t e
K om m unikationsgem einschaft verbindliche W ortgebräuche mißzuverstehen. R elativitätsindikatoren schaffen K larheit darüber, daß in ein
und derselben Sprache auch die unterschiedlichsten politischen S tand­
punkte/M einungen form ulierbar sind.
— Sie sind zugleich auch D i s t a n z i n d i k a t o r e n insofern, als
der Lexikograph m it ihrer Hilfe sich aus dem S treit um Wörter
heraushalten und sprachwissenschaftlich neutral bleiben kann, indem
er alle (etablierten) gruppenspezifischen W ortgebräuche w issenschaft­
lich dokum entiert und sich dam it gleicherm aßen von allen G ebräuchen
distanziert.
— Sie sind zugleich auch D i f f e r e n z - oder V a r i a n z i n d i k a ­
t o r e n insofern, als der Lexikograph m it ihrer Hilfe die zwischen
den einzelnen G ebräuchen bestehenden sem antischen D ifferenzen als
jeweils meinungs-, gruppen- oder ideologiedeterm inierte Differenzen
ausweisen und die Varianten G ebräuche der jeweils entsprechenden
Partei-, G ruppen- oder Ideologiesprache zuordnen kann. V arianzindi­
katoren schaffen K larheit oder klären au f darüber, daß politische Wör­
te r nicht für alle Sprecher(gruppen) das gleiche bedeuten und daß auf­
grund der G ruppen- und Ideologiegebundenheit politischer W örter nicht
allein die Sprache und die W örter Gegenstand von Sprachkritik und
-aufklärung sind, sondern die sprachlichen Handlungen und die
Sprecher(gruppen), die sie im Bereich öffentlich-politischer K om m uni­
kation vollziehen.
220
21. Die hier vorgeschlagene D oppelstrategie von ‘M axim e’ und ‘Markie­
rung’ scheint uns ein gangbarer Weg zu der geforderten ‘n euen’ Lexiko­
graphie politischer W örter zu sein. Sie ist zudem geeignet, die politische
‘W ahrheit’ der W örterbücher eher zu befördern als zu beschneiden.
Wir kom m en zum Schluß, auch er thesenhaft:
22. Niem and hat ein M onopol auf den rechten Sprachgebrauch, niemand
auch eines auf die rechte Sprachkultivierung. Sprachkritische Maximen
der R ezeption politischer R ede, wie wir sie vorgeschlagen haben, haben
gegenüber ihren sprecherbezogenen Gegenstücken — etw a ‘Sei vorsichtig
im Gebrauch von Interpretationsvokabeln’ — den Vorzug, nicht zu N or­
men korrum pierbar zu sein.
A nm erkungen
1
Wir erinnern hier an den ‘Fall’ Wörner-Kießling und an die Presseerklärung
von Bundeskanzler Kohl, m it der er die Affäre ‘lö ste ’ und die — so der Be­
richt-Titel der Rhein-N eckar-Zeitung vom 2.2.1984 — fast “ zu einer Lachstunde m it K ohl” geriet.
2
Vgl. Habermas 1983, 144:
a) Verständigungs- vs. Erfolgsorientierung. Soziale Interaktionen sind m ehr
oder weniger kooperativ und stabil, m ehr oder weniger konfliktuös oder
unstabil. Der gesellschaftstheoretischen Frage, wie soziale Ordnung
möglich ist, entspricht die handlungstheoretische Frage, wie (mindestens
zwei) Interaktionsteilnehm er ihre Handlungspläne so koordinieren können,
daß A lter seine H andlungen an Egos Handlungen konfliktfrei, jedenfalls
unter Verm eidung des Risikos eines A bbruchs der Interaktion “ anschließen”
kann. Sofern die A ktoren ausschließlich am Erfolg, d.h. an den K onse­
quenzen ihres Handelns orientiert sind, versuchen sie, ihre Handlungs­
ziele dadurch zu erreichen, daß sie extern, m it Waffen oder Gütern, D rohun­
gen oder Lockungen auf die Situationsdefinition bzw. auf die E ntscheidun­
gen oder Motive ihres Gegenspielers Einfluß nehm en. Die Koordinierung
der Handlungen von Subjekten, die in dieser Weise strategisch m iteinander
um gehen, hängt davon ab, wie die egozentrischen Nutzenkalküle ineinan­
dergreifen. Der Grad von K ooperation und S tabilität ergibt sich dann aus
den Interessenlagen der Beteiligten. Demgegenüber spreche ich von
kom m unikativem Handeln, wenn sich die A ktoren darauf einlassen,
ihre Handlungspläne intern aufeinander abzustim m en und ihre jeweiligen
Ziele nur u n ter der Bedingung eines sei es bestehenden oder auszuhan­
delnden Einverständnisses über Situation und erw artete Konsequenzen
zu verfolgen.
3
Ebenso wie in Haberm as’ Bestim m ung von erfolgsorientierter Rede ist in
unserer Ü bertragung auf die öffentlich-politische K om m unikation das Mo­
m ent negativer Bew ertung enthalten. D.h. V erständigungsorientiertheit und
E rfolgsorientiertheit sind n icht — ausschließlich — deskriptive Begriffe, son­
dern ein Paar, bestehend aus einem positiven und einem negativen Wertbegriff.
221
4
Vgl. Z ifonun 1984.
5
Vgl. Strauß 1984.
L iteratur
Habermas, J. (1981): T heorie des kom m unikativen Handelns. F rankfurt a. M.
(1983): M oralbewußtsein und kom m unikatives Handeln. Frankfurt a.M.
Heringer, H.-J. (1982): Sprachkritik — die Fortsetzung der Politik m it besseren
M itteln, ln : Heringer (Hrsg.) 1982a, 3 - 34.
(Hrsg.) (1982a): Holzfeuer im hölzernen Ofen. Aufsätze zur politischen
Sprachkritik. Tübingen.
Heringer, H.-J ./K urz, G ./Stötzel, G. (Hrsg.) (1983): Sprache und L iteratur in
Wissenschaft und U nterricht. H eft 51.
Hermanns, F. (1982): Brisante W örter. Zur lexikographischen Behandlung partei­
sprachlicher W örter und W endungen in W örterbüchern der deutschen Gegen­
wartssprache. In: Wiegand, H. E. (Hrsg.), Studien zur neuhochdeutschen
Lexikographie II, Hildesheim, New Y ork 1982, 87 - 108.
von Polenz, P. (1979): Resümee der Tagung. In: Fachsprachen und Gem ein­
sprache. Jahrbuch 1978 des Instituts für deutsche Sprache, Düsseldorf,
317 - 324.
Stötzel, G. (1982): K onkurrierender Sprachgebrauch in der deutschen Presse.
In: Heringer (Hrsg.) 1982a, 277 - 289.
Strauß, G. (1984): Politische Sprachkultivierung im W örterbuch. In: M itteilungen
10 des In stitu ts für deutsche Sprache: A spekte der S prachkultur, 91 - 121.
Wiegand, H. E. (1981): Pragmatische Inform ationen in neuhochdeutschen W örter­
büchern. In: Studien zur neuhochdeutschen Lexikographie I. Hrsg.
v. H. E. Wiegand, Hildesheim , New York.
Wimmer, R. (1982): Überlegungen zu den A ufgaben und M ethoden einer linguistisch
begründeten Sprachkritik. In: Heringer (Hrsg.) 1982a, 290 - 313.
(1983): Sprachkritik u n d reflektierter Sprachgebrauch. In: Sprache und
L iteratur in W issenschaft u n d U nterricht, 3 - 14.
Zifonun, G. (1984): Politische S prachkultur und Sprachkritik. In: M itteilungen
10 des In stitu ts für deutsche Sprache: A spekte der Sprachkultur, 61 - 90.
222
WALTHER DIECKMANN
N achw ort: Das R eden der Politiker und das Problem der Glaubwürdig­
keit
Die vor der Tagung und in den einführenden Bem erkungen (s. “ V o rw o rt”)
form ulierte Rahm enfrage h at in den V orträgen und den schriftlichen Do­
kum entationen dieses Bandes keine deutliche A ntw ort gefunden, ja man
kann w eitergehend sagen, daß sie die A usführungen der R eferenten gar
nicht zentral bestim m t hat, zum indest n icht als ausdrücklich form ulier­
tes O rganisationsprinzip für die vorgestellten Überlegungen. Man könnte
jedoch nachträglich und unabhängig von den selbstgesetzten Schwer­
p unkten der R eferenten fragen, ob sich aus den V orträgen eine A ntw ort,
eventuell auch unterschiedliche A ntw orten auf die Rahm enfrage ablei­
ten lassen. Ich m öchte dies in diesem N achw ort versuchen, und zwar u n ­
terteilt in zwei Teilfragen:
(a) Sind in den V orträgen M erkmale politisch-öffentlicher Sprache
und K om m unikation beschrieben w orden, die den w irklichen oder
verm eintlichen Glaubw ürdigkeitsverlust politischer R edner und
seine K onsequenzen (Parteienverdrossenheit, System m üdigkeit,
Legitim itätsverfall) zu erklären im stande sind oder die zum indest
plausibel auf das Problem der Glaubw ürdigkeit bezogen werden
können? — Diese Frage zielt auf den Z ustand der Sprachkultur u n ­
te r einem bestim m ten A spekt, dem der G laubwürdigkeit.
(b) E nthalten die V orträge Vorschläge zur Lösung des Problems,
und welche sind dies? — Diese Frage them atisiert die Möglichkei­
ten der V eränderung des Zustands, der Sprachkultivierung, wie­
derum beschränkt au f das Problem der G laubwürdigkeit.
Die erste Frage ist sicherlich positiv zu beantw orten. Wenn die These
Hollys zutrifft, daß die Politiker “ positiv bew ertete Sprachhandlungsm uster wie INFO RM IEREN und D ISK U TIEREN ” benutzen, “um die
eigentlich angestrebten M uster, WERBEN und LEGITIM IEREN, zu ver­
packen” (S. 197)1, w enn also in der von Holly an Beispielen beschriebe­
nen Weise eine Diskrepanz zwischen den explizit realisierten M ustern
und den verdeckt verfolgten perlokutiven E ffekten besteht, dann m uß
diese Z w ei-Ebenen-Struktur politischen Sprechens die Glaubwürdigkeit
beim R ezipienten in M itleidenschaft ziehen, weil die kom m unikativen
Inhalte in den Sog der w erbenden/legitim ierenden Ziele geraten und die
V erläßlichkeit der Aussagen zum indest relativiert wird: “ Das sagt er ja
nur/vor allem, weil gerade W ahlkampf ist, allgem einer: weil er mich im
223
Sinne seiner partikularen Interessen beeinflussen w ill.” Diese Relativie­
rung der G laubw ürdigkeit tr itt allerdings, ich kom m e darauf zurück, nur
dann ein, w enn der R ezipient die D oppelstruktur der Ä ußerungen im
Prinzip durchschaut. N im m t er die Rede dagegen unkritisch auf der Ebe­
ne des explizit Präsentierten als inform atorisches/diskutierendes Spre­
chen, so kann und w ird er dem Politiker auch glauben.
Das von Holly identifizierte Problem steh t auch im Z entrum des V o rtra­
ges von Strauß und Zifonun, ausform uliert in P unkt 4 der “ V orausset­
zungsthesen” auf einer etwas abstrakteren Ebene als Gegensatz zwischen
den unterschiedlichen Interessen und Erw artungshaltungen der Politiker
auf der einen, der Bürger auf der anderen Seite. Dieser Gegensatz wird
in Haberm asscher Begrifflichkeit als Gegensatz zwischen der faktisch
erfolgsorientierten Rede des Politikers und dem Interesse und der Er­
w artung des Bürgers beschrieben, daß der “Diskurs m it dem Politiker
bzw. die an ihn adressierte Rede des Politikers verständigungsorientiert”
(S. 212) sein solle. Die von Holly im A nschluß an Edelm an beschriebene
D oppelstruktur politischer Rede findet im Lichte der Habermasschen
U nterscheidung die Erklärung, daß sich die Politiker oberflächlich an
den Erw artungen des Bürgers orientieren, indem sie sich die Form en
verständigungsorientierter Rede zunutze m achen (INFORM IEREN,
DISKUTIEREN), diese aber verdeckt m ehr oder weniger für ihre erfolgs­
orientierten Ziele (WERBEN, LEGITIM IEREN, SELBSTDARSTELLEN)
funktionalisieren. Die D oppelstruktur ist, aus der Perspektive der Politi­
ker gesehen, notw endig, weil die Form en der verständigungsorientierten
Rede beim Bürger positiv, die der erfolgsorientierten Rede hingegen ne­
gativ bew ertet sind. Die erfolgsorientierte Rede würde also ihr Ziel ver­
fehlen, wenn sie sich offen als solche artikuliert.
Dieser Erklärungsansatz ist m. E. durchaus geeignet, das V erhalten der
Politiker zu erklären, die m e i n e n , sich so verhalten zu müssen, wie
sie sich verhalten, bzw. sich als Ergebnis ihrer politischen Sozialisation
unreflektiert so verhalten. Der Überprüfung bedürftig ist allerdings die
Prämisse, daß die Bürger norm ativ am A nspruch verständigungsorien­
tierter Rede festhalten, der die D oppelstruktur der Rede beim Politiker
ja erst produziert. Es gibt viele A nzeichen dafür, daß die Rezipienten
zum indest die Politiker der jeweils eigenen Coleur o ft nicht am A nspruch
verständigungsorientierter Rede, sondern eher an ihrem taktischen Ge­
schick bem essen, in der erfolgsorientierten A useinandersetzung Vorteile
gegenüber dem Gegner zu erlangen. Wie dem auch sei, der beschriebene
Mechanismus hat in den Teilen der beiden V orträge, die sich überhaupt
m it den Eigenschaften der Politikerrede beschäftigen, einen zentralen
Stellenw ert. Die Strategien, die zusätzlich und im einzelnen beschrieben
224
oder benannt w erden, bewegen sich im Rahm en dieser P roblem form u­
lierung; die R eferenten zeigen exem plarisch auf, wie Politiker erfolgs­
orientiert m it der Sprache umgehen.
Der V ortrag von Bergsdorf ist schwieriger au f das Problem der G laub­
würdigkeit zu beziehen, weil er im w esentlichen eine F unktionsbestim ­
mung vornim m t und die Frage, auf welche A rt und Weise die Politiker,
sprachlich handelnd, diese F unktion praktisch erfüllen, gar nicht ins
Blickfeld kom m t. So wird auch das G laubw ürdigkeitsproblem nicht zum
Thema. Der V ortrag schließt seine M öglichkeit aber nicht aus, und es ist
auch der P unkt angebbar, wo es w eiterführend behandelt w erden könnte.
Bergsdorf benennt als oberstes Ziel der politischen Sprache die sprach­
liche Erzeugung von Zustim m ungsbereitschaft beim Bürger und die In te­
gration der Bürger u n te r die konkurrierenden M achtansprüche der Par­
teien (vgl. S. 185). A uch w enn man diese Bestim m ung nicht nur als Be­
schreibung der faktischen Ziele der Politiker, sondern auch als F u nktions­
bestim m ung m it rechtfertigender T endenz akzeptiert, so bleibt doch im ­
mer noch die berechtigte Frage, wie denn die Politiker besagte Z ustim ­
mung der Bürger einholen. An dieser Stelle spricht Bergsdorf von Form en
der politisch-öffentlichen Sprache, m it denen Politiker ihre Ziele erläu­
tern, darlegen und begründen (S. 185 f.). Mit diesen sprechhandlungsbe­
zeichnenden V erben sind nun aber wieder Ansprüche gesetzt, die im Re­
den der Politiker em pirisch nicht generell erfüllt w erden, und an diesem
P unkt stellt sich u.a. das Problem der G laubw ürdigkeit in ganz ähnlicher
Weise wie in den beiden linguistischen Beiträgen.
W endet man sich der zw eiten Frage, der möglichen Lösung des Problems
zu, so wäre es zunächst naheliegend, die Lösung in der V eränderung des
V erhaltens beim Politiker zu suchen, indem man die A ufhebung der D op­
pelstruktur m it ihrer Diskrepanz zwischen Form und F un k tio n kritisch
einklagt. Das Ergebnis wäre dann die F orderung an den Politiker, eine
wirklich verständigungsorientierte Einstellung oder eine offen erfolgs­
o rientierte einzunehm en. Die linguistischen Tagungsbeiträge gehen we­
der den einen noch den anderen Weg, weil sie — und das verbindet sie
grundlegend m it dem im “ V orw o rt” angesprochenen neuen A nlauf “ lin­
guistisch begründeter S prachkritik” in der B undesrepublik — die Lösung
grundsätzlich nicht beim Politiker, sondern beim R ezipienten, dem Bür­
ger suchen.2 Der Politiker spielt nur insofern eine Rolle, als die H offnung
artikuliert w ird, ein verändertes Rezeptionsverhalten werde rückwirkend
auch auf das Sprach- und K om m unikationsverhalten der Politiker Ein­
fluß haben.
Worin ist diese A bw endung vom Politiker begründet? Die neuere sprachkritische L iteratur und auch die Tagungsbeiträge erlauben m ehrere A nt225
Worten auf diese Frage, w obei allerdings unsicher bleibt, ob und in wel­
cher Weise die Gründe zu hierarchisieren sind. Es gibt (a) das resignative
A rgum ent praktischer Erfolglosigkeit. So ist es, wie Strauß/Z ifonun
schreiben, “ nicht zu erw arten, daß die Politiker von sich aus ... ihre Re­
de an einer kom m unikativen E thik des verständigungsorientierten Dis­
kurses ausrichten” (S. 213 ), oder sich gar von Sprachw issenschaftlern
oder Sprachkritikern dazu bewegen lassen. Es gibt (b) das A rgum ent
der F unktionalität des Politikerverhaltens. Das politische H andeln wird
dann so definiert, daß die beobachtbaren F orm en strategisch-persuasiver Rede, zum indest aber der strategische Diskurs selbst als funktional
angemessen gelten m uß. Das, was ein anderer M anipulation zu nennen
geneigt sein mag, wird so zur notw endigen V oraussetzung für die Er­
füllung der Aufgaben, die Sprache und K om m unikation in der Politik
haben. Einen solchen A bleitungszusam m enhang herzustellen und zu be­
gründen, ist das H auptziel des Vortrags von Bergsdorf. Der Gedanke ist
aber auch den linguistischen Beiträgen n icht frem d, z.B. wenn Holly das
sprachliche Handeln der Politiker als “ F u nktionalstil” begreift, die Eigen­
schaft, nicht transparent und explizit zu sein, der “ N atur des R h eto ri­
schen” zuschreibt oder sich zitierend auf Bergsdorf b eru ft (S. 198 ).
S trauß/Z ifonun scheinen eine andere A uffassung zu haben, da sie in
Anm. 3 ausdrücklich au f dem Begriff der “erfolgsorientierten R ed e” als
einem negativen W ertbegriff bestehen. Diese B esonderheit w irkt sich
aber in den A nalysen des V ortrags und in den Lösungsvorschlägen kaum
aus. — Der H auptgrund ist aber w ohl (c) das in der neueren Sprachkritik
im m er wieder em phatisch vorgebrachte A rgum ent, es gäbe keine annehm ­
bare Begründung dafür, daß irgendjem and irgendjem andem vorschreibt,
wie er zu reden und zu schreiben bzw. n icht zu reden und zu schreiben
h ab e.3 In der linguistischen Beschäftigung m it Sprachkritik verbietet
sich also die bew ertende K ritik von Sprachverhalten generell, und so
auch die denkbare K ritik am Sprachverhalten der Politiker; akzeptabel
ist sie nur als “ S prachnorm enkritik” , d.h. als K ritik an denen, die mei­
nen, anderen die Sprache vorschreiben zu können, und als “linguistisch
begründete S prachkritik” , in deren R ahm en der Linguist den Sprachge­
brauch beschreibt, um die Sprachteilnehm er in den Stand zu setzen, pro­
duktiv und rezeptiv Sprache kritisch, d.h. reflektiert zu gebrauchen. Im
Blick auf die politische Sprache hat der Linguist u.a. die Aufgabe, die
oben beschriebene D oppelstruktur politischen Sprechens aufzudecken
und einsichtig zu m achen. Er zeigt dann “ Wie sich der Bürger politische
Ä ußerungen verständlich m achen k an n ” (so der U ntertitel bei H olly);
er b etreibt “ A ufklärung” m it dem Ziel des “sprach-rezeptionskritischen
Bürgers” (so S trauß/Z ifonun, S. 211).
226
Die Inhalte der anvisierten A ufklärung sind in dem Beitrag von S trauß/
Zifonun differenziert als hörerbezogene M aximen der R ezeption politi­
scher Sprache aufgefächert. B etrachtet man diese M aximen genauer, um
herauszufinden, welcher A ufklärung die Bürger nach Meinung der A uto­
ren vor allem bedürftig sind, so erklärt sich nachträglich, w arum die im
“ V orw ort” form ulierte Rahm enfrage keine untersuchungsleitende Wir­
kung entfalten konnte. D en beiden V orträgen liegt näm lich eine ganz
andere Problem form ulierung zugrunde. Die Bürger, die das Aufklärungs­
program m voraussetzt, sind nicht solche, denen die mangelnde G laub­
würdigkeit der Politiker ein Problem ist, sondern um gekehrt gerade sol­
che, die den Ä ußerungen der Politiker unkritisch zuviel V ertrauen en t­
gegenbringen und durch A ufdeckung der Sprachstrategien der Politiker
gew arnt w erden müssen. Es sind Bürger, die die verständigungsorientier­
te Rede n icht nu r norm ativ erw arten, sondern m ehr oder weniger, aber
zu U nrecht beim Politiker sogar faktisch unterstellen und deshalb den
erfolgsorientierten Strategien möglicherweise hilflos ausgesetzt sind. Die
Aufklärung beseitigt den Glaubw ürdigkeitsverlust nicht, sie produziert
ihn — allerdings heilsam, wie die A ufklärer m einen.4
Das Bild des Bürgers, das in diesem A ufklärungskonzept sichtbar wird,
w iderspricht dem , das in der Rahm enfrage angelegt ist. Die These vom
G laubw ürdigkeitsverlust setzt nämlich Bürger voraus, die schon gem erkt
und mißvergnügt zur K enntnis genom m en haben, daß man die Ä ußerun­
gen der Politiker n icht zu ihrem N ennw ert akzeptieren darf. Die offene
Frage ist also, wie die r e a l e n Bürger das sprachliche und kom m uni­
kative V erhalten der Politiker erfahren, ob sie die A ufklärung, die die
Linguisten anbieten, w irklich brauchen oder ob sie die Strategien und
Mechanismen öffentlich-politischer K om m unikation schon selbst durch­
schaut haben und z.T. gerade deshalb m it Resignation oder Ärger reagie­
ren.
Dies in der Rahm enfrage vorauszusetzen und gleich zu fragen, welche
sprachlichen und kom m unikativen Eigenschaften politischer Rede es
denn sind, die für diese W irkungen verantw ortlich sind, war offenbar
voreilig. Diesem Schluß würde verm utlich auch Bergsdorf zustim m en.
Sein V ortrag war zwar ebenfalls engagiert aufklärerisch, doch waren die
A dressaten wohl weniger die Bürger, die in der K onzeption des Vortrags
ohnehin keine prom inente Stelle h atten, sondern die anw esenden Lin­
guisten. Daß er auf Linguisten traf, deren sprachkritisches K onzept die
verm utete Politikerschelte gar nicht vorsah, steh t auf einem anderen
Blatt.
227
Anm erkungen
1
Die Seitenangaben für Z itate aus den Tagungsvorträgen beziehen sich auf
diesen Band.
2
Das, was ich hier und an anderen Stellen neuere Sprachkritik o.ä. nenne,
ist als program m atisches K onzept vor allem von Hans Jürgen Heringer und
Rainer Wimmer entw ickelt w orden. Ihre eigenen A rbeiten und das, was in
ihrem Umkreis entstanden ist, ist in einigen Sam m elveröffentlichungen gut
zugänglich. Siehe vor allem Heringer, Hans Jürgen (Hrsg.) (1982): Holzfeuer
im hölzernen Ofen. A ufsätze zur politischen Sprachkritik. Tübingen 1982
(s. die beiden A ufsätze von Heringer und die Beiträge von Keller, Stötzel
und Wimmer in der letzten A bteilung); ferner das T hem enheft “Sprache
und P olitik” der Zeitschrift “ Sprache und L iteratur in Wissenschaft und
U nterricht” (H. 51, 1983) und die “M itteilungen 10: A spekte der Sprach­
k u ltu r” des Instituts für deutsche Sprache (Mannheim 1984). — Belege für
die behauptete O rientierung der Sprachkritiker am R ezipienten und nicht
am Politiker erspare ich m ir; sie wird in den beiden Tagungsbeiträgen, so
denke ich, hinreichend deutlich.
3
Vgl. etw a Heringers Beitrag “ Norm en? Ja — aber m eine!” in Heringer 1982,
S. 94-108. Die Sorge, eventuell für “ N orm ierer” gehalten zu werden, bringt
sowohl Holly (vgl. S. 1 9 6 ) wie auch Strauß/Z ifonun (vgl. S. 2 11) dazu, sich
ausdrücklich von jenen zu distanzieren. Bei Strauß/Z ifonun wird auch klar
der Zusam m enhang zwischen der K ritik an den Sprachnorm ierern und der
Tendenz der neueren Sprachkritiker, sich am A dressaten zu orientieren,
hergestellt: “ Niem and hat ein Monopol auf den rechten Sprachgebrauch,
niem and auch eines auf die rechte Sprachkultivierung. Sprachkritische Ma­
ximen der R ezeption politischer Rede, wie wir sie vorgeschlagen haben,
haben gegenüber ihren sprecherbezogenen Gegenstücken —etw a ‘Sei vor­
sichtig im Gebrauch von Interpretationsvokabeln’ —den Vorzug, nicht zu
Norm en korrum pierbar zu sein” (S. 221).
Daß sprachkritisch tätige Linguisten so o ft ausdrücklich sagen, daß sie etwas
beschreiben und das beschriebene V erhalten nicht kritisieren, hat seinen
guten Grund. Jeder, der einige Erfahrung m it nicht-linguistischen Adressa­
ten als Hörern linguistischer Vorträge hat, weiß, daß sie die T endenz haben,
die Beschreibung auch als Kritik zu nehm en, und, darauf hingewiesen, daß
das nicht so gem eint sei, m it ungläubigem Staunen zu reagieren: Wie kann
jem and etwas offensichtlich Kritikwürdiges beschreiben und dann sagen,
Kritik läge ihm fern? Ich m uß gestehen, daß m ir das an der “linguistisch
begründeten Sprachkritik” bisher auch unverständlich geblieben ist. Es ist
ihr wesentliches Verdienst, gezeigt zu haben, daß die “ N orm ierer” zu Un­
recht in Anspruch nehm en, andere und bessere Kriterien zur Kritik sprach­
lichen V erhaltens zu haben als die anderen Sprachteilnehm er, und daß auch
Linguisten nur für die Beschreibung, nicht aber für die Bewertung des
Sprachgebrauchs ihre fachspezifische K om petenz ins Feld führen können.
Schwerveiständlich ist aber, w arum die Linguisten als einzige darauf ver­
zichten sollen, das zu tu n , was alle tu n , nämlich die Maximen der kom m u­
nikativen E thik (die dieselben Linguisten als allgemein geltende und der
K om m unikation im m anente norm ative Grundlage beschrieben haben) m it
den oder auch für die Mitglieder der Kom m unikationsgem einschaft dort,
wo sie verletzt werden, auch kritisch einzuklagen. Der Verzicht darauf ist
228
den Adressaten der sprachkritischen Bemühungen, so fürchte ich, kaum be­
greiflich zu m achen. Es schützt, so mein unliebsam er Verdacht, nur vor
dem wissenschaftlichen Kollegen, der W erturteile in wissenschaftlichen Ver­
öffentlichungen auch dann nicht akzeptiert, w enn sie ausdrücklich als sol­
che form uliert sind und ihre Grundlage explizit angegeben ist.
4
Kaum vorstellen kann ich mir, daß die also A ufgeklärten fortan weniger
resignativ, verdrossen und müde den Politikern lauschen werden. Sie dürften
eher geneigt sein, die politische Fernsehsendung endgültig abzuschalten, da
der Gewinn an rezeptionskritischer K om petenz in der m assenmedialen Kom­
m unikation ja kaum eine Chance hat, produktiv zu werden. Denkbar ist,
daß sie in ihren eigenen Lebens- und A rbeitszusam m enhängen, und das
kann natürlich auch einmal eine W ahlveranstaltung sein, überall da, wo die
Partizipation nicht nur auf Rezeption beschränkt ist, die erkannten Strate­
gien auch zu ihrem eigenen N utzen effektiver einsetzen werden.
229
HUGO STE G ER /R A IN ER WIMMER
Kurzbericht über die Podiumsdiskussion “ Sprachglossen in
Zeitungen und Zeitschriften”
A m N achm ittag des 15.3.1984 fand eine Podium sdiskussion m it Ver­
fassern von Sprachglossen in Zeitungen und Z eitschriften statt. T eilneh­
mer waren K urt H onolka (S tuttgart), R udolf W alter L eonhardt (Hamburg)
und Wolf Schneider (Hamburg). Die Diskussion w urde koordiniert von
Hugo Steger (Freiburg).
Der K oordinator schlug für die Diskussion u.a. die folgenden T hem en­
kom plexe vor:
— Welche Vorstellungen von S prachkultur haben Glossenschreiber?
A uf welche Teilbereiche von Sprache und auf welche sprachlichen
Phänom ene richten sie ihr A ugenmerk? Welche Motive bewegen sie
zur Sprachkritik und zu Verbesserungsvorschlägen für den Sprachge­
brauch?
— In w elcher Rolle sieht sich der Publizist, w enn er Sprachglossen ver­
faßt? Welche Ziele und A ufgaben verfolgt er, wenn er sich kritisch
analysierend und w ertend der Sprache zuw endet?
— R ichtet sich die A ufm erksam keit der G lossenschreiber n ich t m ehr
auf das Sprachverhalten bestim m ter Sprecher und Sprechergruppen
als auf d i e Sprache?
— Welches sind die G rundlagen der U rteile des Sprachglossators? Wie
begründet er seine U rteile und Vorschläge? An welchen N orm en
orientiert er sich?
— Was erbringt die Sprachw issenschaft für die Glossenschreiber? O rien­
tieren sie sich an sprachwissenschaftlichen Forschungsergebnissen
und Erkenntnissen? Sehen sie sich u n te rstü tzt durch die A rbeit der
Sprachw issenschaftler?
Die V orgaben zielten darauf ab, einerseits die Sprachglossatoren zu
S tatem ents und zu einem Gespräch untereinander anzuregen, anderer­
seits das fachkundige Publikum auf einige Fragestellungen für die allge­
meine Diskussion hinzuweisen.
Wie aufgrund der einschlägigen P ublikationen der beteiligten Sprach­
glossatoren zu erw arten (z.B. R.W. L eonhardt: “ A uf gut deutsch gesagt.
Ein Sprachbrevier für F ortgeschrittene” , Berlin 1983; W. Schneider:
“ D eutsch für Profis. H andbuch der Journalistensprache — wie sie ist
230
und wie sie sein k ö n n te ” , 3. Aufl. Ham burg 1982), boten die Statem ents
der Podium sdiskutanten zu den oben angesprochenen T hem en und F ra­
gen kein einheitliches Bild. Bezüglich der allgemeinen A ufgaben und
Ziele von Sprachkritik sowie bezüglich der gegenüber sprachlichen N or­
m en — von wem im m er sie aufgestellt und vertreten w erden — einzuneh­
m enden Haltung gingen die M einungen deutlich auseinander. Während
K urt H onolka die A uffassung vertrat, der G lossenschreiber solle vor
allem zum N achdenken und A rgum entieren anregen, sahen seine M it­
diskutanten ihre Rolle eher als Bewahrer u nd Verteidiger von Norm en.
Eine besonders rigide und kom prom ißlose Einstellung zu N orm ierungs­
fragen dem onstrierte Wolf Schneider, für den Sprache, Sprecher und
Sprachgebrauch “ G egenstände” sind, die m an vor allem einmal au f V or­
derm ann bringen m uß. Der Vergleich m it m ilitärischen Ordnungsvorstel­
lungen drängte sich geradezu auf.
Eine ganze Palette von sprachlichen Phänom enen, die die Glossenschrei­
ber kritisch unter die Lupe zu nehm en pflegen, w urde angesprochen,
d aru n ter bestim m te Erscheinungen der Behördensprache und des Sprach­
gebrauchs in der Politik, m anipulativer Sprachgebrauch in der Politik
und in der Werbung, Beschönigungen und Ü bertreibungen in der sog.
Alltagssprache und last b u t n o t least —gerade vor diesem Publikum —
Jargonism en, Im poniergehabe und Ü berterm inologisierungen in verschie­
denen W issenschaftssprachen. Einige K riterien bzw. M aßstäbe für die
Beurteilung des jeweiligen Sprachgebrauchs konnten als un u m stritten
gelten, so: K larheit, V erständlichkeit, G enauigkeit und Einfachheit.
Wenn es allerdings darum ging, zu sagen, was u n te r diesen Ausdrücken
jeweils im einzelnen und präzis zu verstehen sei, gingen die Meinungen
w eit auseinander. Besonders schwierige Bestim m ungen w urden m it ins
Spiel gebracht, etw a: S chönheit, A däquatheit, Sinn, logische Ordnung,
Konsequenz, Eleganz. Die U nsicherheiten in der Begründung und plau­
siblen D arstellung von B ew ertungskriterien traten bei der Diskussion
einzelner Beispiele deutlich zutage. Beispielsweise klassifizierte Wolf
Schneider den A usdruck w eite Kreise der Bevölkerung als eine sprach­
liche Blähung und forderte seine Ersetzung durch viele Leute. Es liegt
auf der H and, daß ein bew ertender A usdruck wie sprachliche Blähung
nicht ohne w eiteres u n te r einer wissenschaftlichen O rientierung, aber
w ohl auch nicht u n te r praktischen G esichtspunkten gerechtfertigt wer­
den kann.
Die Diskussion zwischen den Sprachw issenschaftlern im Publikum und
den Sprachglossatoren auf dem Podium konzentrierte sich au f Fragen
der Beurteilungsgrundlagen für sprachliche Phänom ene und auf Fragen
des Zusam m enhangs zwischen Theorie und Praxis. Zum letzteren P unkt
231
h atten die Glossenschreiber den Fachw issenschaftlern Theorielastigkeit
und Praxisferne vorzuw erfen: Tatsache ist nun einmal, daß die massen­
medial verbreiteten Sprachglossen nicht von Sprachw issenschaftlern ver­
faßt w erden; und dieses F aktum hängt sicher auch dam it zusam m en, daß
es Sprachw issenschaftler in der V ergangenheit vernachlässigt haben, ihre
Erkenntnisse in angemessener Weise in relevante Praxisbereiche zu ver­
m itteln. A uf der anderen Seite h atten die Sprachw issenschaftler zur
Frage der Beurteilungsgrundlagen sicher m it R echt ihren P unkt zu m a­
chen, daß nämlich ein vertretbar reflektierter Sprachgebrauch nicht zu­
stande kom m en kann, ohne daß man sich der Erkenntnisse der neueren
Sprachw issenschaft versichert. Zwischen den beiden zum Teil k o n tro ­
vers und sehr em otional diskutierten Positionen konnte w ährend der
V eranstaltung nicht letztlich im Hinblick auf gemeinsame Feststellun­
gen verm ittelt w erden. Es blieb auf beiden Seiten der Appell, daß man
noch viel voneinander lernen müsse.
232
Das Institut für deutsche Sprache im Jahre 1984
0. Inhaltsübersicht
1. Allgemeines
2. A rbeiten der Abteilungen
2.1. G ram m atik und Lexik
2.2. Sprache und Gesellschaft
2.3. W issenschaftliche Dienste
3. Tagungen, K olloquien und Vorträge externer W issenschaftler
4. K ontakte zu anderen Institutionen; Lehraufträge, Vorträge außerhalb des
Instituts
5. Studienaufenthalte und Besuche in- und ausländischer W issenschaftler am IdS
6. Gastwissenschaftler am In stitu t für deutsche Sprache
7. Gremien und M itarbeiter des Instituts für deutsche Sprache
8. Besondere N achrichten
9. Personalstärke, A nschriften, finanzielle Angaben
10. V eröffentlichungen des Instituts für deutsche Sprache
1. Allgemeines
Der Jahresbericht inform iert in knapper F orm über die A rbeit des Insti­
tu ts im Berichtsjahr. Die A bteilung “ G ram m atik und L exik” bildet die
größte Forschungsabteilung des Instituts. Sie konzentriert ihre A rbeiten
auf zwei Projekte: eine G ram m atik des heutigen D eutsch und ein H and­
buch (W örterbuch) der schweren W örter, d.h. der schwer verständlichen
W örter. — Die zw eite Forschungsabteilung “ Sprache und G esellschaft”
ko nzentriert ihre A rbeiten auf ein größeres Projekt “ K om m unikation
in der S ta d t” und ein kleineres zu dem K om m unikationstyp “ Schlich­
tu n g ” . In beiden Projekten geht es um den engen Zusam m enhang zwi­
schen Sprache und gesellschaftlichem Leben. — Die A bteilung “Wissen­
schaftliche D ienste” u n te rstü tzt m it der Bereitstellung und Pflege von
T ex tkorpora und m it D okum entationen die Forschungen des Instituts.
Sie leistet Service auch nach außen, b etre u t Gäste und organisiert Ta­
gungen. Zu ihr gehört die B ibliothek des Instituts.
Der Bericht inform iert ferner über Tagungen und V orträge am Institut,
über die Lehr- und V ortragstätigkeit von IdS-M itarbeitern, über die
A u ß enkontakte des Instituts, über die Zusam m ensetzung von Gremien,
über den H aushalt und last b u t n o t least über die V eröffentlichungen.
Im Berichtsjahr haben die Zuw endungsgeber des Institu ts (Bund und
Land) im R ahm en des Konsolidierungsplans für das IdS eine Personal­
verstärkung im w issenschaftlichen Bereich erm öglicht. Die V erstärkung
233
kam der A bteilung “ G ram m atik und L exik” (hier: den Projekten ‘G ram ­
m atik ’ und ‘H andbuch der schweren W örter’), der A bteilung “ Sprache
und G esellschaft” (hier.- dem Projekt ‘Schlichtung’) und der A bteilung
“W issenschaftliche D ienste” (hier: dem Projekt ‘Lexikographische Da­
te n b an k ’) zugute.
2. A rbeiten der A bteilungen
2.1. A bteilung G ram m atik und Lexik
Leitung: Wolfgang M entrup (ab 31.8.1984 beurlaubt)
Alan Kirkness (ab 31.8.1984 kommissarisch)
2.1.1. G ram m atik des heutigen D eutsch
M itarbeiter: Joachim Ballweg, Ulrich Engel, H elm ut Frosch,
Brigitte H ilgendorf, Ursula Hoberg (ab 1.10.84 beurlaubt), Bruno
Strecker (seit 15.11.1984), Klaus Vorderw ülbecke, Gisela Zifonun
K oordination: Gisela Zifonun
Die A rbeit der A rbeitsgruppe G ram m atik w urde im Berichtsjahr durch
die Vorlage von Skizzen und A rbeitspapieren zu verschiedenen Bereichen
der G ram m atik fortgesetzt. Allerdings waren drei M itarbeiter w eiterhin
m it dem A bschluß kontrastiver A rbeiten bzw. der Erstellung einer Biblio­
graphie zur G ram m atikforschung beschäftigt.
Zu folgenden Bereichen w urden Skizzen bzw . A rbeitspapiere vorgelegt:
zur D efinition des A rbeitsbegriffs ‘kom m unikativer M inim alausdruck’
(‘KOMA’), zur kom m unikativ-pragm atischen K om ponente der G ram m a­
tik, zum V erhältnis von KOMA-Typik und S prechakttypik, zum Tem ­
pussystem des D eutschen sowie zu M odalangaben beim Verb. Zentraler
Gegenstand der G ruppenarbeit war der E ntw urf eines R ohkonzepts für
die G esam tgram m atik in Form einer kom m entierten Gliederung.
Nach A bschluß ausstehender Skizzen zu den Bereichen ‘V erhältnis von
linearer und abstrakter/vorlinearer gram m atischer S tru k tu r’, ‘A pposi­
tio n ’ und ‘Interaktion von T em pora und V erbklassen’ bis Ende 1984
und der A usw ertung der vorgelegten vorbereitenden A rbeiten für die
Präzisierung des G esam tkonzepts wird zu Beginn des Jahres 1985 ein
detaillierter A rbeitsplan für die G ram m atik erstellt.
234
2.1.2. W ortbildung (A ußenstelle Innsbruck)
M itarbeiter: Elsbeth Gassner-Koch, Eigin Müller-Bollhagen,
Lorelies O rtner
Leitung: Lorelies O rtner
Die M itglieder der G ruppe setzten die U ntersuchung der SubstantivK om posita und der Partizipialbildungen fort. Von Eigin Müller-Bollhagen
und Lorelies O rtner liegen M anuskripte zu S ubtypen folgender Klassen
vor: “ partitiv/soziativ” (z.B. Kinderhand; A rztg a ttin ), “ possessorisch/
benefaktiv” (z.B. F am ilienschm uck; Kinderkleid; Lehrergehalt), “ornativ/qualitativ” (z.B. H en kelko rb ; W ertschm uck), “existen tial” (z.B.
Vulkangebiet; Beerenzeit) und “ faktiv/aktional” (z.B. B ohrm aschine;
Tanzlokal; Tanzabend; — Kohlenschaufel; G olfplatz, Ballnacht). Hanspeter O rtner hat als freier M itarbeiter m it der U ntersuchung der K om po­
sita aus A djektiv+Substantiv begonnen. Elsbeth Gassner-Koch schloß
die Beschreibung der Bildungen m it Partizip I als B-K onstituente (z.B.
gefahrdrohend, gew innbringend, helleuchtend) ab. Im Bereich der Partizip-II-Bildungen beschrieb sie den T yp “ m odifikativ” (z.B. gutbezahlt).
Weitere T ypen w urden beschreibungsfertig sortiert (“ kausal/auktorial” ,
z.B. windbeschädigt; “ instrum ental” , z.B. handbetrieben). — In engem
K o n takt zur Forschungsgruppe bearbeitete Professor Dr. Hans Wellmann
(Augsburg) D etailproblem e der M orphologie von K om posita.
2.1.3. D eutsch-serbokroatische kontrastive G ram m atik
Leitung: Ulrich Engel zusam m en m it jugoslaw ischen G erm anisten
Die letzten, zum Teil um fangreichen K orrekturvorschläge der jugosla­
wischen M itarbeiter w urden eingearbeitet, der G esam ttext w urde weiter
hom ogenisiert. Im S eptem ber 1984 war die DSKKG abgeschlossen. Sie
w urde Anfang Novem ber auf dem jugoslaw isch-deutschen G erm anisten­
treffen in D ubrovnik vorgestellt.
Das gesamte Werk um faß t nun etwas über 1.800 Schreibm aschinenseiten
und b esteht aus 18 Teilen, die sich in die drei G roßabschnitte W örter
und Phrasen — Sätze - T ex tstru k tu ren zusam m enfassen lassen. Es soll
1985 veröffentlicht w erden.
2.1.4. D eutsch-rum änische kontrastive G ram m atik
Leitung: Ulrich Engel und Professor Mihai Isbä^escu, Bukarest
A uf G rund der V orarbeiten von Frau Dr. Stänescu und anderen M itar­
beitern w urde im Frühjahr 1984 die Endfassung dieser G ram m atik in
Angriff genom m en. Der Teil “ S atz” ist im w esentlichen geschrieben.
235
Für die m eisten übrigen Teile w urden von rum änischen G erm anisten,
u.a. von Dr. G erhard K onnerth, eingehende Ü berarbeitungen vorgenom ­
men. Der Teil ‘P ronom en’ w urde völlig neu erstellt.
Alle fertigen Teile und A bschnitte w urden von Professor Dr. Mihai
Isbljescu, der sich seit H erbst 1984 in der Bundesrepublik aufhält, kri­
tisch durchgesehen und gingen dann zur w eiteren Ü berarbeitung an
Frau Dr. Speranta Stanescu. H err IsbXjescu wird sich auch an der E nd­
k o rrek tu r beteiligen. Der A bschluß der M anuskripterstellung ist für Som ­
m er 1985 vorgesehen.
2.1.5. Deutsch-spanische kontrastive G ram m atik
Die V orarbeiten zu dieser G ram m atik w urden von einer A rbeitsgruppe
im In stitu t geleistet. Seit der finanziell bedingten A uflösung der Projekt­
gruppe sind die beiden externen P rojektleiter Prof. Dr. Nelson Cartagena
(Heidelberg) und Prof. Dr. Hans-Martin Gauger (Freiburg i.Br.) m it der Be­
arbeitung des um fangreichen G esam tw erks befaßt. Im Berichtsjahr w ur­
den die noch ausstehenden A rbeiten an dem semasiologischen (ausdrucks­
bezogenen) H auptteil w eitgehend abgeschlossen. Mit der A bstim m ung
dieses Teils m it dem als M anuskript vorliegenden onom asiologischen
(bedeutungsbezogenen) H auptteil w urde begonnen. Die redaktionellen
A rbeiten bis zur Vorlage des druckfertigen G esam tm anuskripts w erden
sich bis in das Folgejahr erstrecken.
2.1.6. D eutsch-japanische kontrastive G ram m atik
A uch zu diesem V orhaben besteht wegen des A uslaufens der Projekt­
m ittel seit 1980 im In stitu t keine A rbeitsgruppe mehr. Die bei Projekt­
ende vorliegenden, z.T. sehr um fangreichen M anuskripte w erden seit­
dem für die V eröffentlichung in der vierbändigen Ergebnisreihe “ D eutsch
und Japanisch im K o n trast” (Julius G roos Verlag, Heidelberg) bearbeitet.
V on dieser Reihe liegen inzwischen zwei Bände vor:
Bd. 1: Schrift — L autstru k tu ren — W ortbildung.
Bd. 2: J. Rickm eyer, M orphosyntax der japanischen Gegenwartssprache.
W ährend des Berichtsjahrs waren G erhard Stickel und Klaus Vorderwülbecke (beide IdS) und Prof. T ohru K aneko (Chiba, Japan) m it der R e­
daktion und der zum Teil sehr aufw endigen U m arbeitung der für Bd. 3
und Bd. 4 vorgesehenen Beiträge befaßt. Bd. 3 enthält einen A briß der
M orphosyntax des D eutschen und einen Vergleich der m orphosyntaktischen H auptm erkm ale des D eutschen und Japanischen. Bd. 4 en th ält
236
eine Reihe von kontrastiven E inzeluntersuchungen zu ausgewählten
T eilbereichen beider Sprachen. Die Bearbeitung dieser beiden Bände
kon n te bis zum Jahresende nicht abgeschlossen w erden. Vorgesehen ist,
die druckfertigen M anuskripte im Frühjahr 1985 in Druck zu geben.
2.1.7. H andbuch der schweren W örter
M itarbeiter: Ulrike Haß (seit 1.10.1984), M anfred W. Hellmann,
Gabriele H oppe, Michael Kinne, Alan Kirkness, M onika Kolven­
bach, E lisabeth Link, Isolde N ortm eyer, G ünter D. Schm idt,
H elm ut Schum acher, G erhard Strauß
Leitung: Wolfgang M entrup
(1) Spezialuntersuchungen
Die von Brigitte H ilgendorf zusam m engestellte Bibliographie deutscher
Lexika, Enzyklopädien und Fachw örterbücher um faßt über 16.000 Ti­
tel, die in den C om puter eingespeichert und w eitgehend korrigiert sind.
Noch ausstehende A rbeitsschritte sind: A ktualisierung der Bibliographie,
Registererstellung und Auswahl der T itel für die Buchveröffentlichung.
Für die A ufbereitung der Klein-Corpora w urde in Zusam m enarbeit m it
der WD die für die im IdS vorhandenen C orpora bestehende “M annhei­
m er K onvention” den spezifischen Bedürfnissen angepaßt. Um bei der
Ü bernahm e externer S etzbänder unterschiedlichster A rt zur Auffüllung
dieser Corpora das M annheim er K onzept der “ satzzerlegten T ex te” auf­
rechterhalten zu können, w urden von M onika K olvenbach die K riterien
für die Behandlung der Satzzeichen und für die E rkennung von Satzen­
den und -aniängen in eine program m ierfähige Form gebracht.
A n einer auf D atenträger aufgenom m enen Testm enge von W örterbuch­
artikeln des “ G roßen W örterbuchs der deutschen S prache” (Duden)
w urden von M onika Kolvenbach verschiedene Ausw ertungsm öglichkei­
ten, die besonders die A ngaben zur Etym ologie, Stilebene und Fachspra­
chenspezifizierung sowie das Beschreibungsvokabular betreffen, geprüft
und in eine program m ierfähige Form gebracht. Die Program m ierung
w urde von der A rbeitsstelle LDV durchgeführt.
Michael Kinne führte die A usw ertung von Sprachglossen w eiter. Diese
erstreckt sich auf ausgewählte journalistische sprachreflektorische Bei­
träge aus vier Jahrgängen (1979-1982) allgem einer Zeitungen. Die aus­
gew erteten Beiträge befassen sich ausschließlich m it Fragen der Lexik.
Im Z entrum der U ntersuchung stehen die Fragen, welche W ortschatzele­
m ente in diesen Glossen aufgerufen (alphabetische A uflistung), in welchen
237
Problem zusam m enhängen (wie z.B. W ortbedeutung, W ortbildung,
Frem dw ortgebrauch, Neologismus) sie behandelt w erden und welchem
Sprach(sub)system (wie Allgemeinsprache, Fach- oder Sondersprache)
oder welchem Sachbereich (wie z.B. Politik, Verw altung, W irtschaft,
K ultur, Bildungssprache) sie zugeordnet w erden können. Die entspre­
chenden D aten w urden auf K arteikarten (je Einzelw ort) erfaßt, die die
Grundlage zur Erstellung von verschiedenen (jeweils inhaltlich orientier­
ten, in der Regel alphabetisch sortierten) W ortlisten bilden. E rfaßt w ur­
den daneben auch die in den Beiträgen behandelten Phraseologismen
und Okkasionalismen.
(2) Die beiden Teilvorhaben: Politisch-ideologischer W ortschatz/
Fachexterne K om m unikation — Lehn-W ortbildung
G erhard Strauß erstellte im Berichtszeitraum u.a. eine m ehrfach klassi­
fizierte Liste von W örtern des politisch-sozialen W ortschatzes als Teil
des L em m abestandes des H andbuchs. U nterschieden w erden zunächst
Basis- und Sublem m ata (A bleitungen und Zusam m ensetzungen), die
darüber hinaus nach folgenden Eigenschaften bzw. F unktionen m arkiert
sind: 1. als geschichtliche G rundbegriffe, 2. als zur N S-typischen Lexik
und 3. als zum DDR-spezifischen W ortschatz gehörende W örter, 4. als
Miranda- und Form ula-Ausdrücke (bzw. als Leit-, Fahnen-, Stigm awör­
ter), 5. (teilweise) als jeweils spezifische R epräsentanten bestim m ter T y­
pen schwerer (d.h. z.B. system transzendenter oder subsystem im m anen­
ter) W örter, 6. als Elem ente bestim m ter politisch-ideologischer Paradig­
men oder Teilfelder, 7. als E lem ente sachlich-them atisch vorgegebener
Handlungs- und Funktionszusam m enhänge usw. A uf dieser Basis werden
derzeit A rtikeltypen relativ zu den entsprechend unterschiedlichen Lem­
m atypen entw ickelt, die als Beschreibungsm uster der Abfassung von
H andbuchartikeln zugrunde gelegt w erden können. Dabei w erden diese
M uster auch auf ihre Eignung für die lexikographische Beschreibung von
W örtern anderer W ortschatzbereiche hin getestet.
Wolfgang M entrup führte seine A rbeit zu einer “ Pragm atik der Lexiko­
graphie — Am Beispiel fachexterner A nw eisungstexte” (insbesondere
am Beispiel Packungsbeilagen von M edikam enten) w eiter. A ufbauend
auf K apitel 1 “ Von Prinzipien der Sprachforschung zu Prinzipien der
L exikographie” (als Rahm en) und Kapitel 2 “ F achexterne Anweisungs­
handlungen: ‘Bedienungsanleitung/Packungsbeilage’” (Handlungsaus­
schnitt) ging es in Kapitel 3 darum , vorliegende Vorschläge zur “ hori­
zontalen” und “vertikalen” Gliederung des Bereichs der Medizin, das
Verhältnis der V orstellung von Sprachsystem -bezogenem W ortschatz
und Sprachverkehrs-bezogenen V okabularen von T exten in K om m uni­
238
kation zu erörtern sowie u n te r Berücksichtigung struktureller und funk­
tionaler A spekte das W örter-Inventar für die lexikographische Beschrei­
bung in m ehrfacher H insicht zu klassifizieren. Insbesondere w urde da­
bei versucht, die Frage nach den sachgesteuerten A nsätzen der Bezeich­
nung und Beschreibung m edizinischer Phänom ene sow ohl in der m edi­
zinischen L iteratur als auch in G esprächen zwischen A rzt und Patient
zu beantw orten (Sprachausschnitt). In Kapitel 4 w erden im Sinne einer
einholenden N utzanw endung das Kleincorpus ‘Packungsbeilagen’ u n ter
Einbezug ‘M edizinischer A ufklärungsartikel’ zusam m engestellt und Vor­
schläge zur lexikographischen Beschreibung ihres V okabulars (W örter­
buchausschnitt) entw ickelt.
Im Zusam m enhang dam it w urden in verschiedenen A ufsätzen die Be­
schreibung fachspezifischer A usdrücke wie Ödem, D iuretikum und Na­
trium in vorhandenen W örterbüchern untersucht, ausgehend von H.
Pauls “ D eutschem W örterbuch” ein T eilw ortschatz und bezogen auf
den Einsatz von T exten im D eutschunterricht das V okabular eines m e­
dizinischen T extes klassifiziert, die insbesondere von H.E. Wiegand in
die Diskussion eingebrachte Vorstellung von W örterbuchbenutzungssi­
tu atio nen kritisch geprüft sowie in einem A rbeitspapier das Them a
“ G ram m atik in W örterbüchern” ausführlich behandelt.
M onika Kolvenbach setzte die A rbeit an den Form ularen fort. Als Ein­
stieg w urde der Bereich ‘S teu er’ gew ählt; zahlreiche A ufsätze aus p o p u ­
lärw issenschaftlichen und Fachzeitschriften w urden bibliographisch er­
faß t und teilweise maschinell ausgew ertet. Eine erste system atische Be­
handlung des M orphem s pausch in seinen relevanten Z usam m ensetzun­
gen w urde abgeschlossen. A n diesem Beispiel w urden verschiedene Ver­
fahren erprobt, so etw a die maschinelle A usw ertung der T exte, die A n­
wendung der W -Ketten und w eiterer Beschreibungsmodelle, und zwar
sow ohl auf der M orphem- als auch auf der W ortebene.
V on den M itarbeitern des Teilvorhabens “ Lehn-W ortbildung” , d.h. von
Gabriele H oppe, Alan Kirkness (L eiter der G ruppe), Elisabeth Link,
Isolde N ortm eyer und G ünter D. Schm idt, w urde die A ufbereitung
der einschlägigen S ekundärliteratur vorläufig abgeschlossen, verschiede­
ne begriffliche und m ethodische A nsätze zusam m engestellt, neue th e o ­
retische G esichtspunkte entw ickelt und au f ihre V erw endbarkeit für ein
dem Phänom en ‘Lehn-W ortbildung’ adäquates Beschreibungsmodell
überprüft. Vorschläge zur problem orientierten Beschreibung von Lehnk o n stituenten wie anti-, bio-, -itis, meta-, therm , path w erden erarbeitet.
Das Basismaterial w urde system atisch ergänzt, die Feinsortierung der
Baslerschen Belegsammlung m it dem Buchstaben P fortgesetzt.
239
Die A useinandersetzung insbesondere m it Fragen der Frem dw örter,
speziell der L ehnw ortbildungsprodukte, u n te r dem G esichtspunkt der
‘S chw ere’ der W örter w urde w eitergeführt, ln diesem Zusam menhang
arbeitete Prof. Dr. Wolfgang R ettig (Düsseldorf) als Gastwissenschaftler
am Projekt m it und beschäftigte sich m it der Frage: “ K önnen ‘schwere
W örter’ durch M otivierung leichter w erden?” .
(3) R ahm enpapier
A uf der G rundlage der z.T. in kom prim ierten A rbeitspapieren zusam ­
m engefaßten Ergebnisse der u n te r (1) und (2) beschriebenen U ntersu­
chungen w urde m it der gruppeninternen Diskussion in R ichtung auf
ein R ahm enpapier für das H andbuch hin und dam it m it dessen E rstel­
lung begonnen.
2.1.8. D eutsches F rem dw örterbuch
Erschienen ist als erste Lieferung des siebten und letzten Bandes das Ge­
sam tquellenverzeichnis. Das Erscheinen der system atischen W ortregister
verzögerte sich wegen einer notw endig gew ordenen E ndredaktion und
nochm aligen K orrektur. Die Bearbeitung des N achw orts w urde abge­
schlossen. Das F rem dw örterbuch wird m it dem Erscheinen der letzten
Lieferung spätestens Anfang 1985 abgeschlossen sein.
2.1.9. Ost-West-Wortschatz
Die überarbeiteten T exte des Bonner Z eitungskorpus (DIE WELT und
NEUES DEUTSCHLAND) w urden maschinell zu K lartexten, Indices,
Registern und K onkordanzen verarbeitet und in der Reihe ‘Regensbur­
ger M icrofiche M aterialien’ veröffentlicht.
Die vorhandenen, lexikographisch schon bearbeiteten D atenbestände
des Bonner ‘M aschinellen K orpusw örterbuchs’ w urden in neue, für die
interaktive Bearbeitung besser geeignete S trukturen überführt und teil­
weise m anuell überarbeitet. Die A rbeiten w erden fortgesetzt. Über Ver­
fahren und Zielvorstellungen gibt der 1984 erschienene Band 48 der
Forschungsberichte des IdS A uskunft.
2.1.10. Verbvalenz
Die von H elm ut Schum acher vorgenom m ene Ü berarbeitung und Ergän­
zung der M anuskriptteile des sem antisch orientierten Verb Wörterbuchs
240
w urde weitgehend abgeschlossen. Das W örterbuch um faß t über 400 Wör­
terbuchartikel zu V erben aus folgenden Bereichen: 1. V erben der allge­
m einen Existenz, 2. V erben der speziellen Existenz, 3. V erben der Dif­
ferenz, 4. Verben der R elation und des geistigen Handelns, 5. Verben,
die den Handlungsspielraum von Personen betreffen, 6. V erben des
sprachlichen A usdrucks, 7. V erben der vitalen Bedürfnisse. Etwa 400
w eitere Verben aus den genannten M akrofeldern sind m it K urzbeschrei­
bungen in den V orspanntexten berücksichtigt. Das W örterbuch geht
1985 in den Satz.
2.2. A bteilung Sprache und Gesellschaft
Leitung: W erner Kallmeyer
2.2.1. Beratungsgespräche — Analyse asym m etrischer Dialoge
M itarbeiter: Franz-Josef Berens, W erner N o th d u rft, Ulrich
Reitem eier, Peter Schröder
Leitung: W erner Kallmeyer
Im Berichtsjahr w urden noch A bschlußarbeiten an einigen M anuskrip­
ten und Publikationsvorbereitungen durchgeführt.
Sukzessive w erden publiziert:
— D arstellungen zu verschiedenen konstitutiven A spekten von Bera­
tungsgesprächen; erschienen ist 1984: W erner N o th d u rft, “ ... äh —
folgendes problem — ä h ” . Die interaktive A usarbeitung “ des Pro­
blem s” in Beratungsgesprächen (Forschungsberichte 57 des Id S );
— eine D arstellung zur B eratungstypologie;
— ein T extband m it einer Auswahl von T ranskriptionen von Beratungs­
gesprächen (im D ruck).
2.2.2. Schlichtung — Gesprächs- und Interaktionsanalyse eines V erfah­
rens zur Lösung sozialer K onflikte
M itarbeiter: Wolfgang Klein (seit 15.12.1984), Werner N othdurft,
Ulrich Reitem eier, Peter Schröder
K oordination: W erner N othdurft
Das Projekt läuft seit M itte 1983; vorgesehen ist eine Laufzeit bis Ende
1986. Die Finanzierung w urde 1983-84 von der DFG m itgetragen (SP
“Verbale In terak tio n ” ).
Ziele des Projekts sind:
— Schlichtung als ein kom plexes Handlungs- und T extm u ster darzustel­
len (ko-situative M erkmale);
241
— charakteristische A usprägungen und V arianten dieses M usters in ih­
rem Zusam m enhang m it institutioneilen Bedingungen zu bestim m en
(V ariation);
— Schlichtung m it anderen K om m unikationstypen, wie z.B. Beraten,
hinsichtlich H andlungsm uster, interaktiven A nforderungen und der
Stellung in der O rganisation unseres sozialen Lebens zu vergleichen
(Typologie).
Datengrundlage der P rojektarbeit ist ein K orpus von Schlichtungsgesprä­
chen aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen; z.B. Vergleichsverhandlungen im vorgerichtlichen Bereich, Schiedsm annsgespräche, Schlich­
tungs-Prozesse in fam ilientherapeutischen G esprächen, Streit-Schlich­
tungen in fam ilialer Interaktion.
Die bisherige A rbeit konzentrierte sich auf die Erstellung des Korpus,
die Entw icklung konzeptueller und m ethodischer A nalyseinstrum ente
und fallbezogene Verlaufsanalysen. A uf der Grundlage dieser A rbeit
sind für 1985 system atische U ntersuchungen zu einzelnen H andlungs­
kom ponenten von Schlichtung (z.B. K onfliktaushandlung, Vorschlags­
entw icklung) und zu allgemeinen M erkmalen (z.B. die Rolle von N eutra­
lität des Schlichters) vorgesehen. A ußerdem sollen ethnographische
Beobachtungen in verschiedenen Schlichtungs-Institutionen durchgeführt
werden, um die gesprächsanalytischen Ergebnisse m it anderen D aten zu
vergleichen und abzusichern.
2.2.3. K om m unikation in der Stadt
M itarbeiter: Karl-Heinz Bausch, Inken Keim, Pantelis N ikitopoulos,
Johannes Schw italla
Leitung: W erner Kallmeyer
Ziel des Projekts ist die Beschreibung des Zusam m enhangs von Sprache
und lokaler K ultur im städtischen Lebensraum am Beispiel Mannheims.
U ntersucht w erden die Beziehungen zwischen
— der V erw endung von verschiedenen Sprachen, sprachlichen V arianten
(Standarddeutsch, S tad tm u n d art, A usländersprachen, Fach- und Son­
dersprachen usw.), spezifischen Ausdrucksw eisen und K om m unika­
tionsform en (Gruß- und K ontaktverhalten, Form en der Selbstdarstel­
lung usw.),
— charakteristischen K om m unikationsstrukturen im Lebens- und Er­
fahrungsbereich der S tadtbew ohner (Typen von S ituationen und Kom­
m unikationsereignissen, K om m unikationsnetze usw.),
242
— O rganisationsform en des sozialen Lebens (Fam ilienstrukturen, Nach­
barschaften, V ereinsleben, A rbeitsw elt usw.) und
— der sozialen Id en tität der S tadtbew ohner und der Rolle der O rtsbin­
dung für sie.
Im Ja h r 1984 w urden die ethnographischen Panoram en der Stadtteile
Vogelstang, N eckarau und Sandhofen w eitgehend fertiggestellt. Die
A rbeiten an den S tadtteilethnographien sollen im Frühjahr 1985 abge­
schlossen w erden. D am it ist die erste Phase des Projekts abgeschlossen.
In Ü berschneidung dam it begannen die ersten V ersuche ethnographischer
Gesprächsanalyse an aufgezeichneten G esprächen von G ruppen aus den
einzelnen S tadtteilen.
Diese U ntersuchungen gehören zur zw eiten Projektphase, der Analyse
ausgewählter sozialer Welten, die in “ P o rträts” dargestellt w erden sollen.
Die Diskussionen zur Entw icklung eines Program m s einer ethnographi­
schen G esprächsanalyse betrafen Fragen wie: Beschreibungskategorien
für H andlungsm uster und T extsorten, für stilistische V ariation und
sprachliche Schichtung, für die R elationen zwischen dem Vollzug sprach­
licher A kte und den übergreifenden, sozialen und lebensgeschichtlichen
Zusam m enhängen, die erst aufgrund des ethnographischen Wissens in­
terp retiert w erden können.
2.2.4. Bibliographische Recherchen
Im Berichtsjahr w urde eine kom m entierte Bibliographie zur juristischen
K om m unikation abgeschlossen (erscheint 1985 in den Forschungsberich­
ten des IdS).
A ußerdem w urde eine R echerche zur praktischen R hetorik durchgeführt.
Eine Ausw ahlbibliographie erscheint 1985 in Grosse/Bausch (Hg.): Prak­
tische R hetorik (Eigenverlag des IdS).
2.3. A bteilung W issenschaftliche Dienste
Leitung: Wolfgang T eubert
2.3.1. Inform ations- und D okum entationsstelle (IuD-Stelle)
M itarbeiter: Aloys Hagspihl, G erhard Jakob, Konrad Plastwich
Die IuD-Stelle erbringt Inform ationsdienstleistungen aufgrund regel­
mäßiger eigener E rhebungen und unter A usw ertung von am In stitu t er­
arbeiteten M aterialien (z.B. Bibliographien) und sonstigen einschlägigen
Inform ationsquellen. Inform ationsdienste w erden für folgende Bereiche
erstellt bzw. befinden sich in V orbereitung:
243
— germ anistische Linguistik (teilweise u n te r A usschluß früherer Sprachstufen, aber einschließlich der Diachronie) (In- und A usland);
— allgemeine Sprachw issenschaft (deutschsprachige L änder);
— G ruppenm ehrsprachigkeitsforschung, bezogen auf G ebiete m it
D eutsch als beteiligter Sprache.
Zur Zeit werden von der IuD-Stelle folgende D okum entationen erarbei­
te t:
— W issenschaftlerdokum entation; erscheint 1985;
— D okum entation Sprachw issenschaftliche Lehrveranstaltungen an
deutschsprachigen H ochschulen (Bundesrepublik, Ö sterreich, Schweiz);
Erscheinungsweise halbjährlich;
— D okum entation Sprachw issenschaftliche Forschungsvorhaben
(deutschsprachige Länder: germ anistische und allgemeine Linguistik;
international nur germ anistische Linguistik); Erscheinungsweise zwei­
jährlich;
— H andbuch der G ruppenm ehrsprachigkeitsforschung zu G ebieten m it
D eutsch als beteiligter Sprache. K om m entierte Bibliographie, Perio­
dikaverzeichnis, Projekt- und Institutio n en d o k u m en tatio n ; erscheint
1985.
Eine weitere A ufgabe der IuD-Stelle ist die wissenschaftliche U nterstüt­
zung und redaktionelle Bearbeitung von D okum entationen zur G rup­
penm ehrsprachigkeit. Im Berichtsjahr erschien Band 9 der Reihe “D eut­
sche Sprache in E uropa und Ü bersee” (N orbert Kleinz: D eutsche Spra­
che im K ontakt in Südwestafrika). A ufgrund unvorhergesehener V erzö­
gerungen k o nnte auch die Herstellung des T yposkripts des zw eiten Ban­
des “ D eutsch als M uttersprache in den V ereinigten S taaten ” erst im Be­
richtsjahr abgeschlossen w erden.
Die IuD-Stelle ist ferner zuständig für die organisatorische Betreuung
der am In stitu t arbeitenden G astwissenschaftler sowie der Besucher und
Besuchergruppen. Sie hilft bei der organisatorischen V orbereitung und
Durchführung der Tagungen des IdS. Ferner nim m t sie ständige A ufga­
ben der Ö ffentlichkeitsarbeit wahr, bean tw o rtet Anfragen bzw. leitet
sie an die zuständigen Stellen w eiter, und sie redigiert die “M itteilungen
des In stituts für deutsche S prache”. Sie archiviert die in den deutschen
Zeitungen und P ublikum szeitschriften erscheinenden A rtikel zum T he­
ma “ S prache” . F erner vertreibt sie die im Eigenverlag des In stitu ts er­
schienenen Bücher und Broschüren.
A ufgrund einer V ereinbarung m it dem M inisterium für Wissenschaft
244
und K unst, Baden-W ürttemberg, w urde 1984 m it der praktischen Aus­
bildung von Inspektoranw ärtern des gehobenen Dienstes in D okum en­
tationseinrichtungen begonnen.
2.3.2. A rbeitsstelle Linguistische D atenverarbeitung (LDV)
M itarbeiter: Tobias Brückner, Sylvia Dickgießer, G ert K.
F rackenpohl (beurlaubt seit 1.10.1984), Klaus W othke
(seit 1.11.1984), R udolf S chm idt (seit 1.12.1984)
Leitung: G ert K. F rackenpohl
Wolfgang T eubert (seit 1.10.1984)
Zu den A ufgaben der LDV gehören
— der Betrieb der Rechenanlage (Siemens 7.536),
— die Bereitstellung und A usw ertung m aschinenlesbarer Wort- und Textkorpora,
— die E ntw icklung von Program m en zur T extanalyse und -Verarbeitung,
— die Bereitstellung von D atenbanksystem en und die Entw icklung von
Ein- und A usgabeprogram m en für verschiedene Inform ations- und
D okum entationsprojekte.
Im folgenden w erden die im Berichtsjahr durchgeführten bzw. begonne­
nen A rbeiten im einzelnen dargestellt.
Um einem stark gestiegenen Bedarf vor allem in den Forschungsabtei­
lungen nachzukom m en, w urden 4 neue D atensichtgeräte und 4 A rbeits­
platzdrucker angeschlossen. Dazu w aren um fangreiche E rw eiterungsar­
beiten an verschiedenen B etriebssystem kom ponenten erforderlich. Zu­
dem verursachte der stetig w achsende D atenbestand Speicherplatzproble­
m e, die m ittelfristig nu r durch die Bereitstellung zusätzlicher M agnet­
plattenstationen gelöst w erden können. Z ur vorläufigen Ü berbrückung
der Engpässe w urden D atenm igrationsverfahren entw ickelt und getestet.
N eben aktuellen Versionen bereits vorhandener D atenbank- und Pro­
gram m system e w urden 3 neue System e (DIACOS, TEX, TOM-EDT-DOK)
zu Testzw ecken im plem entiert. Diese System e erlauben die H erstellung
von Druckvorlagen für Publikationen. D am it wird einer steigenden N ach­
frage innerhalb des IdS Rechnung getragen.
Die Entw icklungsarbeiten an der Lexikographischen D atenbank (LEDA)
w urden zügig fortgeführt. LEDA wird im Endausbau drei K om ponenten
enthalten: a) die T extdatei, d.h. eine Sam m lung einheitlich kodierter
K orpora, auf die m it dem interaktiven Program m system R E F E R zuge­
griffen w ird; b) die W ortdatei, die die Bestände m aschinenlesbarer Wör­
245
terbücher in teilintegrierter Form enthalten w ird; c) die A rbeits- und
Ergebnisdatei, in die die jeweils bearbeiteten W ortartikel abgespeichert
werden.
Die E ntw icklungsarbeiten an R E F E R sind bereits w eitgehend abgeschlos­
sen. Eine voll funktionsfähige Version, die inzwischen auch die au to m a­
tische Generierung von flektierten V erbform en aus dem Infinitiv zur Er­
leichterung von Suchprozeduren um faßt, steh t in- und externen Wissen­
schaftlern zur Belegsuche zur Verfügung.
Im Rahm en der vereinbarten Zusam m enarbeit zwischen dem IdS und
dem In stitu t für K om m unikationsforschung und Phonetik (IKP, Univer­
sität Bonn) w urde die am IKP erstellte “K um ulierte W ortdatenbank des
D eutschen” in Form einer SESAM -Datenbank am IdS im plem entiert.
Die W ortdatenbank besteh t aus ca. 300000 W ortartikeln und kann als
P ro to ty p der W ortdatei, wie sie für LEDA geplant ist, angesehen werden.
M ittelfristig ist der Zugriff auf die IdS-K orpora (die T ex td atei von LEDA)
auch über lem m atisierte Register geplant. Diese Register w erden ab 1985
w eitgehend autom atisch m ithilfe des m orphologischen V ollform enlexi­
kons (MOLEX) erstellt. Die A rbeiten an MOLEX stehen m it der E n t­
wicklung von A nalyseprozeduren für die autom atische Z uordnung der
Deklinationsklassen zu N om inalkom posita kurz vor dem A bschluß; A n­
fang 1985 wird MOLEX m it über 2 Millionen W ortform en und den zu­
gehörigen flexionsm orphologischen A ngaben zur Verfügung stehen.
Sehr aufw endig sind die A rbeiten zur Erw eiterung der T extdatei. Der
Bezug auf die G egenwartssprache erfordert eine ständige A ktualisierung
des d okum entierten Sprachm aterials, w obei für die Auswahl der T exte
die Bedürfnisse der lexikographischen A rbeitsvorhaben am IdS ausschlag­
gebend sind. Die A rbeiten zur K orrektur und U m kodierung des OstW est-Zeitungskorpus w urden abgeschlossen. Das K orpus w urde (ebenso
wie das D ialogstrukturenkorpus) an R E F E R angeschlossen. D am it ste­
hen für den interaktiven Zugriff nunm ehr über 7 Mio. laufende W örter
T ex t zur Verfügung. W eiter erhielt das IdS im Berichtsjahr eine neue,
korrigierte und erw eiterte V ersion des Thomas-M ann-Korpus von Profes­
sor Higuchi, Japan, und vom In stitu t für G runddeutsch, S tanford, Cali­
fornia, das K orpus G runddeutsch: T exte zur gesprochenen deutschen
Gegenwartssprache. Zur V eröffentlichung dieses K orpus sowie des Kor­
pus Beratungsgespräche leistete die LDV durch D ruckaufbereitung und
Erstellung verschiedener Register w esentliche Beiträge. F erner w urde
m it der Erstellung von Spezialkorpora für das V orhaben “H andbuch der
schweren W örter” begonnen. V erfahren für die V erfügbarmachung von
T exten, die für den D ruck im Lichtsatzverfahren auf M agnetbändern
246
gespeichert sind (z.B. M annheim er Morgen, Bonner Generalanzeiger,
Spiegel) w urden entw ickelt; der Einsatz von Lesemaschinen (KDEM)
w urde erprobt. Schließlich w urden T ranskripte von T ex ten gesproche­
ner Sprache der A bteilung SuG erfaßt. Die am IdS verfügbaren maschi­
nenlesbaren W ortlisten w urden durch drei zweisprachige maschinenles­
bare W örterbücher des Bundessprachenam tes erw eitert; diese W örter­
bücher w urden für den interaktiven Zugriff im Zusam m enhang m it dem
Projekt “ L ehnw ortbildung” aufbereitet.
Die “ Rückläufige W ortliste zum heutigen D eutsch” m it über 150000
Einträgen, die auf einer K um ulierung und Ü berarbeitung verschiedener
m aschinenlesbarer W örterbücher beruht, erschien im H erbst 1984.
Ein Program m paket w urde entw ickelt, um das Beschreibungsvokabular
sowie A ngaben zur E tym ologie und Stilebene einer Testm enge von Wör­
terbucheinträgen aus dem “G roßen W örterbuch der deutschen S prache”
auszuw erten. D am it m öchte die A rbeitsgruppe Lexik Hinweise auf m ög­
liche N orm ierungen gew innen. Ferner w urden verschiedene Register
zum D eutschen F rem dw örterbuch erstellt und für den D ruck über LaserD rucker aufbereitet.
Zu den A ufgaben der LDV gehört auch die U nterstützung von D oku­
m entationsaktivitäten. Die verschiedenen D ateien der Bibliographischen
D atenbank (BIDA) enthalten m ittlerw eile bereits über 30000 D okum en­
te ; einige dieser D ateien, die “ Bibliographie Enzyklopädien und L exika” ,
die “ Bibliographie zur juristischen K om m unikation” und die “ Biblio­
graphie zur praktischen R h e to rik ” w erden zur Zeit zum D ruck aufberei­
te t und Anfang 1985 veröffentlicht. Auch die Wissenschaftler-, Lehrveranstaltungs- und P rojektdokum entation w urden wieder unterstützt.
Die Zahl externer Serviceaufträge war 1984 leicht rückläufig. Im Ver­
gleich zum V orjahr waren die einzelnen A ufträge wie Belegstellensuche,
A nfertigen von Statistiken und Registern, Weitergabe m aschinenlesbarer
T exte usw. jedoch aufgrund kom plexerer Fragestellungen und eines
größeren D atenbestandes o ft w esentlich um fangreicher und m it inten­
siverer Inform ationsbeschaffung und -Vermittlung verbunden.
N eben einer Vielzahl von E inzelberatungen und Einführungen in die
A rbeit m it vorhandener Softw are für IdS-M itarbeiter, Gäste und Besu­
cher, veranstaltete die LDV 1984 eine Inform ationsw oche und ein IdSK olloquium , um die V oraussetzungen für eine K onzeption verstärkten
C om putereinsatzes im R ahm en von G roßprojekten wie z.B. dem “ H and­
buch der schweren W örter” zu verbessern. A uf der Jahrestagung 1984
w urden zahlreiche LDV-Entw icklungen der F achöffentlichkeit vorge­
führt. Gegen Jahresende erschien das LDV-Info 4, die Inform ations247
Schrift der A rbeitsstelle Linguistische D atenverarbeitung, die eine Reihe
von B erichten zu den w ichtigeren A rbeiten der LDV enthält.
2.3.3. D eutsches Spracharchiv
M itarbeiter: E deltraud K netschke, M argret Sperlbaum
Leitung: E deltraud K netschke
Die A ufgaben des D eutschen Spracharchivs sind die Archivierung, Be­
reitstellung, V erschriftung, Analyse, D okum entation und V orbereitung
von A ufnahm en gesprochener Sprache (M undart, Umgangssprache,
Standardsprache).
Die Arbeitsstelle verfügt über das größte Schallarchiv gesprochener
deutscher Sprache, w obei in der Regel T onbänder als Schallträger die­
nen. Insgesamt sind über 10.000 A ufnahm en m it einer A bspieldauer
von ca. 2.500 S tunden vorhanden. Die K orpora haben einen Umfang
von rund 15 M illionen W örtern laufender Texte. Die M ehrzahl der A uf­
nahm en sind ihrer T extsorte nach “ initiierte Erzählm onologe” . Durch
die Inkorporierung des sogenannten “ Freiburger K orpus der gesproche­
nen Sprache” , einer Sam m lung von 806 A ufnahm en m it einer ungefäh­
ren Spieldauer von 4 50 S tunden und 3 K orpora der A bteilung Sprache
und Gesellschaft (D ialogstrukturen, Beratungsgespräche, Stadtsprache
M annheim ), verfügt das Spracharchiv auch über Dialoge in Standard­
sprache. Die w ichtigsten K orpora (I/-, III/-, IV/- m it rund 6.500 A uf­
nahm en) sind als K opien im Archiv dupliziert.
Zu den ständigen Aufgaben der A rbeitsstelle gehört auch die herausgeberische und redaktionelle Betreuung der Reihe PHONAI, die im Be­
richtsjahr ihren U ntertitel zu “ L autbibliothek der deutschen Sprache”
verändert hat. In dieser Reihe erschien 1984 als neue Sachgruppe der
vollständige A bdruck eines T extkorpus nach C om puterausdrucken in
3 Bänden: J. Alan Pfeffer und W alter F.W. Lohnes: G runddeutsch —
T exte zur gesprochenen deutschen G egenwartssprache — Überregionale
Umgangssprache aus der Bundesrepublik D eutschland, der D eutschen
D em okratischen Republik, Österreich und der Schweiz; T ex tk o rp o ra 1,
PHONAI Bd. 28, 29 und 30.
Die noch in der w eiteren H erstellung befindlichen M onographie-Bände
zum Fersental, zu D iendorf und Zinzenzell und zu den Umgangsspra­
chen in Worms, K aiserslautern und Heidelberg w erden 1985 in der Rei­
he erscheinen. Ebenso ist für 1985 die V eröffentlichung des Bands
“ Zur O rthoepie der Plosiva in der deutschen H ochsprache” vorgesehen.
Das M anuskript ist im Berichtsjahr im wesentlichen fertiggestellt w or­
den, ebenso der M aterialienband, der noch einige zusätzliche Wiederga­
248
ben von System atisierungen usw. erhalten hat. Ein M onographie-Band
zu ‘Maria A lm ’ ist bereits in der T yposkript-Erstellung und wird Anfang
1986 als P ublikation vorliegen.
Die A usw ertung der Jiddisch-D okum entation b efindet sich noch im m er
in der ersten Phase der Bearbeitung von T onbandaufnahm en, die als
Fernziel eine P ublikation haben.
Zu den Serviceleistungen zählten wie bisher die Betreuung und Beratung
von W issenschaftlern aus dem In- und A usland, die sich beim D eutschen
Spracharchiv über die N utzungsm öglichkeiten der verschiedenen K or­
pora u n terrichteten. Für zahlreiche W issenschaftler und Forschungsin­
stitu te w urden wieder T onbandkopien von T exten u nd Protokollbögen
angefertigt. Einzelne S tudenten n u tz ten außerdem das Spracharchiv für
ihre Exam ensarbeiten.
Die V orarbeiten zu einem G esam tkatalog des D eutschen Spracharchivs
(Verzeichnis aller hier archivierten deutschsprachigen T onbandaufnah­
m en — v ertex tet wie u n v ertex tet —), w urden w eitergeführt.
2.3.4. R edaktion GERM ANISTIK (A ußenstelle Tübingen)
Leitung: Tilm an K röm er
Die R edaktion des Bibliographie- und R eferatenorgans GERM ANISTIK
erfaßt und verzeichnet vierteljährlich die in- und ausländischen V eröf­
fentlichungen auf dem G ebiet der G erm anistik sowie in Auswahl der
allgemeinen Sprach- und Literaturw issenschaft. V erhandlungen m it
dem Verlag Max N iem eyer über die Z ukunft dieser A ußenstelle wurden
im Berichtsjahr eingeleitet; sie sind bisher noch nicht zum A bschluß ge­
kom m en.
2.3.5. Bibliothek
Leitung: Eva T eubert
Die Bestände der B ibliothek w urden im Berichtsjahr w iederum system a­
tisch erw eitert; die Bestände ehemaliger B ereichsbibliotheken sind in­
zwischen w eitgehend integriert. N eben Erw erbung und Ausleihe steh t
vor allem die Betreuung von G astwissenschaftlern und die Erstellung
von L iteraturrecherchen für interne und externe B enutzer im V order­
grund der A rbeit. In zunehm endem Maß w ird die Bibliothek auch von
den S tudenten der U niversität M annheim genutzt. Zu den A ufgaben der
Bibliothek gehört ferner die S chriftleitung der Z eitschrift “ D eutsche
Sprache” .
249
3. Tagungen, Kolloquien und Vorträge externer Wissenschaftler
3.1. Jahrestagung 1984 “ S prachkultur”
Das In stitu t veranstaltete in der Zeit vom 13. bis zum 16. März 1984
seine internationale Jahrestagung zum R ahm enthem a “ S prach k u ltu r”
im Musensaal des R osengartens (M annheim). Etw a 400 Sprachwissen­
schaftler, Literaturw issenschaftler, A utoren, Journalisten und an Spra­
che und Sprachw issenschaft Interessierte aus m ehr als 20 Ländern nah­
men an der Tagung teil und diskutierten gem einsam über S prachkultur
und Sprachpflege im In- und A usland, über gesellschaftliche A nstren­
gungen zur Sprachkultivierung, über die geschichtlichen Wurzeln der
Sprachkultivierungsbem ühungen (S prachkultur im 18. Jh .), über die
Sprachbildungsarbeit in der Schule, über den Zusam m enhang zwischen
Sprachkultur und L iteratur, über den Sprachgebrauch in der W issenschaft
und in bestim m ten gesellschaftlichen G ruppen, nicht zuletzt auch im
Bereich der Politik. Vorgetragen w urden A nalysen und B erichte, bei
diesem R ahm enthem a aber auch vor allem W ertungen und persönliche
Meinungen.
Das Programm war nicht nur inhaltlich w eit gefächert, auch die Organi­
sationsform en w aren vielfältig. N eben “großen” V orträgen standen ko­
o rdinierte Podium sgespräche und -diskussionen m it V ertretern der In­
stitutionen, die sich in der Bundesrepublik D eutschland vornehm lich
m it Fragen der Sprachpflege und Sprachnorm ierung befassen, m it Ex­
perten im Bereich von Sprache und Politik und m it Verfassern von
Sprachglossen für große Zeitungen.
Die Tagungsbeiträge w erden im IdS-Jahrbuch 1984 “ S p rach k u ltu r” er­
scheinen. Es gab ein relativ breites Presseecho auf die Tagung. Berichte
erschienen u.a. in folgenden Zeitschriften: “ D eutsche Sprache” , H. 4 /
1984 (von Inger Rosengren); “ Z eitschrift für germ anistische Linguistik”,
H. 3/1984 (von P eter Kühn u nd Ulrich Püschel); “ Linguistische Berich­
te ” , H. 9 2 /1 9 8 4 (von W alter Schm ich); “ tex ten + schreiben” , Juni 1984
(von Wolfgang Müller).
3.2. Sitzungen der K om m ission für Fragen der Sprachentw icklung
Im Berichtsjahr fand am 23.6. eine interne Sitzung sta tt. Wiedergewählt
w urden die M itglieder K.-H. Bausch, G. Drosdowski, S. Grosse, H.H.
Reich und G. R ickheit. Zum V orsitzenden und zu dessen Stellvertreter
w urden S. Grosse und K.-H. Bausch w iederum gewählt.
250
3.3. K olloquium “Term inologie im Sprachbuch”
Zum 22. und 23. Juni 1984 lud die Kommission für Fragen der Sprach­
entw icklung E xperten aus den deutschsprachigen Ländern zu diesem
K olloquium in das In stitu t für deutsche Sprache nach M annheim ein.
A nlaß war der Vorschlag eines Term inologiekatalogs für die Fächer
D eutsch und F rem dsprachen, der von der ständigen K onferenz der Kul­
tusm inister der Bundesländer (KMK) herausgegeben w orden war. Er
stieß u n te r Sprachw issenschaftlern und V ertretern des Faches A ngew andte
Linguistik auf heftigen W iderstand.
A uf dem K olloquium diskutierten Sprachw issenschaftler der Schulsprachen, des Faches D eutsch als Frem dsprache, Pädagogen, L ehrbuchauto­
ren und V ertreter der K ultusm inisterien über die vorliegende Liste, über
die Frage, ob ein M inim alkatalog erforderlich sei und darüber, welche
K onsequenzen eine term inologische Festlegung für die Schulpraxis ha­
ben könnte.
R eferenten und Them en w aren:
1. Zur allgemeinen Problem atik einer Term inologie
R. Wimmer, M annheim : G renzen einer N orm ierung gram m atischer
T erm ini;
H. Glinz: G ram m atische T erm ini — ihre R elativität und U nentbehr­
lichkeit;
D. Czeczatka: V ereinheitlichung der gram m atischen Term inologie
als schulpraktisches Bedürfnis;
R. Em ons: Linguistik und Schulgram m atik.
2. Die Term inologie aus der Sicht der Schulsprachen
W. H eilm ann: G ram m atische Term inologie in lateinischen Sprachbüchern;
H. W. Klein : D urch S prachstruktur bedingte B esonderheiten der gram ­
m atischen Term inologie im Französischen (besonders im Tem ­
pusbereich);
W. Hüllen: Zwei Problem e einer didaktisch orientierten G rammatikTerm inologie für den E nglischunterricht: Syntagm a vs: Paradig­
ma, S tru k tu r vs. F unktion;
K.-J. Heller: Zum Problem w ort- und satzgram m atischer D eskripto­
ren aus der Sicht der Schulgram m atik;
J. Oomen-W elke: Term inologie im Sprachbuch aus der Sicht der
Schulbuchverlagsarbeit.
251
3. Die Term inologie-D iskussion in der Schweiz und Ö sterreich
E. Glinz: Die T erm inologiesituation in der Schweiz (Erfahrungen
m it Schülern und Lehrern);
R. Killinger: Diskussion über die Term inologie des Bereichs “ Sprachreflexion” in den neuen Lehrplänen für die Pflichtschulen und
das G ym nasium in Österreich.
4. Die Term inologie-Frage im Bereich D eutsch als Frem dsprache
L. G ö tze: D ependenzsyntax — G ram m atikbeschreibung in Lehrw er­
ken D eutsch als F rem dsprache;
U. Engel: T erm ini für D eutsch als F rem dsprache (eine Analyse d eu t­
scher und polnischer Lehrbücher).
Ergebnis der D iskussionen war:
— Eine katalogähnliche Liste kann nur m it V orbehalt ak zep tiert wer­
den. A kzeptabel w aren “ E tik e tte n ”, die für gram m atische Bereiche
stehen, aber n icht den S tatus von Term ini erhalten. Sie k ö n n ten die
fachliche und interfachliche Verständigung erleichtern.
— Solche Bezeichnungen m üßten m öglichst gram m atiktheorie-neutral
sein.
— Bezeichnungen, die n icht “ sprechend” oder sem antisch beschrieben
sind, scheinen hierfür möglicherweise geeignet.
— D urch die Bezeichnungen eingeführte N orm ierungen müssen in ihrer
Problem atik reflektiert w erden.
— Die Bedürfnisse des A nw enders und der B etroffenen müssen berück­
sichtigt w erden.
Sehr stark war die F u rc h t der T eilnehm er vor der norm ierenden K raft
des N orm ierten im Schulunterricht. Die Schulpraxis zeige auch, daß
man sehr wohl ohne eine verabschiedete Term inologieliste S prachunter­
rich t m achen kann. D er B edarf an Term inologie für den U nterricht
könne nicht quantitativ entschieden w erden, sondern m uß vom lernen­
den Kind (den Lernprozessen) ausgehen und daran ausgerichtet sein.
Die R eferate w erden als Sam m elband in den V eröffentlichungen des
Instituts herausgegeben.
252
3.4. Sitzungen der K ommission für Rechtschreibfragen des IdS
Im Berichtsjahr fanden drei Sitzungen der K ommission sta tt, und zwar
am 24./25. F ebruar, 6./7. Juli und 14./15. D ezem ber. Nach einigen
Ü berarbeitungen und redaktionellen A bstim m ungen w urden die neu
gefaßten “ Regeln für die Z eichensetzung im D eutschen” verabschiedet.
Intensiv w urden auf der Grundlage eines von Burkhard Schaeder vorge­
legten und im V erlauf des Jahres überarbeiteten Papiers zur Zusammenund G etrenntschreibung dieser Bereich w eiterdiskutiert und Regeln er­
arbeitet, die au f der ersten Sitzung des Jahres 1985 noch einm al zu über­
arbeiten sind. Ein von H erm ann Zabel vorgelegtes A rbeitspapier zur
Schreibung speziell der F rem dw örter w urde in erster R unde andisku­
tiert. Im Rahm en der V orbereitung einer im Jahre 1985 erscheinenden
Publikation, eines ‘W erkstattberichtes’ über die A rbeit der Kommission
und m it deren Ergebnissen, w urden von G erhard Augst, Wolfgang M entrup
und H erm ann Zabel Einzelbeiträge vorgelegt und diskutiert.
Im Novem ber fand in R ostock eine A rbeitsberatung sta tt, au f der M it­
glieder von K om m issionen aus den vier deutschsprachigen Ländern einen
Vorschlag zur N euregelung der “ W orttrennung am Zeilenende” (Silben­
trennung) erarbeiteten, der in den K om m issionen noch gebilligt werden
muß. Darüber hinaus verständigten sich die T eilnehm er über die G rund­
sätze zu einer N euregelung der Zeichensetzung, für die auf der für Früh­
jah r 1986 in M annheim vorgesehenen A rbeitsberatung neue Regeln aus­
gearbeitet werden.
3.5. V orträge externer Wissenschaftler
Dr. Laurie Bauer, W ellington/Edinburgh, G roßbritannien: Neo-Classical
Com pounds and Com bining-Form s (16.01.1984)
Prof. Dr. Utz Maas, Osnabrück: M odernisierung der sprachlichen V erhält­
nisse in der S tadt der frühen N euzeit (25.01.1984)
Dr. Beat T hom m en, Bern, Schweiz: H andlungsregulation und soziale O r­
ganisation (01.03.1984)
Prof. Dr. sc. Wolfgang M otsch, Berlin, DDR: B edeutung und illokutive
F u nktion sprachlicher Ä ußerungen (23.05.1984)
Frau Prof. Dr. Senta Tröm el-Plötz, K onstanz: G ew alt durch Sprache
(01.06.1984)
Doz. Hans Rossipal, S tockholm , Schweden: Schlußfolgerungsstrukturen
in G esprächen und T exten (13.06.1984)
253
Frau Aino Kärnä, M.A., Helsinki, Finnland: Diskussion der Behandlung
der sog. Partikeln im zweisprachigen W örterbuch (29.06.1984)
Prof. Dr. Wolfgang Wölck, Buffalo, USA: Stadtsprachenforschung in
Buffalo (16.07.1984)
Frau Doz. C athrine Fabricius-Hansen, Oslo, Norw egen: Zur Kategorisierung von N ebensätzen (18.07.1984)
Prof. Dr. Eike von Savigny, Bielefeld, Frau Prof. Dr. Gisela Harras,
M annheim : G ruppentheoretische Bedeutungsanalyse und einige
Fragen der Pragm atik (07.12.1984)
4.
K ontakte zu anderen In stitutionen; Lehraufträge, V orträge außerhalb des
Instituts
4.1.
K ontakte zu anderen Institutionen
— Universität M annheim und Universität Heidelberg sowie zahlreiche weitere
germ anistische und sprachw issenschaftliche Institute an Universitäten und
Hochschulen im In- und Ausland
— Fakultät für germanische Sprachen der Universität Bukarest
— Staatliches In stitu t für japanische Sprache, T okio
— A rbeitskreis “ Deutsch-serbokroatische kontrastive G ram m atik”
(Germ anisten der Universitäten Belgrad, Novi Sad, Sarajevo und Zagreb)
— Arbeitskreis “ Dänisch-deutsche kontrastive G ram m atik” , Kopenhagen
— Deutscher A kadem ischer A ustauschdienst, Bonn
— A rbeitskreis Deutsch als Frem dsprache beim DAAD, Bonn
— Institut für A uslandsbeziehungen, Stuttgart
— Inter Nationes, Bonn
— Deutsche Gesellschaft für Sprachwissenschaft
— Gesam tdeutsches Institut, Bundesanstalt für G esam tdeutsche Fragen, Bonn
— G oethe-Institut, München
— Deutsche Akadem ie für Sprache und Dichtung, D arm stadt
— Deutscher Sprachatlas, Marburg
— A lexander von H um boldt-Stiftung
— A rbeitskreis der Sprachzentren, Sprachlehrinstitute und Frem dspracheninsti­
tute
— Fachverband M oderne Frem dsprachen
— Gesellschaft für A ngewandte Linguistik e.V., Trier
— D udenredaktion des Bibliographischen Instituts, M annheim
— Arbeitsstelle Deutsches W örterbuch, G öttingen
— Centre de Recherches Semiologiques, Universität II Lyon
— Forschungsstelle für M ehrsprachigkeit (UFSAL), Brüssel
— Sonderforschungsbereich 99, Konstanz
— Inform ationszentrum Sozialwissenschaften, Bonn
— Institut für K om m unikationsforschung und Phonetik, Bonn
— Gesellschaft für Inform ation und D okum entation mbH (GID), F rankfurt
— GLDV Verein zur Förderung der wissenschaftlichen D atenverarbeitung e.V.,
Frankfurt
254
—
—
—
—
DIN-Norm enausschuß Term inologie, Berlin
Gesellschaft für M athem atik und D atenverarbeitung m bH, Bonn
S tiftung Volkswagenwerk, H annover
Deutsche Forschungsgem einschaft, Bonn
4.2. Lehraufträge von IdS-M itarbeitem
Dr. Karl-Heinz Bausch: WS 1984/85, Dialekt im Kurpfälzer Raum , Prosem inar,
Universität M annheim
Franz-Josef Berens: SS 1984, Einführung in die Gesprächsanalyse, Prosem inar,
Universität M annheim
Prof. Dr. Ulrich Engel: SS 1984, Syntax der deutschen Gegenwartssprache, V or­
lesung und Prosem inar, U niversität Bonn
WS 1984/85, W ortstellung, Prosem inar, U niversität Bonn
G ert K. Frackenpohl: SS 1984, Linguistische D atenverarbeitung, Prosem inar, Uni­
versität Heidelberg
Dr. M anfred W. Hellm ann (gemeinsam m it Dr. Michael Kinne): SS 1984, Einfüh­
rung in die Lexikographie, Prosem inar, Universität M annheim
Dr. Werner Kallm eyer: SS 1984, Analyse verbaler Interaktion I : Problemgespräche,
Hauptsem inar, Universität M annheim
WS 1984/85, Analyse verbaler Interaktion II: Spielform en der K om m uni­
kation, H auptsem inar, Universität Mannheim
Dr. Michael Kinne (gemeinsam m it Dr. M anfred W. H ellm ann): SS 1984, Einfüh­
rung in die Lexikographie, Prosem inar, Universität Mannheim
Dr. Alan Kirkness: WS 1984/85, Die Geschichte des W örterbuchs der Brüder Grimm,
Prosem inar, Universität Heidelberg
Pantelis N ikitopoulos: SS 1984, Problem e der A usländerpädagogik und des Deutsch­
unterrichts für ausländische Kinder, Eine Einführung, Hauptsem inar, Päda­
gogische H ochschule Heidelberg
WS 1984/85, Problem e des Zw eitsprachenerw erbs und ihre pädagogisch­
didaktischen Im plikationen für den U nterricht und die E ntw icklung von
Lern- und L ehrm aterialien, Hauptsem inar, Pädagogische Hochschule
Heidelberg
Dr. Johannes Schwitalla: SS 1984, Literarische Dialoge vom späten M ittelalter bis
zur Gegenwart, Hauptsem inar, Universität Freiburg
WS 1984/85, T exte von Frauen und über Frauen im 16. Jahrhundert, H aupt­
seminar, U niversität Saarbrücken
Dr. Gerhard Stickel: SS 1984, Deutsch im K ontrast, Hauptsem inar, Universität
Mannheim
WS 1984/85, M orphosyntax des D eutschen, H auptsem inar, Universität
M annheim
Dr. Wolfgang T eubert: SS 1984, K ritik der politischen Sprache, Hauptsem inar,
Universität Mannheim
WS 1984/85, Synchronische und diachronische A spekte des Gefühlswort­
schatzes, H auptsem inar, Universität Mannheim
255
Prof. Dr. Rainer Wimmer: SS 1984, K olloquium zur Rechtssprache, Hauptsem inar,
Universität Heidelberg
WS 1984/85, Syntax der deutschen Gegenwartssprache, Vorlesung, Universi­
tä t Heidelberg
4.3. Kurse und Kurzseminare von IdS-M itarbeitern
Dr. Karl-Heinz Bausch: Deutsch für Ausländer (Fortgeschrittene 1 und 2), A bend­
akademie Mannheim
Sylvia Dickgießer: Vorkurs, Deutsch für A usländer, Abendakadem ie Mannheim
Dr. Eigin Müller-Bollhagen: Kurs, Deutsch für A usländer, V olkshochschule Inns­
bruck
Helmut Schum acher: 3.-29.9.1984, Kurzseminar, Verbanalyse, Internationaler
Ferienkurs für deutsche Sprache und K ultur, Universität Mannheim
4.4. Vorträge von IdS-M itarbeitern
Tobias Brückner: 1.3.1984, A ufbau des m orphologischen Lexikons (MOLEX),
Jahrestagung der Gesellschaft für linguistische D atenverarbeitung (GLDV),
Heidelberg
29.9.1984, R E FE R —ein interaktives System zum Zugriff auf große T ext­
m engen, Jahrestagung der Gesellschaft für angew andte Linguistik, Berlin
12.10.1984, PLIDIS, ein System für den natürlich sprachlichen Zugang zu
einer D atenbank, Tagung der Gesellschaft für medizinische D okum entation
und Statistik, Frankfurt
G ert K. Frackenpohl: 29.5.1984, D atenverarbeitungseinsatz bei der A rbeit m it
T extkorpora und Lexika im In stitu t für deutsche Sprache, EDV-Ausschuß
der geisteswissenschaftlichen Sektion der Max-Planck-Gesellschaft, UPI für
europäische Rechtsgeschichte, Frankfurt
Ulrike Haß: 27.9.1984, Gefühlssprache der Jugend, Frauenarbeitskreis II, A bend­
akademie Mannheim
2.10.1984, Sprachwandel seit 1945, Frauenarbeitskreis II, Abendakadem ie
Mannheim
16.10.1984, Über Briefkultur, Frauenarbeitskreis II, Abendakadem ie
Mannheim
Dr. Manfred W. Hellm ann: Februar, März, Novem ber 1984, Zur Entw icklung der
deutschen Sprache in den beiden deutschen Staaten. Im A uftrag des G esam t­
deutschen Instituts Berlin im Rahm en von L ehrerfortbildungssem inaren
Juni 1984, Some Observations on Frequency, Style and Journalistic A ttitudes
in Newspaper T exts o f East and West Germ any, 10. Internationales DDRSym posium , C onw ay/N ew Ham pshire, USA
Novem ber 1984, Zum sprachlichen Ost-W est-Problem: Forschungen und
Forschungsproblem e, G astvortrag im Obersem inar Prof. Schlosser, Universi­
tä t Frankfurt
Gabriele Hoppe: 3.9.1984, Feature “ Frauensprache” (Kritische Anm erkungen zu
den A rbeiten von Senta Tröm el-Plötz), R undfunkinterview
256
Dr. Werner Kallmeyer: 16.3.1984, Wir und die anderen. Zum V erhältnis von so­
zialen W elten und Sprachkultur, Jahrestagung des IdS, Mannheim
28.5.1984, Wie lernt man reden? Ein Orientierungsversuch im Feld der
praktischen R hetorik. Technische Hochschule, D arm stadt
26.6.1984, Neuere ethnographische Ansätze der Soziolinguistik, Universi­
tät Heidelberg
5.10.1984, A nm erkungen zum Them a “ R echt und S prache” aus sprach­
wissenschaftlicher Sicht, Evangelische A kadem ie, Bad Boll
Dr. Inken Keim-Zingelmann: Mai 1984, “ SprachVariation” . Them a: Funktion
des code-switching in der Erzählung einer M annheim erin, Kolloquium ,
Basel
Dr. Michael Kinne: 29.6. und 9.11.1984, W ortschatzentw icklung in Deutschland
nach 1945 - unter besonderer Berücksichtigung der DDR., Berlin (G esam t­
deutsches In stitu t in V erbindung m it der Niedersächsischen Landeszentrale
für politische Bildung)
Dr. Alan Kirkness: 10.-13.10.1984, Deutsche W örterbücher — ihre Geschichte
und Z ukunft, D eutscher Germ anistentag, Passau
Dr. Elisabeth Link: 19.7.1984, Was ist M etalexikographie? (Lehn-) W ortbildung
im W örterbuch, Lexikographisches Kolloquium , Universität Heidelberg
10.10.1984, W ortbildung im Fachw örterbuch, D eutscher D okum entartag
1984, V eranstaltung des Kom itees für Term inologie und Sprachfragen der
DGD (DGD-KTS), Problem e fachsprachlicher W örterbucharbeit im Bereich
Inform ation und D okum entation.
30.10.1984, (gemeinsam m it Dr. Gerhard Stickel) Wie frem d sind uns die
Frem dw örter, Gesellschaft für deutsche Sprache (GFdS), Wiesbaden
Pantelis N ikitopoulos: 28.9.1984, Lokale K ultur und Sprachverwendung. Aspekte
eines ethnographischen Ansatzes in einer Soziolinguistik der S tadt, GALTagung, Berlin
Dr. Werner N o th d u rft (gemeinsam m it Thom as Spranz-Fogasy): 26.-28.1.1984,
M ethodische Problem e bei der Analyse von Schlichtungen, Colloquium
des DFG-Schwerpunkt Verbale Interaktion, MPI für Verhaltenspsychologie,
Seewiesen
2.2.1984, äh folgendes Problem äh. Die interaktive A usarbeitung des Pro­
blems in Beratungsgesprächen, Psychologisches In stitu t der Universität
Bern
27.-29.9.1984, Der M arktw ert von Schlichten. Zur K om m unikationspoli­
tik eines Handlungsm usters, Jahrestagung der Gesellschaft für angewandte
Linguistik (GAL) in Berlin
13.11.1984, G esprächsanalytische Perspektiven auf genetische Beratung,
SFB 121 Psychotherapeutische Prozesse, Universität Ulm
H elm ut Schum acher: 28.-30,6.1984, G ram m atik im sem antisch orientierten V a­
lenzw örterbuch, K olloquium Lexikographie und G ram m atik, Universität
Essen
27.-29.9.1984, Beschreibungssprache im onom asiologischen V erbw örter­
buch für Deutsch als Frem dsprache, 15. Jahrestagung der Gesellschaft für
angewandte Linguistik, Freie Universität Berlin
257
Dr. Johannes Schwitalla: 14.12.1983, Sprachliche M ittel der G egenkultur. Oder:
Wie läßt man sich n icht vereinnahm en? Kolloquium M acht, L iteratur und
Sprache, Universität M annheim
22.6.1984, Aufgaben und Problem e der Textsortengeschichtsschreibung.
Germanisches Sem inar Universität Ham burg
13.10.1984, Projekt K om m unikation in der S tadt. T heorie, M ethoden,
erste Ergebnisse. D eutscher G erm anistentag, Passau
Dr. Gerhard Stickel: 19.4.1984, Einstellung zu Anglizismen im Deutschen, Uni­
versität Warschau
22.5.1984, Zu den ‘Frem dw örtern’ im D eutschen, Universität Marburg
30.10.1984, Das ‘Frem dw ort’ h at ausgedient. Gesellschaft für deutsche
Sprache, Wiesbaden
Dr. Gerhard Strauß (gemeinsam m it Dr. Gisela Zifonun): 13.-16.3.1984, Sprachkultivierung als politische A ufklärung, IdS-Jahrestagung 1984 Sprachkultur,
Mannheim
Dr. Wolfgang T eubert: 2.-6.7.1984, A pplications o f a Lexicographical D ata Base
for Germ an, 10th International Conference on C om putational Linguistics
COLING 84, Stanford, California, USA
Prof. Dr. Rainer W immer: 22.6.1984, Grenzen einer N orm ierung gram m atischer
Term ini, IdS-K olloquium , M annheim
13.10.1984, Chancen der Sprachkritik, G erm anistentag, Passau
Dr. Gisela Z ifonun (gemeinsam m it Dr. Gerhard Strauß): Sprachkultivierung als
politische A ufklärung, IdS-Jahrestagung 1984 Sprachkultur, M annheim
5. Studienaufenthalte und Besuche in- und ausländischer W issenschaftler am IdS
A uch im Berichtsjahr wurde das IdS wieder von zahlreichen W issenschaftlern aus
dem In- und A usland besucht, die zum großen Teil über längere Zeiträum e blieben,
um ihre Forschungen im ständigen K ontakt m it den M itarbeitern des IdS fo rtzu ­
führen:
Milanko Bekvalac, Novi Sad, Jugoslawien — Dr. Maria Teresa Bianco, Neapel, Italien —
L ektor M arseta Bohinjec-Sencar, Ljubljana, Jugoslawien — Prof. Dr. Michael Clyne
M A ., Clayton, V ictoria, Australien — Prof. Dr. habil. Jan Czochralski, Warschau,
Polen — L ecturer W inifred Davies M .A., M anchester, G roßbritannien — Dr. phil.
M artin Durrell M.A., M anchester, G roßbritannien — Prof. Dr. A hm ed Kamal El-Alfy,
Kairo, Ä gypten — D ozent Dr. Folke Freund, Uppsala, Schweden — Sayed A hm ed
Ali Ham m an, Kairo, Ä gypten — Prof. Dr. A rnold S. H eidenheim er, St. Louis, USA —
Prof. Dr. Bai H uh, Seoul, K orea — D ozent Redzer Jahovii, Sarajevo, Jugoslawien —
L ecturer Dr. Louise M. Jansen, Canberra, Australien —Mag.phil. A ino K äm ä, Hel­
sinki, Finnland — G udm und U. Karlsson B.A., M.A., Reykjavik, Island — Prof. Dr.
M uham mad A bu-H attab Khaled, Kairo, Ä gypten — Stephen Kidd B.A., Halifax,
Canada —Mag. H anka K onieczna, Poznan, Polen — Dekan Dr. G erhard K onnerth,
Sibiu, Rum änien — Prof. Dr. Jarm o K orhonen, Oulu, Finnland —Mag.phil. Teresa
Korsak, Warschau, Polen —Prof. Dr. Oddleif L eirbukt, T rom s^, Norwegen — Gun
Leppiniem i Fil.kand., A bo, Finnland —Magister Jasna Makovec, Ljubljana, Jugos­
lawien —Patrick Marsh M.A. Ph.D ., D ublin, Irland — Sim one Mascarenhas L.T.C.L.
M A ., Ph.D, Bom bay, Indien — Dr. Iw ona May, Poznan, Polen —Cliona McMahon
258
M.A., Dublin, Irland — Dr. Pawel Mecner, B^dzin, Polen —Ass. Amal M ohy Eddin,
Kairo, Ägypten - Saburo O kam ura M.A., Chiba, Japan — L ecturer Dr. Peter Paul,
C layton, Victoria, Australien - Gerd Maria Paulsen, Oslo, Norwegen - A ntoaneta
Primatarova-Miltscheva, Sofia, Bulgarien —Dr. Karel Petrus Prinsloo, Pretoria,
Südafrika —Prof. M anfred R ichter M.A. Ph.D., O ntario, Canada —Helena Rohen
M.A., Helsinki, Finnland — D ozent Dr. Charles V.J. Russ, York, G roßbritannien —
Dr. D anuta Rytel-Kuc, Warszawa, Polen —Prof. Dr. L aurits Saltveit, Oslo, Norwe­
gen — Wiss. Oberass. Stojan Sarlov, Veliko Tim ovo, Bulgarien — Dr. Gerd Simon,
Tübingen — D ozent Dr. Birger Sundquist, Uppsala, Schweden — Doc. Dr. habil.
Eugeniusz T om iczek, Wroofaw, Polen —Michael T ow nson B.A., M.A., M .Litt.,
Birmingham, G roßbritannien —Prof. Dr. Vural Olkü, Balcale-Adana, Türkei —
Mag. Jie Yuan, Shanghai, China —Wiss.Ass. Laila Zam zam , Kairo, Ä gypten —Prof.
Dr. Arne Z ettersten, Kopenhagen, D änem ark — Fil. Kand. Eleonore Z ettersten,
Lund, Schweden —Mag. Erm inka Zilie?, Sarajevo, Jugoslawien — Snjezana Suljevic
M.A., Sarajevo, Jugoslawien.
6. Gastwissenschaftler am In stitu t für deutsche Sprache
Gastwissenschaftler aus dem In- und Ausland haben auch 1984 w ährend ihrer bis
zu zweim onatigen A ufenthalte am IdS verschiedene Projektarbeiten unterstützt.
Frau Doz. Dr. C atherine Fabricius-Hansen (Oslo) arbeitete in der G ram m atikgrup­
pe m it (Beschreibung des Tem pussystem s; Nebensätze im D eutschen). Prof. Dr.
Pierre Bange (L yon) behandelte “ Fiktionale Form en im G espräch” im Rahmen
des Stadtsprachenprojekts. Priv.Doz. Dr. Franz Breuer (Münster) unternahm Hand­
lungsstrukturanalysen von Schlichtungsgesprächen. Dipl. Inf. Jan Brustkem (Bonn)
im plem entierte eine W ortdatenbank für die Arbeitsstelle Linguistische Datenverar­
beitung. Prof. Dr. Wolfgang R ettig (Düsseldorf) arbeitete an einem Programm zur
sprachlichen M otivation bei ‘schw eren’ W örtern im Deutschen.
7. Grem ien und M itarbeiter des In stitu ts für deutsche Sprache
(Stand Dezem ber 1984)
7.1. K uratorium
Vorsitzender: Präsident des IdS Prof. Dr. Heinz Rupp, Basel
Stellvertreter: Prof. Dr. Siegfried Grosse, Bochum
Dr. Joachim Ballweg, IdS —Prof. Dr. Johannes Erben, Bonn —Prof. Dr. Helmut
Henne, Braunschweig — Gabriele Hoppe, IdS — Dr. Werner N othdurft, IdS —Prof.
Dr. Peter von Polenz, T rier — Prof. Dr. Ingo Reiffenstein, Salzburg — Dr. Johannes
Schwitalla, IdS — Prof. Dr. H orst Sitta, Zürich —Prof. Dr. Hugo Steger, Freiburg —
Prof. Dr. H erbert E. Wiegand, Heidelberg —ein V ertreter der S tadt M annheim —
zwei V ertreter des M inisteriums für Wissenschaft und Kunst, Baden-W ürttemberg —
ein V ertreter des Bundesm inisterium s für Forschung und Technologie —ein Ver­
treter des Auswärtigen A m tes —ein V ertreter des Vereins der Freunde des Instituts
für deutsche Sprache.
Ehrenpräsident des IdS: Prof. Dr.Dr.h.c. Dr.h.c. Hugo Moser, Bonn
259
7.2. Vorstand
D irektoren: Dr. G erhard Stickel — Prof. Dr. Rainer Wimmer
7.3. Institutsleitung
D irektoren: Dr. G erhard Stickel — Prof. Dr. Rainer Wimmer; Abteilungsleiter:
Dr. Werner Kallmeyer (Sprache und Gesellschaft) — Dr. Alan Kirkness (Gram m a­
tik und Lexik) — Dr. Wolfgang T eubert (W issenschaftliche D ienste); M itarbeiter­
vertreter: Franz Josef Berens —T obias Brückner — Dr. Inken Keim — Dr. Elisabeth
Link.
7.4. M itarbeiter des Instituts
Abteilung G ram m atik und Lexik
Abteilungsleiter: Dr. Alan Kirkness (kommissarisch), Wissenschaftliche M itarbeiter:
Dr. Joachim Ballweg — Prof. Dr. Ulrich Engel — H elm ut Frosch — Ulrike Haß —
Dr. Manfred Hellmann - Brigitte Hilgendorf - Ursula Hoberg (beurlaubt) —
Gabriele Hoppe - Dr. Michael Kinne - Jacqueline Kubczak (beurlaubt) - Dr.
Elisabeth Link — Dr. Wolfgang M entrup — Dr. Eigin Müller-Bollhagen — Isolde
N ortm eyer — Dr. Lorelies O rtner — Dr. G ünter Schm idt — Helm ut Schum acher —
Dr. Gerhard Strauß — Dr. Bruno Strecker — Klaus Vorderwülbecke — Dr. Gisela
Z ifonun; Sekretärinnen: Marlies Dachsei — Erna Kaehler — Karin L aton — R uth
Maurer.
Abteilung Sprache und Gesellschaft
Abteilungsleiter: Dr. Werner Kallmeyer; Wissenschaftliche M itarbeiter: Dr. KarlHeinz Bausch — Franz Josef Berens — Dr. Inken Keim — Dr. Wolfgang Klein —
Dipl.rer.pol. Pantelis N ikitopoulos — Dipl.-Psych. Dr. Werner N othdurft M.A. —
Dipl.-Soz. Ulrich R eitem eier —Peter Schröder — Dr. Johannes Schwitalla; Sekre­
tärinnen: Hanni Kohlhase — Gisela Pfeiffer.
A bteilung W issenschaftliche Dienste
Abteilungsleiter: Dr. Wolfgang T eubert; Wissenschaftliche M itarbeiter: Tobias
Brückner — Sylvia Dickgießer —G ert K. Frackenpohl (beurlaubt) — Aloys Hagspihl —
Gerhard Jakob — Dr. E deltraud Knetschke —M onika Kolvenbach M.A. —Tilman
Krömer — Dr. Margret Sperlbaum — Dipl.Math. R udolf Schm idt - Klaus W othke;
D okum entär: Konrad Plastw ich; M itarbeiter in der D atenverarbeitung: Alfred
Herrmann —Claus H offm ann — Rainer Krauß —Peter Mückenmüller — Uwe
Som m er —Manfred Schreckenberger; Datenerfassung: Gerda Beck —Willi Oksas;
Bibliothekare: Lucia Berst — Dipl.Bibi. Erna Knorpp — Dipl.Bibi. Daniela R u ttlo ff —
Dipl.Bibi. Eva T eubert — Ulrich W etz; Sekretärinnen: Anneliese Brants —Ingrid
Karlsson; Com poser-Schreibkräfte: Ursula Blum — Ursula Erbe.
V erwaltung und V orstandssekretariat
Verwaltungsleiter: H erbert R heinnecker; Verwaltungsangestellte: Willi Balschbach —
Annem arie Eisinger — H annelore Janovsky - Leonore Kadzik — Hildegard Magis —
Marianne Wardein; Sekretariat: Doris Gerstel —Jacqueline L indauer; Telefonistin:
Isolde Wetz; Hausm eister: Uwe Zipf; Reinigungsdienst: Lisa Bläß.
260
7.5. W issenschaftlicher Rat
Ehrenm itglieder:
Prof. Dr. Hans Eggers, Saarbrücken - Prof. Dr. Hans Glinz, Wädenswil —Prof. Dr.
Paul Grebe, Wiesbaden —Prof. Dr. Hans N eum ann, G öttingen —Prof. Dr.Dr.h.c.
Leo Weisgerber, Bonn.
O rdentliche Mitglieder:
Prof. Dr. Gerhard Augst, Siegen —Prof. Dr. Klaus Baum gärtner, S tuttgart —Prof.
Dr. Karl-Richard Bausch, Bochum — Prof. Dr. Herm ann Bausinger, Tübingen —
Prof. Dr. Werner Besch, Bonn —Prof. Dr. Karl-Dieter Bünting, Essen —Prof. Dr.
Harald Burger, Zürich —Prof. Dr. Dr.h.c. Eugenio Coseriu, Tübingen —Prof. Dr.
Friedhelm Debus, Kiel - Prof. Dr. W alther D ieckm ann, Berlin - Prof. Dr. Günther
Drosdowski, M annheim —Prof. Dr. Helm ut Gipper, Münster — Prof. Dr. Jan
Goossens, Münster —Prof. Dr. W alter Haas, M arburg — Prof. Dr. Franz-Josef
Hausmann, Erlangen — Prof. Dr. Klaus Heger, Heidelberg —Prof. Dr. Hans Jürgen
Heringer, Augsburg —Prof. Dr. W erner H offm ann, M annheim —Prof. Dr. KlausJürgen H utterer, Graz — G erhard K aufm ann, M ünchen — Prof. Dr. Johann Knobloch,
Bonn — Prof. Dr. H erbert Kolb, München —Prof. Dr. D ieter Krallm ann, Essen —
Prof. Dr. T heodor Lewandowski, Köln — Prof. Dr. Heinrich Löffler, Basel — Prof.
Dr. Hans Moser, Innsbruck — Prof. Dr. Horst Munske, Erlangen - Prof. Dr. Günter
N eum ann, Würzburg —Prof. Dr. G erhard Nickel, S tu ttg art — Prof. Dr. Eis Oksaar,
Ham burg —Prof. Dr. R ainer R ath, Saarbrücken — Prof. Dr. O skar Reichm ann,
Heidelberg —Prof. Dr. Marga Reis, Köln —Prof. Dr. Barbara Sandig, Saarbrücken —
Prof. Dr. Helm ut Schnelle, Bochum —Prof. Dr. A lbrecht Schöne, G öttingen —
Prof. Dr. R udolf Schützeichel, Münster —Prof. Dr. Hansjakob Seiler, Köln —Prof.
Dr. Stefan Sonderegger, U etikon —Prof. Dr. D ieter Stellm acher, G öttingen —Prof.
Dr. Georg Stötzel, Düsseldorf —Prof. Dr. Erich Straßner, Tübingen — Prof. Dr.
Heinz Vater, Köln —Prof. Dr. Harald Weinrich, München —Prof. Dr. W alter Weiss,
Salzburg —Prof. Dr. O tm ar Werner, Freiburg — Prof. Dr. P eter Wiesinger, Wien —
Prof. Dr. Werner W inter, Kiel —Prof. Dr. D ieter W underlich, Düsseldorf.
E m eritiert: Prof. Dr. Hennig Brinkm ann, Münster — Prof. Dr. G erhard Cordes,
G öttingen — Prof. Dr. G erhard H eilfurth, Marburg —Prof. Dr. O tto Höfler, Wien —
Prof. Dr. Blanka Horacek, Wien — Dr. Karl Korn, Bad H om burg —Prof. Dr. Reinhold
Olesch, Köln —Prof. Dr. Ludwig Erich Schm itt, M arburg —Prof. Dr. Mario
W andruszka, Salzburg — Prof. Dr. Christian Winkler, M arburg — Prof. Dr. Paul
Zinsli, Bem.
Korrespondierende M itglieder in Europa:
Prof. Dr. Pierre Bange, Lyon, Frankreich — Prof. Dr. Jan Czochralski, Warschau,
Polen — Prof. Dr. Jean David, Metz, Frankreich — Dr. Jovan Djukanovic, Belgrad,
Jugoslawien — Prof. Dr. M artin Durrell, M anchester, England — Prof. Dr. Erik
Eräm etsä, T urku, Finnland —Prof. Dr. Sandor G ardonyi, Debrecen, Ungarn —
Prof. Dr. habil. Franciszek Grucza, Warschau, Polen — Prof. Dr. Mirra Guchm ann,
Moskau, UdSSR —Prof. Dr. K. Hyldgaard-Jensen, K openhagen, Dänem ark —Prof.
Dr. M. Isbi^escu, Bukarest, Rum änien —Prof. Dr. William Jones, London, England —
Doz. Dr. J&nos Juhasz, Budapest, Ungarn — Prof. Dr. R udolf E. Keller, Manchester,
England —Prof. Dr. Wolfgang Klein, Nijmegen, Holland — Prof. Dr. G ottfried Kolde,
Genf, Schweiz — Prof. Dr. Jacques L erot, Löwen, Belgien —Prof. Dr. Odo Leys,
Löwen, Belgien —Prof. Dr. Kaj B. Lindgren, Helsinki, Finnland —Dr. Zdenek
Massarik, Bm o, CSSR — Prof. Dr. S. M ironoff, Moskau, UdSSR —Prof. Dr. Karl
261
Mollay, Budapest, Ungarn — Prof. Dr. Pavica Mrazovuf, Novi Sad, Jugoslawien —
Prof. Dr. Pavel Petkov, Sofia, Bulgarien —Prof. Dr. M arthe Philipp, Straßburg,
Frankreich —Prof. Dr. H anna Popadic, Sarajevo, Jugoslawien — Prof. Dr. Inger
Rosengren, Lund, Schweden — Prof. Dr. Viliam Schwänzer, Bratislava, CSSR —
Prof. Dr. Leslie Seiffert, O xford, England — Doc.Dr.Dr. Emil Skala, Prag, CSSR —
Prof. Dr.Dr.h.c. G ilbert de Sm et, G ent, Belgien — Prof. Dr. A nthony William
S tanforth, Edinburgh, England —Prof. Dr. Birgit S tolt, Stockholm , Schweden —
Prof. Dr. Kalevi Tarvainen, Jyväskylä, Finnland —Prof. Dr. Bjame Ulvestad, Bergen,
Norwegen —Prof. Dr. Paul V alentin, Paris, Frankreich —Prof. Dr. R.A. Wisbey,
L ondon, England — Prof. Dr. Jean-M arie Zemb, Paris, Frankreich — Prof. Dr.
Stanislav 2epic, Zagreb, Jugoslawien.
Em eritiert: Prof. Dr. W. A dm oni, Leningrad, UdSSR — Dr. E duard Benes, Prag,
CSSR —Prof. Dr. T orsten Dahlberg, Sävedalen, Schweden — Prof. Dr. Ingerid Dal,
Oslo, Norwegen - Prof. Dr. Jean F ourquet, Fresnes, Frankreich —Prof. Dr. Gustav
Korlen, Stockholm , Schweden - Prof. Dr. Ivar Ljungerud, Lund, Schweden —Prof.
Dr. Cola Minis, Am sterdam , N iederlande — Prof. Dr. Emil ö h m an n , Helsinki, Finn­
land — Prof. Dr. L aurits Saltveit, Oslo, Norwegen — Prof. Dr. C. Soetem an, Leiden,
Niederlande — Prof. Dr. Pavel T rost, Prag, CSSR.
Korrespondierende M itglieder in Übersee:
Prof. Dr. Eim er H. A ntonsen, Urbana, 111., USA — Prof. Dr. Em m on Bach, Austin,
Texas, USA — Prof. Dr. Michael Clyne, Clayton, V ictoria, Australien —Prof. Dr.
F . van Coetsem , Ithaca, N .Y., USA —Prof. Dr. Jürgen Eichhoff, Madison, Wiscon­
sin, USA — Prof. Dr. Marvin H. Folsom , Provo, U tah, USA — Prof. Dr. Tozo
Hayakawa, T okyo, Japan — Prof. Eijiro Iwasaki, Kam akura, Japan —Prof. Dr.
R obert D. King, A ustin, Texas, USA —Prof. Dr. Byron J. Koekkoek, Buffalo,
N.Y., USA — Prof. Dr. H erbert L. K ufner, Ithaca, N.Y., USA —Prof. Dr. Hans
Kuhn, Canberra, Australien — Prof. Dr. W.P. Lehm ann, A ustin, Texas, USA —
Prof. Dr. A lbert L. L loyd, Philadelphia, Pennsylvania, USA —Prof. Dr. Georg J.
M etcalf, Chicago, 111., USA —Prof. Dr. William G. M oulton, Princeton, N.Y., USA —
Prof. Dr. Carroll E. R eed, A m herst, Mass., USA —Prof. Dr. Erwin T heodor R osen­
thal, Sao Paulo, Brasilien.
Em eritiert: Prof. Dr. Einar Haugen, Cambridge, Mass., USA —Prof. Dr. H erbert
Penzl, Berkeley, Calif., USA — Prof. Dr. O tto Springer, Philadelphia, Pennsylvania,
USA — Prof. Dr. William F. Twaddell, Providence, R .I., USA.
7.6. Kommissionen
Kommission für Rechtschreibfragen
Prof. Dr. Hans Glinz, Wädenswil, Schweiz (V orsitzender) —Prof. Dr. Günther
Drosdowski, M annheim (Stellvertr. V orsitzender) —Prof. Dr. Gerhard Augst, Siegen —
Prof. Dr. Johann K nobloch, Bonn — Dr. Wolfgang M entrup, IdS —Prof. Dr. Hans
M oser, Innsbruck — D r.h.c. O tto Nüssler, Wiesbaden — Dr. B urkhard Schaeder,
Essen —Prof. Dr. H orst Sitta, Zürich —Prof. Dr. Bernhard Weisgerber, Bonn —
Prof. Dr. Herm ann Zabel, Bonn.
Kommission für Fragen der Sprachentw icklung
Prof. Dr. Siegfried Grosse, Bochum (V orsitzender) — Dr. Karl-Heinz Bausch,
IdS (Stellvertr. V orsitzender) — Prof. Dr. G ünther Drosdowski, M annheim —
Dr. H. Fotheringham , Wiesbaden - Prof. Dr. R udolf Hoberg, D arm stadt —
262
Dr. W erner Kallmeyer, Id s — Prof. Dr. Hans H. Reich, Landau —Prof. Dr. Gert
Rickheit, Bielefeld — Prof. Dr. H orst S itta, Zürich — Prof. Dr. Hugo Steger,
Freiburg, — Dr. H elm ut W alther, Wiesbaden.
7.7.
Beiräte
Beirat “ L ehnw ort”
Prof. Dr. Johannes Erben, Bonn — Prof. Dr. M anfred Höfler, Düsseldorf — Prof.
Dr. Horst Munske, Erlangen — Prof. Dr. Peter von Polenz, Trier.
Beirat “ Fachexterne K om m unikation”
Dr. R udolf Beier, Ham burg — Prof. Dr. W alther D ieckm ann, Berlin — Prof. Dr.
Franz-Josef Hausmann, Erlangen —Prof. Dr. H erbert Ernst Wiegand, Heidelberg.
Beirat “ Schlichtung”
Prof. Dr. Konrad Ehlich, D ortm und — Prof. Dr. Klaus F. Röhl, Bochum — Prof.
Dr. Hugo Steger, Freiburg.
Beirat “ K om m unikation in der S ta d t”
Prof. Dr. Friedhelm Debus, Kiel — Prof. Dr. Siegfried Grosse, Bochum - Prof. Dr.
G ottfried Kolde, G enf — Prof. Dr. Heinrich Löffler, Basel —Prof. Dr. Brigitte
Schlieben-Lange, Frankfurt/M . —Prof. Dr. Fritz Schütze, Kassel.
8. Besondere N achrichten
Im Berichtsjahr verstarben vier Mitglieder des W issenschaftlichen Rats: Prof. Dr.
H. Bach, Arhus, D änem ark; Prof. Dr. Peter Hartm ann, K onstanz; Prof. Dr.Dr.h.c.
Friedrich Maurer, Freiburg; Prof. Dr.Dr. Eberhard Zwirner, Münster.
9. Personalstärke, A nschriften, finanzielle Angaben
9.1.
Personalstärke (Stand: 1.10.1984)
M itarbeiter (einschl. T eilzeitm itarbeiter):
wissenschaftliche Angestellte
Verwaltungs-Aechnische Angestellte
A rbeiter
insgesamt:
davon auf
Planstellen
wiss. Angestellte
Verw.-/techn.
Angestellte
A rbeiter
39
34
1
Summen
74
40 (+ 3 beurlaubt)
34
1
75
Projektstellen
1
Zusammen
40
34
1
1
75
263
9.2. A nschriften
Institut für deutsche Sprache
Friedrich-Karl-Straße 12
Postfach 5409
6800 Mannheim 1, Telefon (0621) 44011
Außenstellen:
Forschungsstelle Innsbruck
Innrain 52
A-6020 Innsbruck, Telefon 26741
Redaktion GERMANISTIK
Vogtshaldenstraße 24
Postfach 2140
7400 Tübingen, Telefon (07071) 24185
9.3.
Haushalte des Instituts im Berichtsjahr
O rdentlicher Haushalt
Einnahm en:
Bundesm inisterium für Forschung
und Technologie
M inisterium für W issenschaft und Kunst,
Baden-Württemberg
eigene Einnahm en
DM 3 .2 3 1 .6 5 0 ,DM 3 .2 3 1 .6 5 0 ,DM 1 0 6 .0 0 0 ,DM 6 .5 6 9 .3 0 0 ,-
Ausgaben:
Personalausgaben
Sachausgaben
Investitionen
DM 5 .0 0 7 .5 0 0 ,DM 1 .5 3 2 .8 0 0 ,DM
2 9 .0 0 0 ,DM 6 .5 6 9 .3 0 0 ,-
Projekt “Verbale In tera k tio n ”
Zuschußgeber: DFG
Personalausgaben
Sachausgaben
DM
DM
1 1 0 .0 0 0 ,-
DM
1 1 0 .0 0 0 ,-
Summe der Projektm ittel
O rdentlicher Haushalt
DM 1 1 0 .0 0 0 ,DM 6 .5 6 9 .3 0 0 ,-
Haushaltsm ittel ingesamt
DM 6 .6 7 9 .3 0 0 ,-
264
10.
V eröffentlichungen des In stitu ts für deutsche Sprache
SPRACHE DER GEGENWART
Schriften des Instituts für deutsche Sprache
Herausgegeben im A uftrag des Instituts für deutsche Sprache von Joachim Ball weg,
Inken Keim, Hugo Steger und Rainer Wimmer
Schriftleitung: Ursula Hoberg
Pädagogischer Verlag Schwann-Bagel, Düsseldorf
Band
1:
Satz und W ort im heutigen Deutsch. Jahrbuch 1965/66. Erschienen
1967.
Band
2:
Sprachnorm , Sprachpflege, Sprachkritik. Jahrbuch 1966/67. Er­
schienen 1968.
Band
3:
Hans Jürgen Heringer, Die O pposition von ‘kom m en’ und ‘bringen’
als Funktionsverben. U ntersuchungen zur gram m atischen W ertigkeit
und A ktionsart. 1968.
Band
4:
R uth Röm er, Die Sprache der Anzeigenwerbung. 4 1974.
Band
5:
Sprache — Gegenwart und G eschichte. Problem e der Synchronie
und D iachronie. Jahrbuch 1968. Erschienen 1970.
Band
6:
Studien zur Syntax des heutigen Deutsch. ^1971.
Band
7:
Jean Fourquet, Prolegomena zu einer deutschen Gram m atik. 4 1973.
Band
8:
Problem e der kontrastiven G ram m atik. Jahrbuch 1969. Erschienen
1970.
Band
9:
Hildegard Wagner, Die deutsche Verwaltungssprache der Gegenwart.
Eine U ntersuchung der sprachlichen Sonderform und ihrer Leistung.
31984.
Band 10:
Em pfehlungen zum G ebrauch des Konjunktivs in der deutschen ge­
schriebenen Hochsprache der Gegenwart. Beschlossen von der Kom­
mission für wissenschaftlich begründete Sprachpflege des Instituts
für deutsche Sprache. Form uliert von Siegfried Jäger. 31973.
Band 11 :
R udolf Hoberg, Die Lehre vom sprachlichen Feld. Ein Beitrag zu
ihrer Geschichte, M ethodik und A nw endung. ^1973.
Band 12:
R ainer R ath, Die Partizipialgruppe in der deutschen Gegenwarts­
sprache. 1971.
Band 13:
Sprache und Gesellschaft. Beiträge zur soziolinguistischen Beschrei­
bung der deutschen Gegenwartssprache. Jahrbuch 1970. Erschienen
1971.
Band 14:
Werner Ingendahl, Der m etaphorische Prozeß. M ethodologie zu sei­
ner Erforschung und System atisierung. ^1973.
Band 15 :
Leo Weisgerber, Die geistige Seite der Sprache und ihre Erforschung.
1971.
Band 16:
Bibliographie zum öffentlichen Sprachgebrauch in der Bundesrepu­
blik D eutschland und in der DDR. Zusam m engestellt und kom m en­
tie rt von einer A rbeitsgruppe unter der Leitung von Manfred W.
Hellmann. 1975.
265
Band 17:
Fragen der strukturellen Syntax und der kontrastiven Gram m atik.
1971.
Band 18:
Zum öffentlichen Sprachgebrauch in der Bundesrepublik D eutsch­
land und in der DDR. M ethoden und Problem e seiner Erforschung.
Aus den Referaten einer Tagung zusam m engestellt von M anfred W.
Hellmann. 1973.
Band 19:
Linguistische Studien I. 1972.
Band 20:
Neue G ram m atiktheorien und ihre A nw endung auf das heutige
Deutsch. Jahrbuch 1971. Erschienen 1972.
Band 21:
Heidi Lehm ann, Russisch-deutsche Lehnbeziehungen im W ortschatz
offizieller W irtschaftstexte der DDR (bis 1968). 1972.
Band 22:
Linguistische Studien II. 1972.
Band 23:
Linguistische Studien III. Festgabe für Paul Grebe zum 65. G eburts­
tag. Teil 1. 1973.
Band 24:
Linguistische Studien IV. Festgabe für Paul Grebe zum 65. G eburts­
tag. Teil 2. 1973.
Band 25:
Eis Oksaar, Berufsbezeichnungen im heutigen D eutsch. Soziosemantische U ntersuchungen. Mit deutschen und schwedischen experim en­
tellen K ontrastierungen. 1976.
Band 26:
G esprochene Sprache. Jahrbuch 1972. Erschienen 1974.
Band 27:
N estor Schum acher, Der W ortschatz der europäischen Integration.
Eine onom asiologische U ntersuchung des sog. ‘europäischen Sprach­
gebrauchs’ im politischen und institutionellen Bereich. 1976.
Band 28:
H elm ut Graser, Die Sem antik von Bildungen aus über- und Adjektiv
in der deutschen Gegenwartssprache. 1973.
Band 29:
Deutsche W ortbildung. Typen und T endenzen in der Gegenwarts­
sprache. Eine Bestandsaufnahm e des Instituts für deutsche Sprache,
Forschungsstelle Innsbruck. Erster H auptteil.
Ingeburg Kühnhold — Hans Wellmann, Das Verb. 1973.
Band 30:
Studien zur T exttheorie und zur deutschen G ram m atik. Festgabe
für Hans Glinz zum 60. G eburtstag. Herausgegeben von Horst Sitta
und Klaus Brinker. 1973.
Band 31:
Andreas Weiss, Syntax spontaner Gespräche. Einfluß von Situation
und Them a auf das Sprachverhalten. 1975.
Band 32:
Deutsche W ortbildung. T ypen und Tendenzen in der Gegenwarts­
sprache. Zw eiter H auptteil.
Hans Wellmann, Das Substantiv. 1975.
Band 33:
Sprachsystem und Sprachgebrauch. Festschrift für Hugo Moser zum
65. G eburtstag. Herausgegeben von Ulrich Engel und Paul Grebe,
Teil 1. 1974.
Band 34:
Sprachsystem und Sprachgebrauch. Festschrift für Hugo Moser zum
65. G eburtstag. Herausgegeben von Ulrich Engel und Paul Grebe,
Teil 2. 1975.
266
Band 35:
Linguistische Problem e der T extanalyse. Jahrbuch 1973. Erschienen
1975.
Band 36:
Sprachwissenschaft und Sprachdidaktik. Jahrbuch 1974. Erschienen
1975.
Band 37:
Heinz Kloss, Die Entw icklung neuer germanischer K ultursprachen
seit 1800. 1978.
Band 38:
T heo Bungarten, Präsentische Partizipialkonstruktionen in der d e u t­
schen Gegenwartssprache. 1976.
Band 39;
Problem e der Lexikologie und Lexikographie. Jahrbuch 1975.
Erschienen 1976.
Band 40:
Wolfgang Steinig, Soziolekt und soziale Rolle. Untersuchungen zu
Bedingungen und Wirkungen von Sprachverhalten unterschiedlicher
gesellschaftlicher G ruppen in verschiedenen sozialen Situationen.
1976.
Band 41:
Sprachwandel und Sprachgeschichtsschreibung. Jahrbuch 1976. E r­
schienen 1977.
Band 42:
G .S .S cur, Feldtheorien in der Linguistik. 1977.
Band 43:
Deutsche W ortbildung. D ritter H auptteil.
Ingeburg K ühnhold/O skar Putzer/H ans Wellmann, Das Adjektiv.
1978.
Band 44:
Ulrich Engel/Siegfried Grosse (Hrsg.), G ram m atik und D eutschunter­
richt. Jahrbuch 1977. Erschienen 1978.
Band 45:
H elm ut Henne/W olfgang M entrup/D ieter M öhn/H arald Weinrich
(Hrsg.), Interdisziplinäres deutsches W örterbuch in der Diskussion.
1978.
Band 46:
Wolfgang M entrup (Hrsg.), Fachsprachen und Gem einsprache. Ja h r­
buch 1978. Erschienen 1979.
Band 47:
H elm ut Heinze, G esprochenes und geschriebenes Deutsch. Verglei­
chende Untersuchungen von Bundestagsreden und deren schriftlich
aufgezeichnete Version. 1979.
Band 48:
Barbara M arzahn, Der D eutschlandbegriff der DDR. Dargestellt vor­
nehmlich an der Sprache des “ Neuen D eutschland” . 1979.
Band 49:
Wolfgang T eubert, Valenz des Substantivs. A ttributive Ergänzungen
und Angaben. 1979.
Band 50:
Joachim Ballweg/Hans Glinz (Hrsg.), G ram m atik und Logik. Ja h r­
buch 1979. Erschienen 1980.
Band 51:
Erwin M orgenthaler, K om m unikationsorientierte Textgram m atik.
Ein Versuch, die kom m unikative K om petenz zur T extbildung und
-rezeption aus natürlichem Sprachvorkom m en zu erschließen. 1980.
Band 52:
Hanspeter O rtner, W ortschatz der Mode. 1981.
Band 5 3:
Lorelies O rtner, W ortschatz der Pop /R ockm usik. 1982.
Band 54:
Peter Schröder/H ugo Steger (Hrsg.), Dialogforschung. Jahrbuch 1980.
Erschienen 1981.
267
Band 55:
Hennig Brinkmann, Sprache als Teilhabe. A ufsätze zur Sprachwissen­
schaft. Zu seinem achtzigsten G eburtstag ausgewählt und herausge­
geben von Maximilian Scherner. 1981.
Band 56:
Karl-Heinz Bausch (Hrsg.), M ehrsprachigkeit in der Stadtregion.
Jahrbuch 1981. Erschienen 1982.
Band 57:
H elm ut Henne/W olfgang M entrup (Hrsg.), W ortschatz und V erstän­
digungsproblem e. Jahrbuch 1982. Erschienen 1983.
Band 58:
Sdrawka M etschkowa-Atanassowa, T em porale und konditionale
wenn- Sätze. 1983.
Band 59:
Siegfried Grosse (Hrsg.), Schriftsprachlichkeit. 1983.
Band 60:
G erhard Stickel (Hrsg.), Pragm atik in der G ram m atik. Jahrbuch 1983.
Erschienen 1984.
Band 61:
Hans-Georg Küppers, O rthographiereform und Ö ffentlichkeit. 1984.
Band 62:
Deutsche W ortbildung. T ypen und Tendenzen in der Gegenwarts­
sprache. M orphem - und Sachregister zu Band I - III. Bearb. von
Ingeburg Kühnhold und Heinz-Peter Prell. 1984.
Band 63:
Rainer W immer (Hrsg.), Sprachkultur. Jahrbuch 1984. E rscheint 1985.
HEUTIGES DEUTSCH
Linguistische und didaktische Beiträge für den deutschen Sprachunterricht. V er­
öffentlicht vom In stitu t für deutsche Sprache und vom G oethe-Institut.
(Folge in drei U nterreihen 1979 abgeschlossen)
Max Hueber Verlag, München
Reihe I : Linguistische G rundlagen. Forschungen des Instituts für deutsche Sprache
Band
1:
Siegfried Jäger, Der Konjunktiv in der deutschen Sprache der Gegen­
w art. U ntersuchungen an ausgewählten T exten. 1971.
Band
2:
Klaus Brinker, Das Passiv im heutigen D eutsch. Form und F unktion.
1971.
Band 3.1,2.: Bernhard Engelen, Untersuchungen zu Satzbauplan und W ortfeld in
der deutschen geschriebenen Sprache der Gegenwart. 1975.
Band
4:
Ulrike Hauser-Suida/Gabriele Hoppe-Beugel, Die ‘Vergangenheits­
tem p o ra’ in der deutschen geschriebenen Sprache der Gegenwart.
Untersuchungen an ausgewählten T exten. 1972.
Band
5:
Herm ann Gelhaus, Das F u tu r in der deutschen geschriebenen Sprache
der Gegenwart. Studien zum Tem pussystem . 1975.
Band
6:
Franz-Josef Berens, Analyse des Sprachverhaltens im Redekonstella­
tionstyp “ Interview ” . Eine empirische Untersuchung. 1975.
Band
7:
Gisela Schoenthal, Das Passiv in der deutschen Standardsprache. D ar­
stellung in der neueren G ram m atiktheorie und V erwendung in ge­
sprochener Sprache. 1975.
268
Band
8:
Band 9.1.:
Jürgen D ittm ann, Sprechhandlungstheorie und Tem pusgram m atik.
Futurform en und Zukunftsbezug in der gesprochenen deutschen
Standardsprache. 1976.
Karl-Heinz Bausch, M odalität und Konjunktivgebrauch in der ge­
sprochenen deutschen Standardsprache. Teil I. 1979.
Band 10:
Ursula Hoberg, Die W ortstellung in der geschriebenen deutschen Ge­
genwartssprache. Untersuchungen zur Elem entenfolge im einfachen
Verbalsatz. 1981.
Band 11:
Karl-Heinz Jäger, Untersuchungen zur Klassifikation gesprochener
deutscher Standardsprache. R edekonstellationstypen und argumen­
tative D ialogstrukturen. 1976.
Band 12:
Franz-Josef Berens/Karl-Heinz Jäger/G erd Schank/Johannes Schwitalla, Projekt D ialogstrukturen. Ein A rbeitsbericht. 1976.
Band 13:
Angelika Wenzel, Stereotype in gesprochener Sprache. Form , Vor­
kom m en und Funktion in Dialogen. 1978.
Band 14:
G erd Schank, U ntersuchungen zum A blauf natürlicher Dialoge. 1981.
Band 15:
Johannes Schwitalla, Dialogsteuerung in Interviews. Ansätze zu einer
T heorie der Dialogsteuerung m it em pirischen Untersuchungen. 1979.
Band 16:
Christian Winkler, Untersuchungen zur Kadenzbildung in deutscher
Rede. 1979.
Band 17:
M arita Sennekam p, Die Verwendungsm öglichkeiten von Negations­
zeichen in Dialogen. Ein dialoggram m atischer A nsatz m it empirischer
Überprüfung an T exten gesprochener deutscher Standardsprache.
1979.
Reihe I I : Texte
Band
1:
T exte gesprochener deutscher Standardsprache I. E rarbeitet vom In­
stitu t für deutsche Sprache, Forschungsstelle Freiburg. ^1978.
Band
2:
T exte gesprochener deutscher Standardsprache II. “ Meinung gegen
M einung” . Diskussionen über aktuelle T hem en. Ausgewählt, redi­
giert und eingeleitet von Charles van Os. 1974.
Band
3:
T exte gesprochener deutscher Standardsprache III. “Alltagsgesprä­
che” . Ausgewählt von H.P. Fuchs und G. Schank. 1975.
Band
4:
T exte gesprochener deutscher Standardsprache IV. “ Beratungen und
Dienstleistungsdialoge” . Herausgegeben und eingeleitet von KarlHeinz Jäger. 1979.
Reihe III: Linguistisch-didaktische U ntersuchungen des G oethe-Instituts
Band
1:
G erhard K aufm ann, Die indirekte Rede und m it ihr konkurrierende
Form en der Redeerwähnung. 1976.
Band
2:
Sigbert Latzei, Die deutschen Tem pora Perfekt und Präteritum .
Eine D arstellung m it Bezug auf Erfordernisse des Faches “Deutsch
als Frem dsprache” . 1977.
269
Band
3:
L utz G ötze, V alenzstrukturen deutscher Verben und Adjektive.
Eine didaktische Darstellung für das Fach Deutsch als Frem dsprache.
1979.
FORSCHUNGSBERICHTE DES INSTITUTS FÜR DEUTSCHE SPRACHE
Herausgegeben von Rainer Wimmer und Gisela Zifonun
Verlag G unter Narr, Tübingen
Band
1:
1968.
Band
2:
1968.
Band
3:
1969.
Band
4.
1970.
Band
5:
1970.
Band
6:
1971.
Band
7:
^
Sam m elbände
.
Gesprochene Sprache. Bericht der Forschungsstelle Freiburg des In­
stitu ts für deutsche Sprache. 1975.
Band 8:
S. Jäger/J. Huber/P. Schätzle, Sprache und Sozialisation. Vorüber­
legungen zu em pirischen Untersuchungen. 1972.
Band 9:
H. Popadic, U ntersuchungen zur Frage der Nom inalisierung des Ver­
balausdrucks im heutigen Zeitungsdeutsch. 1972.
Band 10:
H. Fenske, Schweizerische und österreichische Besonderheiten in
deutschen W örterbüchern. 1973.
Band 11:
I. Neum ann, T em porale Subjunktionen. Syntaktisch-sem antische Be­
ziehungen im heutigen Deutsch. 1972.
Band 12:
G. Kaufm ann, Das konjunktivische Bedingungsgefüge im heutigen
Deutsch. 1972.
Band 13:
P. N ikitopoulos, Statistik für Linguisten. Eine m ethodische Darstel­
lung. Teil 1. 1973.
Band 14:
K. Bayer/K. Kurbel/B. Epp, Maschinelle Sprachbeschreibung im Insitut für deutsche Sprache. 1974.
Band 15:
H. Gelhaus/S. Latzei, Studien zum Tem pusgebrauch im Deutschen.
1974.
Band 16:
H. Raabe (Hrsg.), T rends in kontrastiver Linguistik I. Interim sprache
und kontrastive Analyse. Das Zagreber Projekt zur angew andten Lin­
guistik. 1974.
Band 17:
S. Marx-Nordin, U ntersuchungen zur M ethode und Praxis der Analyse
aktueller W ortverwendungen. Aspekte des Gebrauchs der W örter
‘Sozialism us’ und ‘sozialistisch’ in der politischen Sprache der DDR.
1974.
Band 18:
Arbeitsgruppe MasA: Zur m aschinellen Syntaxanalyse I. M orphosyntaktische V oraussetzungen für eine maschinelle Sprachanalyse des
D eutschen. 1974. 2 Teilbände.
270
Band 19:
A rbeitsgruppe MasA: Zur m aschinellen Syntaxanalyse II. Ein Lexi­
kon für eine maschinelle Sprachanalyse des Deutschen. 1974.
Band 20:
H. Kloss (Hrsg.), Deutsch in der Begegnung m it anderen Sprachen:
im Frem dsprachen-W ettbew erb, als M uttersprache in Übersee, als
Bildungsbarriere für G astarbeiter. Beiträge zur Soziologie der Spra­
chen. 1974.
Band 21:
G. Harlass/H. Vater, Zum aktuellen deutschen W ortschatz. 1974.
Band 22:
I. Tañeré,Transform ationelle Analyse von A bstraktkom posita. 1975.
Band 23:
H. Kubczak, Das V erhältnis von Intension und E xtension als sprach­
wissenschaftliches Problem . 1975.
Band 24:
G. Augst, Lexikon zur W ortbildung.
Band 24.1: M orphem inventar A - G.
Band 24.2: M orphem inventar H - R.
Band 24.3: M orphem inventar S - Z.
Band 25:
G. Augst, Untersuchungen zum M orphem inventar der deutschen Ge­
genwartssprache. 1975.
Band 26:
A. Kirkness, Zur Sprachreinigung im Deutschen 1789-1871. Eine
historische D okum entation. Teil I und II. 1975.
Band 27:
A .J. Pfeffer, G runddeutsch. E rarbeitung und W ertung dreier deut­
scher Korpora. Ein Bericht aus dem “ Institute for Basic G erm an” ,
Pittsburgh. 1975.
Band 28:
H. Raabe (Hrsg.), Trends in kontrastiver Linguistik II. 1975.
Band 29:
G. Stickel (Hrsg.), Deutsch-japanische K ontraste. V orstudien zu einer
kontrastiven G ram m atik. 1976.
Band 30:
H. Schum acher (Hrsg.), Untersuchungen zur Verbvalenz. 1976.
Band 31:
U. Engel/H. Schum acher, Kleines Valenzlexikon deutscher Verben.
2 1978.
Band 32:
N. Filipovic, Die Partizipialkonstruktion in der deutschen dichteri­
schen Prosa von heute. 1977.
Band 33:
L. Siegrist, Bibliographie zu Studien über das deutsche und englische
Adverbial. 1977.
Band 34:
H. Droop, Das präpositionale A ttrib u t. G ram m atische Darstellung
und Korpusanalyse. 1977.
Band 35:
H. Gelhaus, Der m odale Infinitiv. 1977.
Band 36:
U. Engel (Hrsg.), Deutsche Sprache im K ontrast. 1977.
Band 37:
A. Ballweg-Schramm/A. L ötscher (Hrsg.), Sem antische Studien. 1977.
Band 38:
J. Ballweg, Sem antische Grundlagen einer T heorie der deutschen kau­
sativen Verben. 1977.
Band 39:
K. Zim m erm ann, Erkundungen zur T exttypologie. 1978.
Band 40:
M. D yhr, Die Satzspaltung im Deutschen und Dänischen. Eine kon­
trastive Analyse. 1978.
271
Band 41:
I. Keim, Studien zum Sprachverhalten ausländischer A rbeitnehm er.
Dargestellt an türkischen G astarbeitern im Raum M annheim. 1978.
Band 42:
M. Kolvenbach/A . L ötscher/H .D . L utz (Hrsg.), Künstliche Intelli­
genz und natürliche Sprache: Sprachverstehen und Problemlosen
m it dem C om puter. 1979.
Band 43:
L. A uburger/H . Kloss, Deutsche Sprachkontakte in Obersee. 1979.
Band 45:
Projektgruppe Verbvalenz, K onzeption eines W örterbuchs deutscher
Verben. Zu Theorie und Praxis einer sem antisch orientierten Valenz­
lexikographie. 1981.
Band 46:
H. Wulz, Form alism en einer Übersetzungsgram m atik. 1979.
Band 47:
W. M entrup, Die Groß- und Kleinschreibung im Deutschen und
ihre Regeln. Historische E ntw icklung und Vorschlag zur Neuregelung.
1979.
Band 48:
M. W. Hellm ann (Hrsg.), Ost-West-Wortschatzvergleiche. Maschinell
gestützte Untersuchungen zum V okabular von Zeitungstexten aus
der BRD und der DDR. 1984.
Band 49:
W. M entrup (Hrsg.), R echtschreibreform in der Diskussion.
W issenschaftliche A rbeitstagung zur deutschen Orthographie,
M annheim , Mai 1979. 1979.
Band 50:
I. Keim, U ntersuchungen zum Deutsch türkischer A rbeiter. 1984.
Band 5 1:
S. Grosse/W. M entrup (Hrsg.), Bürger — Form ulare — Behörde.
W issenschaftliche A rbeitstagung zum K om m unikationsm ittel
‘F orm ular’. M annheim , O ktober 1979. Mit einer ausführlichen
Bibliographie. 1980.
Band 52:
D. K rallm ann/G . Stickel (Hrsg.), Zur Theorie der Frage. Vorträge
des Bad Hom burger Kolloquium s im N ovem ber 1978. 1981.
Band 5 3:
I. Keim/P. N ikitopoulos/M . Kepp, K om m unikation ausländischer
A rbeiter. 1982.
Band 54:
S. Grosse/W. M entrup (Hrsg.), A nw eisungstexte. 1982.
Band 55:
H. O rtner/L . O rtner, Zur Theorie und Praxis der Kom positaforschung.
M it einer ausführlichen Bibliographie. 1984.
Band 56:
U. Reitem eier, Juristische K om m unikation. K om m entierte Biblio­
graphie. (im Druck)
Band 57:
W. N othdurft, "... äh folgendes problem äh ...” . Die interaktive A us­
arbeitung “des Problem s” in Beratungsgesprächen. 1984.
Band 58:
G. Strauß/G . Z ifonun, Die Sem antik schwerer W örter im Deutschen,
(im Druck)
Band 59:
P. Schröder (Hrsg.), Beratungsgespräche — Ein kom m entierter T ex t­
band. (im Druck)
VERGLEICHENDE GRAMMATIKEN
Herausgegeben vom In stitu t für deutsche Sprache
Bibliographisches Institut, M annheim
Band 1, Teil 1: Jean-M arie Zemb, Vergleichende G ram m atik Französisch-Deutsch,
Com paraison de deux systfcmes. Mit Beiträgen von Monica Belin,
Jean David, Jean Janitza, Hans-Ludwig Scheel.
Band 1, Teil 2: Jean-M arie Zemb, Vergleichende G ram m atik Französisch-Deutsch,
L ’& onom ie de la langue et le jeu de la parole. Mit Beiträgen von
Pierre Dim on, Irene Freitag-Boswell, F rld eric Hartweg, Paul Imbs,
Jean Janitza, Jean-R en? Ladmiral, Herm ann Möcker, Boris Rybak,
Francois Schanen, Elm ar T ophoven, Louis T ruffaut.
In V orbereitung:
Spanisch-Deutsch
Serbokroatisch-D eutsch
Rum änisch-Deutsch
DEUTSCH IM KONTRAST
Herausgegeben im A uftrag des Instituts für deutsche Sprache von Ulrich Engel,
Hans Glinz und G erhard Jakob
Julius Groos Verlag, Heidelberg
Band
1:
P. Mrazovic (u n ter M itarb. von U. Engel), Die Stellung der Satzele­
m ente im Deutschen und im Serbokroatischen. Eine kontrastive
Darstellung. 1982.
Band
2:
M. Djordjevic, Verbalphrase und Verbvalenz. U ntersuchungen zur
deutsch-serbokroatischen kontrastiven G ram m atik. 1983.
Band
3:
U. Engei/E. Savin, Valenzlexikon deutsch-rum änisch/D icjionar de
valenta germ an-rom an. 1983.
Band
4:
K. Tarvainen, K ontrastive Syntax Deutsch-Finnisch. 1984.
Band
5:
S. StSnescu, S atzstrukturen im Deutschen und im Rum änischen.
(im Druck)
DEUTSCH UND JAPANISCH IM KONTRAST
Herausgegeben im A uftrag des Instituts für deutsche Sprache von T ohru Kaneko
und G erhard Stickel
Julius Groos Verlag, Heidelberg
Band
1:
Schrift — L autstrukturen — W ortbildung. 1984.
Band
2:
J. Rickm eyer, M orphosyntax der japanischen Gegenwartssprache.
1983.
273
PHONAI
Bis einschließlich Bd. 27:
L autbibliothek der europäischen Sprachen und M undarten
Herausgegeben von der Internationalen Vereinigung sprachw issenschaftlicher
Schallarchive
Deutsche Reihe
Herausgegeben vom Deutschen Spracharchiv im In stitu t für deutsche Sprache
ab Bd. 28:
L autbibliothek der deutschen Sprache
Herausgegeben vom In stitu t für deutsche Sprache
Herausgeber: Walter Haas, E deltraud Knetschke, M argret Sperlbaum
Schriftleitung und L eitung der Herstellung: E deltraud K netschke, Margret
Sperlbaum
Max Niem eyer Verlag, Tübingen
Band
1:
L. Levine/W. A rndt, Grundzüge m oderner Sprachbeschreibung. 1969.
Band
2:
E. K netschke/M . Sperlbaum , A nleitung für die H erstellung der
M onographien der L autbibliothek. S. Karger Verlag, Basel 1967.
Band
3:
H.
Richter, G rundsätze und System der Transkription-IPA(G)-, 1973.
Band 4:
M onum enta Germ aniae Acustica. Katalog 1965. Bearbeiter: E.
Knetschke/M . Sperlbaum u.a. S. Karger Verlag, Basel 1965.
Band
5:
W. Bethge/G. M. Bonnin, Proben deutscher M undarten. 1969.
Band
6:
(M onographien 1.) W. Bethge: Riesenbeck Kr. Tecklenburg; G. Heike:
Gleuel Kr. Köln; E. G rubacii: Kriva B ara/Banat; P. Paul: Barossatal/
Südaustralien. 1970.
Band
7:
(M onographien 2.) R.E. Keller: Jeste tte n Kr. W aldshut; L.G. Z ehetner:
Freising; H. Schudt: E rbstadt Kr. H anau. 1970.
Band 8:
M onum enta Germaniae Acustica. Katalog 1967. Bearbeiter: E.
K netschke/M . Sperlbaum u.a. 1969.
Band
(M onographien 3.) E. Grubacic: K nicanin/B anat; W.H. Veith:
Bockwitz Kr. S prottau. 1971.
9.
Band 10:
(M onographien 4.) W.W. Moelleken: N iederdeutsch der M olotschna —
und C hortitzam ennoniter in British C olum bia/K anada. 1972.
Band 11:
(M onographien 5.) D. Karch: G roßbockenheim Kr. F rankenthal/
K allstadt Kr. N eustadt a.d. W einstraße. 1972.
Band 12:
M onum enta Germ aniae Acustica. Katalog 1970. Bearbeiter: E.
Knetschke/M . Sperlbaum u.a. 1972.
274
Band 13:
(M onographien 6.) D. Karch: Gim meldingen Kr. N eustadt a.d.
W einstraße/M utterstadt Kr. Ludwigshafen a. Rhein. 1973.
Band 14:
Festschrift für E berhard Zwirner, Teil 1 (W. Bethge: T extliste zu
III/50). 1974.
Band 15:
(M onographien 7.) Festschrift für E berhard Zwirner, Teil II
S. Gersic: Hodschag/Batschka; W.O. Droescher: Pohoi —eine egerländer M undart in Neuseeland. 1974.
Band 16:
(M onographien 8.) D. Karch: Mannheim. Umgangssprache. 1975.
Band 17:
M. Sperlbaum : Proben deutscher Umgangssprache. 1975.
Band 18:
(M onographien 9.) D. Karch/W.W. M oelleken: Siedlungspfälzisch
im Kreis W aterloo. O ntario, Kanada. 1977.
Band 19:
(M onographien 10.) H. Popadic: Deutsche Siedlungsm undarten aus
Slawonien/Jugoslawien. 1978.
Band 20:
(M onographien 11.) D. Karch: Braunschweig — V eltenhof —Pfälzi­
sche Sprachinsel im Ostfälischen —. 1978.
Band 21:
(M onographien 12.) P. McGraw: Dane C ounty Kölsch, Wisconsin,
USA. 1979.
Band 22:
(M onographien 13.) D. Karch: Jockgrim Kr. Germ ersheim /N ieder­
horbach Kr. Bad Bergzabern. 1979.
Band 23:
(M onographien 14.) I. G uentherodt: D udenrode Kr. W itzenhausen/
N etra Kr. Eschwege. 1982.
Band 24:
M onum enta Germaniae Acustica. Katalog 1978. Bearbeiter: E.
Knetschke/M . Sperlbaum . 1980.
Band 25:
(M onographien 15.) D. Karch: Dahn Kr. Pirmasens/Wilgartswiesen
Kr. Pirmasens/Iggelbach Kr. Bad Dürkheim. 1980.
Band 26:
(M onographien 16.) G. Lipoid: G ottschee in Jugoslawien — System,
Stil und Prozeß —Phonologie einer Sprachinselm undart; 1. Teil:
Suchen, H interland, Zentralgebiet. 1984.
Band 27:
(M onographien 17.) H.W. R oye: Segm entierung und Hervorhebung
in gesprochener deutscher Standardsprache — Analyse eines Polylogs.
1983.
Band 28:
(T extkorpora 1) J.A . Pfeffer/W.F.W. Lohnes: G runddeutsch —
Texte zur gesprochenen deutschen Gegenwartssprache — Einführungs- und Registerband. 1984.
Band 29:
(T extkorpora 1) J.A . Pfeffer/W .F.W . Lohnes: G runddeutsch —
Texte zur gesprochenen deutschen Gegenwartssprache — Texte,
Teil 1. 1984.
Band 30:
(T extkorpora 1) J.A . Pfeffer/W .F.W . Lohnes: G runddeutsch —
Texte zur gesprochenen deutschen Gegenwartssprache - Texte,
Teil 2. 1984.
Band 31:
(M onographien 18.) A. Rowley: Fersental/V al Fersina. (im Druck)
275
Band 32:
(M onographien 19.) Ch. W ickham /R. Hinderling: D iendorf Kr.
N abburg/Zinzenzell Kr. Bogen, (im Druck)
Beiheft 1:
W. Bethge: Beschreibung einer hochsprachlichen T onbandauf­
nahm e. 1973.
Beiheft 2:
Festschrift für Eberhard Zwirner, Teil 111. (H. Richter, K.-H. Rensch,
M. Sperlbaum , E. K netschke). 1974.
Beiheft 3
D. Karch: Zur M orphologie der vorderpfälzischen Dialekte. 1975.
Beiheft 4
K. Waniek: Die M undart von Ratiborham m er. 1977.
Beiheft 5
Zur gesprochenen deutschen Umgangssprache I. (D. Bresson, M.
Sperlbaum , H. Richter, E. Knetschke, W.O. Droescher). 1982.
DEUTSCHE SPRACHE IN EUROPA UND ÜBERSEE
Berichte und Forschungen
Herausgegeben vom In stitu t für deutsche Sprache und dem G oethe-Institut
Herausgeber des IdS: G erhard Jakob, G ottfried Kolde;
des G l: Josef Gerighausen, Hans-Peter Krüger
Franz Steiner Verlag, Wiesbaden
Band
1:
Deutsch als M uttersprache in Kanada. Berichte zur Gegenwartslage.
1977.
Band
2:
Walter Hoffm eister, Sprach Wechsel in Ost-Lothringen. Soziolinguistische U ntersuchungen über die Sprachwahl von Schülern in bestim m ­
ten Sprechsituationen. 1977.
Band
3:
Hans-Peter Müller, Die schweizerische Sprachenfrage vor 1914. Eine
historische U ntersuchung über das V erhältnis zwischen Deutsch und
Welsch bis zum Ersten Weltkrieg. 1977.
Band
4:
Deutsch als M uttersprache in den Vereinigten Staaten. Teil I: Der
M ittelwesten. 1979. (Sam melband)
Band
5:
Deutsch als M uttersprache in Belgien (in Zusam m enarbeit m it der
“ Forschungsstelle für M ehrsprachigkeit” , Brüssel). 1979. (Sammel­
band)
Band
6:
Fernand H offm ann, Sprachen in Luxem burg. Beschreibung einer
Triglossie-Situation. 1979.
Band
7:
Hildegard Irm a Stielau, N ataler Deutsch. Eine D okum entation unter
besonderer Berücksichtigung des englischen und afrikaansen Ein­
flusses auf die deutsche Sprache in Natal. 1980.
Band
8:
Michael Clyne, Deutsch als M uttersprache in A ustralien. Zur Ö kolo­
gie einer Ein W anderersprache. 1981.
Band
9:
N orbert Kleinz, Deutsche Sprache im K ontakt in Südwestafrika.
Der heutige G ebrauch der Sprachen Deutsch, Afrikaans und Englisch
in Namibia. 1984.
Band 10:
276
Heinz Kloss (Hrsg.), Deutsch als M uttersprache in den Vereinigten
Staaten. Teil II: Regionale und funktionale A spekte. (Sam melband,
im Druck)
DEUTSCHES FREMDWÖRTERBUCH
Begonnen von Hans Schulz, fortgeführt von O tto Basler, w eitergeführt im Institut
für deutsche Sprache
Verlag Walter de G ruyter, Berlin
Band
3:
Q /R . Q bearbeitet von O tto Basler. R b earbeitet von Alan Kirkness,
Elisabeth Link, Isolde N ortm eyer, G erhard Strauß unter M itwirkung
von Paul Grebe. 1977.
Band 4:
S. B earbeitet von Alan Kirkness, Elisabeth Link, Isolde N ortm eyer,
G erhard Strauß u nter M itwirkung von Paul Grebe. 1977 ff.
Band
5:
T. B earbeitet von Alan Kirkness, Elisabeth Link, Isolde N ortm eyer,
Gerhard Strauß u nter M itwirkung von Paul Grebe. 1981.
Band
6:
U - Z und Quellenverzeichnis. B earbeitet von Alan Kirkness, Elisabeth
Link, Isolde N ortm eyer, Gerhard Strauß unter M itwirkung von Paul
Grebe. 1982.
Band
7:
System atische W ortregister und Quellenverzeichnis, (im Druck)
DEUTSCHE SPRACHE
Zeitschrift für T heorie, Praxis, D okum entation
Im A uftrag des Instituts für deutsche Sprache, Mannheim, herausgegeben von
Hugo Steger, Freiburg (G eschäftsführung); Odo Leys, Leuven; Johannes Schwitalla,
M annheim; Gerhard Stickel, M annheim.
Pro Jahr 4 Hefte
1973 - 1974: Hueber Verlag, München
seit 1975: Erich Schm idt Verlag, Berlin
GERMANISTIK
Internationales Referatenorgan m it bibliographischen Hinweisen
Herausgegeben von H.W. Bähr u.a. gemeinsam m it dem In stitu t für deutsche Sprache
Schriftleitung: Tilm an Kröm er
Max Niemeyer Verlag, Tübingen
Erscheint vierteljährlich
INTERNATIONALES GERMANISTENVERZEICHNIS
Herausgegeben gemeinsam vom In stitu t für deutsche Sprache und der Redaktion
des Jahrbuchs für Internationale Germ anistik
(Hrsg.: A loys M. Hagspihl, Hans-Gert R oloff, Wolfgang T eubert)
Erscheint im Jahrbuch für Internationale G erm anistik, Reihe D
Verlag Peter Lang, Bern
Teil I:
Institutionen. 1980.
Teil II:
W issenschaftler, (im Druck)
277
VERÖFFENTLICHUNGEN IM EIGENVERLAG DES INSTITUTS
M itteilungen.
Berichte über A rbeiten und V eranstaltungen des Instituts. Die Hefte erscheinen in
loser Folge; im D urchschnitt erscheint jährlich ein Heft.
D okum entation sprachw issenschaftlicher Lehrveranstaltungen an Hochschulen
der Bundesrepublik D eutschland, Österreichs und der deutschsprachigen Schweiz.
Erscheinungsweise: halbjährlich.
D okum entation sprachw issenschaftlicher Forschungsvorhaben 1981/1982.
Erschienen Frühjahr 1983.
LDV-Info.
Inform ationsschrift der A rbeitsstelle Linguistische Datenverarbeitung.
Erscheinungsweise: 1-2 mal jährlich.
PLIDIS-Dokum entation.
Verfasser: H.D. Lutz, M. Kolvenbach, G. Zifonun u.a., M annheim, 1980.
INTERLISP Program m ierhandbuch.
Verfasser: B. Epp. M annheim , ^1981.
D okum entation: T extkorpora des neueren Deutsch. M annheim, 1982.
Linguistische Datenverarbeitungs-Software.
Herausgegeben vom In stitu t für deutsche Sprache und dem Inform ationszentrum
Sozialwissenschaften. M annheim und Bonn, 1982.
Bibliographie von A rbeiten zur linguistischen Beschreibung der serbokroatischen
Gegenwartssprache.
Projektgruppe Deutsch-Serbokroatische Kontrastive Gram m atik. Mannheim, ^ 1983.
Rückläufige W ortliste zum heutigen Deutsch. 2 Bde.
Bearbeitet von T. Brückner und Chr. Sauter. Mannheim, 1984.
278
. . . die große D arstellung
von G estalt und Leistung der deutschen Sprache:
H ennig Brinkm ann
D ie d e u tsc h e S p rach e
G estalt und Leistung
2., neubearbeitete und erw eiterte Auflage
X X X I, 939 Seiten, Leinen - ISBN 3-590-15011-4
Aus Besprechungen der ersten Auflage
„B rinkm anns W erk ist für unsere Zeit zweifellos
die große D arstellung von G estalt und Leistung
der deutschen Sprache. Das Buch hebt alle neuen
Ansätze gram m atischer B etrachtung in sich auf,
stellt sie aber nicht kom pilatorisch zusam m en,
sondern führt sie w eiter.“
(M itteilungen des D eutschen G erm anisten-V erbandes)
D ie innere G eschlossenheit und m ethodische Stärke
des Buches m acht das ständig zu beobachtende gute
Einvernehm en aus, das zwischen D eskription und
Sinndeutung herrscht. A uch die alten G egensätze zwischen
dem Inhalts- und dem F orm gesichtspunkt der Sprache
w erden m ethodisch geschickt ausgeglichen. Das
fundam entale W erk ist Zeugnis einer eindrucksvollen
gedanklichen Leistung des V erfassers.“
(wissenschaftlicher literaturanzeiger)
S ch w a n n
F a ch sp ra ch e u n d S p ra ch g eb ra u ch
in d er P o litik , in T e c h n ik u n d W irtschaft
B ib lio g r a p h ie
z u m ö ffe n tlic h e n S p ra ch g eb ra u ch
in der B u n d e sr e p u b lik D e u ts c h la n d
u n d in der D D R
Zusam m engestellt und kom m entiert
von einer A rbeitsgruppe
u nter der L eitung von M anfred W. H ellm ann
Sprache der G egenw art 16 — ISBN 3-590-15616-2
W ortsch atz der M o d e
V on H anspeter O rtn er
Sprache der G egenw art 52 - ISBN 3-590-15652-X
W o rtsch atz u n d V e r stä n d ig u n g sp r o b le m e
Was sind „schw ere W örter“ im Deutschen?
Jahrbuch 1982
Sprache der G egenw art 57 - ISBN 3-590-15657-0
S ch w a n n